Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Erfahrungsbericht 2


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34022 Beiträge
  • Land: Country Flag
Erfahrungsbericht 2




„Der menschliche Fortschritt wurde nie durch die Zustimmung der Mehrheit zustande gebracht. Diejenigen, die vor den anderen erleuchtet werden, sind dazu verdammt, dieser Erleuchtung den anderen trotzend zu folgen.“

Christoph Kolumbus

Am Montag, den 12. Januar 1998, haben meine Frau und ich Briefe eingereicht, in denen wir darum baten, unsere Namen aus den Kirchenunterlagen zu entfernen. Wir sind beide in der Kirche erzogen worden und haben bis jetzt unsere beiden kleinen Kinder (sie sind fünf und neun) als Mormonen erzogen. Unser ältester Sohn wurde mit acht Jahren getauft. Unser Schritt aus dem Mormonenglauben ist für uns genauso faszinierend und abenteuerlich, wie es das Entdecken der neuen Welt für Kolumbus sein mußte. Wie einst Kolumbus, erklären wir jetzt ebenfalls, daß unsere Welt nicht flach ist.

Vorfahren meiner Familie väterlicherseits waren Mormonenpioniere. Meine Großeltern mütterlicherseits schlossen sich die Kirche an, als meine Mutter noch ein Baby war. Wie mein Vater wuchs meine Mutter als aktiver Mormone auf. Ihr Vater sagte gern dem Alkohol zu. Er rauchte auch, obwohl er ein Mormone war. Aber als ich geboren wurde versprach er, nie wieder zu Rauchen oder zu Trinken. Dieses Versprechen hat er gehalten. Als ich noch klein war, war mein Opa ein Hohepriestergruppenleiter. Mein Vater ist mit 19 auf Mission gegangen, so wie viele andere seiner acht Geschwister. Seine Eltern sind später im Leben auch auf eine Wohlfahrtsmission gegangen. Mein Vater hatte nie eine ’wichtige‘ Position in der Kirche bekommen, aber er und meine Mutter hatten immer eine Berufung in der Kirche. Zu Hause hatten wir gelegentlich Familienheimabend und unregelmäßig haben wir auch gemeinsam in den Schriften gelesen oder als Familie gebetet. Ich bin das älteste von sieben Kindern. Ich wollte immer auf Mission gehen und tat dies auch, als ich 19 wurde. Ich wurde nach Hamburg geschickt.

Zu Hause hatte meine Frau Andrea zwölf Geschwister. Sie war Nummer zehn. Sie wurde in Salzburg geboren. Ihre Eltern waren einmal katholisch, sind aber vor ihrer Geburt Mormonen geworden. Ihre Eltern hatten viele Berufungen in der Kirche. Der Vater von Andrea, der nunmehr verstorben ist, war kurzzeitig sogar Zweigpräsident in Salzburg. Zu Hause hielt ihre Familie den Heimabend und sie sprachen regelmäßig das Familiengebet, also morgens und abends. Drei ihrer älteren Geschwister gingen auf Mission. Wegen Streit mit ihren Eltern (hauptsächlich weil so viele Kinder zu Hause waren), ist Andrea mit ca. 18 Jahren weggezogen, um bei einer anderen Familie aus der Gemeinde zu wohnen. Diese andere Familie war etwas wohlhabender als die von Andrea. Der Vater dieser Familie war später für lange Zeit Zweigpräsident in Haag am Hausruck. Sein Beispiel war Andrea sehr wichtig. Er ist jetzt aus der Kirche ausgetreten und spricht offen und ehrlich über seine Erlebnisse mit den Mormonen. Er kritisierte die Kirche u.a. sogar im ORF.

Als Andrea 21 Jahre alt war, ging sie nach Hamburg auf Mission. Ihr erstes Erlebnis im Tempel (in der Schweiz) hat sie schon damals beinahe aus der Kirche gebracht. Weil sie aber am nächsten Tag in Hamburg sein mußte, hat sie weiter gemacht. Im Tempel ist sie sich vorgekommen, als wenn sie im Kasperletheater wäre. Die ganze Zeit im Tempel hat sie Gott angefleht, ihr für die merkwürdigen Dinge zu vergeben, die sie dort während des ’Endowments‘ getan hat. Der einzige Grund, warum sie geblieben ist, war wegen ihren Eltern und anderen, die sie so geschätzt hat, die aber auch regelmäßig in den Tempel gingen. Sie dachte, „wenn die all diese verrückten Dinge tun können, dann kann ich das auch.“

Nun ist es offensichtlich, daß wir beide zur gleichen Zeit in Hamburg auf Mission waren. Wir ’dienten‘ unter Präsident Richard K. Klein, der jetzt ein wichtiger Kirchenführer in Utah ist. Er war sehr konservativ und sehr strikt, aber wir mochten ihn gern und er hat schwer gearbeitet. Ich diente als Missionssekretär und als Präsident Kleins Privatsekretär für ungefähr sechs Monate. Ich werde nie wissen, ob ich diese Berufung bekommen habe, weil ich meine Selbstbefriedigung gebeichtet habe, oder weil ich der einzige war, der 65 Wörter in der Minute mit der Schreibmaschine schreiben konnte. Diese Erfahrung im Missionsbüro war mein erstes nahes Erlebnis mit der Führung der Kirche. Als Jugendlicher war ich Präsident der Diakone, Lehrer und Priester, aber diese Berufung als Missionssekretär war etwas anderes. Ich bin in den Fürherschaftsversammlungen und Zonenkonferenzen immer geistig aufgebaut worden, aber ich habe auch sehen können, wie sehr sich die anderen Missionare nach höheren Positionen drängten und wie sehr die Regeln betont wurden, sehr zu meinem Unwohlsein und zum Nachteil des Evangeliums. Dadurch wurde ich auf Mission rebellisch, hauptsächlich wegen der vielen Regeln, die wir befolgen mußten. Diejenigen, die den Regeln nicht folgten, waren nicht geistig, dachte ich, und so war auch ich gehorsam. Nachdem ich vom Missionsbüro wegging, bin ich Distriktsleiter geworden, was ich auch für weitere zehn Monate bis zum Abschluß meiner Mission geblieben bin. Weil Andrea eine sogenannte Frau ist, konnte sie keine führende Position innehaben. Wir beide schätzen noch immer unsere Zeit als Missionare, aber nicht aus den gleichen Gründen wie Mormonen erwarten würden. Für uns war das eine Zeit, um unsere Mitmenschen besser kennenzulernen, was man auch nur kann, wenn man sich völlig in deren Leben hineinvertieft.

Nach meiner Mission ging ich zur Brigham Young Universität. Bei einem Missionarstreffen an der BYU habe ich Andrea zum ersten Mal kennengelernt. Während wir verlobt waren, bin ich nach Wien gegangen, um dort auch ein paar Semester zu studieren. Dort in Wien habe ich erstmals sogenannte politisch Radikale und Intellektuelle kennengelernt, einige davon waren meine Professoren, und alle waren auch Mitglieder der Mormonenkirche. Ich schätze diese Erfahrung weit mehr als meine Mission. In Wien habe ich gelernt, für mich selbst zu denken. Dort habe ich mehr über den Paulusbrief an die Römer und über die neutestamentarische Gnade gelernt. Nach Wien habe ich mich zu den politisch Radikalen und zu den Intellektuellen gezählt.

Andrea und ich heirateten im Manti-Tempel in Utah, weil unsere beiden Familien Verbindungen zu diesem Tempel hatten. Ihre Schwester hat dort ebenfalls einen Amerikaner und zurückgekehrten Missionar geheiratet, und dort haben auch meine Eltern geheiratet. Zu dieser Zeit in unserer Ehe war ich so im Mormonismus verwurzelt, daß ich sogar die Gebete meiner Frau kritisiert habe, weil sie sich so oft wiederholte. Der bloß Gedanke läßt mich heute erschaudern. Wir bekamen unser erstes Kind, nachdem wir in ’Mormon Doctrine‘ gelesen haben, daß es nicht gut sei, das Kinderzeugen hinauszuzögern. Ich bereue es, daß wir diesem blöden Rat gefolgt sind und einander nicht so gut kennenlernen konnten, bevor unser Sohn geboren wurde. Andrea bereut es nicht, sie glaubt, sie kann noch zehn Kinder gut in den Griff bekommen.

Kurz nachdem unser erstes Kind geboren war, wurde ich vom Außenministerium als ’Intern‘ an die Amerikanische Botschaft in Bern berufen. Als ich mit meiner Familie in Österreich auf meine Sicherheitsüberprüfung wartete, blieben wir mit Freunden und Familienmitgliedern in Österreich. Einer davon war der Dr. Alfred Mika, der Zweigpräsident der Haager Gemeinde. Bei seiner Familie wohnte Andrea kurz vor ihrer Mission. Und dort in Österreich habe ich als selbsternannter Intellektueller zum ersten Mal eine Zeitschrift namens ’Dialogue: A Journal of Mormon Thought‘ kennengelernt. Ich war davon fasziniert. Alfred, wie wir in nannten, hatte die ganze Sammlung von alten Ausgaben. Ich las davon so viel, wie ich in der kurzen Zeit nur konnte. Es war erst zu dieser Zeit, als ich meine erste Ahnung von der Täuschung der Kirche gespürt habe, und sie hat mich nie mehr losgelassen. Ich lernte dort über die Vielehe, Freimaurerei, verschiedene Versionen der ersten Vision, warum die Schwarzen das Priestertum nicht haben durften (Rassismus), von Massenausschließungen von der Kirche in der Frankreichmission in den 60er Jahren, usw.

Andrea war skeptisch über meine neuen Entdeckungen und machte sich Sorgen über den verlorenen Glauben, den sie am Horizont heraufziehen sah. Aber auch sie hatte Zweifel. Als wir wieder in Amerika waren, bin ich zur BYU zurückgekehrt. Kurz danach machte ich meinen Abschluß und begann das Doktorat an der Rechtsanwaltschule. Ich hatte Angebote von der BYU, der University of Utah und einigen anderen Universitäten. Ich habe die University of Utah ausgesucht, und ich freue mich riesig über diese Entscheidung. Dies wurde mein erster Kontakt mit wirklich radikalen Ideen und ungestörter intellektueller Untersuchung. Meine Weltanschauung wurde immerwährend geprüft und so auch geformt. Zu dieser Zeit arbeitete ich mit Obdachlosen, Homosexuellen, weiteren Minderheiten und anderen Leuten, die meine Sicht erweitert haben wie nie zuvor. Alfred, unser Freund aus Österreich, flog nach Utah, um am Sunstone Symposium teilzunehmen. Das war 1992. Ich ging mit und habe dort die interessantesten Informationen über die Mormonen kennengelernt. Dort waren Tische voll von Büchern, von Sunstone (Zeitschrift), von Gerald und Sandra Tanner (sogenannte Antimormonen-Schriftsteller), und dort waren auch viele ehemalige Mormonen. Von da an habe ich Abonnements von Sunstone und Dialogue gehabt. Im folgenden Jahr ist Alfred wiedergekommen, aber diesmal, um die Kirche selber zu untersuchen. Er kam mit einem Freund, und wir drei versuchten, die ursprünglichen Texte der Kirche anzusehen, um die Fakten zu erforschen, die wir in verschiedenen Quellen gelesen haben, z.B. in ’No Man Knows my History‘ von Fawn Brodie, usw. Alfred war damals noch immer der Zweigpräsident der Haager Gemeinde! Nachdem wir fertig waren, war uns klar, daß es keine heimlichen Dokumente gegeben hatte, die die Kritiken beantworten konnten. Alfred und sein Freund erklärten sofort, daß sie aus der Kirche austreten würden. Später im gleichen Jahr erhielten wir einen Brief von Alfred, daß er und seine prominente Mormonenfamilie nicht mehr zur Kirche gehen würden. Obwohl ich zu der Zeit auch stark gezweifelt habe, hielt ich dies für eine sehr unüberlegte Entscheidung. Ich dachte mir, Mormone sein ist eine ethnische Identität, nicht nur eine Religion. Mann kann nicht einfach aufhören, Mormone zu sein, wenn man das schon sein ganzes Leben war. Also warum nicht das Beste daraus machen? Zweifel kann man immer haben soviel man möchte. Andrea hat nicht so viel gelesen wie ich, aber sie hatte auch schon damals heimlich ihre Zweifel gehabt.

Eines der Bücher, die mich in meiner Kirchengeschichtsforschung am meisten bewegt hat, war ’By His Own Hand Upon Papyrus.‘ Dieses Buch offenbart das Buch Abraham so ausführlich als Fälschung, daß ich sofort aufgehört habe, in der Kirche das Buch Abraham zu lesen oder gar zu zitieren. Ich war sogar der Lehrer für das Ältestenkollegium in jeder Gemeinde, in der ich je gewesen bin. Wenn der Lehrplan die Köstliche Perle (das Buch Abraham ist darin enthalten) erwähnt hat, habe ich das einfach ignoriert. Abermals, weil das Buch Abraham als völliger Unsinn bewiesen wurde, und weil das Buch von Joseph Smith stammte, habe ich auch aufgehört, daran zu glauben, daß er ein Prophet Gottes war. Ich war auch bereit zu glauben, daß das Buch Mormon ein Produkt der Vorstellungskraft Joseph Smiths sei. Und so habe ich auch die ganze Kirche als Ergebnis von Joseph Smiths Vorstellungskraft betrachtet.

Nachdem ich mein Doktorat beendet hatte, nahm ich eine Arbeit als Anwalt für die Regierung auf. Ich wurde gleich nach Florida versetzt. Weil ich dort fremd war, dachte ich daran, inaktiv in der Kirche zu werden. Trotz dieses Gedankens sind wir einmal in der Kirche gegangen. Wir wurden gleich gebeten, in der Versammlung zu sprechen. Alle mochten unsere Ansprachen gern, besonders meine. Ein Mitglied des Hohen Rates war anwesend. Der Pfahl brauchte einen neuen Ältestenkollegiumspräsidenten, so haben sie mich gefragt. Ich war ein guter Sprecher, so mußte ich auch ein guter Mormone sein, nicht wahr? Ich habe die Rolle als Ältestenkollegiumspräsident gut gespielt, aber ich hatte die Rolle nicht gern. Ich war doch radikal und machte mir keine Sorgen über die Regeln und Statistiken, die andere beschäftigten. Ich hätte das bestimmt nicht lange ausgehalten, aber glücklicherweise sind wir in die andere Gemeinde gezogen. Natürlich wurde ich entlassen. Aber die neue Gemeinde hat mich gleich als guten Fang angesehen und ich wurde bald als Gemeindesekretär berufen. Dies war meine erste Erfahrung in einer Bischofschaft. Es war total langweilig. Alles war so geschäftlich. Wir trafen Entscheidungen über Berufungen und dann beteten wir darüber. Die Antwort war immer ’Ja‘. Gelegentlich wurde es zu geschäftsmäßig. Die ganze Sache war unbewohnt vom christlichen Geist. Ich fühlte mich wie auf Mission, wo die Regeln und Statistiken wichtiger waren als Jesus Christus.

Ich erinnere mich ganz genau an eine Sache. Das war so schockierend für mich. Eine arme Familie ist in unser Gebiet gezogen, hatte aber noch keine Wohnung. Die sind gerade von einer Familie gekommen, wo viel geraucht und gesoffen wurde, und wollte ihre Kinder in so einer Umgebung nicht erziehen. Die waren Mitglieder der Kirche, aber inaktiv. Der Bischof hat darauf bestanden, daß diese Familie keine Hilfe von der Kirche bekommt, weil sie eben sich selbst entschlossen haben, ihr voriges Heim zu verlassen. Er sagte, daß man sich zuerst an seine eigene Familie um Hilfe wenden soll, und dann erst an die Kirche. Aus dem gleichen Grund hat er denen gesagt, daß sie keine Hilfe von den Mitgliedern erwarten sollten, z.B. sollten sie nicht erwarten, daß Mitglieder sie aufnehmen würden, bis sie eine Wohnung finden. Wir haben sie trotzdem aufgenommen, weil die Situation so eine Blamage war. Die Armen sind an ihrer Armut selbst schuld, man kann sein Gewissen beruhigen, indem man diesen Hilfe verweigert, so hat ihre Logik geklungen. Das war so unchristlich.

Fast ein Jahr später wurde unser Pfahl geteilt. Die Kirche hatte einen neuen Pfahl mit dem Hauptsitz in unserem Gemeindegebäude gegründet. Ich war so ein guter Gemeindesekretär, daß sie mich als Pfahlsekretär berufen haben. Ich war begeistert, so eine wichtige Position zu bekommen, aber habe mich auch geehrt gefühlt. Die ganze Zeit über habe ich in Sunstone und Dialogue weiter studiert und die Kirche angezweifelt. Kurz danach hat meine Schwester gesagt, sie sei lesbisch. Sie hat dann später ihre Freundin ’geheiratet‘. Wie die Leute auf diese Ereignisse reagiert haben, hat mich weiter von der Kirche entfernt. Ich habe den endgültigen Mut bekommen, aus der Kirche auszutreten, nachdem ich in der Pfahlpräsidentschaft gewesen bin. Die Versammlungen waren immer sehr lang und haben sehr häufig stattgefunden, was noch zu Aushalten gewesen wäre, wenn es um Christus gegangen wäre. Aber diese Versammlungen waren ausgerichtet auf blöde Regeln, z.B. daß Männer weiße Hemden tragen sollten, wie lang die kurzen Hose sein durften, was sich die Jugendlichen anziehen sollten, wer die Jugendlichen zu deren Aktivitäten begleiten sollte. Der Pfahlpräsident hat einmal eine heiße Diskussion mit dem ehemaligen Pfahlpräsident gehabt, über Geld! Die Ansprachen vom Hohen Rat waren nicht wie gepredigt inspiriert, sondern ganz geschäftlich am Anfang des Jahres zugeteilt. Jeder Hohe Rat sollte ein Thema vorschlagen, über das er gerne schreiben wollte. Ich sollte diese Themen nehmen und zuteilen, je nach dem Monat, wo das Thema am besten hineingepassen würde. Zum Beispiel, ein Thema darüber, wie die Männer die Frauen behandeln sollten, habe ich in den Mai gesteckt, weil wir im Mai Muttertag feiern. Ich war immer der Meinung, daß die Pfahlpräsidentschaft jeden Monat gebetet hat, was der Herr uns sagen wollte, und dann wurde das Thema an den Hohen Rat ausgeteilt, um an uns weiterzuleiten. So war das gar nicht. Die ganze Sache war nicht mal als inspiriert gespielt. Was mich am meisten gestört hat war, daß in unserem Pfahl die Aaronischen Priestertumsträger das Abendmahl nur mit ganz weißen Hemden austeilen durften. Die Bischöfe hatten die Anweisung, keine Tempelempfehlungsscheine an junge Männer auszuteilen, wenn sie nicht immer ein weißes Hemd trugen. Man mußte das Abendmahl mit der rechten Hand nehmen, Frauen durften in der Kapelle keine Hosen tragen. Dies waren die Wichtigkeiten des Königreichs Gottes auf Erden! Über diese Dinge habe ich mich mit der Pfahlpräsidentschaft stundenlang in unseren wöchentliche Versammlungen auseinandergesetzt. Sechs Stunden jede Woche wurden mit der Diskussion verbracht, wie diese blöden Regeln eingehalten werden sollten. Ich weiß nicht, ob alle Pfähle so geführt werden, aber auch ein Pfahl, der so geführt wird, ist mir einer zu viel, und war mir ein Zeichen für die tiefliegenden Probleme der Kirche. Ich muß aber schon sagen, wir hatten eine Generalauthorität zu unserer ersten Pfahlkonferenz. Das war sehr interessant. Es war nichts besonderes an ihm, obwohl er mir sympatisch war. Er war nicht so sehr auf die Regeln bedacht wie unser Pfahlpräsident.

Wir haben aufgehört, unsere Garments zu tragen, nachdem wir versucht haben, in Orlando neue zu kaufen und sie Visa nicht angenommen haben. Die Kirche hat ein Monopol mit Mormonenunterwäsche und besitzt die Frechheit, nur Bargeld zu verlangen! Wir haben gewußt, daß der Entwurf der Garments sich durch die Zeiten geändert hat, so dachten wir uns, daß wir sie selber machen konnten. Wir haben ganz normale Unterwäsche gekauft (Hanes, Jockey, Calvin Klein, die alle lange Unterwäsche machten – zu der Zeit war es Mode außerhalb der Kirche) und die heimliche Symbolen selbst hineingenäht. Später, als wir uns weiter von der Kirche entfernt haben, nahmen wir die heimlichen Symbole weg. Heute sind wir von der heimlichen Unterwäsche geheilt. Wir fühlen uns wie neue Menschen.

Wir haben um diese Zeit auch aufgehört, den Zehnten zu zahlen. Fast ein Jahr später, als der Zehntenausgleich gekommen ist, haben wir dem Bischof gesagt, daß wir uns den Zehnten nicht leisten konnten. Er bedrohte uns, indem er hoffte, daß Christus nicht kommt, weil wir dann als Nicht-Zehntenzahler verbrannt werden würden. Die Drohung hat nicht funktioniert. Ich habe aber angenommen, daß Gespräche mit dem Bischof privat seien. Das stimmt aber nicht, weil der Bischof unserem Pfahlpräsident gesagt hat, daß wir den Zehnten nicht zahlen. Ich war zu dieser Zeit auch ein Institutslehrer, wie immer habe ich den Lehrplan nicht befolgt. Ich habe viel über Gnade gesprochen, nicht nur in den Klassen, die ich belehrt habe, sondern auch in den Gemeinden, wo ich von der Pfahlpräsidentschaft aus gesprochen habe (der hat meine Ansprachen vorher nicht angeschaut). Der Pfahlpräsident wollte nun mit mir privat sprechen. In diesem Interview hat er mir gesagt, daß ich nicht genug Glauben hatte, wenn ich den Zehnten nicht zahle, oder mindestens nicht gut genug mit Geld umgehen kann. Er hat mich auch vor Sunstone und Dialogue gewarnt. Ich sagte ihm, ich sei ein erwachsener, gelehrter Mensch und fürchtete mich nicht. Die darauffolgende Woche wurde ich aus der Pfahlpräsidentschaft entlassen. Ich habe auch freiwillig aufgehört, Institut zu lehren. Wir wußten damals, daß ich gleich wieder versetzt werde, so war dies die Ausrede für meine frühe Entlassung. Ich habe mich ohnehin gefreut, diese unerträglich langen Versammlungen los zu sein.

Nicht lange nach meiner Entlassung war Ostern. Der Ratgeber, der zuständig war, die Ansprachen für diesen Sonntag zu arrangieren, hat ganz gewönhliche Themen ausgeteilt. Er hatte völlig vergessen, daß es Ostern ist. Aber die Leute, die zu Ostern gesprochen haben, haben es entweder auch vergessen oder den ’Befehl‘, über ihre Themen zu sprechen, zu ernst genommen, und haben auch nicht über Ostern, Jesus oder die Auferstehung gesprochen. An dem ganzen Sonntag, nicht einmal in den Klassen, wurde von Jesus oder der Auferstehung gesprochen. Ich wußte dann, daß ich aus der Kirche austreten würde. Die Kirche war nicht die von Jesus. Es wurde mehr von Joseph Smith geredet und vom Buch Mormon als von Jesus.

Wir wohnen jetzt in Alabama. Wir hatten uns entschlossen, weiter zur Kirche zu gehen, aber wir haben keine Ämter angenommen. Glücklicherweise wurde Kleidung nicht so betont wie in Florida. Eigentlich habe ich eine Berufung als Sonntagsschulpräsident angenommen, aber das war wirklich keine richtige Arbeit. Ich bin nie zum Gemeinderat gegangen, obwohl ich oft eingeladen war. Ich hatte genug von bürokratischen Regeln. Als der Bischof versucht hat, Andrea eine Berufung in der Kirche zu geben, sagte sie ihm gleich, daß sie nicht mehr an die Kirche glaubt. Seitdem, hat der Bischof uns gemieden. Nur ganz zum Schluß sind die Heimlehrer gekommen, ’um uns zu retten‘. Wir hatten hier noch ein Erlebnis wie in Florida. Am Sonntag vor Weihnachten haben die Sprecher nicht einmal über Jesus oder seine Geburt gesprochen. Die Lieder waren Weihnachtslieder, aber das war alles. Die Sprecher haben jedoch über die Brigham Young Universität, Joseph Smith und das Buch Mormon gesprochen. Wir waren deutlich in der falschen Kirche.

Kurz nachdem wir nach Alabama gezogen sind, habe ich die Webseite von Eric Kettunen gefunden. Meine Frau interessierte sich dann auch für die ganze Sache. Sie hat alle Briefe gelesen, die auf dieser Webseite waren. Wir wußten, daß wir nicht alleine waren. Wir haben gesehen, daß auch andere die Wahrheit über die Kirche herausgefunden haben und sie waren überglücklich. Wir wollten auch so sein. Als die Zeit reifer wurde, haben wir einen Brief geschrieben, um aus der Kirche auszutreten.

Wie Kolumbus sagte: „Der menschliche Fortschritt wurde nie durch die Zustimmung der Mehrheit zustande gebracht. Diejenigen, die vor den anderen erleuchtet werden, sind dazu verdammt, dieser Erleuchtung den anderen trotzend zu folgen.“ Unsere Eltern wissen noch nicht, daß wir ausgetreten sind. Auch die meisten unserer Geschwister wissen es nicht. Wir haben Angst, ihnen weh zu tun. Mein Bruder ist zur Zeit in Florida auf Mission, im gleichen Pfahl sogar, wo wir gerade waren. Ich möchte auch nicht derjenige sein, der verursacht, daß er nach Hause geht, dann würde ich der Bumann sein. Der Bruder von Andrea hat die Kirche verlassen und ihre Mutter war sehr verletzt. Sie möchte ihrer Mutter keinen Schmerz mehr bereiten. Glücklicherweise sind wir beide weit entfernt von unseren Familien, daher ist es nicht so schwer. Wir haben die Kirche verlassen, um ehrlich zu sein, uns und unseren Kindern gegenüber. Wir wissen, daß die Kirche an den Kindern und an den Erwachsenen eine Gehirnwäsche vornimmt. In der Primarvereinigung lernen die Kinder: „Folge dem Propheten, er kennt den Weg.“ Unsere Kinder wollen jetzt nicht mehr in die Kirche gehen, obwohl sie am Anfang sehr mißtrauisch gegenüber unserer Entscheidung waren.

Gott hilft uns auf unserem Weg. Wir sind endlich frei, unseren Träumen zu folgen und Gott so anzubeten, wie wir es für richtig halten, und nicht, wie von einem sogenannten Propheten befohlen. Der Prophet hat sogar in den Nationalnachrichten zugegeben, daß er nicht mit Gott spricht wie Moses. Er sagte, er spricht mit ihm genauso, wie jeder andere. Wenn das der Fall ist, wer braucht dann einen Propheten? Ich möchte lieber den Mittelsmann auslassen und eine direkte Verbindung haben, und wir sparen uns noch dazu 10% unseres Einkommens!
  • 0