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Freibrief Vergebung?


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Rolf

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Freibrief Vergebung?






Frage von NN:

"Was bedeutet es, als Christ anderen Menschen zu vergeben? Wenn ich anderen vergebe, weil sie mir Leid zugefügt haben, bedeutet das für diese Menschen dann einen Freibrief? Nach dem Motto: Sie hat mir vergeben, also kann es nicht so schlimm gewesen sein. Ich darf das wieder tun, sie vergibt mir ja sowieso, da sie Christ ist?


Wenn mir jemand etwas sehr Schlimmes angetan hat und ich ihm aber trotzdem vergeben möchte, muss ich ihm das dann sagen, dass ich ihm vergebe? Oder reicht es, wenn ich das nur vor Gott bringe und ihm sage, dass ich diesem Menschen vergeben will? Wenn ich diesem Menschen vergeben habe, muss ich dann wieder Kontakt zu ihm haben, bzw. eine "Beziehung" aufbauen? Oder darf ich trotz Vergebung den Kontakt weiterhin abgebrochen lassen?"

Vergebung ist ein Geschenk

Vergebung und Schuld, das sind zwei Begriffe, die unser Leben bestimmen, die sich gegenseitig bedingen. Sie berühren ein zentrales Thema, wenn nicht das zentrale Thema, des Christ - Seins.

Dabei hat Vergebung zwei Dimensionen: Die Vergebung von Gott dem Menschen gegenüber und die Vergebung zwischen den Menschen. Vergebung hat nicht nur den Aspekt des zukünftigen Heils, auch wenn das für Christen ein sehr wichtiges Thema ist. Es geht also nicht nur darum, dass Gott unsere Schuld vergibt und die Beziehung zu ihm wieder in Ordnung kommt, so dass wir auch nach dem Tod mit ihm leben können.
Im zwischenmenschlichen Bereich hat Vergebung auch Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Zukunftsperspektive des Vergebenden und des Schuldigen.

Wo es keine Schuld gibt, braucht es auch keine Vergebung. So entschuldigen wir uns zwar für einen Hustenanfall oder eine kleine Unachtsamkeit, in der Regel ist das aber nur eine Höflichkeitsform. Der Verursacher erwartet keine Vergebung, der Betroffene sieht keinen Anlass der Zustimmung oder Ablehnung.

Anders sieht das aus, wenn das Verhalten oder die Handlungen eines Menschen einen anderen so verletzen, dass es fraglich ist, ob die Handlung vergeben wird. Es liegt dann in dem Ermessenspielraum des Verletzten, ob er vergibt oder nicht. Der Verursacher hat keinen Anspruch auf Vergebung. Wenn die Vergebung gewährt wird, dann aus Gnade.



Von Gott zu Mensch und von Mensch zu Mensch

Im Römerbrief wird klar, dass alle Menschen vor Gott schuldig sind:

Da ist keiner der Gutes tut, auch nicht einer.
Römer 3,12

Gott hat uns durch den stellvertretenden Tod von Jesus Christus aus freien Stücken vergeben und zwar umfassend und für alle Zeiten - jedem der diese Vergebung annehmen möchte. Nun fordert er von denjenigen, denen er aus freien Stücken vergeben hat, den Mitmenschen ebenso zu vergeben. Matthäus 6,14-15, Römer 2,1 und Epheser 4,32 sind drei biblische Belege dafür.

Gott geht davon aus, dass jeder Mensch schuldig ist, an ihm und am Mitmenschen. Weil der Mensch Vergebung kostenlos und aus reiner Gnade bekommt, soll er an den Mitmenschen genau so handeln (Matthäus 18,21-35). Das bedeutet im Kern Vergebung für Christen.


Umkehr und Reue gehören dazu

Zur Vergebung gehört jedoch Reue. Gott hat nicht gesagt: „Ich vergebe euch jetzt einfach mal. Schwamm drüber, ist alles halb so schlimm.“
Seine Vergebung darf der Mensch ohne Vorbedingung annehmen. Durch die Annahme der Vergebung bekennt der Mensch jedoch, dass er sie braucht und dass es ihm/ihr Leid tut. Dass es falsch war, ist ein Eingeständnis von Schuld. Wer die Schuld nicht einsieht und bedauert, darf keine Vergebung erwarten.

Vergebung ist deshalb kein Freibrief für jemanden, einfach weiter anderen Menschen wissentlich und absichtlich Leid zuzufügen. Natürlich soll ein Christ 7 x 70 Mal vergeben, also unendlich oft (Matthäus 18,21-22). Ich verstehe das jedoch nicht als einen Freibrief, wenn jemand willentlich andere verletzt oder Schaden anrichtet. Wenn dagegen jemand immer wieder schuldig wird, die Tat jedoch von Herzen bereut, weil er oder sie einfach schwach ist, dann darf derjenige der Vergebung gewiss sein. Das Bedauern der Tat ist aber eine Voraussetzung dafür (Lukas 17,3-4).

Wer andere absichtlich immer wieder verletzt, bereut nichts. Er oder sie steht dazu, sieht keinen Fehler bei sich. Jesus sagt der Ehebrecherin in Johannes 8,1-11, dass sie von nun an nicht mehr sündigen soll. Jesus spricht die Schuld offen an, ebenso die Erwartungshaltung an ihr Verhalten für die Zukunft.


Liebevoll Klartext reden

Deshalb empfehle ich in dem geschilderten Fall mit dem Freibrief, dem zweiten Teil der Frage, folgendes:

Schuld offen ansprechen, klar und unmissverständlich und doch in Liebe („Was hast du mir getan“).

Die Verletzung ansprechen, die damit verursacht wurde; manche verstehen oder wissen gar nicht, was sie angerichtet haben („Wie geht es mir damit“).

Die Erwartungshaltung klar machen: Sündige von nun an nicht mehr („Ich erwarte von dir in Zukunft…“).

Vergebung aussprechen, weil Gott auch mir vergeben hat („Ich vergebe dir, unsere Beziehung ist wieder in Ordnung“).

Vergebung befreit, zum einen denjenigen, dem vergeben wurde und dann aber auch den, der vergeben hat. Die Beziehung kommt im Idealfall wieder in Ordnung. Gemeinschaft ist wieder möglich.

Häufig ist es doch so, dass der, der verletzt wurde, am meisten leidet. Der Schuldige zieht fröhlich seines Weges und denkt nicht mehr an seine Schuld. Der Betroffene ist voller Gram und Enttäuschung. Man trägt es dem anderen nach. Nachtragen ist eine Last, man leidet darunter. Sobald die Vergebung stattgefunden hat, ist die Last weg, man ist wieder frei. So hilft die Vergebung häufig dem Unschuldigen mehr als dem Schuldigen. Deswegen kann es auch aus eigenem Interesse angemessen sein, wieder Ordnung in gestörte menschliche Beziehungen zu bringen und selbst auf Rache zu verzichten.


Härtefälle

Der dritte Teil der Frage ist ohne Kenntnis der Hintergründe schwieriger zu beantworten.
Es gibt Fälle, in denen eine Aussprache nicht mehr möglich ist, zum Beispiel durch räumliche Trennung oder den Tod des anderen. Dann ist es dennoch gut und richtig, die Vergebung vor Gott auszusprechen. Er nimmt sie sicher gerne entgegen. Der Vergebende wird dabei den Prozess der inneren Heilung erleben. Vergebung befreit, selbst dann, wenn die Vergebung zwischenmenschlich nicht mehr ausgesprochen werden kann.

Dort wo es möglich ist, rate ich, das Gespräch zu suchen und die Vergebung auszusprechen. Dadurch kann die Beziehung möglicherweise wieder hergestellt werden. Das ist meines Erachtens der bessere Weg. Gott wirft unsere Schuld in die tiefste Stelle des Meeres, von dort kann sie niemand mehr zurück holen. Wir sind aufgerufen seinem Beispiel zu folgen. Es ist der Idealfall. Der Weg zwischen Gott und dem Menschen, manchmal auch der Weg zwischen Menschen. Matthäus 18,15 beschreibt die Vorgehensweise.

Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass es Situationen gibt, wo dies den Menschen überfordern kann. Wenn der Prozess der inneren Heilung es einfach (noch) nicht zulässt, die Beziehung wieder aufzunehmen. Wenn es für den Betroffenen einfach eine zu große Zumutung ist, mit dem Täter zusammen zu sein.

In Apostelgeschichte 15,38-39 finde ich ein biblisches Beispiel dazu: Paulus und Barnabas trennen sich im Streit, erst viel später sind sie wieder zusammen. Es gibt Situationen, in denen es besser ist, den Weg getrennt zu gehen.

Ich denke, sexueller Missbrauch ist ein solches Thema - sicher nicht das einzige - das einen erneuten Kontakt nicht erstrebenswert macht. Dann ist es gut und angemessen zu vergeben, dabei aber auch die eigene Situation zu berücksichtigen und klar zu machen. Wenn ein Kontakt in einer solchen Situation überhaupt möglich ist, kann man ausdrücken, dass ein erneuter intensiverer Kontakt nicht erwünscht ist. Das könnte dann so aussehen: „Ich vergebe dir. Bitte habe aber auch Verständnis, dass ich keinen Kontakt wünsche, es überfordert mich, ich bin nicht soweit.“

Wenn der Täter in einem solchen Fall jedoch uneinsichtig ist oder seine Gegenwart eine erneute Gefahr für das Opfer bedeuten würde, ist es besser, nur im Herzen und vor Gott zu vergeben und den Kontakt – zumindest vorerst – auch nicht mehr zu suchen. Vergeben heißt hier auch nicht, auf rechtliche Maßnahmen zu verzichten. Es ist in Gottes Sinn, wenn solche Vergehen auch durch eine Gefängnisstrafe gesühnt werden und so schon hier auf der Erde ein Stück weit Gerechtigkeit geschaffen wird.

In solchen Härtefällen geht es bei der Vergebung vor allem um die Herzenshaltung des Opfers dem Täter gegenüber. Alleine schafft das kaum ein Mensch. Hier braucht es die professionelle Begleitung von Seelsorgern und Therapeuten.


Manches braucht Zeit

Wir dürfen vor uns selbst zugeben, dass wir schwache Menschen sind und einfach Zeit brauchen, gewisse Ereignisse zu bewältigen. Vergeben heißt auch nicht, zu vergessen. Es ist schon gut, wenn die Erinnerung den Schmerz verliert und ich, von Gottes Liebe getragen, meinen Weg weitergehen kann.

Die Vergebung auszusprechen, ist jedoch auch dann hilfreich, wenn ein persönlicher, direkter Kontakt nicht möglich ist. Ein Brief ist eine gute Möglichkeit. In aller Ruhe kann man den Inhalt formulieren, ohne dabei durch den persönlichen Kontakt emotional zu stark aufgewühlt zu werden. Auch in diesem Fall möchte ich Mut zur Klarheit machen: Schuld ansprechen, Vergebung zusichern und dann um Verständnis bitten, wenn du keinen Kontakt haben möchtest.

Ein Buchtipp: „Das verzeih' ich Dir (nie)! Kränkung überwinden, Beziehung erneuern“ von Weingardt, Beate M. (Im Shop bestellen)

Außerdem passend zum Thema:
Wenn man nicht vergeben kann





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