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Im Namen der heilenden Kraft


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Im Namen der heilenden Kraft





Von Martin Paetsch


Gläubige leben länger als andere, ihr Immunsystem ist besser, ihr Blutdruck niedriger: Das behaupten immer wieder Forscher in den USA, die sich im Grenzgebiet zwischen Religion und Wissenschaft bewegen. Doch wie verlässlich sind die Studien der Gottesmediziner?

Chauncey Crandall glaubt an die heilende Kraft des Glaubens. Was nicht überraschen würde, wenn er Priester wäre oder Pilger - und nicht ein hoch trainierter Herzspezialist. Crandall arbeitet an der Palm Beach Cardiovascular Clinic in Florida, wo er regelmäßig mit seinen Patienten betet, ihnen die Hand auf die Stirn legt, mit fester Stimme um göttlichen Beistand bittet.

"Ich bin ein christlicher Mediziner", sagt Crandall. "Das Leiden bekämpfen wir mit konventionellen Methoden, aber auch mit Gebeten."

So wie vor zwei Jahren, als ein Mann in der Notaufnahme lag, niedergestreckt von einem schweren Herzinfarkt. 40 Minuten lang war er ohne Puls, kämpften die Notärzte vergebens um sein Leben. "Sein Gesicht, seine Arme, seine Beine waren schon ganz schwarz. Ich sagte, lasst uns aufhören, da ist kein Leben mehr."

Doch dann kam eine Art Eingebung über Crandall. Er kehrte um, sprach ein Gebet über dem leblosen Körper. Bestand darauf, den Mann ein letztes Mal mit Elektroschocks zu behandeln. "Und plötzlich zeigte der Monitor einen perfekten Herzschlag."

Ein Gebet in Jesu Namen, so Crandall, habe den Patienten von den Toten zurückgeholt.

Wie sein spiritueller Hilferuf in der Herzklinik erhört wurde, davon berichtet Crandall gern, etwa auf christlichen Medizinkongressen. Denn gerade in den USA denken viele seiner Fachkollegen ähnlich: Dort betet nahezu jeder fünfte Arzt mit seinen Patienten. Und jeder zweite ist der Meinung, Gott oder ein anderes höheres Wesen könne den Verlauf einer Krankheit beeinflussen.

In den USA ist die Religion auf dem Weg, sich einen Platz in der Welt der Arztpraxen und Kliniken zu erobern. Gläubige Doktoren wie Crandall wähnen sich in einer "aufregenden und bahnbrechenden Zeit"; vielerorts entstehen "Healing Rooms", in denen sich Kranke von Betern behandeln lassen.

Für das wachsende Vertrauen in die Gottesmedizin sorgt ausgerechnet die Wissenschaft: Mehr Forscher als jemals zuvor widmen sich dem Grenzgebiet zwischen Religion und Gesundheit. In immer neuen Studien versuchen vor allem Gelehrte in den USA, viele von ihnen bekennende Christen, mögliche Heilkräfte des Glaubens messbar zu machen - sei es die Wirkung der Fürbitten anderer oder der selbstheilende Effekt des eigenen Glaubens.

Mit teilweise erstaunlichen Ergebnissen. Demnach kann Spiritualität nicht nur helfen, Depressionen zu vermeiden: Wer regelmäßig zur Kirche gehe, so die frohe Kunde, habe im Alter oft ein robusteres Immunsystem, einen niedrigeren Blutdruck und weniger Atembeschwerden.

Noch vor wenigen Jahrzehnten wären solche Untersuchungen kaum denkbar gewesen. Zwar waren Religion und Medizin für die längste Zeit der Menschheitsgeschichte untrennbar miteinander verbunden: Von den Schamanen der Steinzeit bis hin zu den großen Religionsstiftern waren Heilige oft auch Heiler. So soll der Prophet Mohammed ein gebrochenes Bein durch Handauflegen kuriert haben, galt Buddha vielen Gläubigen als "höchster Arzt" und "Lehrer der Medizin" - und der chinesische Denker Laozi als Spender des "Elixiers der Unsterblichkeit".

Doch mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert löste sich die Medizin von der Religion. Danach vertrauten die meisten Ärzte allein auf das Erfahrungswissen, und die Hoffnung auf himmlische Heilung fand höchstens in der Krankenhauskapelle Platz.

Und nun also Versuche, die beiden Welten wieder zusammenzubringen.

Wissenschaftler messen den Blutdruck von Nonnen oder erfassen die Glaubensstärke verschiedener Patientengruppen. Selbst zu der Frage, ob eine Fürbitte - also das Gebet für andere - medizinische Wirkung hat, liegt inzwischen eine beachtliche Menge an Literatur vor.

An deutschen Forschern ist das nicht vorbeigegangen. "Auch bei uns gibt es immer mehr Untersuchungen zur Verbindung von Religion und Gesundheit", sagt der Religionspsychologe Sebastian Murken von der Universität Trier - und fügt hinzu: "Doch in Deutschland ist die wissenschaftliche Skepsis deutlich größer als in den USA."

Sind religiöse Menschen wirklich glücklicher und gesünder als ihre zweiflerischen Zeitgenossen? Vermag Frömmigkeit tatsächlich Krankheiten vorzubeugen? Wer sich die Studien unvoreingenommen anschaut, ist schnell ernüchtert.

In den USA, diesem Amalgam aus christlicher Gläubigkeit und hoch entwickelter Moderne, hat sich die neue Disziplin rasant entwickelt. 1992 boten nur zwei Prozent aller medizinischen Hochschulen Kurse zur Spiritualität an - 2004 waren es bereits 67 Prozent. Und an jeder zweiten Ausbildungsstätte gehört dort mindestens eine derartige Lehrveranstaltung zum Pflichtprogramm angehender Mediziner.

Die Studenten lernen dabei, wie sie zusätzlich zur Krankengeschichte eines Patienten auch dessen "Glaubensgeschichte" aufnehmen.

Ein Fragenkatalog (etwa: "Was ist der spirituelle/religiöse Hintergrund des Patienten?", "Sollen spirituelle/religiöse Fragen in der Behandlung berücksichtigt werden?") soll dem Arzt helfen, den Glauben des Kranken zu erfassen und gegebenenfalls in die Behandlung einzubeziehen.

Ferngebete verbessern die Heilungschancen nicht

Mehrere US-Universitäten haben Zentren eingerichtet, die sich einzig dem Grenzgebiet zwischen Religion und Medizin widmen. Viele der Forschungsprojekte werden von der John Templeton Foundation mitfinanziert - einer Stiftung, deren Gründer, der gläubige Geschäftsmann Sir John Templeton, in der Wissenschaft eine "Goldmine zur Wiederbelebung der Religion im 21. Jahrhundert" sah.

Entsprechend gehen die Fördergelder von jährlich weltweit etwa 60 Millionen Dollar vor allem an solche Projekte, die sich mit vordefinierten Wunschthemen befassen - etwa "Gebet und Meditation", "Spirituelle Transformation" oder "Neue Gotteskonzepte".

Überwiegend von der Stiftung bezahlt wurde auch eine 2,4 Millionen Dollar teure Großstudie zur möglichen therapeutischen Wirkung von Fürbitten: Ein Forscherteam unter Beteiligung der angesehenen Harvard Medical School untersuchte, welche Auswirkungen das Ferngebet auf Herzkranke haben könnte.

Für insgesamt 1205 Patienten, die sich an US-Krankenhäusern einer Bypass-Operation am Herzen unterziehen mussten, arrangierten die Wissenschaftler spirituellen Beistand. Während eine Hälfte der Untersuchungsgruppe über die Fürbitten anderer für sie informiert wurde, wusste die andere Hälfte lediglich, dass für sie möglicherweise gebetet werde - oder auch nicht.

Fast drei Jahre lang erstellten die Harvard-Forscher an jedem Werktag eine Liste von Patienten, bei denen ein Eingriff kurz bevor stand. Die jeweiligen Vornamen und Anfangsbuchstaben der Familiennamen faxten die Forscher an drei christliche Glaubensgemeinschaften. Jeden der Patienten nahmen die dortigen Bet-Gruppen für 14 Tage in die Fürbitte auf und hielten sich dabei an eine vorgegebene Formulierung.

Die Ergebnisse der aufwendigen Prozedur waren ernüchternd: Das Ferngebet verbesserte die Heilungschancen der Herzpatienten keineswegs. Stattdessen hatten jene, die davon wussten, nach der Operation sogar eher mit Komplikationen zu kämpfen. Möglicherweise setzte sie die spirituelle Unterstützung unter Erfolgsdruck - oder ließ sie gar fürchten, es müsse besonders schlecht um sie stehen.

Dieser Forschungsflop entmutigte die Autoren aber keineswegs. "Untersuchungsfremde Gebete" der Angehörigen könnten ja den Effekt der Fürbitte überlagert haben.

Von jenen Studien, die tatsächliche Heilwirkungen nachzuweisen scheinen, sind zudem viele mit Mängeln behaftet. Der Verhaltensmediziner Richard Sloan von der Columbia University hat solche Veröffentlichungen kritisch geprüft. Sein Urteil: Zahlreiche Untersuchungen wiesen auf "deutliche methodologische Fehler" hin oder hätten zumindest keine eindeutigen Resultate erbracht.

Kirchgänger leben länger - warum, weiß keiner

Immerhin: Es gibt einige Zusammenhänge, die selbst die schärfsten Kritiker nicht bestreiten. So stellten mehrere US-Studien fest, dass regelmäßige Kirchgänger statistisch gesehen länger leben - laut einer Veröffentlichung im Schnitt um sieben Jahre.

Zu ähnlichen, wenn auch weniger spektakulären Ergebnissen kam eine dänische Untersuchung, die in einem deutlich weniger religiösen Umfeld, einem Vorort von Kopenhagen, vorgenommen wurde. Keine höhere Lebenserwartung hatten jedoch Studienteilnehmer, die Gottesdienste nur per Radio oder Fernsehen verfolgten.

Auch viele andere positive Effekte, die Verfechter der neuen Forschungsrichtung ins Feld führen, beruhen auf solchen Statistiken: Zwar lassen sich je nach Studie verbesserte Abwehrkräfte des Körpers, ein niedriger Blutdruck oder ein langsameres Nachlassen der Lungenfunktion mit häufigem Gottesdienstbesuch verknüpfen - doch bei genauerem Hinsehen ist keineswegs klar, inwieweit diese Befunde auf den Glauben selbst zurückzuführen sind.

Denn bislang lässt sich nur darüber spekulieren, wie die statistischen Zusammenhänge zustande kommen.

Möglicherweise, so vermuten manche Wissenschaftler, fördern die zahlreichen sozialen Kontakte der Kirchgänger deren Gesundheit. Auch könnte eine höhere Hilfsbereitschaft, wie sie sich bei vielen Gemeindemitgliedern findet, ihrem Leben mehr Sinn verleihen und somit Depressionen vorbeugen.

Zudem scheinen aktive Kirchenmitglieder zumindest in den USA ein risikoärmeres Leben zu führen: Mehreren Studien zufolge sind ihre Ehen stabiler, streiten sie sich seltener, rauchen weniger und meiden häufiger Alkohol oder gar andere Drogen. Das Resultat ist oft ein gesünderer Lebensstil.

Der aber steht auch Atheisten offen. Und Eigenschaften wie Kontaktfreude oder Hilfsbereitschaft finden sich nicht allein bei Glaubensgenossen - davon könnten genauso gut Mitglieder von Gesangsgruppen oder Sportvereinen profitieren.

Leben Gläubige einfach nur gesünder?

Um die Mängel der Untersuchungen zu illustrieren, führt der Verhaltensmediziner Sloan gern ein Beispiel an: "Niemand wird bestreiten, dass Personen, die Streichhölzer in der Hosentasche tragen, häufiger an Lungenkrebs erkranken. Aber wer glaubt schon, dass die Streichhölzer daran schuld sind?"

Selbst optimistische Wissenschaftler wie Harold G. Koenig - einer der Leiter des "Center for Spirituality, Theology and Health" an der Duke University und ein Vorreiter der neuen Zunft - räumen ein, die Beweislage für einen Einfluss von Religiosität auf die körperliche Gesundheit sei "nicht schlüssig". Allerdings weist er darauf hin, dass es zunehmend Beweise für den Zusammenhang von mentaler Gesundheit und Religion gebe.

Noch vorsichtiger fällt das Urteil deutscher Fachleute aus: Demnach gibt es bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass der Glaube das körperliche Wohl begünstigt.

"Die Religiosität hat keine nachweisbaren Auswirkungen auf die physische Gesundheit", so der Arzt Arndt Büssing von der Universität Witten/Herdecke. "Allerdings gehen religiöse Menschen mit ihrer Krankheit anders um."

Für sinnlos hält Büssing solche Forschungen deshalb nicht. Denn das sprunghaft gestiegene Interesse zeige, dass wichtige Bedürfnisse der Patienten in der Medizin bislang zu wenig Beachtung fänden - nicht nur in den USA.

Zwar sind die Menschen in Deutschland weniger religiös; viele Gläubige haben sich zudem von den großen Kirchen abgewandt und suchen ihr Heil in der Esoterik. Aber "ein großer Teil der Patienten hat spirituelle Bedürfnisse", so Büssing.

Glaube kann Sinn und Halt bieten

Immerhin 42 Prozent der von ihm befragten chronisch Erkrankten erhofften sich vom Glauben eine Wiederherstellung ihrer geistigen und körperlichen Gesundheit. "Dennoch kommt der Seelsorger meist erst dann, wenn der Arzt nichts mehr ausrichten kann."

Dass körperliche Genesung allein nicht alles ist - das hat Arndt Büssing bei der jahrelangen Betreuung von Krebskranken gelernt. Eine Patientin mit nicht mehr behandelbarem Lungentumor erzählte ihm, dass sie sich einer Gebets- und Meditationsgruppe angeschlossen habe. "Obwohl der Krebs trotz aller Therapiebemühungen weiter fortschritt, fühlte sie sich dennoch erlöst", berichtet Büssing. "Auch das kann eine Form von Heilung sein, die aber nicht der Erwartungshaltung der konventionellen Medizin entspricht."

Der Glaube kann Patienten beim Umgang mit ihrem Leiden unterstützen, kann Sinn und Halt bieten. Das hat auch der Religionspsychologe Sebastian Murken beobachtet, als er untersuchte, wie Frauen auf die Diagnose Brustkrebs reagierten. "Einigen half die religiöse Verarbeitung der Krankheit, Kraft und Trost zu finden."

Die Wirkung des Glaubens ist aber nicht immer positiv. Einige der von Murken befragten Patientinnen empfanden die Krebserkrankung als Strafe Gottes für vermeintliche Sünden, haderten mit sich und der höheren Macht. "Insbesondere bei Gläubigen mit wörtlicher Bibelinterpretation und einem strafenden Gottesbild", so Sebastian Murken, "kann man klare negative Effekte beobachten."


Welche Folgen religiöse Zweifel haben können, zeigen einige der wenigen Studien in den USA zu diesem Thema: Patienten, die Zorn auf Gott verspürten, erholten sich schlechter von ihrem Krankenhausaufenthalt. Und in einer anderen Untersuchung hatten Entlassene, die sich Gott entfremdet oder von ihm ungeliebt fühlten und ihr Leiden dem Teufel zuschrieben, ein um bis zu 28 Prozent höheres Risiko, innerhalb der nächsten zwei Jahre zu sterben.

Tragische Konsequenzen kann der Glaube vor allem dann haben, wenn aus religiösen Gründen eine medizinische Behandlung abgelehnt wird. In den USA sorgte kürzlich der Fall eines Mädchens aus Wisconsin für Aufsehen: Die Elfjährige starb an den Folgen einer Diabetes-Erkrankung. Ärzten zufolge hätte sie gerettet werden können.

Obwohl sich der Zustand ihrer Tochter über Tage hinweg verschlechterte, sie schließlich gar ins Koma fiel, zogen die Eltern keinen Mediziner zurate: Stattdessen beteten sie über dem Kind, flehten Glaubensgenossen per E-Mail um Fürbitten an - und hofften doch vergebens auf Gottes Heilung. Am Ostersonntag 2008 hörte das Mädchen auf zu atmen.

Selbst als man den Eltern mitteilte, die tote Tochter müsse am nächsten Tag zur Autopsie ins Leichenschauhaus gebracht werden, ließen sie sich in ihrem Wunderglauben nicht erschüttern.

"Das brauchen Sie nicht zu tun", gaben sie dem medizinischen Bericht zufolge zur Antwort. "Denn bald wird sie wieder am Leben sein."




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