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Mit Obama wird Martin Luther Kings Traum wahr


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Mit Obama wird Martin Luther Kings Traum wahr





Von Sascha Lehnartz


8. November 2008


Durch Barack Obamas Wahlkampf zog sich trotz aller Beliebtheit des Demokraten der nagende Zweifel: Sind die USA reif für einen schwarzen Präsidenten? Das Ergebnis vom 4. November räumte diesen Zweifel aus. Und setzte einen Schlusspunkt hinter 400 Jahre der Kränkung und Unterdrückung.

An der amerikanischen Ostküste war es 23 Uhr, als der Nachrichtensender CNN Barack Obama zum Sieger erklärte, und erst in diesem Moment konnte man beginnen zu ermessen, wie unwahrscheinlich und unbegreiflich das, was da gerade geschehen war, eigentlich ist. Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika haben den Sohn eines Schwarzen aus Kenia und einer Weißen aus Kansas zum Präsidenten gewählt. Für 35 Millionen Afro-Amerikaner endet damit eine fast 400 Jahre lange Geschichte der Kränkung und Unterdrückung.

Im August 1619 legt das erste Schiff mit Sklaven aus Angola in Jamestown im heutigen Bundesstaat Virginia an. Am 4. November 2008 gewinnt Barack Obama den ehemaligen Sklavenstaat und zieht ins Weiße Haus ein. Es ist kaum absehbar, was für einen Einschnitt dieses Ereignis für das Selbstverständnis einer Nation bedeutet, in der schon kleine Kinder mit dem hübschen Gedanken motiviert werden, dass jedes von ihnen eines Tages einmal Präsident werden könnte. Diesen Traum wagten die elf Millionen schwarzen Kinder in diesem Land bislang kaum je zu träumen.

Zu gering schien die Chance, dass er je Wirklichkeit werden könnte. Seit Dienstagabend ist das anders. Wie bewegend dieser Augenblick für viele ist, ließ sich nicht nur in den Gesichtern der Besucher im Grant Park in Chicago ablesen, wo Obama seine Siegesfeier abhielt. Jesse Jackson, der schwarze Bürgerrechtler, der sich bei den Wahlen 1984 und 1988 um die demokratische Nominierung beworben hatte, und der die Ermordung Martin Luther Kings 1968 aus nächster Nähe miterlebte, steht da und kämpft wie viele andere mit den Tränen.

Bernice King, Martin Luther Kings jüngste Tochter, sagt in Atlanta in der Ebenezer Baptist Church – der Kirche, in der ihr Vater einst predigte –, dieser Sieg bedeute, dass ihr Vater sein Leben nicht umsonst geopfert habe. Im Jubel der hinter ihr feiernden Gemeinde sind ihre Sätze kaum zu verstehen.

Selbst John McCain verneigt sich auf seine Art vor dem historischen Augenblick: Er verstehe den Stolz, den insbesondere Afro-Amerikaner in dieser Nacht empfänden, erklärt er seinen murrenden Anhängern in Phoenix und erinnert daran, dass vor 100 Jahren „in manchen Ecken“ noch mit „Empörung“ reagiert worden sei, als der damalige Präsident Theodore Roosevelt den Schwarzenführer und Pädagogen Booker T. Washington ins Weiße Haus einlud. Seither habe die Nation einen weiten Weg zurückgelegt. Es bleibt unklar, ob sein Anhang sich über diese Marschleistung freut.

Auch Barack Obama wählt eine Jahrhundert-Lebensspanne, um den emanzipatorischen Fortschritt zu illustrieren, den seine Wahl markiert. In seiner Siegesrede erwähnt er seine 106 Jahre alte Wählerin Ann Nixon Cooper. Die Frau aus Atlanta sei nur eine Generation nach der Abschaffung der Sklaverei geboren. Sie habe noch Zeiten erlebt, in denen sie nicht das Recht hatte zu wählen – „wegen ihrer Hautfarbe.“

Sie habe die Hungerjahre der Weltwirtschaftskrise miterlebt, die Bombardierung Pearl Harbors, den Kampf gegen die Nazi-Tyrannei und die entscheidenden Momente der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 50er- und 60er-Jahren: Hier nennt Obama den Kampf gegen die Rassentrennung in den öffentlichen „Bussen von Montgomery“ in Alabama, die nach ein Jahr lang andauernden Protesten 1956 schließlich per Gerichtsbeschluss aufgehoben wurde.

Er spricht über, „Wasserwerfer in Birmingham“, wo der berüchtigte Polizeichef Bull Connor, ein Ku-Klux-Klan-Mitglied, der Feuerwehr im April 1963 befahl, protestierende schwarze Jugendliche mit Löschschläuchen die Straße hinunter zu spülen.

Er erwähnt die Brücke von Selma, wo der Bürgerrechtler John Lewis – der heute Abgeordneter im Repräsentantenhaus ist – am 7. März 1965 einen Protestmarsch anführte, der niedergeknüppelt wurde. Zwei Tage danach erzwang Martin Luther King gerichtlich einen zweiten Marsch, der bis zur Brücke genehmigt wurde. Dort kehrten die Protestierenden um.

Weitere zwei Wochen später genehmigten die Richter schließlich den ursprünglich geplanten Marsch von Selma über die Brücke nach Montgomery. King – auf den Obama in seiner Rede mit den Worten anspielt, „ein Priester aus Atlanta, der den Menschen sagte ‚We Shall Overcome'“ – führte schließlich 25.000 Demonstranten im strömenden Regen über die Brücke. Präsident Johnson hatte inzwischen die Nationalgarde beordert, um die Demonstration zu schützen.

Diese Schlüsselszenen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die sich bei vielen, die sie erlebt haben, tief einbrannten, beschwört der 1961 geborene Obama auch, um deutlich zu machen, auf wessen Schultern seine Präsidentschaft steht. Zugleich hat er mit der Jahrhundertfigur Ann Nixon Cooper ins Gedächtnis gerufen, dass die Zeit, in der Schwarze in Amerika nicht einmal elementare Rechte genossen, noch nicht lange zurück liegt.

Als die älteste aller Obama-Wählerinnen geboren wurde, war es gerade 37 Jahre her, dass die Union unter Präsident Lincoln den Bürgerkrieg gegen die Sklaven haltenden Südstaaten gewonnen hatte. Das Jahr 1865 brachte jedoch nicht nur das Ende eines Krieges, der Hunderttausende das Leben kostete, und die Abschaffung der Sklaverei, es endete mit der Ermordung Lincolns und der Gründung des Ku Klux Klan. Die Politik der „Rekonstruktion“, die den Schwarzen im Süden ursprünglich die Bürgerrechte bringen sollte, endete offiziell im Jahr 1877.

1896 erklärt das Oberste Gericht im Fall „Plessy gegen Ferguson“ die Rassentrennung für verfassungskonform. In der Folge entstehen in vielen Staaten und Gemeinden unterschiedliche Gesetze, die sogenannten „Jim Crow-Laws“, welche die Diskriminierung im Alltag festschreiben. Es sind diese Gesetze, die Schwarze zu Bürgern zweiter Klasse machen, sie in getrennte Wohngegenden, Schulen, Verkehrsmittel oder Restaurants zwingen.

Zu dieser Zeit waren bereits Zehntausende Afroamerikaner aus dem Süden auf der Suche nach einem besseren Leben in die Städte des Nordens gezogen. Doch noch im Geburtsjahr von Ann Nixon Cooper arbeiten die meisten der etwa zehn Millionen Schwarzen auf den Baumwoll-, Zucker- oder Tabakplantagen im Süden. Es ist eine Zeit, in der Gewalt gegen Schwarze alltäglich ist. Die Zahl der „Lynchings“ erreicht in den 80er- und 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt, doch noch bis in die 20er-Jahre werden im Durchschnitt 75 Afro-Amerikaner pro Jahr von wütenden weißen Mobs verfolgt, misshandelt und gehängt – oft grundlos oder mit fadenscheinigen Anschuldigungen.

Es reicht aus, von einem Weißen angeklagt zu werden, einer weißen Frau nachgepfiffen zu haben. Der Rassismus wächst um die Jahrhundertwende besonders unter der neuen Migrantengeneration an, weil sie die Schwarzen als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachten. Gewerkschaften bleiben Schwarzen meist verschlossen, an der Ausübung ihres theoretisch vorhandenen Wahlrechtes werden sie gehindert. Im Jahr 1915 zelebriert der Regisseur D.W. Griffith in dem monumentalen Stummfilm „Birth of a Nation“, der als frühes cineastisches Meisterwerk gilt, die Gründung des Ku Klux Klan und stellt Schwarze als Untermenschen dar.

Doch um diese Zeit beginnt sich auch die Schwarzenbewegung besser zu organisieren und ihre Rechte einzufordern.1909 gründet W.E.B. DuBois die „National Association for the Advancement of Colored People.“ Bis 1945 steigen die Mitgliederzahlen der Organisation auf eine halbe Million. 1942 gründet sich schließlich Core, der „Congress for Racial Equality“, dessen Mitglieder dem Beispiel Mahatma Gandhis folgen und mit gewaltlosem Widerstand gegen die Jim-Crow-Gesetze aufbegehren.

Im Frühjahr 1942 organisieren 28 Core-Aktivisten, darunter James Farmer und Bernice Fisher in Jack Spratts Restaurant in Chicago den ersten „Sit-In“ und demonstrieren so gegen die gängige Praxis, Schwarze nicht zu bedienen. Noch im gleichen Jahr beginnt der Bürgerrechtler A. Philip Randolph von einem „Marsch der 100000 Schwarzen auf Washington“, um „das weiße Amerika zu schocken, wie es noch nie geschockt worden ist.“

21 Jahre später setzt Martin Luther King diese Idee in die Tat um und hält vor 250000 Menschen seine berühmte Rede mit den Worten „Ich habe einen Traum.“

Es war der Zweite Weltkrieg, der der schwarzen Bürgerrechtsbewegung entscheidenden Schub verliehen hatte: Schwarze kämpften in getrennten Einheiten, aber meist unter weißen Vorgesetzten, in Europa und Asien für die Verteidigungen von Freiheiten und Rechten, die ihnen in der Heimat selbst nicht gewährt wurden. Die, die zurückkehrten, sahen nicht mehr ein, weshalb sie sich der „Alabama-Version der Nazis“, wieder unterwerfen sollten. Präsident Truman, erkannte die Zeichen der Zeit und verstand, dass der Rassismus im eigenen Land, das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt unterminierte.

Er verfügte die Abschaffung der Rassentrennung in den Streitkräften und setzte ein „Komitee zur Durchsetzung der Bürgerrechte“ für die Afro-Amerikaner ein. Das führte allerdings erst einmal zu einer Abspaltung innerhalb der demokratischen Partei. Die „Dixiecrats“ traten bei den Präsidentschaftswahlen 1948 mit dem Kandidaten Strom Thurmond an, um den „Southern Way of Life“ zu verteidigen, doch ihr Erfolg blieb begrenzt.

Die Bürgerrechtsbewegung erkämpft schließlich unter Führung von Martin Luther King den Civil Rights Act, den Präsident Johnson 1964 unterzeichnet. Im selben Jahr wird King mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Doch die Emanzipation der Afro-Amerikaner stößt weiter auf massiven Widerstand. Der radikale Bürgerrechtler MalcolmX wird 1965 ermordet, Martin Luther King selbst 1968. In vielen Städten brechen daraufhin Rassenunruhen aus. Der große Traum, den King beschwor, scheint erst einmal ausgeträumt. Die kommenden Jahrzehnte bringen kleine Fortschritte, aber auch immer wieder Rückschläge wie die schweren Unruhen in Los Angeles, 1992 nach dem Rodney-King-Prozess.

Es ist Präsident George W. Bush, der mit der Ernennung von Colin Powell zum ersten Schwarzen Außenminister und von Condoleezza Rice, dazu beiträgt, dass Schwarze in Führungspositionen selbstverständlicher werden. Dennoch – es bleibt eine offene Frage, ob Barack Obama nicht gerade deshalb in der Lage war, die „Rassenschranken einzureißen“, wie die „New York Times“ schreibt, weil er eben weder schwarz noch weiß ist.

Der Harvard-Professor Henry Louis Gates Jr., Nestor der African-American-Studies, in den USA, nennt ihn deshalb den „postmodernen Rassentyp“. „Die Leute sehen ihn nicht in erster Linie als Schwarzen, sondern als Agenten des Wandels“, glaubt Gates. Gleichwohl ist es die Leidensgeschichte der Schwarzen, die in der Wahl Obamas ihre weltliche Erlösung findet.

Martin Luther King hatte von dem Paradies gesprochen, das man sehen könne, das aber erst die nächste Generation erreichen werde. Barack Obama hat die Verwirklichung dieses Traumes für viele Schwarze nun in Reichweite gerückt. Mit seinem Wahlerfolg schließt Amerika ein dunkles Kapitel seiner Geschichte und legt das Beste frei, was der amerikanische Traum zu bieten hat: Das Versprechen an alle, ihr Glück suchen zu dürfen.

Wie viele Afro-Amerikaner ihr Glück unter einem Präsidenten Obama finden werden, wird sich weisen. Mut wird ihnen sein Beispiel jedenfalls machen. Das wahre Genie Amerikas besteht darin, dass es sich wandeln kann, hat Obama am Dienstagabend gesagt.
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