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Ein vereintes Europa in Freiheit und Recht


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Rolf

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Quelle: ZeitZeichen





Ein vereintes Europa in Freiheit und Recht




Karl Albrecht Schachtschneider

Das gemeinsame Leben in Frieden ist Recht und Pflicht aller Menschen und Völker. Frieden aber ist die allgemeine Freiheit. Deren Gesetz ist das Sittengesetz, der kategorische Imperativ, oder eben das Prinzip der Nächstenliebe, die Brüderlichkeit. Nur die Achtung dieses Gesetzes aller Gesetze führt zur Sittlichkeit und damit zum Recht. Das Recht bedarf des Staates als der „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ (Kant, Metaphysik der Sit-ten, Rechtslehre § 45). Ein solcher Staat des Rechts, eine Republik, erfordert Moralität in der Politik, ihn einzurichten bestmögliche Institutionen. Die europäische Kultur kennt die Verfas-sungsprinzipien, die nicht verlassen werden dürfen, wenn der Staat durch Recht die Freiheit verwirklichen können soll. Es sind die Würde des Menschen und die Menschenrechte. Es sind das demokratische, das rechtsstaatliche und das soziale Prinzip und es ist der Föderalismus, das Prinzip der kleinen Einheit, das zum Subsidiaritätsprinzip führt. Aber auch die wirtschaft-liche Vernunft muß eine Chance haben, um allen Menschen ein gutes Leben, ein Leben in Selbständigkeit, zu ermöglichen. Die Verträge der Europäischen Union stehen der Verwirkli-chung dieser Prinzipien entgegen. Sie verwehren den Europäern ein europäisches Europa.

Zur Würde des Menschen gehört wesentlich die politische Freiheit, die Bürgerlichkeit der Bürger. Ein Mensch, der nicht unter eigenen Gesetzen lebt, ist seiner Würde beraubt. Darum müssen die Gesetze allgemein sein, die Gesetze aller. Die Republik muß somit demokratisch sein. Sonst kann sie auch kein Rechtsstaat sein; denn nur der „vereinigte Wille des Volkes“ vermag Recht hervorzubringen (Kant, Rechtslehre, § 46). Ohne Demokratie fehlt zudem das Movens der sozialen Gerechtigkeit. Demokratie ist die politische Form der allgemeinen Frei-heit, nicht etwa die Herrschaft des Volkes, schon gar nicht eine Parteienoligarchie wie in der Europäischen Union. Parteienstaaten sich die Verfallserscheinungen der Republik.

Die Staatsgewalt hat in der Demokratie das durch das Verfassungsgesetz verfaßte Volk. Dieses Volk muß um der Diskursfähigkeit willen eine hinreichende kulturelle Homogenität haben, insbesondere hinreichende Sprachgemeinschaft sein, was nicht notwendig Spracheinheit vor-aussetzt. Heterogenität führt zu herrschaftlichen Verhältnissen, meist weniger Menschen über viele vereinzelte Untertanen, typisch im Parteienstaat. Durch nichts ist die Mehrheit berech-tigt, die Minderheit zu beherrschen, aber diese Mehrheit gibt es auch so gut wie nie. Vielmehr pflegt der fast immer durch Minderheiten gewählte Teil der politischen Klasse sich als Vertre-ter der Mehrheit auszugeben.

Nur die Gesetzgebung der Völker, sei es unmittelbar durch Abstimmung der Bürger oder mit-telbar durch Beschlüsse der Volksvertretungen, ist demokratisch legitimiert. Echter Parlamen-tarismus gewährleistet die horizontale Gewaltenteilung. Gesetzgebung durch Organe der Eu-ropäischen Union ist demokratiewidrig, nicht nur, weil die Kommission und der Rat, aber auch und insbesondere der Europäische Rat, dessen Macht der Vertrag von Lissabon wesent-lich stärkt, Exekutivorgane sind und das Europäische Parlament nicht demokratisch zu legiti-mieren vermag, sondern auch und wesentlich, weil die Union mit fast 500 Millionen Men-schen zu groß ist, um als solche demokratisch gestaltet sein zu können.

Wenn die Völker ein-heitliches Recht schaffen wollen, können sie das durch übereinstimmende Gesetze, die sie gemäß ihren Verfassungsgesetzen verabschieden, also durch gemeineuropäisches Recht. Wenn die Politik gut für die Völker ist, kann sie und sollte sie in allen Völkern Gesetz wer-den. Verbindliche Vorgaben von Unionsorganen widersprechen dem demokratischen Prinzip. Die Kommission sollte auf Gesetzesvorschläge beschränkt sein, die das gemeinsame Wohl der in der Union verbundenen Völker formulieren. Die Hoheit über ihr Recht muß den Völ-kern verbleiben, deren Bürger die politische Freiheit beanspruchen können. Der Binnenmarkt kann auch durch nationale Gesetze hergestellt werden, wenn und soweit die Völker ihn gut-heißen, abgesehen davon, daß die Welthandelsordnung ohnehin weitgehend einen offenen Markt gestaltet.

Exekutive Befugnisse der Union, zumal solche der Polizei, wie sie im Vertrag von Lissabon ausgeweitet werden, widersprechen ebenfalls dem demokratischen Prinzip, zumal dem Prin-zip der kleinen Einheit. Rechtsstaaten vollziehen ihre Gesetze selbst. Die Verwaltung muß bestmöglich in das Gemeinwesen eingebettet sein.

Die letzte Verantwortung für die Rechtlichkeit des Gemeinwesens, die Rechtsprechung, muß nationalen Gerichten vorbehalten sein, im Kleinen und erst Recht im Großen. Die Rechtspre-chung bedarf einer starken demokratischen Legitimation, jedenfalls wenn es um die Grund-sätze des Rechts und um die Grundrechte geht. Das letzte Wort in der Politik müssen die Richter des Volkes haben, die im Namen des Volkes, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, Recht sprechen. Sie sind im Verfassungsstaat die wichtigsten Vertreter des Volkes.

Die Judi-kative der Europäischen Union ist demokratisch nicht legitimierbar. Diese hat in dem guten halben Jahrhundert ihrer Tätigkeit denn auch erwiesen, daß sie das Recht nicht zu wahren vermag, keinesfalls die Grundrechte. Vertragsstreitigkeiten der Mitgliedstaaten können wie auch sonst im Völkerrechtsverkehr geklärt werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist die mächtigste Institution dieses demokratiewidrigen Obrigkeitsstaats. Entscheidungsdi-vergenzen der nationalen Gerichtsbarkeit entsprechen der existentiellen Staatlichkeit der Völ-ker. Sie schaden einem europäischen Europa nicht.

Das Herkunftslandprinzip, das der Gerichtshof aus allen Grundfreiheiten herleitet, obwohl deren Formulierungen das nicht ergeben, ist ein nicht hinnehmbarer Verstoß gegen das demo-kratische Prinzip. Die Ordnungen in den Mitgliedstaaten, etwa die Arbeitsordnung, insbeson-dere die Entgeltregelungen, die Lebensmittelordnung usw., müssen der Politik der jeweiligen Völker entsprechen. Die Völker müssen nicht die Politik von derzeit 26 anderen Völkern in ihrem Land hinnehmen müssen, als wäre das ihre eigene Ordung, zumal durch die Zwänge des Wettbewerbs die sozialen und auch ökologischen Standards auf ein unteres Niveau ge-senkt werden.

Die Völker Europas müssen die Wirtschafts- und Währungshoheit in ihrem Staat haben. Ohne diese sind sie nicht in der Lage, eine ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten gemäße Sozialpoli-tik zu machen. Das Marktprinzip, wie es der Gerichtshof der Union auf der Grundlage der Grundfreiheiten durchgesetzt hat, darf die Wirtschaftspolitik nicht dominieren. Vor allem der Kapitalverkehr muß den Interessen der Völker dienen, nicht den Interessen der global speku-lierenden Finanzinstitute. Kapital und Unternehmertum müssen wieder dem Gemeinwohl untergeordnet werden, also der demokratisch legitimierten Politik der einzelnen Völker. Ü-berhaupt darf der Freihandel nicht das bestimmende Prinzip der Handelspolitik sein. Er ent-machtet die Völker.

Die Einzelstaaten müssen ihre Wirtschaft schützen können, wenn das die Lage gebietet. Keinesfalls rechtfertigt die Wettbewerbsideologie die Globalisierung der Märk-te. Sie hat zum weltweiten Wirtschaftskrieg geführt. Wettbewerb muß von den Staaten ver-antwortet werden können. Das setzt hinreichende Chancengleichheit am Markt voraus, vor allem aber ein Wettbewerbsrecht, das die schwachen Teilnehmer am Wirtschaftsleben, die Arbeitnehmer und Verbraucher, insbesondere aber die Alten, Kranken und Armen, vor den starken schützt, vor dem Raubtierkapitalismus nämlich. Die Völker leben wesentlich von ih-ren Unternehmen, die nicht den Interessen irgendwelcher Anteilseigner und deren Vertreter in den Vorständen ausgeliefert werden dürfen.

Eine Währung für mehrere Staaten ist nur tragfähig, wenn deren Volkswirtschaften langfristig homogen sind. Das Unterfangen, mit der Währungsunion den Unionsstaat erzwingen zu wol-len, schadet allen beteiligten Staaten, weil die Zinspolitik für alle falsch ist. Vor allem die stark inflationierenden Länder büßen ihre Wettbewerbsfähigkeit ein, die sie nur durch Abwer-tung verteidigen können.

Die Verteidigung der Völker Europas sollte vereinigt werden, wie das die 1951 gescheiterte Europäische Verteidigungsgemeinschaft versucht hat. Das nützt dem Frieden. Die Völker müssen keine Angriffskriege führen können, aber ihre äußere Sicherheit muß gewährleistet sein. Die NATO erfüllt die Aufgabe innerer und äußerer Sicherheit weitestgehend. Die Ver-teidigungspolitik hat nicht den Interessen der Waffenindustrie zu dienen, wie nach dem Ver-trag von Lissabon.

Das vereinte Europa muß ein Staatenverbund europäischer Völker bleiben, die die existentiel-len Aufgaben und Befugnisse eines existentiellen Staates, die Hoheit freier Völker, wahren. Das ist vor allem legitimatorisch, also demokratisch, begründet, aber auch wirtschafts-, wäh-rungs- und sozialpolitisch, insgesamt rechtlich. Das Ziel eines europäischen Großstaates, einer Großmacht gar, ist verfehlt. Ein europäisches Europa kann nur ein Verbund der Nationen, das l’Europe d’états, sein. Die Integrationspolitik der politischen Klasse ist gegen die Menschen und Völker gerichtet. Das Friedensprinzip rechtfertigt diese gerade nicht; denn sie mißachtet alle großen Rechtsprinzipien.

Im übrigen führen Republiken, also wirklich freiheitliche De-mokratien, keine Kriege, wie Kant in seiner Schrift Zum ewigen Frieden dargelegt hat. Der Frieden in Europas und in der Welt wird durch Staaten des Rechts, die demokratisch sein müssen, nicht etwa Parteienstaaten, gesichert, nicht durch einen Großstaat, der sich für die Ordnung in der Welt verantwortlich erklärt und sich dafür das Recht zum Kriege, das ius ad bellum, zumißt. Ein Staatenverbund, der die existentielle Staatlichkeit der Völker wahrt, ver-trägt auch die Erweiterung um weitere Völker.

Es bedarf neuer Verträge der Europäischen Union, um die Völker Europas so zu vereinen, daß die Kultur Europas nicht ruiniert wird, die Kultur der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Kultur der Demokratie, des Rechtsstaates und des Sozialstaates. Ein solches Europa ist ein Europa der kleinen Einheiten, der vielen Völker oder eben Nationen, eine Republik der Repu-bliken. Eine solche Friedensordnung Europas kann der Welt zum Vorbild dienen.
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