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Absurder Glaube


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#1
Rolf

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Kraftpyramiden im Mini- und Maxiformat





Georg Schmid


Je absurder, desto interessanter. Absurder Glaube fasziniert und schmiedet zusammen. Aber: Muss auch christlicher Glaube absurd sein?


Als «Sektenberater» besuche ich neben vielen religiösen Gemeinschaften jeder Schattierung auch hie und da die Esoterikmesse in Zürich. Letzthin war es wieder so weit. Das Kongresshaus in Zürich war übervoll mit spirituellen Angeboten der mehr oder weniger sanften Art. Am meisten faszinierten mich die vielen seltsamen, beinahe schon absurden spirituellen Angebote: Kraftpyramiden in Mini- und Maxiformat, Seher mit angeblich unfehlbarem Blick in die Zukunft, Medizin aus der Aztekenapotheke, Erde aus dem Gran Canyon zum Auftragen als eine Art Hautsalbe, ein paranormal begabter Zeichner, der im Stande sein will, im Raum sich bewegende abgeschiedene Verwandte zu sehen und mit seinem Zeichenstift festzuhalten, zwei andere angeblich medial begabte Meister der Kommunikation mit dem Jenseits, die anhand der vom Kollegen produzierten Skizzen phantasievolle Kontakte zwischen den porträtierten Verstorbenen und ihren im Saal anwesenden Hinterbliebenen zu knüpfen versuchen. Je fantasievoller und absurder sich ein spirituelles Angebot präsentiert, desto mehr Menschen - so schien mir - drängten sich um den Stand.

Meister und Mysterien

Einen ähnlichen Eindruck gewann ich vor einiger Zeit in Salt Lake City während eines Besuches im Zentrum der Mormonen. Die Geschichte von der sog. Entdeckung der goldenen Platten und der anschliessenden Übersetzung aus dem «Ägyptischen» ins Englische klingen samt dem Inhalt des Buches Mormon mehr als nur seltsam. Andere Gemeinschaften gehen noch weiter. Die Ufo-gläubige Gemeinschaft von Rael glaubt, dass ihr Meister mit Wesen aus anderen Galaxien höher entwickelte Zivilisationen im Weltall besucht hat. Die «Mysterienschule» von Andrew Terker schart sich um einen Meister, der sich angeblich als Reinkarnation von Buddha, Jesus, Bach und Mozart versteht. Die Transzendentale Meditation ™ bietet Programme an, die dem Meditierenden u.a. helfen sollen, im Raum zu schweben oder unsichtbar zu werden. Je mehr ein Glaube dem normalen Denken widerspricht, desto intensiver scheint er manche Menschen zu begeistern.

Glaube als Leistung

Dem Kirchenvater Tertullian wird die Losung zugeschrieben: «Credo, quia absurdum. Ich glaube, weil es absurd ist.» Allgemein religiös betrachtet leuchtet mir dieses Motto ein. Wenn ich nur glaube, was allen einigermassen einsichtig ist, ist mein Glaube banal und gewöhnlich. Wenn ich aber glaube, was die meisten meiner Mitmenschen als klare Denkunmöglichkeit betrachten, dann wird mein Glaube zur echten Leistung. Ich glaube gegen alle Vernunft und Normalität. Ich bin ein auserlesener Gläubiger, vielleicht sogar ein wenig ein Glaubensgenie. Und in meiner Gruppe der absurd Gläubigen fühlen wir uns alle als spirituelle Elite, die es wagt, einer ganzen Welt die Stirn zu bieten. Andere glauben, was sowieso mehr oder weniger einleuchtet. Wir aber werfen unseren ganzen Verstand über Bord und glauben so intensiv, wie es sich ein normal gläubiger Mensch nicht einmal vorstellen kann.

Kein ausgefallener Meister

So faszinierend ein möglichst fantasievoller Glaube - allgemein religiös betrachtet - auch ist, als Christ bin ich nicht berufen, möglichst absurd zu glauben. Glaube ist - christlich betrachtet - nie eine Meisterleistung, mit der ich auftrumpfen kann. Wenn ich beim Meister ansetze, der mit seinen ersten Jüngern in Galiläa Glauben lehrte und lebte, so erkenne ich Glaube als Bereitschaft der Menschen, dem nahen Gott zu begegnen und dem anbrechenden Reich Gottes zu dienen. Dieser nahe Gott und sein hereinbrechendes Reich sind zwar weder rein vernünftig feststellbar noch rein vernünftig widerlegbar. Aber der nahe Gott und sein Reich sind auch keine abstruse Erfahrung. Sie sind so plausibel wie der Verwundete, der am Strassenrand liegt und dessen Anblick dem Samariter sagt: Ich brauche dich.
Der möglichst absurde Glaube fasziniert mich zwar als «Sektenberater». Aber als Christ verzichte ich gerne auf ein möglichst ausgefallenes Christentum und auf eine möglichst absurde Kirche.

Prof. Dr. Georg Schmid ist Pfarrer und Religionswissenschafter.

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