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Im Friedensreich der Öko-Sekte


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Rolf

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Quelle: Cicero 09/2008,

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Im Friedensreich der Öko-Sekte





von Constantin Magnis

Die Sekte "Universelles Leben" hat sich in Unterfranken ausgebreitet. Ihre
Anhänger verdienen viel Geld mit Biokost und Naturheilkunde. Manchen
Menschen allerdings macht das System hinter der grün-frommen Kulisse Angst.
Ein Besuch in Michelrieth.

Thomas Müller schaut noch einmal auf die Straße. Nur um sicherzugehen.
"Nein, niemand", sagt er beruhigt. "Die wissen noch nicht, dass Sie hier
sind." Der 50-Jährige winkt uns an sein Auto. Besser, wir nehmen seines.
Besser, die notieren sich gar nicht erst das fremde Kennzeichen, wer weiß,
murmelt er. Vorsichtig kurvt er durch seinen Heimatort, Michelrieth in
Unterfranken, bis zum Neubaugebiet am Waldrand. Müller wird stiller und
macht sich klein hinterm Steuer. "Ab jetzt sind wir in deren Revier", sagt er.

Weiße Engelsstatuen blicken unverwandt aus Büschen vor verschachtelten
Häusern mit runden Fenstern, Menschen in wallenden Gewändern beäugen
alarmiert Müllers Auto. "Die kennen mich schon", sagt er. Als einer der
wenigen im Ort traut Müller sich noch, öffentlich die Gruppierung zu
kritisieren, gegen deren Ausbreitung sich hier früher noch eine ganze
Bürgerbewegung mobilisieren ließ: die pseudo-christliche Öko-Sekte
"Universelles Leben" (UL), der schon vorgeworfen wurde, sie beute ihre
Mitglieder wirtschaftlich aus, setze sie unter Psychodruck und versuche
Kritiker mundtot zu machen.

An der Spitze der umstrittenen Sekte und ihren geschätzten 10000 Anhängern
steht die bald 75-jährige Gabriele Wittek, die von sich behauptet, eine
Prophetin, "die Göttliche Weisheit auf dem Thron Christi" zu sein.
Regelmäßig beglückt sie ihre Jünger mit scheinbar himmlischen Offenbarungen.
Eine davon war die weniger erfreuliche Mitteilung, die Welt gehe bald unter.
Allerdings - das war die gute Nachricht - wolle Gott Witteks Jüngerschaft,
die sogenannten Urchristen auf einer "Scholle für das Friedensreich" vor dem
drohenden Ungemach bewahren: der Umgebung Würzburgs, die aus dem Erdreich
herausbrechen und mit der Sintflut bis Jerusalem gespült werden sollte. Wohl
um die Reise gut zu überstehen, sind bis heute einige der Sektendächer mit
Stahlseilen an die Hauswände gespannt.

Also zogen die "Urchristen" von überall ins Friedensreich. Der Großteil
besiedelte Michelrieth. Knappe 600 Einwohner hat der Ort heute, etwa die
Hälfte davon gehört zum UL. "Mischen tut sich das fast nie", erzählt eine
ältere Frau im Dorf. Ab und zu, sagt sie, stoße man auf den
Sicherheitsdienst des UL, die "Gewappneten", die manchmal im Sektengebiet
patrouillieren, auch mit Autos oder Schäferhunden. Schon morgens um halb
sechs fange es an, sich in den UL-Häusern zu regen, berichtet sie. Genug zu
tun haben die meisten "Urchristen" allemal: Gott hatte durch Wittek
ausrichten lassen, er wünsche die Gründung von Betrieben, um den Bestand der
Menschen in der Endzeit zu sichern. Unzählige Unternehmen gründeten die
UL-Anhänger daraufhin in der Region. Eine Naturheilklinik zum Beispiel,
diverse landwirtschaftliche Betriebe, Kindergärten, ein Gewerbezentrum,
Seniorenheime, einen Radiosender, Arztpraxen, einen Verlag und sogar mehrere
Satelliten-TV-Kanäle .

Ebenfalls ein Teil des urchristlichen Business-Konglomerats ist das
"Einkaufsland" in Altfeld: ein futuristisch anmutender Kuppelbau mit
vegetarischem Restaurant, Öko-Supermarkt, Bio-Bäckerei, Mode- und
Möbelshops. Esoterische Klänge dudeln durch die blitzblank polierten Gänge,
schwerer Parfumgeruch liegt in der Luft. Im Supermarkt eine Auslage mit den
Offenbarungen der Prophetin und Kinderbüchern. Eines davon über das Sterben
der zehn kleinen Negerlein, in dem "ein Negerlein" nach dem anderen "erntet,
was es gesät hat" - ein Crash-Kurs in der ungnädigen Karma-Philosophie der
Prophetin. Befragt man dazu die junge Kassiererin, eilt sehr schnell eine
Dame in Weiß herbei und guckt streng. Die Kassiererin senkt den Blick und
wirkt auf einmal mundfaul. Auch der aalglatte Geschäftsführer möchte kein
Interview geben, zumindest nicht unvorbereitet. Wenig später steht ein
stämmiger Mann mit einem struppigen Schäferhund im Eingang. Er lässt die
Reporter nicht aus den zusammengekniffenen Augen, bis sie das Gebäude
verlassen haben. Von da ab übernehmen die Kameras auf dem Vorhof.

Michael Fragner runzelt die Stirn und nickt. "Hoffentlich geht die
Geschichte gut, und Sie wissen, mit wem Sie sich da einlassen", sagt er.
Seit zehn Jahren befasst sich der 43-jährige Pfarrer mit dem UL und berät
Aussteiger. Wer der Sekte in die Quere kommt, warnt er, für den kann es
unbequem werden: "Angefangen mit Belästigungen und Verleumdungen bis hin zu
juristischen Verfahren, mit denen sie überschüttet werden, was bei
Privatpersonen so ins Geld gehen kann, dass sie schnell klein beigeben. Das
alles ist für mich der Versuch des Psychoterrors, der typisch für das UL ist
und den Zweck hat, Kritiker einzuschüchtern - selbst mit Mitteln, die sich
nach meiner Auffassung außerhalb der Legalität befinden." Auch das grüne
Gesicht der Sekte sieht er skeptisch. Mit Firmen wie "Gut zum Leben"
kontrollieren die "Urchristen" ein beachtliches Marktsegment für
Ökoprodukte, die sie landesweit auf Biomärkten feilbieten. Die "Naturschutz-
und Ökoschiene" hält er für eine Trittbrettfahrt, die der Gruppierung eine
attraktive Fassade verpasst: "Gerade deshalb sollte man hinter die Kulissen
blicken, wo es meines Erachtens vor allem um Macht und sehr viel Geld geht.

Man kann das UL als totalitäre Organisation bezeichnen, in deren Lehre ich
auch antisemitische und verfassungswidrige Züge sehe."

So heißt es beispielsweise in der programmatischen Schrift "Das ist mein
Wort" von UL-Gründerin Gabriele Wittek: "Seit nahezu 2000 Jahren ernten die
Juden von einer Fleischwerdung zur anderen, was sie damals und auch in ihren
weiteren Einverleibungen gesät haben - bis sie ihren Erlöser an- und
aufnehmen und das bereuen, was sie verursacht haben." Der Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof führte über die UL aus: "Die Ausgestaltung des
Gemeindelebens, wie sie aus der ,Gemeindeordnung' des ,Universellen Lebens'
hervorgeht, darf in scharfer und überspitzter Formulierung ohne
Verfassungsverstoß als totalitäre Struktur bezeichnet werden."

Umso erstaunlicher, dass die "Urchristen" in Esselbach nach einigen
juristischen Manövern die staatliche Genehmigung für ihre "Christusschule"
erhalten haben. Dort wird nach dem Bekenntnis des UL unterrichtet, das laut
Befund des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in verfassungsrechtlicher
Perspektive als teilweise bedenklich anzusehen ist. Thomas Müller führt uns
zum schmucken Schulgebäude. Durch die offenen Fenster ist das Klimpern eines
Klaviers zu hören, auf den Fotos im Aushang strahlen kerngesunde Schüler,
hier stimmt alles, könnte man meinen. Nur auf der Hauptstraße vor der
Schule, da stimmt was nicht. Ein blauer Ford rollt langsam an Müller vorbei.
Der Fahrer starrt ihn an und spricht aufgeregt in sein Handy. Drei Minuten
später fährt er wieder vorbei. Kurz darauf noch einmal. "Wir sollten gehen",
knurrt Müller, als der Wagen zum vierten Mal auftaucht.

Am selben Morgen fährt eine schwere, schwarze Phaeton-Limousine übers Land
nach Michelrieth. Auf dem Beifahrersitz Gabriele Wittek im hellen Kostüm,
auf der Nase eine dunkle Sonnenbrille. Sie kommt aus dem etwa 20 Kilometer
entfernten Gut Greußenheim, einem Anwesen, um das sie ein "kleines Reich der
Liebe" errichten ließ: Gott, so hatte Wittek 1999 verkündet, habe aus
Ernüchterung über die Menschen einen Bund mit den Tieren und der Natur
geschlossen. Das sogenannte Neu-Bethlehem-Gebiet um das Gut ist die
Konsequenz: Landbau wird dort "friedfertig" und ökologisch betrieben, Tiere
werden auf satten Auen vor dem Schlachthaus bewahrt.

"Neu-Bethlehem" in der Abenddämmerung: Meterlange Rosenlawinen an den Wegen,
Alleen von frisch gepflanzten Bäumen umsäumen Wiesen mit verspielten
Buchsbaumhecken, flankiert von bleich beleuchteten, mannshohen Statuen.
Darunter auch ein Hirte, der regungslos über seinen erstarrten Schäfchen
wacht. Auf den Hügeln recken sich enorme neon-beleuchtete Kreuze in die Höhe
und werfen ein gespenstisches Licht auf die Viehweiden. Aus dem
Nachtschatten der lieblichen Apfelbäume blicken Kameras und Bewegungsmelder.

Der Parcours endet vor den verschlossenen Pforten zur feudalen Hofanlage
"Terra Nova". Plötzlich wirft eine Flutlichtanlage grelles Licht aus den
Bäumen, Jeeps verfolgen uns. Wenig später rollt ein silberner Kombi heran.
Ein nervös telefonierender Mann öffnet das Fenster, stellt scharfe Fragen,
wird dann ganz mild: Gebrannte Kinder seien sie, die Urchristen, und hätten
viel erleiden müssen, besonders durch die Presse, sagt er. "Wir sind eh'
gleich weg, ich mach nur noch schnell Bilder von den Neonkreuzen", ruft der
Fotograf. Der Kombi rauscht ab, und noch bevor sich der Staub gelegt hat,
fahren urplötzlich alle Lichter herunter. Finsternis im Neu-Bethlehem-Gebiet.

Die Kreuze sind nur noch Schatten im Mondlicht. Der
Hirte steht im Dunklen. Selbst die Tiere sind still. Als würden sie mit der
Prophetin und ihren Männern warten, bis die neugierigen Fremden weg sind.
Und endlich wieder Frieden einkehrt, ins Reich der Liebe.
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