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Bin ich erwählt? Oder: Kann ein Christ verlorengehen?


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Rolf

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Bin ich erwählt? Oder: Kann ein Christ verlorengehen?






Bernhard Kaiser



(Überarbeitung des in Bekennende Kirche 21 (2005), S. 19-28 erschienenen Aufsatzes
nach der ursprünglichen, ungekürzten Fassung)

Jesus sagt in Mt 11, 27 Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den
Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn
offenbaren will. 28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch
erquicken.

In diesen beiden Versen, die Jesus offensichtlich in einem engen zeitlichen Zusammenhang
gesagt hat, steht die Problematik, die uns hier beschäftigen soll: einerseits die Souveränität
Gottes gegenüber dem Menschen, wenn es darum geht, daß er zu Jesus kommt, andererseits
die freie und bedingungslose Einladung an alle, die mühselig und beladen sind, zu Jesus
zu kommen. Woran liegt es, wenn ein Mensch zu Jesus kommt und Christ wird?

1. Die Bibel lehrt die souveräne und freie Gnadenwahl Gottes

Wir lesen in Röm 9, 15 Denn er spricht zu Mose (2. Mose 33,19): „Wem ich gnädig bin,
dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ 16 So liegt es
nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift
sagt zum Pharao (2. Mose 9,16): „Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine
Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.“ 18 So erbarmt
er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. … 21 Hat nicht ein Töpfer Macht über
den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem
Gebrauch zu machen? 22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun
wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt
waren, 23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit,
die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.

Läßt man die Bibel das sagen, was sie hier sagt, dann bleibt keine andere Deutung übrig
als die in der Überschrift zu diesem Abschnitt genannte. Gott bestimmt Menschen nicht nur
für eine Rolle im irdischen Leben voraus, sondern auch im Blick auf deren endliche Rettung
oder Verdammnis. Bei seiner Gnadenwahl hat Gott die Masse der Verlorenen vor Augen, die
aufgrund von 1Mose 2,16 verlorengeht. Sie verdient den gerechten Zorn Gottes. Das ist die
sogenannnte infralapsarische Sicht: Gott hat die Menschheit „unterhalb“ des Sündenfalls vor
Augen, wenn er jemanden erwählt. Das Gegenteil wäre die supralapsarische Sicht: Gott hätte
dieser zufolge in vorweltlicher Ewigkeit geplant, Menschen zu erschaffen und von diesen
einige zu retten und einige verlorengehen zu lassen. Es entspricht der Logik, daß ein souveräner
Gott alles im voraus verfügt. Dieser Gedanke hat zwar keine Bibelstelle für sich, aber die
Logik. Das ist seine Stärke, aber zugleich auch seine Schwäche, denn es bedeutet, daß er spekulativ
ist. Also bleiben wir bei dem, was Gottes Wort sagt. Dieses aber zeigt uns einen Gott,
der die Masse der Verlorenen vor Augen hat und nun aus freier Gnade und Barmherzigkeit
einige erwählt, um deutlich zu machen, daß er gnädig ist. Daß also Menschen gerettet werden,
ist Resultat der freien Gnade Gottes. Gott täte nichts Unrechtes, wenn er alle Menschen ihrer
Verlorenheit überließe. Aber weil er barmherzig ist, darum entscheidet er sich dafür, eine
Zahl von Menschen zu retten.

Nun müssen wir die Erwählung auf den Erdboden bringen: Wo und wie haben wir Zugang
zu dieser Erwählung?

2. Die Erwählung ist ein Aspekt des Heils in Christus

In der Einleitung des Epheserbriefes zeigt Paulus auf, was wir alles in Christus haben. Er
beschreibt die verschiedenen Aspekte des Heils. Einer dieser Aspekte ist auch die Erwählung:
Eph 1, 4 Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, daß wir heilig
und untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe 5 hat er uns dazu vorherbestimmt, seine
Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, 6 zum Lob seiner
herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.

Wir dürfen die Erwählung nicht als eine isolierte Entscheidung sehen, die Gott irgendwann
in der Ewigkeit ohne Bezug zu Christus und zu der Heilsveranstaltung in ihm getroffen hat,
sondern sie kommt gerade in Christus zu uns. Erwählung ohne Christus würde bedeuten, daß
das Heil so sehr im Willen Gottes stünde, daß Christus überhaupt nicht hätte sterben müssen.
Auch so sehr, daß die Erkenntnis Christi und der Glaube an Christus und die Zueignung des
Heils in der Geschichte unseres Lebens überflüssig wären.

Die Erwählten kommen aber nicht ohne Christus dorthin, wohin Gott sie haben möchte.
Das heißt auch: Nur in Christus können wir unsere Erwählung erkennen, und außerhalb von
Christus brauchen wir nicht nach der Erwählung zu suchen; wir würden nichts Verläßliches
finden. Was aber sehen wir in Christus?

3. Die Erwählung ist in Christus und in Gestalt der allgemeinen Heilsverheißung erkennbar

Allgemeine Heilsverheißungen sind zum Beispiel:
Joh 1, 29 Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Joh 3,16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit
alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Apg 2, 21 Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet
werden.

1Tim 2, 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, daß allen
Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
2Pt 3, 9 Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten;
sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß
jedermann zur Buße finde.

Nun heißt es von Christus aber auch, daß er die Gemeinde erlöst habe. Er hat sich für sein
Volk hingegeben (Tit 2,14), er ist für die Sünden seines Volkes gestorben (vgl. Hebr 2,17;
13,12; Ofb 5,9), er hat die Gemeinde geliebt (Eph 5, 25-27). Deswegen kann man auch sagen,
daß er nur für die Erwählten gestorben ist. Stellt man nun die Frage, ob Jesus für die Sünden
der ganzen Welt gestorben ist oder ob er nur für die Sünden seines Volkes gestorben ist, dann
finden wir in der Bibel beides bejaht. Wenn nun die Bibel in solcher Komplexität redet, dann
haben wir nicht das Recht, ihre Aussagen im Sinne unserer Logik zu frisieren, etwa indem
wir, wie schon Augustin, den Begriff „alle Menschen“ im Sinne von „alle Arten von Menschen“
deuten, um damit Raum zu schaffen für einen auf die Erwählten begrenzten Heilswillen
Gottes. Gleicherweise haben wir auch nicht das Recht, die Erwählung nur auf die irdische
Rolle des Menschen zu beschränken oder sie von dem von Gott vorhergesehenen Glauben
abhängig machen oder sie einfach ganz auszuklammern. Wenn uns die Bibel Antworten gibt,
die unsere Logik nicht zufriedenstellen, dann sollten wir unserer herrschsüchtigen Logik Einhalt
gebieten. Selbst wenn es vom Endergebnis her absolut richtig ist, daß Christus nur für die
Sünden der Erwählten gestorben ist, müssen wir feststellen, daß Gott uns das so nicht vorträgt.

Er spricht in großer Breite davon, daß er die Welt geliebt habe und daß Christus die
Sünden der Welt getragen habe. Gott verkündigt uns im Evangelium nicht in säuselnder Ironie:
„Nur die Erwählten haben teil an Christus – du kannst nichts machen!“ – und läßt uns
dann im Regen stehen.

Was macht Gott? Er verpackt seinen Erwählungsratschluß in die allgemeine Heilsverheißung
und läßt durch seinen Sohn sagen: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen
sei, ich will euch Ruhe geben für eure Seelen. Es sieht so aus, als läge es dann am Menschen,
zu Jesus zu kommen. Aber das ist ein Fehlschluß, denn wir lesen in Joh 6, 44 Es kann
niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater. Wenn also jemand zu Christus
kommt, dann deswegen, weil Gott es ihm gegeben hat, Christus zu erkennen.

4. Heilsgewißheit und die allgemeine Heilsverheißung

Heilsgewißheit bekommt der Christ nur aus der allgemeinen Heilsverheißung. Es wäre
vermessen, die Gültigkeit der allgemeinen Heilsverheißung für einen persönlich durch eine
Zusatzinformation, daß man selbst auch erwählt sei, bestätigen zu lassen. Die Bibel macht
keine Angabe darüber, ob ein bestimmter Mensch zu den Erwählten gehört oder nicht. Es gibt
auch keine Quelle für eine solche Zusatzinformation, die über die allgemeine Heilsverheißung
hinaus einem Menschen über dessen individuelle Erwählung informieren und so Gewißheit
begründen könnte. Zwar wird gerne auf den Heiligen Geist verwiesen, der auf dem Wege
eines inneren Eindrucks oder einer inneren Stimme einen seines Heils vergewissere, doch das
läßt sich aus Röm 8,16, das dazu angeführt wird, nicht ableiten; jedenfalls ist dort nicht von
einer inneren Stimme die Rede. Eine solche wäre überdies Schwärmerei. Auch der Schluß:
„Ich habe nun seit Jahren in den Wegen des Herrn gelebt, der Herr hat mich mit einem geheiligten
Leben gesegnet“, der sogenannte syllogismus practicus, bietet keinen Grund, auf den
man Heilsgewißheit bauen könnte, denn das Leben des Christen ist trotz aller Heiligung doch
so sehr von der Sünde durchsetzt und so zwiespältig, daß es als Quelle von Gewißheit stiftender
Information nicht zu gebrauchen ist.

Nun möchte jemand sagen: „Alles, was Sie uns jetzt vorgetragen haben, heißt doch nichts
anderes, als daß wir unsere Erwählung überhaupt nicht erkennen können. Sie ist Gottes freie
Entscheidung, und man kann ihm nicht in die Karten schauen.“ Ich gebe zu: So mag es scheinen.
Aber ich gebe zu bedenken, daß der Christ, der Christus erkannt hat, der verstanden hat,
daß Christus für die Sünden der Welt gestorben ist und darum auch für seine Sünden, auch
erkennen kann: Daß ich dies glaube und daß ich in diesem Glauben bleibe, ist Gottes Gabe
und Werk. Christus ist der gute Hirte, dessen Hirtenamt es nicht zuläßt, daß eines seiner Schafe
verlorengeht. Das glaubt er, und in diesem Glauben hat er die Gewißheit, daß Christus ihn
auch tatsächlich bewahren wird zur ewigen Seligkeit. Die Erkenntnis der eigenen Erwählung
ist an die Erkenntnis Christi gebunden und ist Gegenstand des Glaubens. Sie ist keine spekulative
Erkenntnis. Weil die Thessalonischer an Christus glaubten und ihren Glauben bewährten,
konnte Paulus ihnen schreiben: „Wir wissen, daß ihr erwählt seid.“ (1Thess 1,4)

5. Die allgemeine Heilsverheißung berechtigt nicht zu dem Schluß, daß es am Menschen
liegt, wenn jemand gerettet wird


Viele Christen nehmen die allgemeinen Heilsverheißungen, um daraus spekulative Schlußfolgerungen
zu ziehen, die nicht statthaft sind. Eine erste lautet: Gott will alle Menschen retten.
Doch angesichts der Tatsache, daß Gott auch einige Menschen verhärtet, kann der Retterwille
Gottes nicht in dieser Allgemeinheit und Universalität beansprucht werden. Es muß
gefragt werden, in welchem Sinne Gott „will, daß allen Menschen geholfen werde“. Ganz
offensichtlich gibt es einen Unterschied in der Art des Willens Gottes, denn Gottes Wille oder
Vorsatz bei der Erwählung seiner Kinder ist offensichtlich anders geartet als der allgemeine
Heilswille. Damit sage ich, daß wir Gottes Willen nicht als eine einsilbige Größe in einem
geschlossenen logischen System fassen können.

Eine weitere Schlußfolgerung baut auf der Aussage vom allgemeinen Heilswillen Gottes
auf: Wenn Gott alle Menschen retten will, aber nur wenige gerettet werden, dann deswegen,
weil er den Menschen die Freiheit läßt, zu entscheiden, ob sie gerettet werden wollen oder
nicht. Also verkündigen sie in einer flammenden Evangelisationspredigt: „Das Angebot steht:
Die Verheißung gilt allen Menschen. Sie gilt auch Dir. Nun liegt es an Dir, ob du sie annimmst
oder nicht. Von Dir hängt es ab, ob Du gerettet wirst oder verloren gehst. Du hast
einen freien Willen und die freie Wahl – entscheide dich für Jesus.“
Doch das steht einer klaren Aussage der Schrift entgegen. Wir lesen in Röm 9, 16 So liegt
es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Und Jesus sagt:
Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater (Joh 6,44).

Die obige Schlußfolgerung ist ein Paradebeispiel für die unerlaubte spekulative Deutung
von Schriftaussagen. Alles in der Schlußfolgerung erscheint logisch, doch sie ist falsch, weil
sie der Schrift an einer anderen Stelle – in Röm 9,16 und Joh 6,44 – widerspricht. Wieder
sehen wir, daß wir in der Auslegung der Schrift die aristotelische Logik nicht immer anwenden
können, nämlich dann nicht, wenn sie zu Schlußfolgerungen führt, die der Schrift entgegenstehen.
Abgesehen davon ruft die Schrift nicht zu einer Entscheidung auf. Sie ruft zur Buße, zum
Umdenken und zum Glauben auf. Hinter dem Appell an die menschliche Entscheidung steht
meist nur die aufgeklärte Idee von der freien Selbstbestimmung des Menschen und von dem
Gedanken, erst der menschliche Bewußtseinsakt – die bewußte Entscheidung für Jesus – konstituiere
das Christsein, ganz im Sinne Kants und ganz im Sinne der Sicherung der menschlichen
Souveränität. Doch das ist nicht im Sinne Gottes.
Das heißt nun: Keiner kann behaupten, die Schrift lehre die menschliche Willensfreiheit.

Sie lehrt wohl, daß der Mensch einen Willen hat, aber der Wille ist nicht frei, sondern er ist
aufgrund des Einflusses der Sünde böse. Erst dann, wenn Gott es einem Menschen gibt, seine
Armut einzusehen und einzugestehen und Christus zu erkennen, will der betreffende Mensch
den Reichtum der Gnade. Weil der auf Christus gerichtete menschliche Wille Gottes Gabe ist,
darf man die Gestalt des Handelns Gottes nicht zu einer vom Menschen zu erfüllenden Bedingung
machen. Man darf den Menschen nicht bei seinen Willenskräften ansprechen, um ihn
zur Bekehrung zu bewegen. Wenn ein Mensch durch die Predigt des Gesetzes so vor Gott
zerbrochen ist, daß er die Frage stellt: „Was muß ich tun, daß ich gerettet werde?“, dann lautet
die Antwort nicht: „Reiß’ Deine Willenskräfte zusammen und entscheide dich für Jesus“,
sondern: „Glaube an Jesus“, was soviel bedeutet wie: vertraue auf ihn, daß sein Werk für
Dich ausreicht. Das impliziert gerade nicht den Rückgriff auf die geistige Kraft zur Entschei-
dung und auf ein vom Menschen zu vollbringendes Werk, sondern es ist das Vertrauen auf
das Werk Christi. Auf dieses allein soll der Glaube sehen und den Akt des Erfassens Christi
nicht eigens als menschlichen Beitrag in Rechnung stellen oder einfordern.

Aber lehrt die Schrift nicht doch die Verantwortung des Menschen? Ja, der Mensch wird
im Gericht zur Verantwortung gezogen, allerdings nur, um seine Schuld aufzuweisen, nicht
aber, um aus der wahrgenommenen Verantwortung sein Heil abzuleiten. Gewiß, wenn er Gott
geglaubt und ihn im Namen Christi angerufen hat, hat er Antwort gegeben, aber daran „liegt“
es nicht, daß er gerettet wird. Man kann von daher nicht zwei gleichwertige Linien, die Linie
der Vorherbestimmung und die der menschlichen Verantwortung, die sich angeblich widersprechen,
in die Bibel hineinlesen.

Schließlich könnte man noch gegen die Lehre, daß das Heil von der menschlichen Willensentscheidung
abhinge, argumentieren: Wenn Gott will, daß alle Menschen gerettet werden,
aber seinen Willen gegen den sündigen Willen des Menschen nicht durchsetzen kann,
dann ist er ein schwacher Gott, ein Gott, der nichts fertigbringt – im Grunde genommen überhaupt
kein Gott. Also: Vorsicht, bei der Annahme eines universalen Heilswillens Gottes.

6. Wie kann ich wissen, daß ich erwählt bin?

Ich erinnere daran: Die Erwählung haben wir in Christus. Das heißt: Indem ich an Christus
glaube, kann ich erkennen, daß ich erwählt bin und daß er mich zum ewigen Leben bewahrt.
Weil ich aber Christus und alle Heilsgaben nur im Glauben empfangen kann, habe ich auch
die Erwählung „nur“ im Glauben. Ich kann sie nicht sehen und kann sie auch nicht aus meiner
Bekehrung oder meinem Glauben spekulativ ableiten. Aber sie ist mir zugesagt. Darum kann
ich und soll ich darauf vertrauen, daß Gott mir um Christi willen gnädig ist und auch, daß er
mich zum ewigen Leben bewahrt, wie aus zahlreichen Aussagen der Schrift hervorgeht. Diese
Zusage „habe“ ich freilich nur so lange, wie ich glaube. Höre ich auf zu glauben, dann habe
ich keinen Anlaß mehr, von meiner Erwählung zu sprechen. Dann wäre jedes Reden von Erwählung
anmaßend.

Weil ich also die Erwählung nur mit der Zusage Gottes begründen kann, darum kann ich
nicht sagen: Ich bin erwählt, weil ich mich für Jesus entschieden habe. Ich kann auch nicht
sagen: Ich bin erwählt, weil ich an Jesus glaube. Der Christ kann sein Christsein nicht auf ein
religiöses Erleben gründen. Aus diesem Grund ist die Erwählung nicht Gegenstand der Spekulation.
Unter Spekulation verstehe ich hier, daß ich nicht auf Gottes Zusagen vertraue, sondern,
daß ich auf etwas bei mir selbst sehe, was ich an mir wahrnehme, und daraus meine
Schlußfolgerungen ziehe. Mit der Spekulation verlasse ich das Vertrauen auf Gottes Wort und
suche Gewißheit in empirischen Beobachtungen und logischen Folgerungen.

7. Die Warnungen vor dem Abfall

Auch die Warnungen vor dem Abfall darf man nicht spekulativ ausschlachten, indem man
aus ihnen schlußfolgert, ein Christ könne sehr wohl verlorengehen und es läge an ihm, daß er
nicht abfalle. Zugegeben, aus menschlicher Sicht kann er abfallen, wie ich gleich zeigen werde.
Aber der Christ aus der Sicht Gottes, der Erwählte, geht eben nicht verloren.
Die Bibel betrachtet den Christen nicht spekulativ. Sie sagt von den vielen unterschiedlichen
Menschen in der Gemeinde nicht: Ihr sei alle erwählt, lehnt euch bequem zurück, euch
kann ja nichts mehr passieren. Vielmehr sieht sie die Christen in einem lebenslangen Glaubenskampf.

Dieser ist so beschaffen, daß ein Christ menschlich gesehen den Glauben preisgeben
kann durch den Betrug der Sünde. Deswegen warnt Hebr 6, 4 Denn es ist unmöglich, die,
die einmal erleuchtet worden sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und Anteil
bekommen haben am heiligen Geist und geschmeckt haben 5 das gute Wort Gottes und die
Kräfte der zukünftigen Welt 6 und dann doch abgefallen sind, wieder zu erneuern zur Buße,
da sie für sich selbst den Sohn Gottes abermals kreuzigen und zum Spott machen. Ebenso sagt
Hebr 10, 26 Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit
empfangen haben, haben wir hinfort kein andres Opfer mehr für die Sünden, 27 sondern
nichts als ein schreckliches Warten auf das Gericht und das gierige Feuer, das die Widersacher
verzehren wird.

Die Gefahr, in der die Adressaten des Hebräerbriefes standen, war, daß sie sich durch den
Druck der Verfolgung von Christus lossagten und das Leben im Judaismus wieder aufnahmen.
Offenbar aber war die Verfolgung, in der sie standen, hart und existentiell. Daß in einer
Verfolgungssituation Menschen den Glauben preisgeben, ist eine häufige Erfahrung. Aber
nicht immer ist äußere Verfolgung die Ursache für den Abfall, sondern auch die Sünde, die
den Christen immer umstrickt. Ich vermute, daß jeder von uns Menschen kennt, die vor Jahren
mit uns etwa im Jugendkreis saßen, die Erweckungslieder geschmettert haben und dann
irgendwann vielleicht einen ungläubigen Ehepartner heirateten oder ihr Herz an ihre Karriere
oder das Geld hängten und seitdem mit dem Glauben nichts mehr am Hut haben. Die Gefahr,
sich von anderen Dingen neben Christus vereinnahmen zu lassen, ist ganz real. Darum warnt
der Hebräerbrief so eindringlich davor. Das heißt nun auch: Aus menschlicher Sicht kann ein
Christ vom Glauben abfallen und verlorengehen.

Der „Christ“ in diesem Satz ist bestimmt als ein Mensch, der in irgendeiner Form von der
biblischen Botschaft berührt worden ist. Er ist ihr zugefallen, weil er sich vielleicht einen
Vorteil – etwa Ansehen bei den Christen oder Einfluß in der Gemeinde – erhoffte, vielleicht
sogar, weil er gerettet werden wollte. Daß er die biblische Botschaft verstanden hatte und ihr
wirklich glaubte, wird kaum der Fall gewesen sein, aber er hatte sie so weit kennengelernt
und angenommen, daß er sie äußerlich bekannte und Mitglied der Gemeinde wurde. Wahrscheinlich
hatte er sie so angenommen, wie Jesus es im Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld
sagt: Dort fiel einiges von der Saat auf das Felsige, ging auf, aber vertrocknete wieder unter
der Sonne, weil es keine Wurzel hatte (Mt 13,20-21).

Generell können wir den Christen nicht derart bestimmen, daß er in sich eine göttliche
oder geistliche Provinz hätte, daß er aufgrund der Innewohnung Christi seinshaft neu und in
seinem Wesen dauerhaft und unwandelbar geistlich wäre. Christen sind wir durch den Glauben.

Auch Christus wohnt nicht seinshaft oder wesenhaft in uns, sondern „durch den Glauben“
(Eph 3,17) oder glaubensweise. Deshalb geht es nicht um die Frage, ob ein sogenannter
Wiedergeborener, der einen vermeintlich göttlichen Lebenskeim in sich habe, diesen wieder
verlieren könne. Die Schrift spricht vom Christen nicht in diesem Sinne, auch nicht in Joh 3.
Dort wird das geistliche Leben ausdrücklich an den Glauben gebunden: „Wer an den Sohn
glaubt, der hat das ewige Leben“, und in Joh 1,14 werden die, die Jesus aufnahmen, als solche
bezeichnet, die an seinen Namen glauben. Der Glaube aber ist immer umkämpft und oft bedroht.

Als Pastoren und Älteste in der Gemeinde sehen wir nicht ins Herz eines Menschen,
auch nicht in das Herz eines Christen. Wir sehen nicht, wie tief der Glaube darin verwurzelt
ist. Schon gar nicht haben wir Gott in die Karten geschaut und erfahren, ob der andere oder
gar wir selbst erwählt sind. Darum bleibt uns angesichts der Bedrohung des Glaubens nichts
anderes, als die Warnung, die der Hebräerbrief ausspricht, zu beherzigen.

Sie ist das Mittel, mit dem Gott seinen Heilsratschluß verwirklicht. Die Erwählten werden
die Warnung hören und danach tun. Diejenigen, die nicht erwählt sind, werden entweder in
ihrem religiös getarnten Unglauben verharren und Glauben vortäuschen, oder offen vom
Glauben abfallen. Aus der Sicht Gottes aber können die Erwählten nicht verlorengehen und
werden es auch nicht, denn Gott kommt mit seinem Plan mit ihnen zum Ziel.

Wir dürfen also nicht aus den Hebräerstellen und den Berichten vom Abfall bestimmter
Leute wie Demas und anderer einfach ableiten: Gläubige können verlorengehen. Auch das ist
eine unerlaubte Spekulation. Was wir aber berechtigterweise mit den Warnungen vor dem
Abfall anfangen, ist das, was sie sagen: daß wir achthaben auf uns und auf einander und uns
nicht zum Abfall vom Glauben bewegen lassen.

8. Lehrt die Bibel eine doppelte Prädestination?

Die Bibel stellt uns nicht einen Gott vor, der in vorweltlicher Ewigkeit beschließt, Menschen
zu schaffen, und dabei von vornherein festlegt, ob der jeweilige Mensch, den zu schaffen
er sich vorgenommen hat, gerettet wird oder verlorengeht. Ein solcher Gott wäre auch
wieder ein spekulatives Konstrukt menschlicher Logik. Wie ich oben sagte, hat Gott im Blick
auf die Erwählung die Situation nach dem Fall vor Augen. Die gefallenen Menschen muß er
nicht eigens zur Verdammnis prädestinieren, denn sie sind ja schon verloren kraft des Gesetzes,
das Gott Adam in 1Mose 2,17 verkündet hat. Wie Gott das in der vorweltlichen Ewigkeit
alles vor Augen hat, welche Perspektiven er teilt, das können wir nicht wissen. Wir können
nur in Anlehnung an die Schrift und aus unserer menschlichen Perspektive reden, wohl wissend,
daß uns dabei unsere Logik schnell zu Fehldeutungen und -schlüssen verführt. Insofern
ist die Prädestination eine einfache, eben die zum Heil. Doch die Schrift macht Aussagen, die
über eine einfache Prädestination hinausgehen:

Röm 9, 17 Denn die Schrift sagt zum Pharao (2. Mose 9,16): „Eben dazu habe ich dich
erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde
verkündigt werde.“ 18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
1Petr 2, 7 Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist „der
Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, 8 ein Stein des
Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses“ (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm,
weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind.

Aus diesen Aussagen wird klar, daß auch der Ungläubige unter einer spezifischen Bestimmung
steht, an Christus Anstoß zu nehmen und Gefäß zu einem unehrenhaften Gebrauch zu
sein. Wann Gott diese Bestimmung verfügt hat, sagt die Schrift nicht. Es läßt sich aber in Anlehnung
an das Wort Gottes an den Pharao („eben dazu habe ich dich erweckt“) sagen, daß
Gott dann, wenn er einen Menschen erschafft und ihn auf die Bühne der Geschichte stellt,
verfügt, ob der betreffende ein Gefäß zu ehrenhaftem oder unehrenhaftem Gebrauch sein
wird. Dabei geht es nicht nur um die Rolle, die der betreffende in diesem Leben spielt, sondern
es geht um Verlorenheit und Errettung (Röm 9,22-23). Daß Gott auch die Bestimmung
zum Unheil aktiv betreibt, geht aus seinem Umgang mit Israel hervor, wenn es heißt: Gott hat
ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, daß sie nicht sehen, und Ohren, daß sie
nicht hören, bis auf den heutigen Tag (Röm 11,8).

Spätestens hier zeigt sich, daß das eigentliche logische Problem nicht darin liegt, daß die
Schrift Gottes Vorherbestimmung in Spannung zur menschlichen Verantwortung lehrt, sondern
daß die eigentliche Problematik die ist, wie ein und derselbe Gott sagen kann, er wolle
nicht, daß der Sünder verlorengehe, und zugleich einen Menschen dazu bestimmen kann, ein
Gefäß zu unehrenhaftem Gebrauch zu sein, und ihn aktiv zu verhärten. Martin Luther hat diese
Problematik gesehen und deswegen (in seiner Schrift vom unfreien Willen) zwischen dem
verborgenen und dem offenbaren Gott unterschieden. Der verborgene Gott erwählt und verKaiser,

wirft und kann nur gefürchtet werden. Der offenbare Gott aber ist der, an den wir uns halten
sollen – und zwar in der von mir unter 3. beschriebenen allgemeinen Heilsverheißung. Darüber
hinausgehende Spekulationen sind uns nicht gestattet. Luthers Unterscheidung ist eine
Krücke für das Denken, die uns hilft, an Gott nicht irre zu werden. Doch sie löst das logische
Problem nicht. Hier zeigt sich erneut, daß wir Gott nicht das Gefüge unserer Logik einfangen
können. Er bleibt dem Menschen gegenüber frei. Das entspricht seiner Gottheit.
Indes gestattet es der biblische Befund nicht, die Schuld an der Verdammnis vom Menschen
abzuwälzen und in den Verwerfungsratschluß Gottes hineinzulegen. Selbst die Lehrregel
von Dordrecht hat vor entsprechenden Spekulationen ausdrücklich gewarnt: Es sei nicht
schriftgemäß, zu behaupten, daß Gott durch einen willkürlichen Akt den größten Teil der
Menschheit zur Verdammnis bestimmt und zu diesem Zweck erschaffen habe. Der Mensch
geht verloren wegen seiner Sünde (Joh 3,18; Mt 23,37).

9. Was leistet die Erwählungsaussage?

(1) Sie macht den Widerspruch des Gottlosen offenbar.
Wer im Unglauben verharrt, wird gegen Gott polemisieren: Entweder gegen Gottes freie
Gnade, indem er sie als willkürlich bezeichnet und Gott der Ungerechtigkeit bezichtigt. Oder
er polemisiert in der Weise, daß er sagt: Was für ein gnädiger Gott, der mich geschaffen hat,
damit ich in die Hölle komme!“ Oder er stellt die Frage, die Paulus in Römer 9, 19 stellt:
„Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?“ Indem er
seinen Widerspruch gegen Gott vorträgt, er gibt zu erkennen, daß er sich nicht vor Gott beugen
will. Die Schrift aber erwartet, daß der Mensch Gottes Souveränität anerkennt, denn die
Antwort, die Paulus auf die letztgenannte Frage gibt, ist das Bild vom Töpfer und dem Ton.
Der Mensch soll erkennen, daß er Geschöpf ist und seinen Schöpfer nicht zur Rede stellen
kann, warum er ihn so und nicht anders mache. Er soll lernen, sich unter die gewaltige Hand
Gottes zu demütigen.

(2) Sie nimmt dem, der sich seiner Werke rühmt, die Basis seines Vertrauens weg
Wer religiös ist, wird ein Interesse haben, sich mit seiner Religiosität bei Gott zu empfehlen.
Hier sehe ich einmal den rechtschaffenen Volkskirchenchristen, der nach dem Motto lebt:
„Tue recht und scheue niemand.“ Was recht ist, läßt er sich durch die Gebote Gottes sagen.
Und er denkt bei sich selbst: Ich glaube, daß ein gerechter Gott im Himmel ist, ich tue recht,
also muß er mich doch im Gericht annehmen. Ihm sagt die Erwählungslehre: Auf dein anständiges
Leben kannst du nicht bauen. Du kannst dir den Himmel nicht verdienen. Das wird
ihn aufregen und er wird die Predigt von der Gnade tadeln, daß sie der Gottlosigkeit Vorschub
leiste.

Dann habe ich auch den Neupietisten vor Augen. Indem er darauf verweist, daß Gott den
Menschen in seinem Bilde geschaffen und dementsprechend mit Willenskräften ausgestattet
habe, baut er auf seine Entscheidung. Er hat sich bekehrt, er hat die in seinen Kräften stehende
Entscheidung getroffen, Jesus aufzunehmen, an ihn zu glauben und ihm zu leben. Er ist
derjenige, der das Evangelium als Angebot wahrnimmt, und er glaubt, daß es am Menschen
liege, wenn er gerettet werde. Darum vergewissert er sich wieder und wieder, daß seine Entscheidung
auch wirklich echt war. Hört er dagegen die Botschaft von der Erwählung, dann
meint er, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen, weil das, worauf er bislang
gebaut hat, auf einmal nichts mehr wert sein soll. Darum bekämpft er sie oder blendet sie einfach
aus.

(3) Sie ist dem, der Heilsgewißheit haben will, ein starker Trost.
Der rechte Christ aber, der die Forderung des Gesetzes Gottes in aller Klarheit und Schärfe
vernommen hat, der eingesehen hat, daß er rettungslos verloren ist und daß er keine Nische
hat, in die er sich zurückziehen könnte – die „Entscheidung“ oder das „anständige Leben“,
wer eingesehen hat, daß Gott keinen Fehler macht, wenn er ihn der Verdammnis preisgibt, der
wird um Gnade bitten. Der wird erkennen, daß er nur aus der freien Gnade Gottes heraus gerettet
werden kann. Wenn er dann erkennt, daß Christus für ihn gestorben ist, wenn er es aufgrund
der allgemeinen Heilsverheißung glauben kann, daß Christus gerade auch für ihn gestorben
ist, der wird Gott Dank sagen für die Freiheit der Gnade und gewiß sein: Gott liebt
mich ohne Vorleistung und ohne daß ich mich im Nachhinein noch abmühen müßte, um den
Klassenerhalt zu verdienen. Er erkennt, daß sein Heil in Gottes unwandelbarem Willen steht
und wird dem Herrn vertrauen, daß er ihn zum ewigen Leben bewahrt. So ist er seines Heils
gewiß.

Schluß

Mit diesen Ausführungen möchte ich deutlich machen, daß die menschliche Vernunft nicht
die Kompetenz besitzt, über diese komplexe Materie zu urteilen. Die Vernunft steht unter der
Sünde, und Gott ist in seinem Denken und Handeln komplexer, als daß ihn die menschliche
Vernunft in ein geschlossenes logisches System fassen könnte. Der Mensch steht unter Gott
und nicht neben ihm. Im übrigen redet die Schrift nicht zu uns als spekulativen Theologen,
die Gott in Karten schauen möchten, sondern als zu Sündern, die der Gnade bedürfen.
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