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Ein Student will Mönch werden


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Rolf

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Die Offenbarung des Johannes






Von Martin Gropp | DIE ZEIT,

Ein junger Mann will Mönch werden. Er lebt in der Stille des Klosters und studiert in München Orthodoxe Theologie. Wie passt dieser Lebensentwurf in unsere Gesellschaft? Ein Porträt

Bruder Johannes fährt nicht gern in die Münchner Innenstadt. Der Lärm und die vielen Menschen belasten den Novizen. Sie machen, dass sein Kopf schmerzt. Sie führen ihn in Versuchung. Bruder Johannes möchte als Mönch leben, um sich selbst zu erkennen. Er will Gott näherkommen. Aber wenn er aus seinem Kloster in die Stadt fährt, verschwimmt alles.

Es ist halb vier in der Früh, und eben hat eine Glocke Bruder Johannes aus dem Schlaf gerissen. In zehn Stunden wird er das Kloster wieder einmal verlassen müssen: zu Fuß am Fluss Würm entlang zum Bahnhof Pasing. Das geht noch. Doch dann muss er die S-Bahn nehmen, stadteinwärts in Richtung Marienplatz – weg aus der Stille des einzigen russisch-orthodoxen Männerklosters Deutschlands, hinein ins laute Zentrum Münchens.

Früher hieß Bruder Johannes John Bandmann. Vor vier Jahren, nach Abitur und Zivildienst, hat sich der 24-jährige Berliner entschieden, dem Orden des Heiligen Hiob von Potschajew beizutreten. Wie die beiden anderen Novizen des Klosters im Münchner Vorort Obermenzing studiert Bruder Johannes an der Ludwig-Maximilians-Universität Orthodoxe Theologie. Er soll später einmal die Kinder der Münchner Gemeinden unterrichten.

Wegen des Studiums fährt Johannes zurzeit noch oft in die Innenstadt. Er ist im neunten Semester, steht vor den letzten Prüfungen und ist lange genug dabei, um alle an seinem Institut zu kennen. »Dort arbeiten redselige Menschen«, sagt er. Johannes spricht gern mit ihnen. Aber er fürchtet, seine Kommilitonen könnten ihn vom Weg der Selbsterkenntnis abbringen. Trotzdem muss er heute Nachmittag wieder dorthin. Eine mündliche Prüfung steht an: Auslegung des Alten Testaments unter besonderer Betrachtung des Weisheitsbegriffs.

Seit mehr als 60 Jahren leben die Mönche des Heiligen Hiob von Potschajew in München. Ihre Geschichte ist die einer doppelten Vertreibung: Als nach dem Ersten Weltkrieg das polnische Staatsgebiet nach Osten erweitert wurde, musste die Bruderschaft ihr Stammhaus im ehemals ukrainischen Potschajew verlassen. Sie ging in die Slowakei. Zwei Jahrzehnte später marschierte die Rote Armee auf ihrem Weg nach Westen auch auf das Kloster zu. Die Mönche flüchteten erneut, vierzig von ihnen erreichten schließlich München. Die meisten zogen weiter in die USA, eine Handvoll ließ sich in einem ehemaligen Heim der Hitlerjugend in Obermenzing nieder.

Die Mönche haben es selbst umgebaut: Sie bemalten die Wände des Turnsaals mit einer Darstellung des Jüngsten Gerichts und weihten den Saal zur Kirche. Im Obergeschoss richteten sie Mönchszellen ein, wie die sechs Quadratmeter großen Zimmer heißen. Auf den Zwiebeltürmen stecken orthodoxe Kreuze mit dem charakteristischen Querbalken am unteren Ende. Neben der Bruderschaft sitzt die Verwaltung der russisch-orthodoxen Auslandskirche in Deutschland: Der in Chemnitz geborene Vater Mark betreut als Erzbischof die etwa 30.000 Gläubigen in den 30 deutschen Auslandskirchengemeinden. Außerdem kümmert er sich als Abt und geistiger Vater um seine fünf Mitbrüder und die drei Novizen, die die Mönchsweihe anstreben.

Wann er Mönch wird, weiß Bruder Johannes noch nicht. »Gott führt mich auf verschlungenen Wegen«, sagt er. Er redet selbstbewusst über seinen Glauben. Nicht nur wegen des schwarzen Vollbarts und der vom Fasten eingefallenen Wangen wirkt Johannes reifer als viele Gleichaltrige. Warum er in die Bruderschaft eingetreten ist, erklärt er so: »Ich war krank.« In einem Gebet der Mönche heißt es, Gott sei der »Arzt der Seelen und Leiber«. Johannes ging ins Kloster, »um frei zu sein von allen Leidenschaften und inneren Abhängigkeiten. Und um Gott näherzukommen«, wie er sagt.

Als Bruder Johannes kurz vor vier Uhr morgens die halbdunkle Klosterkirche betritt, hört er Stoff durch die Luft rauschen. Er sieht im Kerzenschein, wie sich seine acht Mitbrüder in schwarzen Gewändern schweigend von Ikone zu Ikone bewegen. Johannes geht als Letzter zum goldverzierten Bild der Gottesmutter von Kasan, kniet nieder und berührt mit der Stirn den Boden. Er steht auf, küsst die Ikone und geht zum nächsten Heiligtum. Als alle Mönche die Heiligenverehrung beendet haben, singen sie auf Altkirchenslawisch: Gospodi pomiluj nas – Herr, erbarme Dich unser. Unzählige Male werden sie diesen Satz wiederholen. Es gibt Gebete, in denen er 40-mal hintereinander gesprochen wird. Wie jeden Tag feiern Johannes und die anderen Mönche in den folgenden vier Stunden Gottesdienst.

Die frühmorgendlichen Andachten sind nicht einfach für Bruder Johannes: Vom Stehen schmerzen seine Beine und sein Rücken. Die vielen Verbeugungen während der Gebete sind eine willkommene Abwechslung, um die Muskeln zu lockern. Nur selten darf Johannes sitzen. Dann stützt er die Ellenbogen auf seine Oberschenkel und vergräbt sein Gesicht in den Händen.

Bruder Johannes ist ein Morgenmuffel. Und er kann oft nicht einschlafen, wenn um 22 Uhr die Nachtruhe beginnt. Das frühe Aufstehen nimmt Johannes auf sich, weil er nach vier Jahren im Kloster eine Einsicht gewonnen hat: Seine Seele ist noch immer krank. »Ich habe nicht einmal angefangen, gesund zu werden.« Der Klosterrhythmus soll Johannes näher zu Gott bringen. Zugleich entfernt sich der Novize durch das Leben im Kloster von der Außenwelt.

Zu seinen Freunden von früher hat er keinen Kontakt mehr. Nur mit seiner Mutter telefoniert er regelmäßig. Das Verhältnis zu seinem Vater hat sich seit dem Eintritt ins Kloster verändert: Der wollte, dass sein Sohn Arzt wird und die Menschen heilt. Es reicht dem Vater nicht, dass Johannes nun für seine Mitmenschen betet. »Es fehlt ein Stück, damit er mich versteht«, sagt Johannes über den Mann, von dem er immer noch liebevoll als »mein Papa« spricht.

Dass die Menschen auf der Straße ihn verständnislos anstarren, macht dem Novizen nicht viel aus. »Manche schauen wie im Zoo«, sagt Johannes. Er weiß, dass er auffällt, wenn er in seinem schwarzen Gewand am Marienplatz umsteigt oder durchs Uni-Viertel geht. Die Menschen, die ihn ansprechen, unterteilt er in gute und schlechte Frager. »Welcher Glaubensrichtung gehörst du an?« ist eine gute Frage. »Was trägst du denn für heiße Klamotten?« ist eine schlechte.

Gegen acht hat Bruder Johannes die Kirche verlassen und trinkt Tee in der Klosterküche. Heute ist einer von 240 Fasttagen im Jahr, an denen die Brüder auf Fleisch, Milch, Eier und Fett verzichten. Immerhin muss Johannes heute nicht vollkommen enthaltsam sein. Die einzige Mahlzeit gibt es aber erst am späten Nachmittag. Mit der Tasse Tee geht Johannes an seinen Arbeitsplatz im Nebenraum: die Druckerei. Wegen der Prüfung am Nachmittag stellt er die kleine Druckmaschine nicht an. Er räumt nur auf.

Mit Gottesdienstbüchern finanziert die Obermenzinger Bruderschaft einen Teil ihres Lebensunterhalts – und besinnt sich damit auf ihre Wurzeln. 1618 hatte der Heilige Hiob in Potschajew eine Druckerei gegründet. Bis heute zeichnen ihn Ikonenmaler deshalb mit einer Buchpresse. Neben geistlicher Literatur veröffentlichen die Brüder auch den Boten, das alle zwei Monate erscheinende Magazin der deutschen Gemeinden der Auslandskirche.

Als Bruder Johannes mittags in der Bibliothek sitzt und seine Mitschriften für die Prüfung durchgeht, klopft es an der Tür. Eine Gläubige möchte Kerzen kaufen. Auch dafür ist der Novize zuständig. Es ist sein letzter Dienst für heute. Eine Stunde später geht er wieder den Weg, den er nicht mag. Um sich abzulenken, betet er. Und trotz des Stresses, den er auch dieses Mal auf der Fahrt zur Universität spürt, wird er seine Prüfung bestehen. Denn er weiß, Gott ist mit ihm.



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