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Die Bibel in gerechter Sprache – gerecht beurteilt


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Rolf

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Die Bibel in gerechter Sprache – gerecht beurteilt





Annette Kick


Nachdem die Diskussion um die im Herbst 2006 erschienene "Bibel in gerechter Sprache" (BigS) teilweise heftig verlief, kristallisieren sich im Rückblick einige theologischen Grundsatzfragen und Spannungsfelder heraus, die weit über die BigS hinaus gehen:


Für ein fundamentalistisches Bibelverständnis, das die Verlässlichkeit Gottes an den Buchstaben der Schrift bindet, ist jedes die Überlieferung hinterfragende Vorhaben ein Ärgernis. Dazu kommt im Fall der BigS, dass das Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit dem entgegen gesetzt ist, was man über die gottgewollte Geschlechterordnung aus der Bibel heraus liest. Entsprechend pauschal und heftig fiel die Kritik aus dieser Richtung aus. Dagegen stellte der Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Christian Morgner in der Verbandszeitung (WIR 2/2007) das Vorhaben relativ neutral dar, kritisiert aber die Ergebnisse, die weit über das angegebene Ziel hinausschössen. Diese Bibel sei "unnötig wie ein Kropf" und werde "die Gräben innerhalb der evangelischen Kirche weiter vertiefen". Ob er mit dieser Vorhersage schließlich Recht behält, wird meines Erachtens von einer angemessenen Streitkultur abhängen.

Für eine "offene" Hermeneutik, die davon ausgeht, dass aktuelle Fragestellungen, Verfremdungen und das Verlassen von eingefahrenen Übersetzungs- und Denkmustern die Texte neu zum Sprechen bringen können, klingt das Vorhaben erst einmal verheißungsvoll. In der Einleitung heißt es, dass die BigS in erster Linie dem Text selbst gerecht werden will, indem sie ihn von antijüdischen, frauenfeindlichen und die sozialen Verhältnisse verschleiernden Verzerrungen befreit. Beim Lesen klingen deshalb an vielen Stellen Konnotationen mit, die in bisherigen Übersetzungen ausgeblendet waren. Die Vielfältigkeit der Gottesbilder und -namen kommt besser zum Leuchten. An anderen Stellen aber entsteht der Eindruck, dass beispielsweise die damaligen Geschlechterverhältnisse nachträglich "korrigiert" und damit doch wieder die Texte in ihrer Geschichtlichkeit nicht Ernst genommen werden. Zum Beispiel macht die Erklärung, dass "pharisäisch" eine Männer und Frauen betreffende Lebensweise sei, es noch nicht wahrscheinlich, dass Jesus tatsächlich mit "Pharisäerinnen" diskutiert hat. Oft scheint die Wiedergabe weder durch den Text, noch durch die "sozialgeschichtliche Forschung" (S.10) abgedeckt zu sein. Das führt zuweilen zu einer Diskrepanz zwischen erklärtem Vorhaben und der Durchführung, die das Projekt in Misskredit gebracht hat.

Wer der Übersetzung Ideologisierung in der Art der Neue-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas vorwirft, übersieht einen entscheidenden Unterschied: Diese Übersetzung behauptet nicht, die einzig richtige zu sein. Sie steht zu ihrer Ergänzungsbedürftigkeit und macht den Übersetzungsvorgang relativ transparent. Zum Beispiel ist jeder Lesevorschlag des Tetragramms grau unterlegt und so als Vorschlag gekennzeichnet. Die Kopfzeile bietet fortlaufend mögliche andere Lesevorschläge für JHWH. Die äußere Randspalte bietet innerbiblische Querverweise. Die innere Randspalte nennt in Umschrift hebräische und griechische Worte des Textes, die in einem Glossar erklärt werden. Für diejenigen, die die Ursprachen kennen, wird damit die BigS zu einem Arbeitsbuch, das neben Urtext und andere Übersetzungen gelegt werden kann. Trotzdem beginnt die Leserin doch an vielen Stellen zu rätseln, was wohl zu einer bestimmten Übersetzung bewogen hat. An solchen Stellen kommt der Gedanke auf, dass ein Kommentar womöglich nützlicher wäre. Wenn schließlich tief greifende theologische Entscheidungen unkommentiert in die Übersetzung einfließen, wie das im NT oft der Fall ist, schützt Transparenz nicht vor Verwirrung oder gar vor dem Verdacht "falscher Lehre" (Ulrich Wilckens).

Aus meinen Leseerfahrungen mit der BigS gewinne ich den Eindruck, dass viele Übersetzungen alttestamentlicher Texte zu einem vertieften Verständnis führen. Das Kriterium, antijüdische Verzerrungen zu vermeiden, ist im AT leicht zu erfüllen. Aber auch der Versuch, Gottesnamen und Gottesrede aus männlich fixierten Bildern zu befreien, erscheint dem hebräischen Text angemessen. Kurz vor Erscheinen der BigS legte M. L. Frettlöh ein Buch vor, das in differenzierter Weise das Anliegen einer "geschlechtertransparenten und geschlechterdifferenten Gottesrede" (S.7) begründet und entwickelt: "Gott Gewicht geben. Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre." (Neukirchen-Vluyn, 2006) Bezeichnend ist, dass die Systematikerin ihr Konzept bis hin zu den christologischen Implikationen in erster Linie aus hebräischen Texten und Begriffen entwickelt. Neutestamentliche Texte und griechische Begriffe kommen nur am Rande in den Blick. Sie selbst weist darauf hin, dass bei der Übersetzung von für ihren Kontext wichtigen Wörtern in die griechische Septuaginta Konnotationen wegfallen bzw. sich völlig verschieben. (so etwa bei der ethymologischen Verwandtschaft des Erbarmens, auch des göttlichen, mit dem Mutterschoß. Der griechische Mutterschoß, „hystera“ ist nicht mehr Sitz des Erbarmens, sondern wird später sogar zum Sitz eines dem weibliche Geschlecht zugesprochenen psychischen Leidens.

Auch an die BigS geht die Frage, ob eine an der hebräischen Bibel entwickelte geschlechtergerechte Gotteslehre und Sprache ohne weiteres auf das NT und seine Christologie zu übertragen ist. Dem entspricht, dass sich die Kritik, kulminierend im Gutachten des Altbischofs Wilckens, fast ausschließlich am NT entzündet und hier an der Wiedergabe der christologischen Aussagen. Das feministische und das pro-jüdische Interesse haben die Abschwächung der Christologie zur Folge. Wilckens führt Belegstellen dafür an, dass Jesus seiner christologischen Titel beraubt wird. Der "Sohn" des himmlischen Vaters wird oft zum "Kind" eines "Du, mütterlich und väterlich". Der "Menschensohn", der leiden muss, wird schlicht zum "Menschen". Der Kyrios-Titel wird sowohl für Gott als auch für Jesus meist aufgelöst. Wenn es sich um AT-Zitate handelt, wird er behandelt wie das Tetragramm im AT. Was dort aber noch einleuchten mag, erscheint im griechischen Text oft unstimmig. Das Oszillieren des Kyrios-Titels zwischen Gott und Jesus und seine Übertragung auf den Auferstandenen, den die Gemeinde nun als "Herrn" bekennt, kann mit anderen Übersetzungen nicht ausgedrückt werden. Auch die herrschaftskritische und damit befreiungstheologische Komponente des Herrn, der alle anderen Herren enttrohnt, bleibt auf der Strecke.

Während Gott im AT mehr Dimensionen und Farben bekommt, verblasst im NT die Rede von Gott und seinem eingeborenen Sohn. Dem "geschlechtergerechten" Verblassen des Gottessohnes entspricht die dem jüdisch-christlichen Dialog dienen wollende Einebnung des Unterschieds zwischen Jesus und seiner jüdischen Umwelt. Hier ist einzuwenden: Wenn Jesus Christus nichts Neues und Anderes gebracht hat, als das, was schon da war, ist die Christentumsgeschichte ein Irrtum, und ein jüdisch-christlicher Dialog, der vom respektvollen Umgang zweier verschiedener Religionen ausgeht, wird überflüssig.

Auch eher missglückte Teile der NT-Übersetzung könnten Erkenntnisgewinn bringen, weil sie alte Fragen neu und auch neue Fragen aufwerfen:

Wie sind die Gottesrede der hebräischen Bibel und die Gottesrede des griechischen NT, die die Christologie umschließt, aufeinander zu beziehen?

Wie kann die Bedeutung von Jesu Leben, Sterben und Auferstehung so formuliert werden, dass Frauen sich einbezogen wissen? Meines Erachtens ist dies weniger eine Frage der Übersetzung, als eine der Predigt, der Seelsorge, etc.

Wie weit geht der Respekt vor den gemeinsamen Wurzeln und wo beginnt christliche Anbiederung an das Judentum und Verleugnung des Christlichen?



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