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Die Wahrheit über das Elterngeld


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Die Wahrheit über das Elterngeld





Von Anselm Waldermann

Mit großen Versprechungen führte Familienministerin von der Leyen das Elterngeld ein. Heute herrscht Ernüchterung: Mütter und Väter bekommen weit weniger Geld als erhofft, oft fehlen ihnen Hunderte Euro. Steuern, Sozialabgaben, Partnermonate - SPIEGEL ONLINE macht den Praxistest.

Hamburg - Das Elterngeld ist eine Erfolgsgeschichte. Zumindest für seine Erfinderin, Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Kein Projekt der Großen Koalition fand ähnlich viel Anerkennung, kein Politiker wurde gelobt wie sie, die Geburtenrate schnellte auf den höchsten Stand seit 17 Jahren. Also alles bestens?

Kaum. Denn wenn es konkret wird, sind viele Mütter und Väter enttäuscht. Sie planen, grübeln, rechnen - und stellen am Ende fest, dass sie weit weniger Elterngeld bekommen als erwartet. Oft fehlen mehrere hundert Euro, weil die Behörden anders kalkulieren als die Bürger. In Internet-Foren klagen Tausende über ihre Probleme. Manche verzweifelt, manche wütend.

Dabei klingt die Idee so gut: Wer ein Kind bekommt, darf seine Arbeit einige Monate ruhen lassen, das Elterngeld soll den Verdienstausfall kompensieren. Eingeführt wurde die Regelung am 1. Januar 2007. Seitdem nahmen mehr als 700.000 Menschen die staatliche Leistung in Anspruch, rund zwölf Prozent davon waren Männer (mehr...). "Das Elterngeld ist ein Renner", sagt Ministerin von der Leyen.

Tatsächlich aber werden Mütter und Väter mit halbwahren Verheißungen gelockt. Das Elterngeld sei steuerfrei, beteuert das Familienministerium. Abgaben seien ebenfalls nicht zu entrichten, außerdem könne man die Leistung bis zu 14 Monate lang beziehen. Die Realität sieht in den meisten Fällen anders aus.

Viele Eltern werden erst dann mit der Wahrheit konfrontiert, wenn ihr Kind auf der Welt ist. Spätestens beim Ausfüllen des Elterngeldantrags merken sie: Die Familienministerin hat zu viel versprochen.




SPIEGEL ONLINE analysiert die größten Irrtümer rund ums Elterngeld.





Das Elterngeld ist steuerfrei"

Wolfgang Wawro vom Steuerberaterverband Berlin-Brandenburg rechnet dies anhand eines Beispiels vor: Der Ehemann verdient 60.000 Euro im Jahr, die Frau bezieht 840 Euro Elterngeld im Monat. Ohne das Elterngeld müsste der Mann 11.523 Euro Steuern zahlen, inklusive Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag. Durch das Elterngeld erhöht sich jedoch sein Steuersatz, so dass 12.840 Euro fällig werden. Das heißt: Das Ehepaar hat eine Mehrbelastung von 1317 Euro - nur weil es Elterngeld bezieht. Faktisch entspricht dies einer Steuer auf das Elterngeld in Höhe von 13 Prozent.

Die erhoffte Rückzahlung bei der nächsten Steuererklärung dürfte also dürftig ausfallen. In vielen Fällen müssen Familien sogar eine Nachzahlung leisten. Im Klartext bedeutet dies: Paare, die Elterngeld beziehen, sollten frühzeitig Geld fürs Finanzamt zurücklegen.

Dabei trifft der Progressionsvorbehalt nicht nur Ehepaare. Auch Alleinerziehende müssen genau nachrechnen. Dies macht ein weiteres Beispiel des Experten Wawro deutlich: Eine alleinerziehende Mutter verdient 25.000 Euro im Jahr. Am 1. Juli geht sie in Elternzeit und bezieht fortan ein Elterngeld von 840 Euro im Monat. Für die sechs Monate, in denen sie gearbeitet hat, müsste die Frau eigentlich nur 285 Euro Steuern zahlen. Doch weil das Elterngeld den Steuersatz nach oben treibt, sind samt Kirchensteuer 943 Euro fällig. Die Mehrbelastung beträgt also 658 Euro. Damit ergibt sich auch in diesem Fall ein "Steuersatz" auf das Elterngeld von 13 Prozent.

Das Familienministerium bestreitet dies nicht, weist aber Kritik von sich. Dass es den Progressionsvorbehalt gebe, sei nichts Neues. "All das haben wir von Anfang an so kommuniziert", erklärt ein Sprecher.

Besonders hoch fällt die Mehrbelastung bei Geringverdienern aus. Denn der Steuersatz steigt bei niedrigen Einkommen überproportional stark. Besserverdiener sind dagegen fein raus: Sie zahlen ohnehin den Spitzensteuersatz, der sich nicht weiter erhöht.

Offiziell muss man auf das Elterngeld keine Steuern zahlen. Doch praktisch läuft es genau darauf hinaus. Der Grund ist der sogenannte "Progressionsvorbehalt". Der besagt, dass das Elterngeld selbst nicht besteuert wird, es wird aber auf alle anderen Einkommen angerechnet, zum Beispiel auf das Gehalt des Ehepartners. Dadurch erhöht sich dessen Steuersatz, die Gesamtbelastung steigt.


"Das Elterngeld bekommt man 14 Monate lang"


Theoretisch kann man das Elterngeld für 14 Monate beantragen - zumindest wenn sich die Eltern die Erziehung teilen. Bleibt die Mutter zum Beispiel zwölf Monate zuhause, bekommt der Vater für zwei weitere Monate Elterngeld. Erbittert hatte Familienministerin von der Leyen mit der CSU gestritten, damit diese "Partnermonate" im Gesetz festgeschrieben wurden.

Tatsächlich stehen die 14 Monate jedoch nur auf dem Papier. Denn für die ersten beiden Monate nach der Geburt zahlt die Krankenkasse Mutterschaftsgeld. Und das wird mit dem Elterngeld voll verrechnet. In der Praxis heißt das: Die meisten Mütter bekommen erst im dritten Monat nach der Geburt Elterngeld. Aus insgesamt 14 Monaten werden so nur zwölf - obwohl der Vater Partnermonate nimmt.

Bleibt nur ein Elternteil zu Hause, sieht die Rechnung noch schlechter aus. In diesem Fall hat die Familie offiziell Anspruch auf zwölf Monate Elterngeld. Doch auch hier wird das Mutterschaftsgeld voll angerechnet. In der Realität läuft es deshalb auf gerade einmal zehn Monate Elterngeld hinaus.

Das Familienministerium findet diese Regelung in Ordnung. "Monate mit Mutterschaftsleistungen dienen dem gleichen Zweck wie das Elterngeld, nämlich Einkommenseinbußen zu ersetzen oder auszugleichen. Deshalb können sie nicht zusätzlich gezahlt werden", erklärt ein Sprecher. Das Ministerium habe dies in seinen Informationsmaterialien "von Anfang an" so dargestellt.

"Das Elterngeld entspricht 67 Prozent vom Netto"

Das eigene Gehalt kennt jeder. Entsprechend einfach sollte man seinen Anspruch auf Elterngeld ausrechnen können - zumindest in der Theorie. Schließlich bemisst sich die staatliche Leistung nach dem Verdienst der vergangenen zwölf Monate. Entscheidend sind jedoch die Details.

In der öffentlichen Wahrnehmung hat das Elterngeld eine Höhe von 67 Prozent des Nettogehalts. Doch netto ist nicht gleich netto. Was auf dem Gehaltszettel ausgewiesen wird, ist nicht der Wert, mit dem die Elterngeldstellen rechnen. Denn die Behörden ziehen zunächst eine ganze Reihe von Beträgen ab: Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit - all dies zählt laut Elterngeldgesetz nicht zum Einkommen der vergangenen zwölf Monate dazu.

Abgezogen werden außerdem alle leistungsabhängigen Boni sowie eine Werbungskostenpauschale von monatlich 76,67 Euro. Im Ergebnis kommt ein Wert heraus, der deutlich niedriger ist als das auf der Gehaltsabrechnung vermerkte Netto. Im Fachjargon heißt dies "bereinigtes Einkommen". Das Elterngeld entspricht dann 67 Prozent davon.

Abhängig von der persönlichen Einkommenssituation ergibt sich ein Elterngeld, das deutlich niedriger ist als erhofft. Hart trifft dies zum Beispiel Arbeitnehmer, deren Einkommen sich zu einem großen Teil aus leistungsabhängigen Komponenten zusammensetzt. Zu den Verlierern gehören aber auch Krankenschwestern, die häufig nachts und am Wochenende arbeiten.

Das Familienministerium dazu: "Es ist Sinn und Zweck des Elterngeldes, nur Einnahmen aus Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen."

"Das Elterngeld ist sozialabgabenfrei"

Diese Aussage stimmt nur für Pflichtversicherte. Wer dagegen freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse ist, muss weiterhin Beiträge zahlen. Das trifft vor allem auf Selbständige und Besserverdiener zu. Dabei geht es leicht um mehrere hundert Euro im Monat.

Erhoben werden die Beiträge nicht auf das Elterngeld - denn das muss pro forma beitragsfrei bleiben. Stattdessen legen die Krankenkassen ein fiktives Einkommen von 828,33 Euro zugrunde, unabhängig von der tatsächlichen Höhe des Elterngeldes. Bei einem Beitragssatz von 14 Prozent muss der freiwillig Versicherte also 116 Euro an die Kasse abführen - inklusive Arbeitgeberanteil, den man während der Elternzeit natürlich selbst zahlen muss.

"Freiwillige Mitglieder müssen grundsätzlich weiterhin Beiträge zahlen", erklärt das Familienministerium. "Das Bundeselterngeldgesetz trägt den Regelungen des Krankenversicherungsrechts Rechnung."

Dabei kann der Kassenbeitrag die genannten 116 Euro sogar noch übersteigen. Nämlich dann, wenn man zusätzlich zum Elterngeld weitere Einnahmen erzielt, zum Beispiel Mieten, Pachten oder Zinsen. Denn darauf erheben die Kassen ebenfalls Beiträge.

Richtig dicke kommt es jedoch, wenn der Ehegatte privat versichert ist. Denn dann zieht die Krankenkasse auch sein Einkommen heran, in der Regel zur Hälfte. Verdient der privat versicherte Vater beispielsweise 4000 Euro, muss die freiwillig versicherte Mutter bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse 2000 Euro melden. Bei einem Beitragssatz von 14 Prozent sind dann 280 Euro fällig.

Glück haben diejenigen, deren Ehegatte ebenfalls gesetzlich versichert ist. Denn in diesem Fall kann man eine Familienmitversicherung beantragen. Alleinstehende, Beamte und Partner von Privatversicherten haben diese Möglichkeit jedoch nicht.

Wer selbst privat versichert ist, muss seine Prämie während der Elternzeit ohnehin weiter zahlen.

"Das Elterngeld ist für alle gleich"

In der Theorie kann jede Mutter und jeder Vater Elterngeld beantragen - unabhängig vom Beruf. In der Praxis aber lohnt es sich fast nur für Beamte und Arbeitnehmer. Selbständige, Landwirte und Freiberufler haben in der Regel enorme Schwierigkeiten mit ihrem Elterngeldantrag.

Beispiel: Eine Architektin erledigt einen Auftrag im Wert von 10.000 Euro vor der Geburt ihres Kindes. Der Eingang des Geldes erfolgt erst nach der Geburt. "Die Betroffene ist gleich zweimal im Nachteil", erklärt Arno Metzler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Freier Berufe (BFB). Denn zum einen fehlen die 10.000 Euro, wenn es darum geht, die Höhe des Elterngeldes zu berechnen. Zum anderen werden die 10.000 Euro während der Elternzeit als Einnahme angerechnet - die Mutter bekommt also deutlich weniger Elterngeld.

Laut BFB sind bundesweit rund 300.000 Freiberufler in einem Alter, in dem man in der Regel Kinder bekommt. "Das sind alles potentiell Betroffene", sagt Metzler. Viele fühlten sich von der Elterngeld-Bürokratie abgeschreckt. "Sie stellen erst gar keinen Antrag", sagt Metzler. "Oder sie entscheiden sich gleich ganz gegen ein Kind."

Das heißt: Ganze Berufsgruppen sind vom Elterngeld praktisch ausgeschlossen. Zahnärzte, Handwerker, Rechtsanwälte: Die meisten von ihnen bleiben bei der Geburt eines Kindes im Job - und überlassen die Erziehung dem Partner.

Das Familienministerium weist den Vorwurf zurück. "Wollte man für jede einzelne Einkommensart eine spezielle Regelung finden, wäre das Gesetz kaum noch zu handhaben", teilt ein Sprecher mit. Im Übrigen komme es "auch bei abhängig Beschäftigten vor, dass aufgrund der Arbeitsverträge Lohnzahlungen in den Bezugszeitraum des Elterngeldes fallen".

Im vergangenen Jahr bekam gut die Hälfte der Mütter nur 300 Euro Elterngeld, also den Mindestsatz. Mit anderen Worten: Sie waren vorher gar nicht oder nur geringfügig beschäftigt. Vollzeitkräfte mit gutem Einkommen nehmen das Elterngeld dagegen kaum in Anspruch: Nur 1,8 Prozent erhalten den Maximalbetrag von 1800 Euro.

"Das Elterngeld hilft unbürokratisch"

Das Baby ist da - doch das Elterngeld lässt auf sich warten. Diese Erfahrung machen in Deutschland Tausende Mütter und Väter. Laut Familienministerium wird ein Elterngeldantrag vier bis sechs Wochen bearbeitet, bevor das erste Geld fließt. Bei komplizierten Fällen kann es aber auch deutlich länger dauern.

Und die Lage entspannt sich keineswegs: In Hamburg zum Beispiel stauen sich die Anträge laut Senat immer länger. Wartezeiten von zwei Monaten sind keine Seltenheit. Chaos herrscht auch in Nordrhein-Westfalen. Allein in Münster verzögerte sich die Auszahlung in Tausenden Fällen.

Das Familienministerium hat zwar eine Hotline eingerichtet, bei der sich verunsicherte Eltern melden können. Doch viele klagen über lange Wartezeiten. "Es ist nie ein Durchkommen", schimpft eine Mutter.

Viele Familien helfen sich deshalb selbst. In speziellen Internet-Foren tauschen sie Erfahrungen aus, diskutieren knifflige Detailfragen, geben sich gegenseitig Tipps. Allein auf der Seite www.elterngeld.net finden sich 18.000 Beiträge. "Für mich ist das Elterngeld noch immer ein Buch mit sieben Siegeln", schreibt Userin "Katja79".

"Happydad" beschwert sich, weil sein Elterngeldantrag nach drei Monaten immer noch nicht bearbeitet worden sei. "Das heißt im Klartext für meine Familie, dass wir uns einen Kredit nehmen können."

Großen Ärger erleben Väter und Mütter, wenn sie ihren Elterngeldantrag nachträglich ändern möchten, zum Beispiel weil sich eine neue berufliche Situation ergeben hat. Die Behörden lehnen dies generell ab - erlaubt sind Änderungen nur in Härtefällen wie Krankheit oder Tod. Immerhin wollen die Koalitionsfraktionen das Elterngeldgesetz in diesem Punkt korrigieren. Künftig soll man den Antrag auch ohne Angabe von Gründen ändern dürfen. Aber nur einmal.


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