Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Die Bibel, die Eckkneipe und der rote Faden


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34167 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!







Faszination Dalai Lama: Die Bibel, die Eckkneipe und der rote Faden





Jesus.de-


Von Silke Meier



25.05.2008


Äpfel vergleicht man nicht mit Birnen. Und Christentum und Buddhismus sind für die meisten Menschen zwei Paar Stiefel. Nicht so für Marco, den ich beim Besuch des Dalai Lama in Berlin kennenlerne: er entdeckt gleiche Wurzeln und erklärt auch warum.

Eine Eckkneipe in Berlin. Prenzlauer Allee. Ein Pärchen sitzt gemütlich an einem der Tische auf der Straße. Sie rührt in ihrem Cappuccino, er nippt an seinem Bier. Hinter den beiden steht eine große Tafel: “Aktion für Tibet: 19.05. - 16 Uhr Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor in Anwesenheit des Dalai Lama!”. Marco, der Kneipenbesitzer, hat mit Kreide auf die Tafel geschrieben. Er hat auch die Plakate zur Solidaritätskundgebung für Tibet aufgehängt und Flyer in seiner Kneipe ausgelegt. Aber das ist nicht alles. Hinter dem Tresen, bei den großen antiken Spiegeln, steht eine Kerze neben einer Marienfigur mit Kind. Marco zündet die Kerze an. “Weil wir gut hier angekommen sind”. Kerzen und gutes Licht bedeuten ihm viel. Das Kreuz und Jesus auch. Über den großen Kaffeetassen hängt eines. Weiter hinten ziert eine gerahmte Konfirmationsurkunde von 1922 die Wand. “Die habe ich auf dem Flohmarkt gesehen, dann wollte ich sie haben”, erzählt Marco. Und es macht den Eindruck, als habe er Ehrfurcht vor Gott, dem Glauben und dem Glauben anderer Leute.

Auf einen der Tische hatte er, wieder mit Kreide, “reserviert” geschrieben. Als wir uns hinsetzen, wischt er das ab. Er möchte erzählen und hat viel zu erzählen, das ist zu spüren. “Am Anfang war nichts,” sagt er und schaut mich an, ob ich das auch verstehe. Dann holt er weiter aus: das Elternhaus war atheistisch, es galten moralische Werte. “Das war ganz normal, weder Gott noch Religion spielte eine Rolle.” Das Christentum habe ihn beschäftigt, seitdem er anfing zu denken. Eine Frau in der Nachbarschaft hatte in einer ganz normalen Wohnung im Fenster christliche Sachen stehen. Das hat ihn angezogen und irgendwann, vielleicht mit 14 Jahren, kaufte er dort von seinem Taschengeld die erste Bibel. “Das ist mein Weg, der zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.” Zu DDR-Zeiten ging er heimlich in die Junge Gemeinde. Weihnachten empfand er schon damals als das Fest der Geburt Jesu, und daran hat sich bis heute nichts geändert: “Dass Jesus für uns gelebt und gewirkt hat und für uns gestorben ist, um das Leid auf sich zu nehmen - das halte ich für wahr”.

Marco schaut nach draußen auf die Straßen in der Stadt und berichtet von einer kleinen Kapelle im Harz. “Dieser Ort hat mich angezogen, darin habe ich mich wohl gefühlt.” Andere sind vielleicht in die Disco gegangen. Marco nicht, er saß lieber zu hause und hat gelesen. Er wollte wissen, was in der Bibel steht. “Wie jeder kleine Junge habe ich von vorne angefangen zu lesen. Das war natürlich nicht richtig.” So sieht er das heute. Die Bibel nimmt er heute immer noch zur Hand. Zwischendurch zeigt er mir die SMS, die er am Heiligabend spät nachts und früh am Ostermorgen an alle seine gespeicherten Einträge verschickt: ein Bibelvers aus Jesaja. “Ich erkläre den Leuten die Dreifaltigkeit”, sagt er, und als ich danach frage, kommt ein astreines Bekenntnis. Leidenschaftlich und mit leuchtenden Augen. Er hat sich mit der Theodizee beschäftigt und fragt mich, ob er mir das buchstabieren soll. “Wenn man sich diesen Fragen stellt, muss man sich unweigerlich mit den Antworten, die die Bibel gibt, auseinandersetzen.” Das tut er seit 20 Jahren und findet immer mehr Parallelen von der Bibel zur Literatur oder Weltgeschichte. “Du kannst doch nicht Goethes Faust lesen, ohne das Buch Hiob zu kennen. Das ist die Grundlage”. Außer Kneipenbesitzer ist Marco noch Bibliothekar.

Doch wie kommt man – in einem atheistischen Umfeld aufgewachsen- zu der Faszination für fernöstliche Religionen? Etwa sieben Jahre ist es her, dass sich das Kaleidoskop seines Glaubens um ein Vielfaches verändert hat. In einer Auseinandersetzung habe er den Begriff “Buddhismus” in einem ungerechten Vorwurf verwendet, erinnert sich Marco. “Mir hat das leid getan und ich konnte es nicht mehr rückgängig machen, dass ich von etwas geredet habe, wovon ich die Bedeutung nicht kannte.” Konsequenterweise ging Marco in eine Buchhandlung und kaufte sein erstes Buch über den Buddhismus. Dem folgten noch viele weitere, bis er nicht mehr über den Buddhismus lesen wollte, sondern buddhistische Schriften. Letztes Jahr in Hamburg kam es dann zur ersten Begegnung mit Dalai Lama. “Der Tag in Hamburg war bestimmt davon, in dem Stadion zu sein, den Belehrungen zu lauschen, rings um mich praktizierende Buddhisten zu haben und der permanenten Präsenz des Dalai Lama”. Ich frage nach, was sich für ihn bis heute, fast ein Jahr später, durch diese Zeit verändert hat. “Das ist viel!” und er zählt auf: “Vor diesem Wochenende habe ich Buddhismus aus menschlicher Perspektive betrachtet, dort aber gespürt, dass es um alle lebenden Wesen geht. Ich bin weicher und achtsamer geworden. Auch nichtmenschlichem Leben gegenüber.”

Wir bestellen noch ein Bier und ich erinnere an das Kreuz an der Wand. Den christlichen Glauben achtet Marco über alles, das betont er immer wieder. “Ich möchte das nicht missen, im Denken spielt für mich das Christentum immer eine große Rolle.” Nur halt ohne Absolutheitsanspruch. Buddhismus und Christsein sieht er wie Geschwister, die sich nicht bekämpfen sollen, sondern beide ihren Weg gehen. Für ihn gibt es mehrere Wege, das Leid der Welt und die Ursache für das Leid zu überwinden. “Jesus hat den Opfertod auf sich genommen, im Buddhismus ist das ein anderer Weg und es gibt noch mehr als diese beiden Pole”, sagt Marco und befindet sich dabei voll auf Harmoniekurs. Es ist spät geworden, aber Marco erlaubt sich noch eine Exkursion ins Judentum. Laut jüdischer Überlieferung gibt es in jeder Generation 12 Gerechte, die das Leid der Welt tragen. Ohne zu zögern erzählt er weiter: “Sie sind mitten unter uns, nehmen all das Leid der Welt auf ihre Schultern, um sie erträglicher zu machen.” Hier sieht er sich im Konflikt. “Es reicht nicht, dass ich Jesus Christus unglaublich verehre und auch glaube, dass er noch lebt und das getan hat, was geschrieben steht. Denn ich kann nicht davon ausgehen, dass das die einzige absolute Wahrheit ist.” Sein Respekt für die Gläubigen aus anderen Religionen ist echt. Diese Gedanken beschäftigen ihn schon lange. “Als ich mich mit den 12 Gerechten im Judentum im Kontext zu Christen beschäftigt habe, hatte ich vom Buddhismus noch keine Ahnung.”

Als die Kerze auf unserem Tisch nieder brennt, bringt die Bedienung eine neue. Sie brennt noch ein paar Zentimeter ab, bis ich mich verabschiede. Ich gehe hinaus auf die Straße und mir flattern alte vertraute Worte durch die Gedanken. Vom Weg, der Wahrheit und dem Leben. Unverändert stark. Über das Licht der Welt denke ich nach. Es hat viele Facetten, aber es gibt nur eine Quelle. Soweit waren wir uns sogar einig.
  • 0