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»Die Wahrheit wird uns alle frei machen«


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Rolf

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Unweit des Dalai Lama: »Die Wahrheit wird uns alle frei machen«





Von Silke Meier

23.05.2008


Ob ich mit der S1 oder der S7 gefahren bin, das weiß ich nicht mehr ganz genau. Mein Ziel war klar: ich wollte zum Brandenburger Tor. Den Dalai Lama sehen. Und erleben, wie das ist, wenn er gesehen wird.

Kurz vor 16 Uhr sind mehrere tausend Menschen vor dem Brandenburger Tor und es ist ruhig. Einige haben sich die Tibet-Fahne um die Schulter gebunden, andere tragen sie an Bambusrohren oder einfachen Holzlatten. Hin und wieder hat sich jemand ein Tuch mit der Aufschrift “Free Tibet” um die Stirn gebunden. Von Gegendemos ist so nah an der Bühne nichts zu spüren. Ein einsames Pappschild “Freiheit für alle. Auch für Chinesen” ragt zwischen den Fahnen hoch. Der Herr neben mir ist alltäglich gekleidet und mittleren Alters. Ich frage ihn, warum er hier her gekommen ist. Er sei Jahrgang 40, gibt er mir zur Antwort und “wir waren damals in einer ähnlichen Lage wie die Tibeter heute. Die Solidarität mit ihnen sollte man unterstützen.” Ich nicke. Die Lage damals habe ich nicht miterlebt, aber für Menschenrechtsverletzungen aktiv zu werden, das halte ich immer für sehr wichtig.

Vor mir ist ein Briefkasten, auf dem ich meinen Block und die Kamera legen will. Nun setzt sich Lorenz darauf, damit er besser sehen kann. Lorenz ist 9 Jahre alt und wartet gespannt auf den Dalai Lama. “Er ist ein toller Mann und hat viel Mut!” sagt er mir und ich sehe ihm nach, dass er mir den Blick verbaut. Neben ihm auf dem Briefkasten sitzt Lea. Sie ist 11 Jahre alt und hat sich einen der vielen Luftballons in rot, gelb oder blau geholt. Kärtchen mit einem Gruß an Tibet sollen später an den Ballons in den Himmel steigen. Lea hat darauf geschrieben “Ihr schafft das schon. Auch ohne Krieg!” und ein kleines Herzchen daneben gemalt.

Riesige Seifenblasen steigen vor dem Brandenburger Tor auf und immer mehr Menschen strömen auf den Platz vor der Bühne. Dort werden Grüße an diejenigen Politiker ausgerichtet, die nicht da sind - von denen, die da sind. Öffentlich wird bekundet, dass es wichtiger sei, die Solidarität vieler Menschen sichtbar zu machen, als eine Fahne auf dem Rathaus wehen zu haben. Vor dem Podium weht kein Lüftchen und es ist mucksmäuschen still, als Choying das Tara-Mantra singt. Die Anmoderation für den Dalai Lama übernimmt Dr. Franz Alt. Er kommt mit Fakten: 23mal habe er den Dalai Lama in den letzten Jahren getroffen, 15 Interviews geführt, das letzte gestern Abend. Für Berlin und Peking hält er ebenso eine kleine Statistik parat: 1936 war die Olympiade in Berlin, 2008 findet sie in Peking statt. Er wisse, dass man den Nationalsozialismus nicht mit der Regierung von Peking gleichsetzen könne, aber zu Menschenrechtsverletzungen dürfe auf der ganzen Welt nie wieder geschwiegen werden. Sein Aufruf gilt der Regierung Chinas, endlich Journalisten nach Tibet zu lassen: “Lasst die Journalisten frei berichten, damit wir endlich wissen, was los ist!” Dr. Franz Alt stellt offen die Frage, ob die Regierung Chinas Angst vor der Wahrheit habe. Und der einzige Moment, der mir während der Solidaritätskundgebung wirklich unter die Haut geht, ist fast ein Nachsatz: “Die Wahrheit wird uns alle frei machen.”

Es wird von mittlerweile 20.ooo Menschen auf dem Platz ausgegangen, als der Dalai Lama auf die Bühne kommt. Auf mich wirkt er fremd. Weiße Tücher, bunte Fahnen und rote Rosen werden geschwenkt. Es gibt lange Applaus und breit in der Masse wirkt es ruhig und sanft und friedlich. Ich nehme das wahr, aber ich kann es für mich nicht aufnehmen. Ich kann schwer damit umgehen, dass der Dalai Lama der Opfer und Hinterbliebenen gedenkt und um sie trauert und dabei lächelt und fröhlich ist. Er hebt den Zeigefinger und wirkt, als trägt er in sich eine heile Welt. Er steht für Gerechtigkeit. Lorenz auf dem Briefkasten wundert sich, dass diese Gerechtigkeit nicht eine pro-tibetische und anti-chinesische Haltung bedeutet, sondern alle moralischen Prinzipien einschließt. Das Prinzip der Gewaltlosigkeit klingt in mir noch lange nach und ich frage mich, wie glaubwürdig das im Detail sein kann.



Kurz vor 18 Uhr steigen dann die blauen, roten und gelben Luftballons mit den Grußkarten in den Himmel. Mit der Luftfahrtbehörde ist das abgesprochen. Luftballons sind friedlich. Aber wir wissen es alle: der Weltfriede ist kein Kindergeburtstag.
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