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Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache"


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Rolf

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Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache“




von Ulrich Wilckens


Der Übersetzung der Bibel „in gerechter Sprache“ liegt ein dreifaches Leitinteresse zugrunde: ein „geschlechtergerechtes“, ein Interesse des gegenwärtigen christlich-jüdischen Dialogs und ein Interesse an der Bedeutung der biblischen Texte für die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit 1.

Das folgende Gutachten betrifft weder sprachwissenschaftliche noch allgemein-hermeneutische Aspekte der Übersetzungskunst; auch nicht die tiefgreifenden Probleme, die diese Übersetzung für jedwede kirchliche Praxis in Gottesdienst, Unterricht und im Umgang einzelner Christen mit der Heiligen Schrift aufwirft, vor allem was ihre Verständlichkeit angeht. Es konzentriert sich vielmehr ganz darauf, welche Folgen für die Glaubenslehre der Kirche durch die konsequente Durchsetzung dieser drei Leitinteressen bei der Übersetzung des Neuen Testaments (ob bewusst oder unwissentlich) angerichtet worden sind: Diese Übersetzung beraubt das Neue Testament der Wahrheit der beiden Grundbekenntnisse aller christlichen Kirchen, die sie in ihrer Heiligen Schrift begründet wissen: Der Wahrheit der Gottessohnschaft Jesu Christi und damit der Wahrheit des Drei-einen Gottes.

Dies springt dem Leser der „Bibel in gerechter Sprache“ vor allem in der Übersetzung von Joh. 1,14 ins Gesicht: statt „Das Wort ward Fleisch“ ist hier zu lesen: „Die Weisheit wurde Materie“!
Statt der „großen Freude“ (Luk. 2,14) darüber, dass der lebendige Gott „in unser armes Fleisch und Blut“ eingegangen und uns in dem neugeborenen Menschenkind in der Krippe „der Heiland geboren ist“, durch den wir „leben nun und ewiglich“ (Martin Luther, EG 24,4), wird hier als Gegenbotschaft verkündet, dass der lebendige Gott tote Materie geworden sei 2.
1 Dieses dreifache Interesse wird sowohl im Vorwort des Vorsitzenden des „Beirats zur Förderung, Unterstützung und Begleitung des Projektes Bibel in gerechter Sprache“, des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Dr. h. c. Peter Steinacker herausgestellt (S.5) als auch in der Einleitung ausgeführt (S. 10 f.)

2 Wohlgemerkt: nicht in dem Sinne, dass Gottes „Wort“ die Schöpferkraft hat, aus toter Materie Leben entstehen zu lassen! Diese Botschaft von Joh. 1,3 gehört zwar wesentlich zum Glauben an Gott, sie wird aber in Joh. 1,14 durch das schöpferische Heilswunder der Menschwerdung des Schöpferwortes Gottes überboten. Dass jedoch in einem Gott, der Materie „geworden“ ist, ein „Glanz voller Gnade und Wahrheit“ zu sehen sein soll, wird jeder glaubende Christ als nichts anderes hören können als blanken Zynismus. Dieser liegt zwar sicherlich der Absicht der Übersetzerin fern, aber er entsteht durch ihren Willen, sich ‚modern’ auszudrücken. Ihre Kollegin dagegen hat die parallele Aussage in Tim. 3,16 textgemäß übersetzt: „Christos erschienen als Mensch von Fleisch und Blut“.

Wir sollen es nicht mit dem Weihnachtswunder zu tun haben, dass Gott Mensch geworden, dass dieses Menschenkind der einzig-geborene Sohn des einzig-einen Gottes selbst ist, sondern damit, dass Gottes Weisheit als Schöpferin und Ursprung allen Lebens Materie geworden sei. Der „Glanz“, der von ihr ausgeht (wie immer das auch vorzustellen sein mag) ist vielmehr lediglich wie der „eines einzig-geborenen Kindes von Mutter und Vater“. Wenn dieser textfremden 3 Übersetzung von Johannes 1,14 überhaupt ein Sinn abzugewinnen ist, dann der, dass Jesus ganz und gar nichts anderes sei als ein sterblicher Mensch unter sterblichen Menschen. Wieso er als solcher voller „Gnade und Wahrheit“ ist, ist ganz unerfindlich.
Sieht man nun näher zu, dann zeigt sich: Dass Jesus ein Mensch sei, der von Gott erwählt und gesandt worden ist, ist ein Aspekt, der in einem Großteil der „Bibel in gerechter Sprache“ zu finden ist. Vor allem das Interesse an einer „geschlechter-gerechten Sprache“ ist so konsequent zum primären Gebot des Übersetzens aller neutestamentlichen Texte 4 geworden, dass überall dort eine Rücksichtslosigkeit gegen-über deren eigenem Sinn in Kauf genommen ist. Vor allem geht es den Übersetzerinnen darum, bestimmte Wörter, Begriffe oder Namen, die Menschen auszuschließen oder gar zu kränken scheinen, die sich „bestimmten Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte“ (S. 9) zurechnen, durch andere neu gewählte Wörter, Begriffe und Namen zu ersetzen, die solche Assoziationen nicht auslösen. Zwar soll dabei der biblische „Ausgangs(!)

text“ (S.11.) keine sachlich-inhaltliche Veränderung erfahren. Aber das gelingt den Übersetzerinnen nicht nur an vielen Einzelstellen nicht – das ist auch in anderen Übersetzungen der Fall – vielmehr kann es dort nicht gelingen, wo die Eigeninteressen gegenüber dem Interesse der Texttreue dominieren sollen. Dieser Vorwurf ist gegen-über dieser Übersetzung als ganzer zu erheben. Der Text der neutestamentlichen Schriften ist eben nicht „Ausgangstext“ für das, was in einer „gerechten“ Bibel daraus gemacht wird, sondern er ist als Wortlaut Heiliger Schrift Grundtext für alle Christen aller Kirchen.

Dies gilt vor allem für die Rede vom Verhältnis zwischen Gott und Jesus Christus.
3 Meines Wissens gibt es nirgendwo in der altgriechischen Literatur einen Beleg dafür, dass das griechische Wort „Sarx“ (Fleisch) je in einem Sinn gebraucht worden ist, der mit dem griechischen Wort für Materie ( Hylä) verbunden wäre. Im Hebräischen gibt es bezeichnenderweise kein Wort mit dieser Bedeutung; und in der griechischen Bibel (LXX) steht das Wort Hylä nirgendwo als Bezeichnung von „Fleisch“. Im „Glossar“ der „Bibel in gerechter Sprache“ (S. 2335 f) findet sich überdies eine durchaus zutreffende Gegenüberstellung von biblischem und griechisch-hellenistischem Sprachgebrauch. Woher die Übersetzerin von Joh. 1,14 die Wiedergabe von „Sarx“ als „Materie“ hat, die sie auch in Joh. 3,6 und 6,63 bietet, ist wissenschaftlich unerfindlich.

4 Ich beschränke mich in diesem Gutachten auf das Neue Testament.

1. Gott als der Vater

Entscheidend im ganzen Neuen Testamen ist, dass der einzig-eine Gott der Vater Jesu Christi als seines einzig-einen Sohnes ist. Weil diese Rede ein ausschließlich maskulines Verständnis Gottes als eines rein männlichen Wesens assoziieren kann und dies dann auf das Verständnis Jesu und seines Verhältnisses zu Gott zurückschlägt, werden diese beiden theologisch und christologisch zentral wichtigen Wörter, sowohl „Vater“ wie auch „Sohn“, in der Übersetzung weithin gemieden und durch andere Bezeichnungen ersetzt. Daraus ergeben sich jedoch zwangsläufig inhaltliche Veränderungen: zunächst was die Rede von Gott als Vater betrifft.

Häufig ist von Gott als „Vater und Mutter“ die Rede 5.
Nirgendwo jedoch wird im Neuen Testament Gott als eine Mutter oder auch nur sein Handeln oder Verhalten als mütterlich bezeichnet. 6

Am häufigsten wird „Vater“ allgemein durch „Gott“ wiedergegebenen 7, hier und da auch abstrakt als „Ursprung“ umschrieben 8.

Sehr umständlich heißt es z. B. in Eph. 3,14: „Deshalb beuge ich meine Knie vor der schöpferischen Kraft, die jedes Volk im Himmel und auf Erden benannt hat.“ – statt: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater (pater), von dem jeder Volksstamm (patria) seinen Namen hat.“ Das feine Wortspiel im Urtext zwischen „Vater“ und „Vaterland“ wird so zerstört, nur weil „Vater“ nicht vorkommen darf. In 1. Petr. 1,17 wird in so weitschweifend-pathetischer Formelhaftigkeit von Gott als „dieser heiligen Macht“ geredet, dass man an „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ erinnert wird; vgl. ebenso auch Jak. 1,17. Im Urtext ist schlicht vom „Vater“ die Rede“.

5 Wenn Jesus im Urtext von „meinem Vater“ spricht, wird dies übersetzt durch „Gott, Vater und Mutter für mich“: Mt. 7,21; 10,32.33; 12,50; 15,13; 16,17; 18,10.17.19.35; 20,23; 25,34; 26,29.39.53; auch 2. Kor. 1,3 („für Jesus“). Vergleiche ferner allgemein Mt. 28,19: „Gott, der wie Vater und Mutter ist“; entsprechend 1. Kor. 15,24; 2. Kor. 6,18; Eph. 2,18; 4,6; Phil. 4,20; 1. Thess. 1,3; 3,11.13; 2. Thess. 2,16; 1. Petr. 1,17.

6 Als vereinzelte Ausnahme könnte höchstens das Bild von der Henne gelten, die ihre Küken unter ihren Flügeln birgt: Lk. 13,34 / Mt. 23,37; doch hier sprich Jesus nicht von Gott, sondern von seinen eigenen Bemühungen, Jerusalem zu gewinnen.
7 So etwa in Lk. 22,29; 23,46; 24,48; Apg. 22,29. Dagegen ist in Apg. 1,4.7; 2,33; 23,34 „Vater“ stehen geblieben. In den johanneischen Schriften wird „Vater“ überwiegend mit „Gott“ wiedergegeben, gerade auch dort, wo im Urtext Jesus von seinem Vater redet: Joh. 2,16; 6,32; 8,49; 10,15.17.27f.36f; 14,7.20-23; 15,1.8.10.23; 16,23f; 20,17; auch dort, wo im Urtext Jesus Gott als „Vater“ anredet: 11,41; 12,27f; 17,1.11.21.24f. „Mein Vater“ im Urtext von 5,43; 6,40; 8,54; 10,25 wird umschrieben durch „Gott, der mir Vater und Mutter ist“; vergleiche auch 1,14.18. „Mein Vater“ ohne solchen Zusatz steht nur dort, wo im Kontext jüdische Gesprächspartner darin Gotteslästerung hören: 5,17f.45; 6,32.40. Die absolute Bezeichnung „der Vater“ im Urtext wird durchweg durch „Gott“ ersetzt: 4,21; 5,22f.30.36-38.45; 6,27.45f.57; 8,27f.40.49; 10,29; 12,26.28; 14,12.16.21-23.26.28.31; 15,16.26; 16,3.15.26-28.32; 18,11; 20,17.21; 1. Joh. 1,2.3; 2,1.14-16.22-24; 3,1; 4,13f; 2. Joh. 4,9. in den Briefen steht „Gott“ für „der Vater“ in Röm. 15,6. „Unsere Mutter und unser Vater“ steht in Phil 2,11; Kol. 3,17; vgl. 1. Tim 1,2; 2. Tim. 1,2; Tit. 1,4: „Gottes fürsorgliche Autorität“.

8 Joh. 8,19; 10,18.32; Röm. 6,4; 8,14; 1. Kor. 8,6; 1. Thess. 1,1; Eph. 1,17; 6,23; Jak. 1,26; 3,9; Offb. 1,6; 2,28; 3,5.

Eine der wenigen Stellen, an denen das Wort „Vater“ in dieser „gerechten Übersetzung“ stehen geblieben ist, ist das gewichtige Offenbarungswort Jesu in Lk. 10,22: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater und niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater; und wer der Vater ist, weiß nur der Sohn, und wem der Sohn sich 9 offenbaren will.“ Diese Übersetzung entspricht, was „Vater“ und „Sohn“ betrifft, dem griechischen Urtext. Dafür kann man sehr dankbar sein, denn ganz anders dagegen wird die nahezu wörtlich gleich Parallele in Mt. 11,27 übersetzt: „Du hast mir alles mitgeteilt, niemand kennt mich als dein Kind so wie du, väterlich und mütterlich. Niemand kennt dich so väterlich und mütterlich wie ich als dein Kind, und wie alle Geschwister, die ich darüber aufkläre.“ Hier verschwindet nicht nur „der Vater“ dadurch, dass die Übersetzerin Jesus ihn als „Du“ anreden lässt. Vielmehr lässt sie Jesus zugleich als einen Menschen sprechen, der als „Gotteskind“ mit der mütterlichen und väterlichen Umgangsweise Gottes persönlich vertraut ist, und zwar im „Geschwisterkreis“ mit anderen Gotteskindern, die er über seine Gotteserfahrung lediglich aufklärt. An Jesus, der als der Sohn des Vaters seinen Jüngern dieses einzigartige Verhältnis wechselseitigen „Wissens“ zwischen Gott und ihm durch besondere Offenbarung mitteilt, ist ein menschlicher Lehrer geworden, der andere Menschen an seiner besonderen kindlichen Vertrautheit mit Gott teilhaben lässt, und sie darüber aufklärt, wie mütterlich und väterlich Gott doch mit seinen Kindern umgeht.

Mit der Vermeidung des biblischen „Vaternamens“ Gottes wird das Wesen des biblischen Gottes und seine fundamentale Bedeutung für alle Christen mutwillig verändert.
Dies liegt zwar sicherlich nicht in der Absicht der Übersetzerinnen, die vielmehr ‚nur’ in das die biblische Sprache beherrschende einseitig maskulin-zentrierte Gottesver-ständnis Züge der Gotteserfahrung von Frauen einbringen wollen. Sie treten damit jedoch, wohl unbemerkt, in die Falle ideologischer Blindheit für die Folgen ihres Tuns. Denn eben als der Vater Jesu Christi seines einzigen Sohnes, unseres Erlösers, lässt sich der biblische Gott weder durch männliche noch durch weibliche Hörinteressen von Menschen in der völligen Eigenheit seines Vaterseins bestimmen.
9 Im griechischen Urtext offenbart Jesus sich aber nicht selbst, sondern das vorstehend ausgeführte Verhältnis zwischen Vater und Sohn.

2. Jesus als der Sohn des Vaters

Damit ist der Übergang zum Jesusbild der „gerechten Bibelübersetzung“ gegeben. Denn Mt. 11,17 ist ein besonderes Beispiel dafür, wie nicht nur durch die Beseitigung des Vaterseins Gottes die Theo-logie zerstört wird, sondern ebenso grundstürzend durch die Beseitigung der Gottessohnschaft Jesu Christi auch die Christologie.
Vielfach ist von Jesus statt von Gottes Sohn von Gottes Kind die Rede 10. Damit soll ein besonderes Verhältnis Gottes zu Jesus nicht ausgeschlossen werden. Wenn jedoch die Gottesstimme Jesus nach seiner Taufe zuspricht: „Dies ist mein geliebtes Kind, ihm gehört meine Zuneigung“ (Mt. 3,17 = 17,5) oder: „Über dich freue ich mich“ (Mk. 1,11; 9,7; ähnlich Lk. 3,22 11), so verwandelt sich die Atmosphäre des feierlichen Zuspruchs Gottes aus dem geöffneten Himmel in die irdisch-familiäre einer Liebesbezeugung von Eltern zu ihrem Kind. Auch ist es ein anderes, ob die Versuchung des Teufels im Streitgespräch mit Jesus dem „Sohn Gottes“ gilt (Mt. 4,3.6) oder Gottes „Kind“, wie die Übersetzung die Szene verniedlicht. Das gilt erst recht für Joh. 1,14: Ein „Glanz“ auf dem Gesicht „wie dem eines (!) Kindes von Mutter und Vater“ soll hier von „uns“ zu sehen sein – man hört hier geradezu „Stille Nacht“.

Den gleichen Eindruck vermittelt die Übersetzung von Joh. 5,19: „Das Kind kann nichts von sich aus tun, wenn es nicht die Eltern etwas tun sieht. Was nämlich jene machen, das macht genauso auch das Kind.“ Aus einer Schlüsselaussage johanneischer Hochchristologie, die von der Übereinstimmung alles Tuns Jesu als „des Sohnes“ mit Gott, „dem Vater“, spricht, wird hier ein Bildwort von der Vorbildhaftigkeit von Eltern für ihre Kinder. Von daher wird dann freilich die folgende Aussage in Joh. 5,21 schlechterdings unverständlich: Wieso kann Jesus als ein „erwähltes Kind“ seiner göttlichen Eltern Tote lebendig machen, wie diese? Und wieso kann Gott sein Endgericht über alle Menschen einem „erwählten Kind“ übergeben (Joh. 5,22.)?

In den johanneischen Schriften wird „Sohn Gottes“ am häufigsten mit „der Erwählte Gottes“ übersetzt 12, wobei darauf hingewiesen wird, dass die Erwählung Gottes Kind gilt 13, nämlich Jesus als irdischem Menschen. An solchen Stellen wird die Wirklichkeit

10 So auch in der gewichtigen Überschrift des Markusevangeliums in MK. 1,2; vgl. Lk. 1,32.35; ferner z. B. Mt. 8,29 ist gleich Mk. 5,6; Lk, 8,38; Mk. 3.11 (gegen Lk. 4,41); Mt. 27,43.54; Mk, 15,39; Joh. 3,16.18; 5,19.21; 8,35f; 10,36; Gal. 1,16; 2,20; 4,4.6; Kol. 1,13.15.18; Hebr. 1,2; 3,6; 4,14; 1. Joh. 4,9; Offb. 2,18.
11 In Lukas 9,35 freilich ist der Wortlaut des Urtextes bewahrt: „Dieser ist mein Sohn, mein „Auserwählter.“
12 Joh. 1,49.51; 3,18; 5,25; 6,40; 11,4.27; 14,13; 17,1; 19,7; 20,31; 1. Joh. 1,3.7; 2,22-27; 3,8.17f.23.36; 4,9f.14.15.17; 5,9f.12f.20; 2. Joh. 3.
13 Vgl. z. B. Joh. 3,18; 1. Joh. 4,9.

des Mysteriums der Inkarnation zu einer menschlichen Familienidylle.
Im Matthäusevangelium ist allerdings an zwei wichtigen Stellen, in Mt. 14,33 und 16,16, „Sohn Gottes“ stehen geblieben 14, ebenso auch in Lk. 9,35; Apg. 9,20; 13,33. Vor allem aber ist dies in einigen Paulusbriefen der Fall 15; nur im Galater und Kolosserbrief ist „Sohn Gottes“ durch „Kind Gottes“ ersetzt 16. Ich kann in dieser Unstimmigkeit keinen Sinn erkennen und es nur für einen glücklichen Zufall halten, dass uns der für die Theologie des Neuen Testamentes so zentral wichtige Titel „Sohn Gottes“ wenigstens an vereinzelten Stellen in dieser „gerechten Bibelübersetzung“ überhaupt noch erhalten geblieben ist.

Als weiteres Beispiel für die Tendenz dieser „Übersetzung“, Jesus als einen bloßen Menschen erscheinen zu lassen, sind noch folgende Stellen zu benennen: Mt. 7,29: Jesus „lehrte das Volk wie ein Mensch, der Vollmacht hat, nicht so wie seine Gelehrten“. In Mt. 8,10 sagt Jesus: „Nicht einmal in Israel habe ich solches Vertrauen gefunden“ (ähnlich 9,28). Im Urtext aber steht: „solchen Glauben“! In Mt. 10,24 kann man lesen: „Jüngerinnen und Jünger können kein besseres Schicksal erwarten als ihr Lehrer.“ Der Urtext dagegen lautet: „Nicht ist ein Jünger über dem Lehrer noch auch ein Sklave über seinem Herrn“!

Zusammenfassend ist zu sagen: mit der weitgehenden Vermeidung des biblischen „Sohnes“prädikats wird Jesus Christus seiner völligen Einheit mit Gott und Gottes mit ihm beraubt, kraft derer er allein unser Erlöser ist und sein kann. Statt dessen erscheint er als vorbildlicher Mensch, der uns Menschen als seinen „Geschwistern“ die weiblichen Züge seiner Gotteserfahrung nahe bringen möchte, wozu ihm die Übersetzerinnen end-
lich zur Sprache zu kommen helfen wollen. Dass sie ihre Leserinnen und Leser damit einen anderen Jesus (2. Kor. 11,4) hören lassen als den Deus-Homo des Grund-bekenntnisses aller christlichen Kirchen, den Martin Luther uns in der Auslegung des 2. Glaubensartikels im Kleinen Katechismus in so eindrücklicher Sprache nahe bringt, - das haben sie möglicherweise über der Dominanz ihres „geschlechtergerechten Übersetzungsinteresses“ nicht einmal bemerkt.

14 Zu beachten ist jedoch, dass es in Mt. 26,63 der Hohepriester ist, der Jesus fragt, ob er Gottes Sohn sei, während Jesus selbst im Gegensatz dazu von sich als dem Menschen spricht, der in der endzeitlich Zukunft zur Rechten Gottes sitzen wird: „Du sagst es: Ich jedoch sage euch …“.
15 Röm. 1,3f.9; 5,10; 8,3.29.32; 1. Kor. 1,9; 15,28; 2. Kor. 1,19; Eph. 4,13; 1. Thess. 1,10; Hebr. 6,6; 7,3; 10,29.
16 Vgl. oben Anm. 10.

3. Jesus als „der Menschensohn“

Es ist eine Eigenart der Verkündigung Jesu, dass er vielmals von sich als „der Menschensohn“ spricht. Dabei steht die Vision des Propheten Daniel im Blick, in der Gott ihm die aufeinander folgenden Weltreiche der Menschheitsgeschichte in Gestalt von verschiedenen Tieren, dagegen das Reich Gottes am Ende der Geschichte in der Gestalt eines Menschen schauen lässt (Dan. 7,13). Von daher ist deutlich, dass Jesus, wenn er von „dem Menschensohn“ spricht, eine himmlische Gestalt an Gottes Seite meint, ob er nun deren zukünftiges „Kommen“ oder Handeln im Zusammenhang der Endereignisse ankündigt, oder ob er von sich selbst in seiner irdischen Gegenwart als von „dem Menschensohn“ spricht. Sprachlich ist immer von einer bestimmten Einzelgestalt die Rede: „dieser Mensch“. Menschen-sohn ist also nicht im genealogischen Sinne zu verstehen, als wäre der Menschensohn der leibliche Sohn eines Menschen, so dass sein irdisches Menschsein hervorgehoben würde, sondern es ist im Gegenteil von einer himmlischen Person in Menschengestalt die Rede.

Insofern haben die Übersetzerinnen der „Bibel in gerechter Sprache“ zunächst Recht, wenn sie „der Menschensohn“ mit „der Mensch“ übersetzen; und wenn sie an den Stellen, wo Jesus von dem endzeitlich-zuküftigen Handeln „des Menschensohnes“ spricht, diesen als „himmlischen Menschen“ charakterisieren. 17

Dort jedoch, wo Jesus von sich selbst in seiner irdischen Gegenwart als von „dem Menschensohn“ spricht – und das ist die Mehrheit der Stellen -, drückt er das besondere Geheimnis seiner Person aus: dass er in seinem Wirken und Geschick als der Mensch Jesus von Nazaret bereits jetzt und hier jene göttliche Gestalt der endzeitlichen Zukunft ist und als solcher in göttlicher Vollmacht handelt. An allen diesen Stellen jedoch ist in der „Bibel in gerechter Sprache“ von Menschen allgemein 18 oder von Jesus als „Mensch“ 19 die Rede; oder „Menschensohn“ wird einfach mit dem „Ich“ Jesu wiedergegeben 20. Im Johannesevangelium wird der Titel durchweg als „der erwählte Mensch“ übersetzt 21. Damit soll wohl zum Ausdruck kommen, dass Gott Jesus als sei-
17 So z. B. in Mt. 10,23; 13,37; 16,13.27.28; 19,28; 24,27; 26,64; Mk. 8,38; 13,26; 14,62; sowie in Lk. 12,8; 17,22; 18,8; 21,30.36.44.
18 Vgl. z. B. Mt. 9,6 / Mk. 2,10 / Lk. 5,24; Mt. 12,8 / Lk. 6,7; Mk. 10,45 / Mt. 20,28; Mk. 14,41 / Mt. 26,24 / Lk 22,22.
19 Vgl. z. B. Mt. 17,9.12; Mk. 10,45 / Mt. 20,28; Mk. 9,31 / Mt. 17,22f / Lk. 9,44.
20 Vgl. z. B. Mt. 12,32 / Lk. 12,10; Lk. 19,10; 22,48.
21 Joh. 1,51; 3,13f; 5,27; 6,27.53.62; 8,28; 9,35; 12,23.34; 13,31f.

nen Gesandten in besonderer Weise erwählt hat (vgl. Joh. 6,27).
All diese Aussagen gelten jedoch in dieser „Übersetzung“ von Jesus als einem Menschen, der sich zwar vor anderen Menschen in bestimmter Weise auszeichnet, dem jedoch selbst keinerlei Göttlichkeit eigen ist. Der Menschensohntitel dient so der Gesamttendenz dieser Übersetzung, in Jesus nur einen Menschen zu sehen. Die göttlich-himmlische Würde an der Seite Gottes, die im Urtext mit dem Titel durchweg assoziiert wird, ist in der „Bibel in gerechter Sprache“ ausgeblendet. 22
An einigen Stellen kommt das besonders krass zum Ausdruck. In Mk. 2,5 / Mt. 9,6 / Lk. 5,24 geht es im Urtext um die Vollmacht Jesu als des „Menschensohns“, Sünden zu vergeben. In der „gerechten Bibel“ wird daraus eine Vollmacht, die „Menschen“ haben. Eben damit bekommen aber die jüdischen Partner Recht gegen Jesus, wenn sie ihm Gotteslästerung vorwerfen, weil ja doch allein Gott Sünden vergeben kann (Mk. 2,7).

Gleiches gilt für Mt. 12,8, wo Jesus im Urtext für sich als den „Menschensohn“ die Vollmacht beansprucht, „Herr über den Sabbat“ zu sein. 23 Die Übersetzerinnen verändern dies, indem sie den Ausspruch Jesu auf alle Menschen verallgemeinern: „Die Menschen sind wichtiger als der Sabbat.“ Dies werden übrigens etwaige jüdische Leser der „Bibel in gerechter Sprache“ sicherlich mit Befremden hören.

Ferner ist es natürlich richtig, wenn die Übersetzerin in Lk. 19,10 Jesus sagen lässt: „Ich bin gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ging.“ Doch warum Jesus die Macht dazu hat, sagt im Urtext der Würdetitel „der Menschensohn“, der darum nicht durch einfaches „ich“ ersetzt werden darf. Und wenn Jesus in Lk. 22,48 seinen Verräter fragt: „Judas, mit einem Kuss lieferst du mich aus?“, dann verliert diese Frage ihr Gewicht; denn nach dem Urtext ist es „der Menschensohn“ den sein Jünger Judas den Bewaffneten ausliefert.

Extrem problematisch wird es, wenn die drei Leidensankündigungen in Mk. 8,31; 9,31; 10,33f (und Parallelen) nicht vom Geschick des „Menschensohnes“ sprechen, sondern von dem „des Menschen“. Im Urtext sind diese Aussagen Jesu deswegen so außer-ordentlich spannungsreich, weil es „der Menschensohn“ in seiner endzeitlichen Würde an Gottes Seite ist, den Gott diesem Todesleiden durch Menschengewalt anheim gibt.

22 Die einzige Ausnahme ist die Wiedergabe der Vision des sterbenden Stephanus in Apg. 7,56.
23 Nach dem Kontext Mt. 12,3-6 ist jedoch die christologische Auslegung von „Menschensohn“ in Vers 8 zwingend: was schon für David (Vers 3f) und für die Priester des Jerusalemer Tempels (Vers 5) gilt, das gilt umso mehr (Vers 6) für Jesus als „den Menschensohn“.

Die Übersetzung der „gerechten Bibel“ lässt Jesus dagegen als bloßen Menschen, als Märtyrer, leiden und sterben. In Mk. 9,12 heißt es sogar: „Was steht über den Menschen geschrieben? Dass er viel leiden muss…“: Aus der christologischen Aussage wird hier eine allgemein-menschliche Sentenz, aus Jesus „dem Menschensohn“ ein besonders krasses Beispiel eines Menschen, dem das Menschengeschick widerfährt, von Menschen Gewalt zu leiden.

Wieder ist zu sagen: Diese Verkehrung von Christologie in Anthropologie ist gewiss nicht als solche die Absicht der Übersetzerinnen. Aber sie ist der Preis dafür, dass sie auch hier lediglich das maskuline Wort „Sohn“ beseitigen wollen, das aber in dem festen Ausdruck „der Menschensohn“ in der hebräischen Sprachheimat des Urtextes nicht einmal geschlechtliche Bedeutung hat, sondern lediglich die besondere Einzelgestalt dieses „Menschen“ benennt.

4. Gott und Jesus Christus als der Herr

Die Einheit und Gemeinschaft zwischen Jesus und Gott wird im Neuen Testament im Gebrauch des Wortes „Herr“ (Kyrios) besonders augenfällig. Im griechischsprachigen Judentum der damaligen Zeit gibt „Kyrios“ den Namen Gottes wieder, in dem in der Bibel Gott sich selbst offenbart: „Ich bin da“, was zugleich heißt: „Ich werde immer da sein“ (Ex. 3.14). So lässt sich dieser Name, der in der hebräischen Sprache einzigartig ist: „Jahwe“, am angemessensten übersetzen. Die griechische Bibel übersetzt dies im Geist griechischer Philosophie als „der, der ist“. Gemeint ist aber auch hier das konkrete „Dasein“ des Gottes Israels in seinem Handeln an seinem Volk und für sein Volk. Daher interpretiert Gott selbst in der Einleitung zu den Zehn Geboten (Ex. 20,2) seinen Namen durch sein Rettungshandeln in der Herausführung Israels aus der Sklaverei in Ägypten und verallgemeinert dies hernach (Ex. 34,6f) in äußerster Verdichtung: „Jahwe“ ist er selbst, indem er „barmherzig und gnädig“ an seinen Erwählten handelt, seinen „Zorn“ gegen sie (wenn sie ihm die Treue brechen) zurückhält, und in der grenzenlosen Fülle seiner „Liebe“ grenzenlos „treu“ ist. So ist er ein Gott, der wohl alles Zuwiderhandeln gegen ihn als Bruch seines Bundes mit seinem Volk ernst nimmt und es daher ahndet, sehr viel mehr aber Sündern vergibt, die sich zu ihm bekehren. Weil dies das einzigar-tige Geheimnis seines heiligen Wesens ist, hat Israel dieses später dadurch zu schützen gesucht, dass Gottes Name nicht selbst ausgesprochen werden durfte, sondern mit „Adonaj“ (Herr) oder ähnlichen Worten umschrieben werden musste. 24 Wenn Juden dafür das griechische Wort „Kyrios“ benutzten, so war ihnen natürlich aus der Bibel bekannt und vertraut, welche Inhalte im Sinn von Ex. 34,6 sich damit verbinden und wie der Name ihres Gottes am angemessensten im Lobpreis seiner wunderbaren Rettungs- und Heilstaten zu ehren ist.

Dies muss hier in aller Kürze vorweggeschickt werden, damit zu verstehen ist, welch zentrale Bedeutung es hat, dass die ersten Christen als gute Juden von Gott als „Kyrios“ gesprochen haben wie alle Juden sonst auch, dass sie aber zugleich als Christen, die an Jesus als den Messias und Sohn Gottes glaubten, auch von diesem als dem Kyrios oder „unserem Herrn“ reden. Das Glaubensbekenntnis, das jeder Getaufte nach dem Taufakt vor der Gemeinde aussprach, lautete: „Herr ist Jesus“ (Röm. 10,9). Diese einzigartige Würde, Gottes eigenen Namen zu tragen, kommt Jesus dadurch zu, das Gott selbst ihn, den für uns Gekreuzigten, aus dem Tod auferweckt hat (vgl. 1. Kor. 15,3-5). Mit diesem Bekenntnis fällt so auch die ganze Gottesdienstgemeinde in Ehrfurcht und Dank vor ihm nieder: „Herr ist Jesus Christus zur Ehre Gottes des Vaters“ (Phil. 2,11).

Für die Übersetzerinnen der „Bibel in gerechter Sprache“ jedoch ist dieses zentrale Bekenntniswort, das sich im Neuen Testament in großer Fülle findet, ein besonderes ‚Sprachgreuel’, weil nach ihrer Meinung moderne Frauen, die endlich eine jahrhundertelange Sklaverei unter Männerherrschaft losgeworden sind, so auch nicht mehr in der Bibel von Gott und Jesus als von „Herren“ hören wollten.

Doch diese Entscheidung, zusammen mit „Vater“ und „Sohn“ und „Menschensohn“ besonders auch „Herr“ aus dem Text der neuen „Übersetzung“ auszumerzen, hat zwangsläufig tiefgreifende inhaltliche Folgen für den wahren biblischen Glauben an Gott und an Jesus Christus. Das ist aufgrund des eben Ausgeführten zu verstehen: Ist doch die Herrschaft des biblischen Gottes ganz und gar anderer Art als jede Herrschaft von Menschen über Menschen: als die Herrschaft seiner rettenden, heilschaffenden Liebe; und dass diese Liebe allmächtig ist und über alle Menschen herrscht, daran hängt unser aller Heil!
Nach genauer Durchsicht aller Stellen, an denen „Kyrios“ vorkommt, ergibt sich das folgende Gesamtbild:

24 Das hängt jedoch mit dem Bilderverbot in Ex. 20,4 überhaupt nicht zusammen, wie es in der Einleitung (S. 17) vermutet wird. Denn dort geht es nicht darum, dass Gott in keinerlei bildlicher Gestalt abgebildet und so „verfügbar“ gemacht werden dürfe, sondern um das Verbot der Anbetung von Kultbildern der Israel umgebenden Völker und darum erst recht um das Verbot, Gott selbst in solchen Kultbildern fremder Gottheiten zu verehren.

4.1. In allen alttestamentlichen Zitaten wird „Kyrios“ als Umschreibung des Gottesnamens oft mit „Adonaj“ 25 wiedergegeben. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, obwohl nicht alle heidenchristlichen Adressaten mit jüdischer Tradition so vertraut gewesen sein dürften, dass sie bei jeder Nennung des ihnen vertrauten „Kyrios“ das zugrunde liegende hebräische Wort Adonaj mitgehört haben.

Dies gilt noch vielmehr dort, wo im Text der neutestamentlichen Schriften selbst „Kyrios“ steht. 26
Zweifellos ist auch hier an vielen Stellen Gott gemeint. Aber es ist die Eigenart urchristlicher Rede vom „Kyrios“ dass sehr oft auch der auferstandene, erhöhte Jesus Christus im Blick steht. An manchen Stellen lässt sich nicht eindeutig erkennen, ob von Gott oder von Christus die Rede ist. Solches Oszillieren der Sprache hat inhaltlich-theologischen Grund: „Herr ist Jesus“, weil Gott sich in seiner Auferweckung vollauf mit ihm identifiziert hat ( siehe oben Röm. 10,9f). Diese entscheidende Einheit von Theo-logie und Christologie wird in der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“, dadurch aufgehoben, das „Kyrios“ nicht nur zumeist durch andere Worte oder Ausdrücke ersetzt wird, sondern zugleich auch die Tendenz herrscht, christologisch gemeintes „Kyrios“ zur Rede von Gott zu machen.

4.2. Damit verbindet sich jedoch noch dazu die Absicht, im Alten wie im Neuen Testament von Gott als einem zugleich männlichen und weiblichen Wesen zu sprechen. Bei der Übersetzung des maskulinen Wortes Kyrios werden im Neuen Testament besonders häufig feminine Ersatzworte gewählt: „Die Ewige“ oder „Die Lebendige“, und zwar sowohl in alttestamentlichen Zitaten 27 wie auch sonst 28. Das geschieht in philologischer Willkür – an keiner einzigen dieser Stellen gibt es auch nur ein sprachliches Anzeichen dafür, die Rede von Gott dem „Herrn“ sei weiblich zu verstehen.
25 So besonders im Matthäusevangelium: 1,20.22.24; 2,13.15.19; 4,7.10; 21,42; 22,37.44; auch in Apg. 2,21.25.34.39; 3,22; 4,26.29; 7,49; 15,16.18.
26 So besonders in der Apostelgeschichte vgl. 1,24; 3,20; 5,9.19; 7,31.33; 8,26.39; 9,31; 11,21; 12,7.11.23; 13,10.48f; 15,40.
27 Vgl. z. B. Lk. 4,18f; Röm. 4,8; 9,28f; 11,3.34; 12,19; 14,11; 15,11; 1. Kor. 1,31; 14,21; 2. Kor. 3,16; 6,17f; Hebr. 1,10; 7,21; 8,8f.11; 10,30; 12,5f; 13,6. – in 2. Tim. 2,19; 1. Petr. 1,24; 2,3; 3,12 wird dagegen Kyrios mit „Gott“ übersetzt.
28 Im Lukasevangelium steht durchweg „Die Lebendige“: 1,6.8.11.15f.17.25.28.32.45.
46.58.66.68.76; 2,9.11.15.23f.39; 3,13; 4,8.12; 19,38; ebenso in Röm. 10,12f.16.18; 12,11; 14,6. Im 1. Korintherbrief herrscht „Die Ewige“ vor: 4,4f; 7,17.22.25.32.34f.39; 9,14; 10,9.21.26; 12,5; 16,7.10.21; 2. Kor. 3,3; auch Hebr. 12,14; „Der Ewige“ in 2. Kor. 2,12; 3,16.17f; 5,11; 8,5.19.21; 10,8.17f; 11,17; 12,1.8; 13,10; „Gott“ in Eph. 4,17; 5,10.17.19; Kol. 1,10; 3,22.24; 1. Thess. 5,2; 2. 2. Thess. 1,9; 2,13; 3,3.5.16; 1. Tim. 6,15; 2. Tim. 1,16; 2,7.19.22.24; 3,11; 4,18.22; Jak. 1,7; 3,9; 4,10.15; 5,4.10f.14f; 2. Petr. 2,9.11; 3,8f.10.15. In der Johannesoffenbarung wird Kyrios umschrieben als “Gott, die Macht (die alles beherrscht)”: 1,8; 4,8.11; 11,4.15; 15,4; 16,7; 18,8; 19,6; 21,22; 22,5f.

Zwar scheuen sich die Übersetzerinnen davor, aus dem „Herrn“ eine „Herrin“ (Kyria) zu machen. Aber wenn Maria im Magnificat durchweg von Gottes rettendem Handeln an ihr (Lk. 1,47-49) und besonders an den Machthabern der Welt (1,50-53) als von „der Göttlichen Macht“ singt, „deren Name heilig ist“, dann klingt dies fatal nach einem „Jubel“ über weibliche Macht im Himmel, mit der sich Maria als Frau auf Erden – statt als der Mutter des Sohnes Gottes (1,35) 29 - identifizierte. Immerhin, anstatt von: „Er hat mir Großes getan, der Mächtige, heilig ist sein Name“ (so der Urtext von 1,49), heißt es jetzt: „Großes hat die göttliche Macht an mir getan und heilig ist ihr Name.“ Entsprechend hat die Übersetzerin in 1. Kor. 1,31 das Zitat aus Jer. 9,22f so übersetzt: „Wer groß sein will, preise die Größe der Ewigen“. Im Urtext aber steht: „Wer sich rühmt, rühme sich des Herrn.“ Der Kontext zeigt deutlich, dass Paulus mit dem Kyrios, von dem der Prophet als von Gott spricht, in völliger Selbstverständlichkeit den Herrn Jesus Christus meint, „in dem“ wir nach 1,30 von Gott her Christen sind.

Wenn jedoch Gott Kyrios ist als „die Ewige“, ist für Christus als Kyrios kein Platz. Als der Messias „verkörpert“ er nur die Macht und Weisheit „der Ewigen“ (1,24 – im Urtext ist Christus „Gottes Macht und Gottes Weisheit“); und so sind „wir“ nach 1,30 lediglich „durch Gott… mit dem Messias Jesus verbunden“, statt „in ihm“ zu leben. Wie alle Juden den Messias als einen Menschen mit besonderem göttlichen Auftrag erwarten, so ist nach dieser Übersetzung auch Jesus als Messias ein Mensch, dem es „von Gott“ gegeben ist, uns seine „Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Befreiung“ in seiner Person nahe zu bringen. Paulus jedoch schreibt: Durch seinen Kreuzestod (2,2) hat Christus in der Taufe unsere ganze Existenz verändert: Aus den Toren, die wir waren, hat er uns zu Weisen gemacht, aus Ungerechten zu Gerechten, aus Unheiligen zu Heiligen. Entsprechend wird auch 2. Korinther 5,21 so übersetzt, dass Gott Jesus zu einem sündigen Menschen gemacht habe, statt stellvertretend für uns zu unserer Sünde.

Gleiches gilt auch z. B. für Röm. 10,11, wo Paulus das Zitat von Jes. 28,16 zweifellos auf Gott und Christus zugleich bezogen verstanden wissen will: „Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“ Daraus macht die Übersetzerin eine allgemeine anthropologische Sentenz. „Wer auf Gott vertraut, wird nicht scheitern“! Und im folgen-den lässt sie Paulus von Gott als „der Lebendigen“ reden (10,12f.16) und löst damit die
29 In Röm. 14,1.11 ist sogar durchweg von „der Lebendigen“ die Rede, während des Paulus’ Text mit dem Kyrios Christus gemeint ist. Hier wird Christus also schlichtweg durch den weiblichen Gott ersetzt.

Einheit von Gott und Christus im Heilsgeschehen der Rechtfertigung schlichtweg auf. Ganz schlimm wirkt sich das auf das „Mahl des Herrn“ (1. Kor. 11,20) aus, das hier zum „Mahl der Gemeinschaft derer, die zu Christus gehören“, wird und seinen Sinn als Gemeinschaft mit dem in diesem Mahl gegenwärtigen Christus als dem für uns gestorbenen und auferweckten Herrn verliert.

Zuvor wird in 1. Kor. 10,21 parallel vom „Kelch Christi“ und vom „Tisch der Ewigen“ gesprochen (so auch in 10,22.26), wohingegen Paulus vom „Kelch des Herrn“ und vom „Tisch des Herrn“ spricht und (nach 10,16) beidemal Christus als den Sohn Gottes meint. Die Einsetzungsworte in 1. Kor. 11,24f werden dann so verändert, dass es sich in der Brothandlung um einen symbolischen Akt handelt („so ist mein Leib für euch“), während in der Kelchhandlung „der neue Bund durch mein Blut mit diesem Becher da ist“. Realpräsenz eignet hier also nicht Christus selbst, sondern Gottes Bund. 30

In dem wichtigen Basissatz zur Charismenlehre in 1. Korinther 12, 4 – 6 wird gar Kyrios in Vers 5 zu einem Gottesprädikat verändert („die Ewige“). Damit wird die wohlbedachte trinitarische Struktur dieser drei parallelen Sätze mutwillig zerstört: Die Charismen als Wirkungen „der Geistkraft“ sollen eben ganz und gar auf „die Ewige“ als der alleinigen Geberin zurückgeführt werden. Darum wird Jesus hier eliminiert, in dem statt von ihm als dem Kyrios, von Gott als „der Ewigen“ gesprochen wird.

Die gleiche Tendenz zeigt sich auch bei der Übersetzung von 2. Korinther 3,16 – 18. Im Voranstehenden geht es um eine sehr eigenartige Auslegung des Berichts in Exodus 34, 29 – 35. Dort ist von einer Decke die Rede, die Mose, von der Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai zum Volk herabkommend, über sein von Gottes Herrlichkeit wiederstrahlendes Gesicht legen musste, weil die Lichtfülle die Augen des Volks blendete. Paulus deutet dies aus auf die Unfähigkeit des gegenwärtigen Israels, in der Verlesung der Tora als des „alten Bundes“ die darin verbundene Wahrheit Jesus Christi zu hören. Nur wer sich – wie Mose – „dem Herrn zuwendet“, nämlich sich zum Glauben an Jesus Christus als dem Herrn bekehrt, wird von der Decke über der Tora frei und kann das strahlende Licht der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Christi (4,6) schauen und sich in sie hinein „verwandeln lassen“. In diesem Sinn fasst Paulus seine Auslegung jenes alttestamentlichen Berichts zu dem berühmten Grundsatz christlicher Schriftauslegung und zugleich christlicher Freiheit zusammen: „Der Herr ist der Geist;
30 In der Parallelstelle Luk. 22,19 wird das „ist“ zwar in beiden Mahlworten präzise übersetzt; doch statt vom „Leib“ Jesu ist verallgemeinernd von seinem „Leben“ die Rede.

wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit“. Die Übersetzerin dagegen bezieht zwar richtig den Kyrios auf den Kyrios des voranstehenden alttestamentlichen Zitats in Vers 16, macht jedoch dessen paulinische Auslegung auf Christus nicht mit und bezieht Kyrios in beiden Sätzen auf Gott als „den Ewigen“. So verändert sich der christologische Sinn von Vers 17 in einen rein theo-logischen: „Der Ewige ist Geistkraft, und wo die Geistkraft des Ewigen ist, da ist Freiheit.“ Entsprechend dann auch Vers 18: „Wir alle spiegeln mit unverdecktem Angesicht das Strahlen der Gegenwart Gottes wider (Urtext: „die Herrlichkeit des Kyrios“) und wir werde in dasselbe Ebenbild verwandelt von einem Aufleuchten zum anderen, wie es von der Geistkraft des Ewigen kommt (Urtext: „wie von dem Kyrios-Geist“).“ Dass nach 4,4 Christus das „Ebenbild Gottes“ (von Genesis 1,26f) ist, wie die Übersetzerin dort richtig wiedergibt, hat sie in dem unmittelbar voranstehenden Satz 3,18 entweder nicht bemerkt oder sie wollte diesen christologischen Bezug von Kyrios dort noch nicht bestimmend sein lassen. So oder so – mit der christologisch begründeten „Freiheit“ in der Auslegung des Alten Testaments ist es hier aus. 31

5. Jesus Christus als unser Herr

Das Taufbekenntnis zu Jesus als dem Herrn, das Paulus in Röm. 10,9 anführt, wird dort und an vielen anderen Stellen in der „Bibel in gerechter Sprache“ oft einseitig allein unter dem Aspekt der Zugehörigkeit der Christen zu Christus umschrieben: Der Kyrios erscheint so nur als „Der, dem wir gehören“. 32 Der ‚Herzton’ dieses urchristlichen Bekenntnisses zu Jesus als dem Kyrios liegt jedoch darin, dass der auferstandene und zu Gott erhöhte Jesus Christus Gottes Herrschaft über uns in seiner Person inne hat und sie uns zum Heil ausübt 33. Nur wenn dies zuerst und grundlegend bekannt wird, ist es dann auch notwendig hinzuzufügen, dass wir seine Herrschaft über uns anerkennen
31 Das gilt jedoch nicht für die Übersetzung der gleichartigen christlichen Auslegung der alttestamentlichen Geschichte von Sara und Hagar in Gen. 16, 1 – 16 in Gal. 4,21-31, wo es ebenfalls um die christliche Freiheit geht.

32 So im Eingangsgruß der meisten Briefüberschriften: Röm. 1,4; 2. Kor. 1,2; Eph. 1,2; Phil. 1,2; Kol. 1,2; 1. Thess. 1,1; 2. Thess. 1,1; Phil. 3; (1. Tim. 1,2; 2. Tim. 1,2); 2. Petr. 1,2; sowie im Schlussgruß: Röm. 16,20; Eph. 6,23; Phil. 4,23; 1. Thess. 5,28; 2. Thess. 3,18; Phil. 25. Ferner vgl. Röm. 4,24; 5,1.11.21; 7,25; 10,9; 13,14; 15,6.30; 16,18; 1. Kor. 12,3; 2. Kor. 1,14; 5,14; Eph. 1,17; (Phil. 3,8.20); 1. Thess. 1,3; 2,15.19; 3,11; 5,9.23; 2. Thess. 1,8; 2,14-16; Phil. 5; 1. Petr. 3,15; 2. Petr. 1,8; (Jud. 4).

33 In diesem Sinn wird allerdings mehrfach “Kyrios” auch umschrieben; vgl. z. B. Gal. 6,14 („der über unser Leben gebietet“); 6,18 („dem wir allein unterstellt sind“); 2. Petr. 1,14 („der über uns verfügt“); 1. Thess. 4,2 („der uns leitet“); 1. Tim 1,12; 6,14 („unter dessen Weisung und Schutz wir stehen“); 2. Petr. 1,19; 3,18 („der für uns da ist“, „für uns sorgt“). Im ersten Korintherbrief wird „unser Herr“ durchweg als „unser Befreier“ wiedergegeben: 1. Kor. 1,2.3.7-9; 5,4; 8,6; 9,1; 11,23; 15,57; 16,23; vgl. auch Hebr. 13,20 (Kyrios = „unser Messias“); 2. Petr. 2,20 („der sie gekauft hat“). In der Übersetzung des Jakobusbriefs wird „Kyrios“ schlicht ausgelassen (Jak. 1,1; 5,7).

und uns als seine Jünger erweisen sollen, die ihm mit der gleichen Ganzheit, Entschiedenheit und Treue als ihrem Herrn zugehören wollen, mit der es nach dem jüdischen und christlichen Grundgebot von Dtn. 6,4f gilt, Gott zu lieben und ihm allein zu dienen. 34

In der großen Mehrheit der Stellen, an denen im Urtext von Jesus Christus als unserem Herrn die Rede ist, zeigt sich in der „Bibel in gerechter Sprache“ also eine deutliche Tendenz, das Moment der Herrschaft Christi über uns als dessen, der Gottes Kyrios-Namen trägt, zurücktreten zu lassen oder ganz auszublenden zugunsten unserer Zuge-hörigkeit zu ihm als dem Messias, dessen jüdisches Verständnis als eines Menschen zwar nirgendwo direkt ausgesprochen, aber doch überall vorausgesetzt wird. 35

Umso mehr gilt es, den wenigen Übersetzerinnen mit Lob und Dank „gerecht zu werden“, die entgegen jener vorherrschenden Tendenz ihrer Kolleginnen den Mut gehabt haben, Kyrios mit „Herr“ zu übersetzen. Voran ist hier Phil. 2,11 zu nennen: „… damit im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen … und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist“. 36 Zu Vers 10ff wird der Leser überdies ausdrücklich darüber informiert, dass es sich bei dem Kyrios-Namen als dem Namen, „der über jedem Namen erhaben ist“, um den Namen des einzig-einen Gottes handelt. 37 Das Gleiche ist der Fall in 2. Kor. 4,5 und an einigen anderen Stellen. 38

Aufs Ganze gesehen aber haben diese wenigen Aus-nahmefälle tatsächlich „gerechter“ Übersetzung leider nicht das Gewicht, gegenüber dem breiten Strom durchaus „nicht gerechter“, schlicht falscher Übersetzung, den Lesern den richtigen Sinn dieses zentralen christologischen Prädikats zu vermitteln und sie wach zu machen für die Erkenntnis, welche tiefe Häresie diese Bibelübersetzung als Ganze durchzieht.

34 Entsprechend wird der Schlussgruß in Eph. 6,24 zutreffend übersetzt: „Gnade sei mit allen, die unseren Herrn Jesus Christus unvergänglich lieben.“
35 Dies wird verstärkt durch die Übersetzung der Anrede Jesu als „Herr!“ (Kyrie). Diese wird zwar im Lukasevangelium textgemäß mit „Herr“ übersetzt (Lk. 5,8; 7,6; 9,54.61; 10,17; 12,41; 13,23; 17,37; 18,41; 19,8; 22,33;); in Mt. 8,21; 16,22; Lk. 7,28 mit „mein Lehrer“ und entsprechend im Johannesevangelium durchweg jüdisch mit „Rabbi“ (Joh. 4,11ff.49; 5,7; 6,24.68; 11,3ff; 13,6.9.25.36f; 14,5.8.22; 21,20). An einigen Stellen wird aus der Anrede „Herr“ eine Vertrauensbekundung zu Jesus: Mt. 7,21; 8,2.6; 9,28; Lk. 6,46. Oder „Kyrie“ wird durch „Jesus!“ ersetzt: Mt. 8,27; 14,28; 15,22.25; 17,4.30; 26,22; in 15,27 wird „Kyrie“ ganz weggelassen. Durchweg also wird der göttliche „Herr“ zu einem menschlichen Lehrer, besonders deutlich in Mt. 7,21/Lk. 6,46.
36 Es folgt hier freilich gegen den Urtext: „zur Ehre Gottes, unserer Mutter und unseres Vaters“.
37 So in Anm. 749 S. 2322.
38 Apg. 10,36; Röm. 14,4; 2. Kor. 11,31; 13.13; Eph. 3,24; 6,24; Jud. 21.
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Rolf

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Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache“





6. Glauben als „Vertrauen“

Dieses Ergebnis im Blick auf die christologischen Titel im Neuen Testament wird dadurch bestätigt, dass in der „Bibel in gerechter Sprache“ der Glaube an Gott und an Jesus oft als „Vertrauen zu Gott und zu Jesus“ übersetzt wird.
In den Evangelien freilich ist dies nur im Matthäus und im Markusevangelium der Fall 39. Im Lukas- und durchweg auch im Johannesevangelium 40 werden sowohl das Verb „glauben“ wie auch das Substantiv „Glaube“ korrekt übersetzt 41. Besonders ärgerlich allerdings ist die Übersetzung der zentralen Verkündigung Jesu in Mk. 1,15: „Kehrt zum Leben 42 um, und vertraut dem Evangelium.“ Das Evangelium ist aber im ganzen Neuen Testament Inhalt der Verkündigung und darum des Glaubens. 43

Vertrauen ist zwar ein Element des Glaubens, dieser ist aber vor allem durch die Autorität und Macht Gottes bestimmt, die Jesus Christus als dem einen Sohn des einen Gottes eignet. Er erweckt den Glauben an Gott, dessen Heilshandeln Er vollzieht, daher gilt ihm auch der Glaube, der zugleich Gott gegenüber gilt. Vertrauen kann man ebenso Gott wie auch Menschen – Glaube richtet sich allein an Gott und an Jesus Christus! Einen Glauben an Menschen gibt es im Neuen Testament nirgendwo und kann es nicht geben. Darum ist auch im Judentum der Glaube dem einen Gott vorbehalten; dem erwarteten Messias als einem Menschen werden die Auserwählten in der Zukunft der Endzeit zwar mit Freuden zuströmen, und unter ihm den letzten Kampf durchfechten bis zum Sieg – aber an ihn zu glauben, wie man an Gott glaubt, ist für Juden undenkbar.

Ist, was die Übersetzung als „Glauben“ oder „Vertrauen“ betrifft das Verhältnis zwischen den Evangelien in etwa ausgeglichen, so überwiegt in den Briefen des Neuen Testaments „Vertrauen“ als Übersetzungswort für „Glauben“ deutlich. Das ist ausgerechnet im Galater- und Römerbrief als den zentralen Zeugnissen der Rechtfertigungslehre des Paulus der Fall. Dessen Hauptthese in Röm. 3,28 lautet in der „gerechten“ Übersetzung so: „Nach reiflicher Überlegung (!) kommen wir zu dem Schluss (Urtext: „denn wir urteilen“), dass Menschen aufgrund von Vertrauen (Urtext:
39 Ausnahmsweise findet sich das Wort „Glauben“ in Mt. 8,13; 24,23, sowie in Mk. 13,21.
40 Das ist angesichts des sehr zahlreichen Vorkommens besonders beachtenswert.
41 Einzige Ausnahmen: Lk. 1,20; 8,50; 24,25.
42 Im Urtext gilt die Umkehr natürlich Gott!
43 Nach Röm. 10,16 ist dem Evangelium zu gehorchen; vgl. auch Röm. 15,18f; 2. Kor. 9,13; 10,5f; 2. Thess. 1,8. In 1. Kor. 15,1 nimmt man das Evangelium im Glauben an Jesus Christus an und hat darin seinen „Stand“!

„Glauben“) gerecht gesprochen werden – ohne dass schon (!) alles geschafft (!) wurde, was die Tora fordert“ (Urtext: „ohne Gesetzeswerke“). Das Gleiche erfährt der Leser bereits im voranstehenden Satz Röm. 3,27: „Welches Verständnis (!) der Tora ist gemeint? – eines, das allein auf Anstrengungen basiert (Urtext: „durch das Gesetz der Werke“)? Nein, das ist es nicht!, sondern eines (!), das auf Vertrauen gründet“ (Urtext: „durch das Glaubensgesetz“). Gemeint ist von der Übersetzerin das „Vertrauen auf Jesus“ (Vers 26). „Ihn, den Messias, hat Gott als ein durch Vertrauen wirksam und wirklich werdendes Mittel der Gegenwart Gottes, als Ort an dem Unrecht gesühnt wird, in seinem Blut öffentlich hingestellt“ (Vers 25). Das ist ein im Urtext gewiss schwer verständlicher Satz, der darum auch in der Exegese besonders umstritten ist. In dieser „gerechten Übersetzung“ aber ist er vollends unverständlich. Nach dem Voranstehenden ist nur klar, dass sich das Vertrauen deswegen auf den Messias Jesus richtet, weil Gottes Gerechtigkeit in ihm „sichtbar“ geworden ist“ (Vers 21).

Diese Gerechtigkeit Gottes soll darin bestehen, dass Gott den, „der es nicht schafft, das zu tun, was die Tora verlangt“ (Vers 20), gleichwohl „gerecht spricht“, wenn ein solcher Mensch einfach nur Jesus vertraut (Vers 22). Dass dies irgendwie mit dem Tod Jesu zusammenhängt als einem „Ort, an dem Unrecht gesühnt wird“, ist der Erwähnung vom „Blut“ Jesu zu entnehmen (Vers 25). Nach der „gerechten Übersetzung“ aber besteht das Wichtige der Rechtfertigungslehre des Paulus darin, dass ein Mensch auf Jesus schlicht vertrauen darf und soll, wenn er es nicht schafft Gottes Gebote zu erfüllen; und da das „kein Mensch schafft“ (Vers 20) und so „alle Unrecht begangen haben“ (Vers 23) ist „jetzt“ das Vertrauen zu Jesus die einzige Möglichkeit, von Gott gerecht gesprochen zu werden, und das gilt für Juden wie für Menschen aus allen anderen Völkern (Vers 29f). So ist es denn auch das Gottvertrauen Abrahams nach Gen. 15,6, das nach Röm. 4,1ff das zentrale biblische Vorbild christlichen Vertrauens ist. Erst durch diesen Abraham-Abschnitt wird deutlich, dass mit dem Vertrauen zu Jesus von Anfang an ein völliges Vertrauen zu Gott gemeint ist, das erst jetzt vollauf möglich wird, nachdem Gott Jesus von den Toten auferweckt hat (Vers 4,24). Denn darin hat Gott seine Allmacht erwiesen (4,17), auf die bereits Abraham in unbeirrtem Vertrauen gesetzt hat (4,18ff).

Unser christliches Vertrauen in Jesus also erlangt, was Gott Abraham gesagt hat: dass er diejenigen als gerecht anerkenne, die ihm vertrauen. Vertrauen zu Jesus ist in diesem Sinne nichts anderes als schlichtes Gottvertrauen.
So wird sichtbar: Durch die Wahl des Wortes „Vertrauen“ als weithin alleinige Übersetzung von „Glauben“ vollzieht sich eine sublime Gewichtsverlagerung. Aus dem

Glauben an das Heilshandeln Gottes im Christusgeschehen wird ein allgemeines Gottvertrauen. Und während bei Paulus Gott den „Gottlosen gerecht macht“ (Röm. 4,5) dadurch, dass er ihm den Glauben an Jesus Christus, den für ihn Gekreuzigten und Auferstandenen, schenkt, besteht die Rechtfertigung nach der „gerechten Übersetzung“ darin, dass „Gott auch (!) die gerecht spricht, die Gott bisher (!) missachtet haben“.

Diese Differenz zeigt sich dann besonders kräftig in der Übersetzung von Röm. 5,1-5. Dort heißt es ganz im Sinne allgemeiner menschlicher Lebenserfahrung: Vertrauen sei die Kraft zur „Lebensgestaltung“ (Vers 2), zur Hoffnung und ihrer Bewährung „in den Momenten, in denen wir in großer Not sind“ (Vers 3). So aber werde die „Kraft zum Widerstand“ in uns gestärkt, durch diese wiederum die „Erfahrung, dass wir standhalten können“ (Vers 4) und durch diese schließlich die Hoffnung, die „nicht ins Leere führt“ weil durch Gottes Geistkraft seine Liebe „in unsere Herzen gegossen ist“ (Vers 5). Offensichtlicher als hier kann es nicht sein, dass diese „Übersetzung“ den paulinischen Text nicht wiedergibt. Durch sie aber werden die Sätze im Text des Paulus, die vom Christusgeschehen als Grund unserer Rechtfertigung und vom Glauben als der alleini-gen Weise, diese zu empfangen, schlicht unverständlich. „Gerecht ist, wer Vertrauen lebt“ – das ist es, was von der ganzen Rechtfertigungslehre übrig bleibt.

Der Galaterbrief stimmt in der Übersetzung leider vollauf mit der des Römerbriefs überein; ebenso überwiegend auch die Korintherbriefe. In den anderen Briefen und Schriften des Neuen Testamentes wechselt der Gebrauch von Glauben und Vertrauen in ganz unterschiedlichem Maß. Zwei besonders ärgerliche Bespiele mögen hier noch angeführt werden. In Titus 3,8 soll das Gottvertrauen zu politischem Handeln im modernen Sinn führen: „Damit die, die auf Gott vertrauen, engagiert nach Möglichkeiten suchen, für das Gemeinwohl tätig zu sein“. Im Urtext heißt es: „Damit die, die im Glauben an Gott ihren Stand haben, darauf bedacht sind, sich guter Werke zu be-fleißigen“. In Apg. 16,31 fordert Petrus den Hauptmann Kornelius zum Christwerden auf: „Vertraue auf Jesus den Herrn, und es wird dir geholfen werden.“ Im Urtext dagegen heißt es: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du gerettet werden.“ Rettung des Lebens in der Bekehrung zum Glauben an Jesus Christus als den Herrn und Lebenshilfe, die man durch ein Vertrauen auf Jesus gewinnen kann, sind zwei völlig verschiedene Botschaften.

Zusammenfassend ist zu sagen: Die Tendenz der „Bibel in gerechter Sprache“, den Glauben an Gott und an Jesus Christus, Gottes Sohn, auf das Moment des Vertrauens zu reduzieren, führt dazu, dass wichtige andere Momente des Glaubens nach neutesta-mentlichem Verständnis ungebührlich zurücktreten oder gar ausgeblendet werden. Dazu gehören: die Unterstellung unter die Heilsmacht und den Heilswillen Gottes, die im Sühnetod Christi und in seiner Auferweckung verwirklicht worden sind; die Annahme der Verkündigung dieses Heilgeschehens mit dem Ja zu einem ganzheitlichen Lebens-gehorsam im Glauben sowie nicht zuletzt auch die Verbundenheit mit allen an Jesus Christus Glaubenden, die Einheit des Glaubens der ganzen Kirche.

Die Übersetzungen retouschieren zwar diese anderen ‚objektiven’ Momente des Glaubens nicht immer völlig, sie lassen aber allesamt das subjektive Moment persönlichen Gottvertrauens so stark dominieren, dass sich ein Sinn ergibt und ein Ziel in die Mitte tritt, die den Glauben in seiner Ganzheit verändern. Vor allem wird so nicht mehr verstehbar, dass aller Glaube an Gott im Neuen Testament sich auf das Heilshandeln Gottes in Tod und Auferstehung Jesu Christi als Grund des Heils bezieht und sich darum alles Vertrauen des Christen zu Gott und zu Jesus darauf gründet. Das zeigt sich vor allem in der Übersetzung der Rechtfertigungspartien im Römer- und Galaterbrief, deren Aussagen daher hier und da eine Plattheit erfahren, wie sie in dieser Ärgerlichkeit in keiner anderen Übersetzung zu finden ist.

7. Das Verständnis des Geistes

Der Geist (griechisch: das Pneuma) wird in der „Bibel in gerechter Sprache“ durchweg einheitlich als „die Geistkraft“ übersetzt. Zwar steht dies im Urtext nirgendwo an den vielen Stellen, an denen vom Geist Gottes oder vom Heiligen Geist die Rede ist. Aber die ideologische Vorgabe, Gottes Geist müsse sprachlich femininen Geschlechts sein, weil „sie“, Gott, in ihrer mütterlichen „Zuwendung“ auf frauliche Art mit uns handele, gebietet offenbar so zwingend die Übersetzung „des“ Geistes“ mit „der“ Kraft, dass dieser Ausdruck „Geistkraft“ tatsächlich an sämtlichen Geiststellen des Neuen Testamentes das Übersetzungswort für das griechische Wort Pneuma sein muss. Dafür lässt sich schwerlich anführen, dass das entsprechende hebräische Wort „ruach“ weiblichen Geschlechts ist. Denn zum einen ist, sprachwissenschaftlich gesehen, das geschlechtliche System der Wortbildung in keiner Sprache Ausdruck eines inhaltlich geschlechtlichen Wortsinnes. Vor allem aber gilt andererseits inhaltlich: Im Alten Testament ist Gottes „ruach“ zwar ganz und gar schöpferisch-machtvoll; sie ist aber
selbst nicht allgemein Gotteskraft 44, sondern die Kraft seines Handelns und besonders die Wirkkraft seines Wortes (vgl. Jes. 55,10f). Gottes Geist durchweg und allein als Kraft zu benennen, ist gesamtbiblisch als abstrahierende Verengung zu beurteilen. Gott selbst ist das Subjekt all seines Redens und Handelns, nicht seine Kraft. Dogmatisch ausgedrückt: Die Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ bringt ein rein dynamistisches Verständnis des Heiligen Geistes zur Wirkung und eliminiert die Elemente seines personalen Charakters.

In Apg. 13,4 werden Barnabas und Saulus im Urtext „durch den Heiligen Geist“ ausgesandt, also durch Gott selbst, nicht nur durch Gottes Kraft; und wenn Gott seine Boten zum Zeugnis mit seinem Geist ausstattet ( Apg. 1,8), so bedeutet das, dass er selbst in ihrem menschlichen Zeugnis zu Wort kommt. Jesus sagt seinen Jüngern zu, dass nicht sie, sondern der Geist ihres Vaters der ist, der in ihnen redet; nicht nur seine „Geistkraft“ (Mt. 10,20). Und wenn es in Apg. 16,6f heißt, der „Geist Jesu“ habe die beiden Missionare daran „gehindert“, die von ihnen geplante Wegroute zu gehen, dann ist es Jesus, der sie ganz konkret erfahren lässt, dass er selbst der Handelnde auf ihrem Wege ist. In der „gerechten Übersetzung“ dagegen ist hier überall von der „Geistkraft“ die Rede.

Das personale Wesen des Geistes kommt im griechischen Urtext des Neuen Testamentes besonders in den vier Ankündigungen Jesu in Joh. 14,16f.26; 15,26; 16,7ff zum Ausdruck: Als „Paraklet“ – d. h. als „Anwalt“, der die Jünger „tröstet“ – werde „der Geist der Wahrheit“ an seiner Statt (14,16) in die Mitte seiner Jünger kommen und „bei ihnen bleiben“, sie „alles lehren“, was er ihnen zuvor gesagt hat (14,26), mit ihnen zusammen das Zeugnis über ihn in die Welt tragen (15,26), die Welt „überführen“ (16,7ff) und seine Jünger „im ganzen Bereich der Wahrheit führen (16,13). Dieser „Paraklet“ ist eine Person, vom Vater gesandt wie zuvor der Sohn (14,16) und zugleich vom verherrlichten Sohn gesandt „vom Vater her“ (15,26). Die Übersetzerinnen jedoch tilgen diesen personalen Charakter, indem sie aus dem „Tröster“ einen „Trost“ machen, den „die Geistkraft“ spendet. Das stimmt damit überein, dass sie auch die Rede vom Vater und vom Sohn tilgen und sie durch „Gott“ und durch das „Ich“ Jesu ersetzen (siehe oben). Damit verschwindet lautlos ein wichtiges Element trinitarischen Gotteshandelns im Neuen Testament.

44 Vereinzelt ist in Jes. 11,2 vom Geist Jahwes unter anderem auch als von einem „Geist der Stärke“ („geburah“) die Rede. Auch Sach. 4,6 kann man hier hinzunehmen.

Die anthropologische Tendenz im Verständnis des Geistwirkens zeigt sich besonders ärgerlich in der Übersetzung von Römer 8, 5-11. Der hier im Urtext bestimmende Gegensatz zwischen „Fleisch“ und „Geist“ wird willkürlich so umschrieben, dass mit „Fleisch“ die „Begrenztheit“ in menschlichen Vorstellungen gemeint ist (Vers 5). Die Menschen, die sich davon „bestimmen lassen“, haben eine entsprechend „begrenzte Lebensperspektive“ (Vers 6), eine „begrenzte menschliche Denkweise“, die „Gott gegenüber feindlich“ ist und zum Tod führt, „weil sie sich nicht der Tora Gottes unterstellt und auch gar nicht in der Lage dazu ist“ (Vers 7). Solche Menschen haben „nicht die Kraft, etwas (!) für Gott zu tun“ (Vers 8). Diejenigen jedoch, „die sich an der Geistkraft orientieren (!), gewinnen Einsicht (!) in das Wirken der Geistkraft“ (Vers 5) und eine an dieser „ausgerichtete Perspektive“, die „Leben und Frieden“ bedeutet (Vers 6). „Wenn ihr aber mit Hilfe der Geistkraft den Zuständen ein Ende macht, in denen eure Körper benutzt werden, dann werdet ihr leben“ (Vers 13). Was für Zustände hier gemeint sind, bleibt das Geheimnis der Übersetzerin. Es dürfte hier nicht nötig sein, solcher freien Paraphrase des Urtextes diesen selbst gegenüberzustellen, um der Willkür einer modernen-moralisierenden Umdeutung einer der tiefsinnigsten und großartigsten Aussagen des Apostels Paulus innezuwerden.

8. „Der Jude Jesus“

Es sei zum Schluss noch auf die Auswirkung der zweiten Vorgabe dieser „Übersetzung“ des Neuen Testamentes hingewiesen, „Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog“ (Seite 10).

Nützt es wirklich diesem Dialog, wenn z. B. in der Übersetzung des Johannes-evangeliums dort, wo Jesus mit „den Juden“ Streitgespräche führt, immer betont wird, dass er dies als „der Jude Jesus“ mit „den anderen jüdischen Menschen“ getan habe? 45 Dies ist doch einerseits völlig selbstverständlich. Andererseits handelt es sich aber hierbei im Sinne des Johannesevangelisten durchweg nicht um Streitigkeiten zwischen Juden. Vielmehr tritt hier Jesus durchweg als der Sohn des Vaters „den Juden“ gegenüber. Das ist es, was im Johannesevangelium ebenso betont hervortritt, wie z. B. im Matthäusevangelium die einzigartige, göttliche Lehrautorität Jesu im Gegenüber zu der aller „Schriftgelehrten“. In der Bergpredigt tritt Jesus mit „Ich aber sage euch“ nicht

45 Vgl. Joh. 5,15-17; 8,31 sowie durchweg die Übersetzung der Rede von „den Juden“ im Urtext als „den anderen jüdischen Menschen“: 1,19; 3,25; 5,10; 6,41.52; 7,11.35; 8,48.52.57; 9,18; 10,19.24.31; 11,31.33.36; 12,11; 13,33; 18,14.

Kollegen in einem Lehrhaus-Disput mit seiner eigenen Lehrmeinung gegenüber („Ich lege euch das heute so aus“: Mt. 5,22.28.32.34.39.44), sondern als messianischer Lehrer mit außerordentlicher Vollmacht gegenüber der gesamten vorhergehenden Lehrtradition (7,28).

Von der Wiedergabe des griechischen „Christus-Prädikats“ durch den jüdischen Messias-Titel war bereits oben die Rede. Die ist zwar an sich völlig berechtigt, wenn dabei der wesentliche Unterschied zwischen der christlichen Verkündigung Jesu als des messianischen Sohnes Gottes und der jüdischen Erwartung des Messias als eines von Gott besonders erwählten und beauftragten Menschen aus Davids Geschlecht hinreichend beachtet wird – ein Unterschied, der nach den johanneischen Schriften der entscheidende Gegensatz zwischen Juden und Christen ist, weil für „die Juden“ der Anspruch Jesu, als der Messias der „einziggeborene“ Sohn des einzig-einen Gottes zu sein, schlimmste Blasphemie ist 46 In der „gerechten Bibel“ hingegen werden zwar alle diese jüdischen Vorwürfe wiedergegeben.

Weil hier jedoch Jesus die exklusive Gottessohnschaft entzogen und durch seine – wie immer geartete – Herkunft von Gott ersetzt wird und auch aus dem „Menschensohn“ ein Mensch geworden ist, wenn auch ein von Gott in besonderer Weise „erwählter“, ist die ihm verbliebene Messiaswürde eigentlich kein Grund mehr, ihm Gotteslästerung vorzuwerfen. Nach dem Urteil der Übersetzerin von Joh. 5,17 lässt sich dieser Vorwurf in der christlichen „Textaussage“ als einigermaßen „absurd“ beurteilen 47, was der Sache nach dann auch für alle ähnlichen Stellen gelten muss. So gesehen, erübrigt sich dann allerdings der Streit zwischen Juden und Christen in neutestamentlichen Texten für den heutigen christlich-jüdischen Dialog. Bevor freilich der jüdische Partner dem zustimmen könnte, müsste er zweifellos irritiert zurückfragen, ob denn das christologische Bekenntnis zu Jesus als Gottes einziggeborenen Sohn, das zwanzig Jahrhunderte hindurch in allen Kirchen die Mitte ihres Glaubens gewesen und bis heute geblieben ist, durch solche Manipulationen wirklich als Trennungsgrund aus der Welt geschafft worden sei? Alle echten Christen stellen diese Frage auch ihrerseits an die Übersetzerin.

46 Vgl. Joh. 5,18.23; 10,30–33; 19,7; 1. Joh. 2,22f; 4,2f; 5,10-12.20; 2. Joh. 7-9. Dieser Blasphemie-Vorwurf findet sich schon in Mk. 14,64; Mt. 26,65; Lk. 22,70f.
47 So in der Anmerkung 682 (Seite 2317): „Absurd“ zumal, weil in Weish. 2,16 „der gerechte Mensch Gott seinen Vater“ nenne und überdies auch „zahlreiche spätantike jüdischen Menschen über Gott als Vater redeten“ (kursiv von mir).

Der so wichtige Dialog zwischen christlichen und jüdischen Theologen heute bedarf beiderseits Partner, die die je eigene Glaubenstradition selbst vollauf vertreten. Nur so können beide die philologisch-historische Exegese des Alten wie des Neuen Testaments als Basis für die Erkenntnis vieler elementarer Gemeinsamkeiten mit Mut und Geduld benutzen. Nur: solide muss diese Basis sein, und das kann der „Bibel in gerechter Sprache“ nicht zuerkannt werden. Weder dem Urtext des Neuen Testaments wird diese „Übersetzung“ gerecht, noch auch kann sie als Basis gelten, die den Anforderungen des christlich-jüdischen Dialogs „gerecht“ wird. Für beide Partner ist die Bibel eben nicht bloß ein „Ausgangstext“ (S. 11), sondern als Heilige Schrift der Grundtext für allen Glauben und alles Leben. Seiner Auslegung lassen sich keinerlei ideologische „Kriterien“ als imperative methodische Vorgabe auferlegen, mögen diese an und für sich auch noch so diskutabel oder gar moralisch gut und für den öffentlichen ‚Diskurs wichtig sein.

9. Gegen die Sexualisierung Gottes

Gewiss gehört das, was die Bibel uns heutigen Menschen in unserer modernen Lebenswelt zu sagen hat, zur Aufgabe ihrer Auslegung wesentlich hinzu. Nicht zuletzt wird die Ehrfurcht vor ihr, als der Heiligen Schrift durch den Reichtum von Erfahrungen vorangehender Generationen mit ihrer Bedeutung für je deren Leben bestärkt; und dies ist auch für uns heute von der Bibel zu erwarten. Die Voraussetzung dieser Erwartung war aber immer und muss es bleiben, dass es das eigene Wort der Bibel ist, das jene Bedeutung für unser Leben in sich enthält. Das Bemühen um ein richtiges Verstehen der biblischen Texte, so wie sie lauten, ist daher nicht nur der entscheidende Anfang aller Bibelauslegung, sondern die entscheidende Basis jeder Erkenntnis ihrer Bedeutung „für mich“ und „für uns“. Für die Reformation und alle aus ihr hervorgegangenen Kirchen und Gemeinschaften war und ist dies das „Prinzip“ aller Theologie; und das gilt heute auch für die beiden katholischen Kirchen, die römische und die orthodoxe. Es ist das Prinzip aller ökumenischen Theologie.
Zur Bedeutung der Bibel für unsere heutige Kirche und Welt gehören – neben vielen anderen – zweifellos auch die drei Interessen, um die es in der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ geht. Aber dem Maß der Kräftigkeit eines solchen Gegenwarts-interesses muss ein entsprechend erhöhtes Maß von Aufmerksamkeit für den Wortlaut der Bibel entsprechen. Wenn das Interesse, modernen Frauen die Bibel zu erschließen, über das Interesse dem Wortlaut der biblischen Texte gerecht zu werden die Oberhand

gewinnt; wenn gar der Wortlaut der Bibel selbst durch die Gegenwarts-interessen bestimmt und nach Bedarf verändert wird, dann widerstreitet dies dem „Schriftprinzip“ aller christlichen Theologie. Dadurch dass solche Veränderungen bei der Übersetzung „in gerechter Sprache“ bewusst gewollt werden, verliert diese Bibel mit dem Wortlaut ihrer Texte den Charakter als Heilige Schrift. Damit exkommuniziert sie sich selbst aus der Kirche; und wenn es evangelische Landeskirchen geben sollte, die diese Bibel ihren Mitgliedern nicht nur empfehlen, sondern deren „geschlechter-gerechte“ Sprache sogar in die Sprache des Gottesdienstes einwirken lassen, müssen sie sich der Frage stellen, ob sie noch zur Kirche des Wortes gehören.

Dass Gott wie ein Vater mit seinen Kindern handelt und wie eine Mutter ihre Kinder zu bergen und zu trösten weiß, ist in der Bibel selbst hier und da zu lesen. Daraus ergibt sich aber nicht, dass Gott in seinem eigenen Wesen tatsächlich menschlichen Müttern und Vätern gleicht. Ist doch Gott selbst unendlich unterschieden von allen Menschen. Solche Vergleiche göttlichen Handelns mit menschlichem sind Metaphern, Bilder, mit denen sich Menschen Erfahrungen mit Gott plastisch-konkret verständlich machen. Sowie jedoch aus Metaphern Aussagen über Gott selbst gemacht und es gar zu einem Prinzip Gott-„gerechter“ Sprache erhoben wird, von Gott ständig als mütterlich und väterlich, als „sie“ und „er“ zugleich zu reden, ist die Grenze zwischen sinnvoll-bildlicher und sinn-widrig anthropomorpher Rede überschritten, und das heißt theologisch: Der Mensch bemächtigt sich sprachlich Gottes. Wenn bei der Übersetzung der Bibel dieser sprachliche Imperativ zu einem Imperativ inhaltlicher Rede von Gott wird, geschieht nichts geringeres, als dass nicht mehr der Mensch das Bild Gottes ist, sondern dass umgekehrt der Mensch Gott sein Bild aufprägt und alle Rede von Gott und alles theo-logische Verstehen nach seinem eigenen menschlichen Selbstverständnis einrichtet.

Dass Gott von uns Menschen unterschieden ist und es sein muss, wenn überhaupt wahr und wirklich ist, dass Gott uns zu retten, zu erlösen und unser Leben zu heilen vermag, das setzen natürlich auch die Übersetzerinnen voraus. Nennen doch auch sie Gott „die Lebendige“, die uns Menschen zum Leben hilft, und Christus unseren „Befreier“. Aber diesen Unterschied postulieren sie als eine Art Superlativ des Menschlichen. Können Menschen nur jeweils Frauen oder Männer sein, so ist in dieser „Übersetzung“ von Gott ständig als mütterlich und väterlich zugleich die Rede. Es wird hier geradezu zur Regel, in einem und demselben Satz von Gott abwechselnd als von „ihr“ oder von „ihm“ zu reden; und weil bislang in der traditionellen Sprache der Bibel die ausschließlich maskuline Rede von Gott herrscht, ist in der „gerechten Bibel“ in manchen Texten wie z.

B. dem Magnificat gezielt-provokativ von Gott durchweg nur als von „ihr“ die Rede, oder aus dem Vaterunser in Mt. 6,9 wird : „Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel.“ Das soll auffallen, ja aufs erste sogar stören, aber eben mit der positiven Wirkung, dass sich die Leserinnen und Leser mit der Zeit umgewöhnen – die einen aufatmend darüber, dass es endlich auch ausdrücklich ihr Gott ist, den das Zentralgebet aller Christen anruft, die anderen, der „Gerechtigkeit“ zustimmend , dass den Frauen natürlich genauso das Recht zustehen muss, von dem gemeinsamen Gott immer auch als einer Frau zu reden.

Eben darin liegt aber die tiefe Wahrheitswidrigkeit solcher willkürlichen Veränderungen des Wortlauts der Bibel. Es liegt keineswegs einfach nur daran, dass in den vergangenen Jahrhunderten, in denen die Schriften der Bibel verfasst worden sind, eben eine patriarchale Gesamtauffassung geherrscht hat, die entsprechend dem heutigen gesellschaftlichen Bewusstsein in einer „geschlechtergerechten“ Bibel zu verändern sei. Wäre die patriarchale Denkweise damals der Grund gewesen, von Gott nur maskulin zu reden, so hätte es in der gesamten Umwelt Israels, ja in allen Religionen der Alten Welt überhaupt, eigentlich all die vielen weiblichen Gottheiten nicht geben können, die damals durchaus als ebenbürtige „Partner“ ihrer männlichen Mitgott-heiten gehandelt haben! Von dieser ganzen göttlichen Männer- und Frauenwelt jedoch wusste sich Israel dadurch wesenhaft unterschieden, das sein Gott Jahwe ein ICH ist, der keinerlei andere Götter neben sich duldet, weder männliche noch besonders auch weibliche.

Darin drückt sich nicht etwa ein übersteigerter männlicher Alleinmachtwahn aus, sondern diese radikale Scheidung von „anderen Göttern“, die in manchen biblischen Texten sogar als nichtexistent verurteilt werden, hat ihren Grund im Wesen dieses Gottes: dass er in sich selbst ein Gott ist, der für andere „da ist“. Der Eigenname „Jahwe“ in Ex. 3,14 enthält jedenfalls unmittelbar zusammen mit dem exklusiven ICH seine wesenhafte Proexistenz. Alles, was er in sich selbst ist, ist nicht für sich selbst, sondern für Israel, sein erwähltes Volk „da“. Dieses Wesen Jahwes als Gott ist in der Tat in der gesamten Religionsgeschichte bei keinem anderen Gott zu finden.

Dieses ICH Gottes ist es, dass in der biblischen Rede mit ER aufgenommen wird. Diese Rede bemisst sich nicht an der Männlichkeit derer, die in der patriarchalen Welt Israels das Sagen hatten, sondern am Wesen dieses Gottes selbst, das sich in den Wunder- und Machttaten seiner Erwählungsliebe vom Exodus an ausdrückt. In jeder Rede von Gott als „ER“ ist das ICH seines Jahwe-Namens zu hören.

Das ist auch im Kreis der Übersetzerinnen der „gerechten Bibel“ vollauf bewusst. Ja, es muss zu deren Lob gesagt werden, dass dieser Sinn des Gottesnamens in ihrer Bibel sehr deutlich zum Ausdruck kommt, bis zur Druckgestaltung. Doch wird diese entscheidend richtige theo-logische Grunderkenntnis dadurch entscheidend verfälscht, dass hier die Einzigkeit des Gottes Israels, von der in der Tat auch im ganzen Neuen Testament die Rede ist, durch die Herausstellung seines Wesens als Mann und Frau zugleich zum Ausdruck gebracht werden. Diese Sexualisierung Gottes widerstreitet zutiefst dem Wesen dieses Gottes, der als ICH Jahwes der absolute Herr ist, wie über alle Göttinnen und Götter, so auch über alle Männer und Frauen unter den Menschen. Diese totale, grenzenlose Souveränität seiner „Proexistenz“ wird von den Über-setzerinnen bewusst gemieden - wahrscheinlich unter der Wirkung der antiautoritären Tendenz des öffentlichen Bewusstseins seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Darum muss in dieser Übersetzung nicht nur Gott zugleich weiblich und männlich, sondern er darf auch nicht mehr Herr und so auch nicht mehr Vater sein. Hier wirkt ein Wille, das gesamte Verständnis Gottes nach dem dominierenden Selbstinteresse „moderner“ Menschen zu verändern – ein Wille, der zutiefst häretisch ist.

10. Das Schlussurteil muss lauten:

Die „Bibel in gerechter Sprache“ ist nicht nur für den Gebrauch in der Praxis der Kirche nicht zu empfehlen, weder für den Gottesdienst, noch auch für den kirchlichen Unterricht und nicht einmal für die persönliche Lektüre. Sie ist vielmehr für jeglichen Gebrauch in der Kirche abzulehnen. Denn diese „Übersetzung“ unterwirft den Text der Bibel – jedenfalls des Neuen Testaments - sachfremden Interessen ideologischer Art und verfälscht so in entscheidenden Grundaspekten ihren Sinn. Weil aber die Bibel als Heilige Schrift die Wurzel und der Grund alles Glaubens und Lebens der Kirche und aller Christen ist, und weil deshalb das Bekenntnis der Kirche seine Wahrheit in der Wahrheit der Heiligen Schrift hat, darum ist die „Bibel in gerechter Sprache“ als bekenntniswidrig zu beurteilen und aus jeglichem Gebrauch in der Praxis des Lebens in der Kirche auszuscheiden.


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