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Das menschliche Herz - ein multifunktionales System


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Rolf

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Das menschliche Herz - ein multifunktionales System





Eine biblisch-theologische Studie1


Bernhard Kaiser


Die Frage, was im Menschen steckt, hat die Denker zu allen Zeiten bewegt.
Geläufig sind uns sowohl die Konzeptionen der klassischen Dichotomie
und Trichotomie als auch der modernen Tiefenpsychologie. Jene grenzten
eine äußere, niedere und leibliche Sphäre von einer inneren, höheren, göttlichen
oder auf Gott bezogenen Sphäre ab, und diese postuliert mit dem
kollektiv Unbewußten (C.G. Jung) ein innermenschliches Kräftefeld, das
für die Integration und seelische Heilung des Menschen von grundlegender
Bedeutung ist.

Diese Anschauungen sind auch im Raum der Kirche bekannt. Auch in ihr
hat man immer wieder auf das Innere des Menschen zurückgegriffen, um
das Wesentliche des christlichen Glaubens zu definieren; man denke hier
besonders an die Mystik, aber auch an Schleiermacher und mehrere sich an
ihn anschließende Traditionen. Mit dem neuen Aufbrechen der Zungenrede
in der Pfingstbewegung und der gegenwärtigen charismatischen Bewegung
wurde ebenfalls das Postulat einer Tiefenschicht in der menschlichen Seele
als anthropologisch faßbarer Quellort der genannten „Geistesgabe“ aktuell.
Es liegt auf der Hand, daß diese Sichtweisen jeweils nachhaltige Folgen
haben für die Art und Weise und die Inhalte, mit denen der Mensch in Predigt
und Seelsorge angesprochen wird.

Das Kernelement dieser Konzeptionen ist, daß ein Bereich im Menschen
ausgegrenzt wird, aus dem heraus dieser heil werden kann, in dem er -
theologisch gesehen - mit Gott natürlicherweise kompatibel ist oder in dem
er direkt und ohne äußere Vermittlung in Verbindung mit Gott steht.
Diese Postulate bedürfen einer Bewertung und Einordnung aus biblischer
Sicht. Was sagt die Schrift über das Innere des Menschen? Kennt sie diese
Tiefendimensionen im Menschen? Sie gebraucht häufig die Begriffe Geist,
Seele und Herz, und zwar so, daß sie teilweise synonym zu verstehen sind.
Am häufigsten bezeichnet sie das Innere des Menschen mit dem Begriff
„Herz“. Ich zeige nun anhand von ausgewählten Bibelstellen, die zum Teil
zu langen Reihen vermehrt werden können, welche Funktionen im menschlichen
Herzen zu finden sind. Damit fasse ich weniger die ethische Beschaffenheit
als vielmehr die Funktionen des Herzens ins Auge. In gewisser
Weise gebe ich damit einen Grundriß biblischer Psychologie.

1 Zuerst veröffentlicht in: Seelsorge auf dem Feld des Denkens. Festschrift für S. Findeisen,
hg. v. Th. Dietz und H.-J. Peters. Marburg: 1995, S. 113-121.

1. Der Mensch denkt und versteht in seinem Herzen

MARKUS 8,17 (Vgl. VV. 15-21)
Und er merkte das und sprach zu ihnen: Was bekümmert ihr euch doch, daß ihr
kein Brot habt? Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht? Habt ihr
noch ein verhärtetes Herz in euch?
Das Verstehen wird von einer Information bewirkt, die von außen auf den
Menschen zukommt, sei es eine in Worten gefaßte Information, die von
einer anderen Person weitergegeben wird, oder sei es ein Sachverhalt, den
er in der Schöpfung wahrnimmt, wie beispielsweise den Zusammenhang
von der Schwerkraft und der Beobachtung, daß das Wasser bergab und
nicht bergauf fließt. Verstehen heißt, daß ein Mensch sich auf einen Sachverhalt
oder eine Information „einstellt“. Diese „Einstellung“ ist vielleicht
mit der Konfiguration eines Computers vergleichbar. Ein solcher funktioniert
nach den Parametern, nach denen er konfiguriert ist. Ähnlich ist es
auch mit dem Verstehen. Was der Mensch als wahr erkennt, das
„konfiguriert“ ihn fortan, davon geht er in seinem Denken aus und das ist
normalerweise bei seinem Verhalten und seinen Entscheidungen mitgesetzt.

Im Blick auf das Verstehen der Bibel als des Wortes Gottes kann uns die
Etymologie des Wortes „verstehen“ weiterhelfen. Das Wort kommt von
dem althochdeutschen Wort „firstan“, was soviel bedeutet wie „für jemand
stehen“, also den anderen so zu verstehen, daß man für ihn stehen kann,
daß man so mit ihm eins ist, daß man ihn vertreten kann. Dieser Bedeutungsgehalt
ist heute praktisch erloschen, aber die Herkunft des Wortes
zeigt doch den hochinteressanten Sachverhalt auf, daß das Verstehen ein
Prozeß zwischen zwei Personen, dem Redenden und dem Hörenden, ist.
Das ist im Hinblick auf das Verstehen der Schrift als einem Einswerden mit
Gott im Herzen ganz wesentlich.

Es ist nun interessant, daß die Schrift gerade im Blick auf das Verstehen
vom verhärteten oder verstockten Herz spricht. In dem oben zitierten Vers
geht es Jesus um das sachliche Verstehen einer Aussage: Er saß mit seinen
Jüngern im Boot, und sie hatten kein Brot bei sich. Ihre Gedanken kreisten
um die Frage, wie sie Brot auftreiben könnten, um den bereits vorhandenen
oder noch kommenden physischen Hunger zu stillen. Und in diesem Denken,
in dieser Einstellung, dechiffrierten sie die Worte Jesu vom Einfluß
der Pharisäer und des Herodes. So aber verstanden sie Jesu Wort nicht.
Hier zeigt die Frage Jesu, daß das verhärtete Herz das unverständige Herz
ist. Es hört wohl, aber es kapiert einfach nicht, und Jesus muß weitere Informationen
aufbieten, um die Jünger von ihrem Unverstand zu befreien. Er
erinnert an die Brotvermehrung. Die Jünger brauchen sich wirklich nicht
um die Stillung ihres Hungers zu sorgen. Sie sollen vielmehr nicht dem religiösen
oder politischen Einfluß der Pharisäer und des Herodes erliegen.
Wir sehen daraus, wie stark die Schrift das Herz als den Ort des verstehenden
Denkens sieht. Dies geht auch zahlreichen weiteren Schriftaussagen
hervor, von denen hier einige genannt seien:

PREDIGER 2,15
Da dachte ich in meinem Herzen: Wenn es denn mit geht wie dem Toren, warum
hab ich dann nach Weisheit getrachtet? Da sprach ich in meinem Herzen: Auch
das ist eitel.

MATTHÄUS 9,3-4
Und siehe einige unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert
Gott. Als aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr so Böses
in euren Herzen?

RÖMER 10,5.8 (vgl. 5. MOSE 30,12)
Aber die Gerechtigkeit aus dem Glaubens spricht so: 'Sprich nicht in deinem
Herzen: Wer will hinauf gen Himmel fahren?' - nämlich um Christus herabzuholen
sondern was sagt sie? 'Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem
Herzen.' Das ist das Wort vom Glauben, das wir predigen.

Indem der Mensch denkt und plant, redet er bei sich selbst, denn sein Denken
geschieht in Worten. Selbst wenn der Mensch bei sich phantasiert,
wenn er Bilder oder ganze Filme aus seinem Herzen aufsteigen läßt, denkt
er worthaft, denn das, was er sich in der Phantasie zurechtlegt, ist aussagbar,
es ist nicht ein schattenhaftes Bild jenseits der geschöpflichen Wirklichkeit.
Selbst dann, wenn er auf dem Wege der mystischen Schau oder
der Ekstase die geschöpfliche Wirklichkeit aus seinem Denken verbannt
und sprachlos werden und nur noch staunen oder empfinden will, sind die
Sprachlosigkeit und das psychische Empfinden als solche aussagbar und
bewertbar. In gewisser Weise weicht der Mensch damit auf andere Funktionen
seines Herzens aus. Aber er übersieht, daß auch das Staunen oder
das Gefühl einer begrifflich faßbaren Wertbindung unterliegen.

2. Der Mensch liebt in seinem Herzen

MATTHÄUS 22,37 (vgl. 5. MOSE 6,5)
„Du sollst lieben den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele
und von ganzem Gemüt.“
Das menschliche Denken ist immer werthaft, wobei die Wertbindung eines
Gedankenganges oder einer Information unterschiedlich stark ist. Ein
Mensch hängt auf dem Wege seines Denkens sein Herz an bestimmte Gegenstände:
Er kann in seinem Bewußtsein zum Beispiel derart vom Geld
gebunden werden, daß er alle Dinge nach finanziellen Gesichtspunkten beurteilt.

Er liebt das Geld, weil er bestimmte Dinge von ihm erwartet: Si4
cherheit, soziales Ansehen, Wohlstand usw. Andere Dinge kann er über
dem Geld vergessen. Er denkt eben nicht in kühler Distanz über sein Geld,
sondern er liebt es so sehr, weil er sein Herz daran gehängt hat. Dementsprechend
nimmt er die Welt wahr. Die Börsennachrichten sind für ihn so
wesentlich, daß er sie täglich liest und über die Kurse seiner Aktien genau
Auskunft zu geben vermag. Sie sind die Grundlage seiner Stimmung, seiner
Gefühle. Die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga hingegen lassen ihn kalt.
Sie sind für ihn wertlos, obwohl sie in derselben Tageszeitung stehen. Wir
sehen daran, wie ein Mensch die Welt nach seiner Wertbindung wahrnimmt
und entsprechend selektiert. Die Werthaftigkeit des Denkens umgreift positive
und negative Werturteile.

In gleicher Weise kann auch das biblische Wort und damit Gott selbst das
Bewußtsein binden. Ein Mensch kann - vermittelt durch das Wort - Jesus
Christus in seinem Herzen lieben, obwohl er ihn nicht gesehen hat. Das
Wort der Apostel stellt den Wert Christi heraus. Es zeigt, daß das Heil in
Christus besser ist als die vergänglichen irdischen Güter, und führt den
Menschen durch die Erkenntnis Christi dahin, daß er Christus mehr liebt als
andere Dinge. Aus dieser Liebe zu Christus heraus tut er bestimmte Dinge
und läßt andere sein. Auch seine Brüder im Glauben kann und soll er von
Herzen lieben (1Pt 1,22), und zwar nicht einfach, weil ihn Gottes Wort dazu
ermahnt oder der Heilige Geist ihn unbewußt dazu drängt, sondern weil
er aufgrund seiner Einstellung durch das biblische Wort die Brüder als
Glieder des Leibes Christi wertschätzt.

(3) Das Herz ist der Ort der Gesinnung

1. MOSE 20, 5-6
Hat er nicht zu mir gesagt: sie ist meine Schwester? Und sie hat auch gesagt: er
ist mein Bruder. Hab ich das doch getan mit einfältigem Herzen und unschuldigen
Händen.

Und Gott sprach zu ihm im Traum: Ich weiß auch, daß du das mit einfältigem
Herzen getan hast. Darum habe ich dich auch behütet, daß du nicht wider mich
sündigtest, und habe es nicht zugelassen, daß du sie berührtest.

JEREMIA 4, 4
Beschneidet euch für den HERRN und tut weg die Vorhaut eures Herzens, ihr
Männer von Juda und ihr Leute von Jerusalem, auf daß nicht um eurer Bosheit
willen mein Grimm ausfahre wie Feuer und brenne, so daß niemand löschen
kann.

JEREMIA 5, 23-24
Aber dies Volk hat ein abtrünniges, ungehorsames Herz. Sie bleiben abtrünnig
und gehen ihrer Wege
und sprechen niemals in ihrem Herzen: »Laßt uns doch den HERRN, unsern
Gott, fürchten, der uns Frühregen und Spätregen gibt zur rechten Zeit und uns
die Ernte treulich und jährlich gewährt.«

RÖMER 6,17
Gott aber sei gedankt, daß ihr Knechte der Sünde gewesen seid, nun aber von
Herzen gehorsam geworden der Gestalt der Lehre, der ihr ergeben seid.

KOLOSSER 3,23
Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen.
Das werthafte Denken ist eine konstante Größe. Es ist gewissermaßen die
Kardinale, der die verschiedenen Dinge zugeordnet werden und von der
her sie ihren Wert empfangen. Das Ganze der Kardinalen ergibt die Gesinnung,
die geistige Haltung, die auf die unterschiedlichsten Situationen mit
denselben Maßgaben reagiert. Die Gesinnung ist entweder geistlich oder
fleischlich. Das ungehorsame Herz ist jenes, das eine böse oder fleischliche
Gesinnung hat. Es erkennt Gottes Wort und sein Heil nicht als Wert und
verfolgt dementsprechend sündige Ziele. Der ungehorsame Mensch denkt
in seinem Herzen, was vor Gott falsch ist. Das gehorsame Herz hingegen
hört auf Gottes Wort, so daß das Wort die Gesinnung trägt. Die Gesinnung
äußert sich in den Zielen, die ein Mensch verfolgt, in seinem Wollen und
Tun. Das, was der Mensch tut, seine Gewohnheiten, seine Vorlieben, aber
auch seine Schwachstellen, ist ein Spiegelbild dessen, was in seinem Herzen
ist, der Gesinnung oder Ausrichtung seines Herzens.

4. Der Mensch will oder wünscht in seinem Herzen.

1MOSE 6,5
Als aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles
Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar ...

RÖMER 1,24
Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben in die Unreinheit,
so daß ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden,

1. KORINTHER 4,5
... der Herr „wird das Trachten der Herzen offenbarmachen.“
Der Wille ist nicht eine unstrukturierte Funktion des Herzens. Das, worauf
der Wille gerichtet ist, und die Wünsche gestalten sich entsprechend der
Wertbindung des Denkens. Die Schrift gebraucht zur Beschreibung dieser
Funktion häufig den Begriff „trachten“. Die Willensfunktionen des natürlichen
Menschen sind von der Sünde gesteuert. Die Sünde schafft eine pervertierte
Wertbindung. Nicht Gott, das Leben im Heil, das Wohlergehen
des Nächsten und der sinnvolle oder maßvolle Gebrauch der geschöpflichen
Gaben sind die Maßstäbe des Handelns, sondern, wie die Schrift sagt,
„des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffärtiges Leben“ (1Joh 2,16).
Die konkrete und in der Tat greifbare Gestalt des Willens kann man im Lasterkatalog
von Röm 1,26-32 nachlesen. Nach diesen Dingen „trachtet“ der
Mensch in seinem Herzen, auch wenn es ihm nicht gelingt, sie sich in dem
Maß zu verschaffen, wie er es gerne hätte. Und dieses Trachten zeigt die
Bewußtseinsbindung an.

Indem die Schrift vom Wert Christi spricht, begründet sie den Imperativ
„Trachtet nach dem, was droben ist!“ Das rechte Wollen kommt durch Information
und Erkenntnis zustande. Wer die Qualität und den Wert dessen
erkennt, von dem das Evangelium spricht, der wird derart in seinem Herzen
berührt, daß er Christus wirklich gewinnen will. Damit scheidet er sich von
seinem natürlichen oder sündigen Wollen.

(5) Der Mensch beurteilt sich selbst in seinem Herzen: Gewissen

RÖMER 2,15
Sie (die Heiden, BK) beweisen damit, daß in ihr Herz geschrieben ist, was das
Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken,
die einander anklagen oder auch entschuldigen.

SPRÜCHE 20, 27
Eine Leuchte des HERRN ist des Menschen Geist (nishmath-adam); er durchforscht
alle Kammern des Innern.

1. KORINTHER 2, 11
Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein der Geist (pneuma)
des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein
der Geist Gottes.

Im Herzen ist auch das Gewissen. Weil der Mensch werthaft denkt, schreibt
er auch seinem Verhalten einen Wert zu; er hält es für gut oder böse, für
schlecht, niederträchtig und sündhaft, oder für edel, nachahmenswert und
vollkommen. Allerdings folgt das Urteil des Gewissens nicht zwangsläufig
der oben beschriebenen Wertbindung, denn ein Mensch kann etwas wertschätzen
und wollen, was er in seinem Gewissen für verwerflich hält und
demzufolge zugleich nicht will. Das kann eine Ursache für eine Neurose
sein.

Das Herz vermag also nicht nur denkerisch vergangene Taten zu erinnern,
sondern auch sie zu beurteilen. In diesem Sinne ist das Gewissen retrospektiv.
Außerdem kann das Gewissen nach vorne sehen und ein Vorhaben, eine
künftige Tat, die sich etwa noch im Stadium der Planung befindet, beurteilen.
Es kann also Recht setzen für das Verhalten. Das Gewissen ist dabei
kein Automat; es muß an bestimmten äußeren Vorgaben orientiert sein,
die in aller Regel von der Familie, der Gesellschaft und ganz allgemein
durch die Begegnung mit der geschöpflichen Wirklichkeit vermittelt werden,
mithin also von außen kommen und durch die Lebensjahre hindurch
gesetzt werden.

Diese Vorgaben sollen nun von der Schrift korrekt gesetzt werden. Die
Schrift begegnet dem Menschen in der Gestalt von Gesetz und Evangelium.
Das Gesetz deckt die Sünde auf, und das Evangelium spricht die Vergebung
zu und ereneurt das Herz durch den Glauben. Die Folge ist einmal,
daß der Christ durch das Evangelium ein reines Gewissen bekommt im
Blick auf seine begangenen Sünden. Er erkennt, daß Christus für seine
Sünden gestorben ist und daß Gott ihm um Christi willen vergeben hat. Infolgedessen
hat er ein gutes und unbelastetes Gewissen vor Gott. Außerdem
hört er das Gesetz Gottes und stimmt mit Gott in dem, was er sagt,
überein, denn er glaubt ja Gott. Die Folge ist, daß sein Gewissen wieder
richtig funktioniert, daß es „richtig geht“ und nicht an der falschen Stelle
anschlägt. Das an das Wort gebundene Gewissen regiert damit das Verhalten
des Christen.

In 1Tim 1,5 erscheint das gute Gewissen neben dem reinen Herzen und
dem ungefärbten Glauben als Quelle der Liebe. Natürlich ist es nicht möglich,
Herz, Gewissen und Glauben voneinander zu scheiden, wenn an anderen
Stellen etwa das Herz als der anthropologische Ort des Glaubens gesehen
wird (s.u.). Die Aussage zeigt, daß die Liebe durchaus mehrere Funktionen
des Herzens einschließlich des Herzens als ganzem zum Quellort
hat. Ähnlich werden auch in 1Tim 1,19 und 3,9 Gewissen und Glaube zusammen
genannt.

6. Der Mensch fühlt und empfindet in seinem Herzen.

1. SAMUEL 2,1
Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, mein Haupt
ist erhöht in dem Herrn, mein Mund hat sich seit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.

PSALM 13,6
Ich aber traue darauf, daß du so gnädig bist; mein Herz freut sich, daß du so gerne
hilfst. Ich will dem Herrn singen, daß er so wohl an mir tut.

PSALM 104,15
daß der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl
und das Brot des Menschen Herz stärke.

JEREMIA 31,12
Sie werden kommen und auf der Höhe des Zion jauchzen und sich freuen über
die Gaben des HERRN, über Getreide, Wein, Öl und junge Schafe und Rinder,
daß ihre Seele (nephesh) sein wird wie ein wasserreicher Garten und sie nicht
mehr bekümmert sein sollen.

LUKAS 1,46
Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes,
meines Heilandes.

Die Bibel lokalisiert auch die Freude und andere Gefühle im menschlichen
Herzen. Nicht umsonst sagen wir, daß sich ein Mensch „von Herzen“ freuen
kann. Die Freude hat aber einen Gegenstand, denn der Mensch freut sich
an oder über etwas, etwa über das Heil oder über die materiellen Lebensgrundlagen
oder gar über den Wein. Dabei sehen wir, daß die Freude von
anderen Funktionen des Herzens bedingt ist. Wenn einem Menschen eine
gute Nachricht mitgeteilt wird und er sie in seinem Herzen versteht, und
sein Verstehen einer positiven Wertbindung entspricht, kommt es zur Freu8
de. In Jer 31,12 sind es die leiblichen Gaben Gottes, die die Menschen mit
ihren Augen sehen, als die ihnen gegebene Lebensgrundlage erkennen und
über die sie sich freuen. Ebenso wird auch ein Mensch, der in seinem Denken
das Geld schätzt, sich nicht aus dem hohlen Bauch heraus freuen, sondern
zum Beispiel dann, wenn er der Tatsache innewird, daß er einen
sechsstelligen Betrag im Lotto gewonnen hat.

Wenn nun ein Mensch das Evangelium hört, wenn er erkennt, daß er in
Christus vollkommen gerechtfertigt und geheiligt ist, wenn er erkennt, daß
er in Christus ewiges Leben hat, dann freut er sich „von Herzen“. Die
Freude ist getragen von der guten Botschaft - oder menschlicherseits vom
Erkennen und Verstehen der guten Botschaft. Es bleibt eben nicht beim
bloßen, distanzierten Verstehen, sondern auch in seinem Gefühl wird der
Mensch heil. Das gilt auch für andere Bewegungen des Gefühls, etwa der
Trauer, der Frustration, der Niedergeschlagenheit oder der Unruhe: sie
können durch das Wort geheilt werden, wie etwa Ps 42 zeigt.

Aus der oben zuletzt genannten Schriftstelle (Luk 1,46) wird deutlich, daß
die Bibel für „Herz“ auch „Seele“ und „Geist“ sagen kann. Weitere Aussagen
können dies ebenso belegen. Allerdings werden diese beiden Begriffe
auch gebraucht, um das Leben zu bezeichnen, das ein Mensch hat. Es
wäre einer Untersuchung wert, wie die genannten Funktionen des Herzens
auf dieses leibliche Leben wirken und umgekehrt. Daß aber die Freude eine
positive Auswirkung auf das leibliche Leben hat, ist unbestritten; die Psychosomatik
zeigt dies zur Genüge.

(7) Der Mensch glaubt in seinem Herzen

RÖMER 10, 9-10
Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, daß Jesus der Herr ist, und in deinem
Herzen glaubst, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.
Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit
dem Munde bekennt, so wird man gerettet.

Das Herz ist auch der Ort, an dem ein Mensch einem anderen oder Gott
vertraut. Ein Mensch vertraut, wenn er das Wort eines anderen und damit
den anderen selbst für wahrhaftig hält. Er tut das aufgrund der Kenntnisse
und der Kompetenz des anderen. So kann ein Mensch falschen Lehrern -
auch falschen religiösen Lehrern - glauben, und er kann Gott glauben. Es
ist klar, daß es nicht nur darum geht, zu glauben, daß Gott da ist, sondern
auch darum, dem zu glauben, was er gesagt, oder besser, zugesagt hat. Er
vertraut darauf, daß Gottes Versprechen wahr ist und ihm gilt. Dieses große
Versprechen ist in Jesus Christus gegeben: Gott sagt uns zu, daß er seinen
Sohn für uns dahingegeben hat, daß er für unsere Sünden gestorben ist, daß
wir in ihm als unserem Stellvertreter gerettet sind. Der Glaube lebt vom
gehörten Wort. Er hört es, und er vertraut darauf. - Und so - und nicht anders
- hat er auch Teil am Heil.


Dieses Vertrauen bewährt sich in der Anfechtung. Hier ist es ganz wesentlich,
daß der Glaube seinen Grund im Wort findet. Wenn er auf das Gefühl
oder den Willen baut, dann gründet er sich auf anthropologische Größen.
Dann kann der Betrug durch die Sünde gelingen, nämlich dann, wenn kein
Gefühl der Freude an Christus da ist, wenn andere Dinge aufgrund ihrer
Sichtbarkeit viel wertvoller erscheinen. Der Glaube lebt vom Wort, von
dem, was er denkt. So „dachte“ auch Abraham, als er Isaak opferte, daß
Gott ihn von den Toten auferwecken könnte (Hebr 11,17). Er lebt von dem,
was er weiß (Röm 4,21). Der Glaube baut auf unsichtbare Dinge, und er hat
nichts anderes als das Wort, das ihn auf diese bauen lehrt. Dieses Wort ist
die Kraft Gottes, des Heiligen Geistes, die ihn dem Unglauben widerstehen
läßt.
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