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Rolf

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DIE ZEIT 06.04.2006 Nr.15


Kein Wort sie wollen lassen stahn


Von Robert Leicht

Schluss mit Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit der Propheten und Apostel – jetzt wird die Bibel gesäubert! Die Eiferer der Political Correctness wollen eine Übersetzung in »gerechter Sprache« vorlegen

So jedenfalls soll man es lesen, wenn man die neue Bibel in gerechter Sprache zur Hand nimmt, und man wird sehen, wie die Protestanten dabei mit ihrem Urprinzip sola scriptura umgehen: Allein die Schrift! – Ausgangspunkt der Neuübersetzung ist freilich ein Gedanke, dem man sich schlechterdings nicht entziehen kann. Das Christentum hat über Jahrhunderte Frauen und Juden schlecht behandelt. Diese Zurücksetzung hatte Wurzeln im Denken gehabt und hat Spuren in der Sprache hinterlassen. Das neue Übersetzungsvorhaben – es wird in dieser Woche ausdrücklich als Versuch präsentiert, der ständig der Revision bedürfe, sozusagen als eine biblia semper reformanda – geht zurück auf amerikanische Vorbilder der inclusive language im Geiste politisch-theologischer correctness. Aber schon die Übertragung des Ausdrucks »inklusive« (also nicht ausgrenzende) in »gerechte« Sprache führt zu Verlegenheiten. In der Einleitung heißt es: »Der Name ›Bibel in gerechter Sprache‹ erhebt nicht den Anspruch, dass diese Übersetzung ›gerecht‹ ist, andere aber ungerecht sind.« Aber wozu dann die Bezeichnung, die gerade so gelesen werden kann – und wohl auch soll?

Wie auch immer: Es steht außer Zweifel, dass sich das hergebrachte Christentum gegenüber den verfolgten Juden und den zurückgesetzten Frauen bußfertig zeigen muss. Ebenso deutlich aber ist zu bestreiten, dass man diesem Sinneswandel mit einer retrospektiven Umschreibung der biblischen Schriften »gerecht« werden kann – etwa indem man die Texte so redigiert, dass dort, wo Frauen auch nur mitgemeint sein könnten, die inklusive Form wählt.

Wenn nämlich bei Matthäus 23, 2 mit einem Mal steht: »Auf dem Stuhl des Moses sitzen Toragelehrte und pharisäische Männer und Frauen«, dann konstruiert man offenkundig einen Anachronismus. Ähnliches geschieht, wenn man den in der Tora unaussprechlichen Gottesnamen in vielen Varianten, darunter einer weiblichen, changieren lässt, dasselbe Vielerlei aber auch dem im Neuen Testament eindeutigen Wort kyrios (Herr) geschlechterkorrekt unterschieben will. Und wenn man dem späteren kultischen, ethnischen und rassistischen Antisemitismus ein verspätetes Anathema nachrufen möchte, darf man doch nicht gleich die jesuanischen, endzeitlich radikalisierten Antithesen der Bergpredigt zu leichten Meinungsvarianten herunterstimmen.

Die neue Übersetzung setzt sich in Amos 8, 2 von »heutigen wissenschaftlichen Übersetzungen« ab, weil deren Formulierung »Das Ende ist gekommen für mein Volk Israel« angeblich das Existenzrecht Israels bestreite. Deshalb sollen wir jetzt lesen: »Reif ist mein Volk Israel. Ich kann es nicht noch einmal verschonen.« In der Lutherbibel heißt es jedoch: »Reif zum Ende ist mein Volk Israel; ich will ihm nichts mehr übersehen.« Das zusätzliche harte Wörtlein vom Ende (des Volkes) findet sich freilich bereits im hebräischen Urtext ausdrücklich, und die verwerfende Schrecklichkeit dieses Gerichtsspruches wird in der jüdischen Eindeutschung durch Buber/Rosenzweig in folgenden Worten Gottes abschließend deutlich: »Genug! Leichen allerorten! zusammenwerfen! dann still!« An diesem Beispiel zeigt sich, wie schnell politische Korrektheit zur direkten textuellen Unkorrektheit werden kann. Ohnedies müssen auch nach dem Holocaust die – ethnisch betrachtet: innerjüdischen – theologischen Dispute etwa zwischen dem zum Christentum konvertierten Juden Paulus und seinen jüdischen Zeitgenossen streng unterschieden werden von der späteren, schließlich rassistischen Verfolgung der Juden durch Christen und Nichtchristen gleichermaßen.

Die eigentliche Gefahr dieser neuen Übersetzung – und wie oft sie ihr erliegt, wird man erst sehen können, wenn der volle Text zu lesen ist – besteht in einer Kategorienverwechslung. Die Aufgabe der Übersetzung ist nämlich streng zu unterscheiden von der Übertragung, der Text von seiner Auslegung, die Schrift von ihrer Predigt, die feststellende Philologie also von der deutenden Hermeneutik. Was man heute für die richtige Deutung hält, darf man nicht rückwärts in die Übersetzung der zu deutenden alten Texte tragen. Vielmehr muss der Deuter seine Deutung im Kontext wie im Kontrast zum Urtext stets für den (Bibel-)Leser und (Predigt-)Hörer offen legen und verantworten.

Wer seine Auslegung (also seine zeitbedingte, vielleicht auch irrige Meinung) im Urtext (und in dessen Übersetzung) versteckt, entzieht beides der Kritik – seine Predigt ebenso wie den Bibeltext. Geradezu vorbildlich hatte Walter Jens, ein Mann wahrlich von deutlichen politischen und progressiven Meinungen, diese Kategoriendifferenz in seinen Übertragungen neutestamentlicher Schriften beachtet.

Wohl wahr, auf solche Differenzen stößt man mit Vorliebe, wenn sich Paradigmenwechsel anbahnen, während ähnliche »Übersetzungsfehler« in gewohnten Texten nicht (mehr) wahrgenommen werden. Luther zum Beispiel übersetzte eine Passage aus dem 1. Timotheusbrief wie folgt: »dass allen Menschen geholfen werde«. Im Urtext freilich steht »gerettet«. Die Rettung aller im Endgericht, die apokatastasis panton, darf aber streng lutherisch nicht gelehrt werden, wie es im Kapitel 17 des Augsburger Bekenntnisses immer noch steht – also musste in Luthers Übersetzung auch der Urtext daran glauben. Und so könnte die neue Übersetzung ihren Dienst jedenfalls dann tun, wenn sie ihren Kritikern mindestens den Splitter im eigenen Auge aufweist. Die vielen neuen Balken wird man dann immer noch sehen und womöglich – das Angebot der Initiatoren steht ja – revidieren, mindestens zu Splittern wieder verkleinern können.
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