Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Gefangen in Sanftmut


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34141 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!







Gefangen in Sanftmut





Von Andreas Hilmer |


Die Welt bewundert ihn, die chinesischen Machthaber hassen ihn – und sein eigenes Volk verliert die Geduld mit ihm. Bedeutet der Aufstand in Tibet das politische Ende für den Dalai Lama?

Er lacht, aber gezwungener als sonst. Er geht gebückt und hastig in diesen Tagen. Mit Frieden kennt er sich aus, doch für den Aufstand, den Krieg ist der Dalai Lama nicht ausgerüstet. Und selbst seine Mönche greifen inzwischen zu Gewalt.

Lehrte der historische Buddha noch, die Welt zu überwinden – vom »lebenden Buddha«, als den seine Anhänger den Dalai Lama verehren, wird erwartet, dass er die Welt der Tibeter rettet, zumindest: dass er seinem Volk gerade jetzt hilft. Aber das Selbstverständnis des Dalai Lama ist anders. Er hat sich nie als Politiker gesehen, deshalb erscheint er im aktuellen Konflikt der Waffen und Worte so sonderbar aus seiner Welt gefallen. Er ist kein Nelson Mandela, kein Mahatma Gandhi, die trotz aller moralischen Strenge zugleich geschickte, effektive, erfolgreiche Führer von Protest- und Bürgerrechtsbewegungen waren. Beim tibetischen Lehrmeister des Mitgefühls dagegen liegen jetzt schlicht die Nerven blank. »Von mir geht keine Gewalt aus«, rief er kürzlich heiser und tief verletzt in die Mikrofone der Journalisten, »die Chinesen, die mich verdächtigen, sollen doch bitte herkommen und hier alles untersuchen – mein Büro, sogar meine Zunge, meinen Urin.«

Doch die wollen nichts untersuchen, schon gar nicht mit ihm reden. Seit Langem herrscht Eiszeit. Wirkt der Dalai Lama, angesichts der Gewaltexzesse, mit seiner Botschaft der Gewaltlosigkeit nicht inzwischen gescheitert? Bei den Chinesen – aber auch beim eigenen Volk, in dem viele der edlen Passivität überdrüssig sind?

Er ist gegen den »Befreiungsmarsch nach Lhasa«

Es ist ein Drahtseilakt zwischen Projektionen und immer neuen Rollen, die der »Ozean der Weisheit« bewerkstelligen muss: Weltgewissen, Bewahrer Tibets, Mahner für Frieden, Retter der tibetischen Identität – und jetzt, im Aufstand, wandelt er fast am Rande des Verrats an der eigenen Sache, wenn er Gewalt auch auf tibetischer Seite vehement kritisiert. So leben wollte er nie. Er wurde in sein historisches Schicksal hineingeworfen. Zuerst als Bauernjunge, der die archaisch-erhabene Aufgabe eines Dalai Lama zugewiesen bekam. Dann, mit 20, eilig inthronisiert, wurde er tibetischer Regent in unruhigen politischen Zeiten – naiv, wie er war, musste er mit einem allmächtigen Mao verhandeln, dem Führer des kommunistischen China, der Tibet annektieren wollte. Mit 23 war er Flüchtling, dann versöhnender Führer im Exil. Später wuchs ihm im Westen die Rolle des Popstars der Innerlichkeit zu. Er nahm sie zögernd an, reiste in den 1980er Jahren erstmals nach Europa, lehrte und lernte dazu. Vor allem, wie er Menschen für die Sache Tibets gewinnen konnte. »Man solle nicht gegen die Chinesen sein«, sagte er aber schon früh, es reiche schon, sich bei Tibet einfach für die Gerechtigkeit einzusetzen. Die Zeit werde seinem Volk recht geben. Doch die verging und dauert nun schon fast 50 Jahre.

Als die Chinesen in Tibet den kulturrevolutionären Terror durch einen Kurs des Neuaufbaus und der Investitionen ersetzten, wollte auch der Dalai Lama nach vorn schauen. Die umstrittene Bahnlinie nach Lhasa, von der Kritiker vor allem die Überfremdung Tibets fürchteten, erklärte er für gut, wenn sie denn auch den Tibetern Wohlstand bringen würde. Manche wunderten sich über seine Kompromissbereitschaft. Dann kamen die Aufstände. Und er, der so sehr die Klarheit liebt, wird plötzlich hineingeworfen in einen diffusen Nebel aus Gewalt, Politik und diplomatischem Schlagabtausch. Gefangen zwischen Gebet und Gewalt.

In Tibet, Indien und anderswo ist nämlich unterdessen eine radikalere Anhängerschaft des Dalai Lama herangewachsen. Sie bewundert zwar seine Spiritualität, seine Haltung – ihre Mittel sind aber andere. Wenn sich junge Exiltibeter dieser Tage bei Mahnwachen zu Tode hungern oder in Brand setzen wollen, dann lehnt der Dalai Lama auch solche Gewalt gegen sich selbst strikt ab. Wenn sich Hunderte von Indien aus zu Fuß auf einen »Befreiungsmarsch nach Lhasa« machen, ist er dagegen. Die gute Motivation ist ihm manchmal wichtiger als das Erreichen eines Ziels.

Tibet sucht sich neu – welche Rolle spielt dabei der in Sanftmut gefangene Dalai Lama? Im schnellen medialen Häuserkampf um Bilder und Beweise hat der Langstreckenläufer der Gewaltlosigkeit keine Erfahrung. Im Kern ist er immer spirituell. Sein politisches Leitmotiv ist seit den achtziger Jahren der »Mittlere Weg«, ein unbedingter Kompromissansatz, der Ausgleich von Kräften und Interessen. Er warnt eindringlich vor kulturellem Völkermord, vor Überfremdung und Religionsunterdrückung in seiner Heimat – und reicht im gleichen Atemzug die Hand zur Versöhnung: China sei eine großartige Nation, sie habe die Olympischen Spiele verdient. Von einem Boykott hält er nichts. Selbst in Katastrophen sieht er sofort wieder das Rettende, die Chance. Von seinem Vater habe er eigentlich ein jähzorniges Wesen geerbt, sagt man, aber nach einem halben Jahrhundert religiöser Disziplin empfindet er für die Besatzer mehr Mitgefühl als Zorn: »Vorgebliche Feinde sind oft unsere besten Lehrmeister – Tibeter sollten sich anstrengen, so tüchtig zu sein wie die Chinesen. Aber wir wollen und müssen auch den Chinesen helfen, glücklicher zu leben. Wenn sie das mit ruhigem Kopf bloß begreifen würden.«

Der Dalai Lama genießt das vielleicht höchste Ansehen der Welt, verbunden aber mit dem kleinsten nur denkbaren Erfolg. Tibet ist der Panda der Weltpolitik, sagen viele – von jedem gemocht, aber mit dem Angucken hat es sich dann schon. Tibet hat kein Öl, es ist ein reines Symbol. Ein Treffen mit dem Dalai Lama ist ein besonders bedeutungsvolles Zeichen in der internationalen Politik; es kann sich gegen China richten oder als moralische Demonstration dienen. Aber wenn es wirklich darauf ankam, blieb der Mönch noch immer allein. Er ist es auch jetzt. Es dauerte Tage, bis der Papst das Wort Tibet auch nur in den Mund nahm. Die Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses, die Chinakritikerin Nancy Pelosi, hat den Dalai Lama in Dharamsala aufgesucht – aber von der US-Regierung ist wenig zu hören.

Peking entfesselt stalinistische Hetzrhetorik

Dort ist das Misstrauen gegen den Dalai Lama unerschütterlich. Gegen alle Fakten: Spätestens seit 1987 setzt er sich nicht mehr für eine Unabhängigkeit Tibets ein; er will nur noch Autonomie zur Bewahrung der kulturellen Identität. Aber sechs indirekte Verhandlungsrunden sind seit 2002 in bloßer Höflichkeitsrhetorik versandet. Die chinesische Führung erwartet vom geistlichen Führer der Tibeter offenbar stärkere Unterwerfungsgesten.

Jetzt, nach dem neuen Aufstand, hat sie vollends wieder eine längst vergessen geglaubte stalinistische Hetzrhetorik entfesselt – der Dalai Lama sei »ein Wolf in einer Mönchskutte, ein Teufel mit dem Gesicht eines Menschen, aber mit dem Herzen einer Bestie«. Dabei zielen seine Ermahnungen im Augenblick nicht weniger auf die eigenen Leute als auf China, wie seine erstaunliche Rücktrittsdrohung zeigte: »Wenn die Lage außer Kontrolle gerät, wenn Tibeter mehrheitlich zu Gewalt greifen, dann kann ich nicht mehr ihr Führer sein, dann bleibt mir nur, mich zurückzuziehen.« Die Chinesen mögen ihn hassen, aber sie könnten sich eines Tages noch nach ihm zurücksehnen. Was nach ihm kommt, wird weniger berechenbar und weniger friedlich sein.

Ist der Dalai Lama gescheitert, ist seine Botschaft an ihre Grenzen gestoßen? Er kann und will nicht mehr tun, als durch die Konsequenz seiner rein buddhistisch ausgerichteten Haltung zu wirken. »Ob sie auf mich hören, müssen die Jugendlichen selbst entscheiden«, sagt er wie ein Vater, der seinen Kindern gern vertrauen möchte. Einmal hat er seine Hauptziele beschrieben: Zuerst kommt die Vermittlung menschlicher Werte, dann die Harmonie unter den Religionen und erst danach die Lösung des Tibetproblems. Da könne er selbst wohl am wenigsten tun. »Ich bin nur ein einfacher Mönch«, sagt er schon lange – durchaus ohne Koketterie. Sein Hauptwunsch sei, sich einmal für drei Jahre allein zurückzuziehen, in eine buddhistische Klausur. Doch das Dalai-Lama-Dilemma ist: für sich sein zu wollen, aber in der Welt sein zu müssen.

Sein Leben im Exil wirkt idyllisch, er wässert Orchideen und wandert um Blumenbeete. »Ich bin ein schlechter Gärtner«, hat der Dalai Lama einmal bemerkt, vor seinem von Licht durchfluteten einfachen Bungalow, wo er früh morgens meist erst seine Stimme segnet, dann Mantras rezitiert und später die Nachrichten von BBC World hört, »aber ich lerne immer noch hinzu.« Gestern bat er Anhänger weltweit, besondere Gebete für die Göttin Tara zu sprechen – sie wird als Heilsbringerin, vergleichbar der Jungfrau Maria, verehrt. In den engen Straßen von Dharamsala, wo jetzt häufig demonstriert wird, nennen sie den Dalai Lama ehrfürchtig »Kundun«, den Kommenden, aber wer ihn in diesen Tagen erlebt, der merkt, eigentlich ist er schon auf dem Rückweg. Einen Bürgerkrieg will er nicht gewinnen, sondern nur den Frieden.

Andreas Hilmer, Journalist und Tibetexperte, hat den Dalai Lama oft interviewt und anlässlich von Veranstaltungen für ihn die Pressearbeit geleitet

Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio






  • 0