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Sich die Not von der Seele schreiben


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Rolf

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Sich die Not von der Seele schreiben

Es gibt Menschen, die niemanden haben, mit dem sie über ihre Probleme sprechen können. Viele wollen es gar nicht, weil sie meinen, anderen damit zur Last zu fallen. Sie haben die Möglichkeit, sich an die Briefseelsorge zu wenden. Von dort erhalten sie auch Antwort.

Menschen in seelischer Not, auch psychisch Kranke, brauchen die Erfahrung, daß da jemand ist, an den sie sich wenden können, ohne Angst aufdringlich zu sein. Das ist etwas anderes, als mit Freunden zu sprechen. Diese gehen manchmal auf Distanz oder wissen nicht, wie sie helfen können, wenn es einem psychisch wieder einmal nicht so gut geht. Vielleicht will man auch lieber Spaß mit ihnen haben und sich vom eigenen Problem einmal ablenken lassen.

Manche Menschen können aber gar nicht so gut über ihre Nöte sprechen. Sie schreiben lieber. Der Brief gewährt eine gewisse Distanz. Wenn ich meine Probleme dem Papier anvertraue, kann ich unter Umständen einem anderen etwas sehr Intimes mitteilen, was beim unmittelbaren Gespräch oft nicht der Fall ist. Die Telefonseelsorge zum Beispiel erlebt das immer wieder: Das Telefon klingelt, und dann vermag der Anrufer doch nicht zu sprechen die Hemmungen sind zu groß.

Andererseits muß jemand, der schreibt und eine Antwort bekommen möchte, Namen und Adresse nennen. Doch ist das bei der Briefseelsorge kein Problem. Für sie ist absolute Verschwiegenheit eine Voraussetzung. Sonst würde sich niemand mehr an sie wenden.

Die Briefseelsorge in München ist eine Einrichtung der Evanglisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie beschränkt sich nicht auf die Konfession oder auf das Gebiet von Bayern. Bis zu 2000 Briefe im Jahr treffen aus ganz Deutschland ein, auch aus den neuen Bundesländern. Sie antwortet ebenfalls mit Briefen. Die Antwort ist mit der Schreibmaschine geschrieben, denn diese ist leichter zu lesen. Ratsuchende dürfen selbstverständlich mit der Hand schreiben.

Dreißig Mitarbeiter erteilen Rat

Kann ein Mensch allein alle Anfragen und Bitten um Rat bewältigen? Natürlich nicht, antwortet die Leiterin der Münchner Briefseelsorge, die Religionspädagogin Renate Nebas, auf diese Frage. Außer ihr und ihrer Stellvertreterin, Frau Steck, arbeiten noch 30 Frauen und Männer ehrenamtlich mit. So kann sich jeder Mitarbeiter mit den Problemen der Hilfesuchenden persönlich befassen.

Es sind alles geschulte Kräfte, die wiederum ihre eigenen Schwerpunkte haben. Ein ankommender Brief wird von Frau Nebas geöffnet und dann entweder von ihr selbst beantwortet oder an einen Mitarbeiter weitergegeben, bei dem sie das Problem am besten aufgehoben weiß. Von diesem Zeitpunkt an bleibt der weitere Briefwechsel bei diesem Mitarbeiter. Auch wenn sich die Berater und Beraterinnen in regelmäßigen Zusammenkünften gegenseitig austauschen und besondere Themen besprechen, sind die Namen der Ratsuchenden für die anderen anonym. Der ganze Briefwechsel ist eine Angelegenheit zwischen den beiden Briefpartnern.

Briefwechsel oft jahrelang

Das kann sich über Jahre hinziehen. Frau Nebas, die als Pädagogin viele Anfragen Jugendlicher betreut, begleitet zum Beispiel einen bestimmten Briefpartner schon seit 15 Jahren. Erst waren es Probleme in der Pubertät, dann mit der Partnerbeziehung, und jetzt geht es um die Kinder.

Kein Problem ist tabu

Die Nöte, die an die Briefseelsorge herangetragen und mit denen die Betroffenen nicht mehr allein fertig werden, sind so vielfältig, wie die Charaktere und die Lebensumstände der Menschen überhaupt. Es schreiben Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und allen Bundesländern. Jede Altersstufe von 12 bis 85 Jahren ist vertreten.

Es geht um Suchtprobleme, Depressionen, Ängste, Phobien, Zwangskrankheiten, um Alkohol- und Drogenprobleme, um Einsamkeit, das Gefühl des Verlassenseins, um Partnerbeziehungen, Nöte mit den Kindern, den alten Eltern, mit einer seelischen Erkrankung.

Angehörige von psychisch Erkrankten fragen um Rat, wie sie helfen können, oder holen sich Kraft, sich auch so zu verhalten, wie sie eigentlich möchten.

Auch Strafgefangene wenden sich an die Briefseelsorge. Sie brauchen dringend den Kontakt zur Außenwelt und müssen sich mit ihrer Schuld auseinandersetzen das ist oft ein langer Prozeß, bis es seelisch wieder aufwärts geht.

Seit der Wende fragen viele Bürger aus den neuen Bundesländern an, die seelisch mit der veränderten Gesellschaft nicht fertig werden, sich allein gelassen fühlen, von Arbeitslosigkeit betroffen sind, neue Orientierung suchen.

"Ich hätte mich sonst nie getraut"

Manchmal merken die Berater, daß ihre Antworten zwar immer hoch willkommen sind, daß sich aber trotzdem selbst nach längerer Zeit nichts ändert. Da kann zum Beispiel hinter einem Beziehungskonflikt eigentlich ein tieferes anderes Problem stecken, das brieflich nicht zu lösen ist. Dann sind die Mitarbeiter der Briefseelsorge in der Lage, konkrete Hilfe anzubieten. Sie verfügen über Verzeichnisse von Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und anderen Einrichtungen, die sich um Menschen in seelischer Not kümmern, und können eine Anlaufadresse in Wohnortnähe nennen.

Besonders wichtig ist dies für Hilfesuchende, die in schwerer akuter Not und gefährdet sind, Selbstmord zu begehen. Es ist auch wichtig für Menschen aus den neuen Bundesländern, die eine noch größere Scheu vor Ämtern und anderen öffentlichen Einrichtungen haben als die Bewohner der alten Bundesländer.

Ihnen Mut zu machen, daß sie Hilfe am Ort annehmen können, gehört unter anderem eben auch zur Arbeit der Briefseelsorge. Die Mitarbeiter stellen selbst die Kontakte zu den Beratungsmöglichkeiten nur dann her, wenn der oder die Ratsuchende es ausdrücklich wünscht. Sonst geben sie Tips, wie man das macht. "Oft," sagt Frau Nebas, "lesen wir dann im nächsten Brief: 'Wie gut, daß Sie mir dabei geholfen haben. Allein hätte ich mich nie getraut."'

Anschrift:
Briefseelsorge
z.H. Frau Renate Nebas
Dachstraße 19
81243 München
Hinweis:

Wer nicht so gern auf den Umschlag "Briefseelsorge" schreibt, kürzt einfach mit "B.S." ab - der Brief kommt auch so an.

































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