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"Am siebten Tag. Geschichte des Sonntags"


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Rolf

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"Am siebten Tag. Geschichte des Sonntags"



24.10.2002
PRD-073a

PRESSEMITTEILUNGEN DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ



Einführung zur Ausstellung "Am siebten Tag. Geschichte des Sonntags" im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland am 24. Oktober 2002 in Bonn von Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Es gilt das gesprochene Wort!


Die Geschichte des Sonntags beginnt bereits bei seinem Namen. Die Bezeichnungen sind ja in den einzelnen Sprachen recht verschieden (z.B. Sonntag, domenica, dimanche, domingo, frontag, Kyriake), aber man kann sie relativ leicht auf zwei Grundbedeutungen zurückführen. Im Zusammenhang einer höchst komplizierten religionsgeschichtlichen Situation, die eng mit der antiken Zeitrechnung zusammenhängt, spielt hier die Verehrung eines Sonnengottes eine wichtige Rolle. Vor allem die wachsende Bedeutung des "Sol invictus" führte nach Meinung einiger Forscher zu einer Anlehnung an den Sonnenkult. Entstehungsgeschichtlich ist dies freilich umstritten, da die jüdische Wochenzählung, die hier einen Einfluss hatte, älter ist und auch die Zeugnisse für eine christliche Sonntags-Feier zeitlich früher einsetzen. Aber unsere Sprache ist von diesen Zusammenhängen geprägt. Die andere Linie des "Herrentages" (dies dominicus), die sich bereits im NT (vgl. z.B. Offb 1,10) findet, geht einerseits auf die wöchentliche Zusammenkunft der ersten Gemeinden zurück, hat anderseits als Tag der Auferstehung Jesu Christi eine starke Stütze.


Ursprung und Entstehung des Sonntags ist eine auch heute noch schwierige Materie. Es gibt eine ganze Reihe von Lösungen, die freilich nicht recht befriedigen. Ich folge einer Hypothese, die mir immer noch und immer wieder als plausibel erscheint: Aus der Tatsache der Auferstehung Jesu Christi an einem Sonntag lässt sich schließen, dass die Sonntags-Feier als eine wöchentliche Osterfeier verstanden werden kann. Zugleich konkretisiert sich dies in der Erfahrung der nach Ostern stattfindenden wöchentlichen Zusammenkünfte der Jünger mit dem auferstandenen Herrn (vgl. Joh 20,19.26; Apg 1,4; 10,41). Die christliche Sonntagsfeier konzentriert sich ursprünglich hauptsächlich auf die Eucharistiefeier. Dennoch hat man nicht an ihrem Stiftungstag, dem Donnerstag, sondern - wie es mehr der jüdischen Wochenstruktur entspricht - "am ersten Tag der Woche" (vgl. Mk 16,1; Joh 20,19) gefeiert. Die Woche beginnt entsprechend mit dem Sonntag als ihrem ersten Tag. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts taucht der neue christliche Name "Herrentag" auf, der natürlich auch mit dem Wort "Herrenmahl" (vgl. 1 Kor 11,20) zusammenhängt und heute noch in den romanischen Sprachen weiterlebt. Dies ist ein Prozess, der offenbar rasch einsetzt (vgl. Offb 1,10; Did 14,1). Beim Wort "Sonntag" darf man auch noch an einen anderen Strang der Deutung denken: Die "Sonne" hat etwas zu tun mit dem Licht des ersten Schöpfungstages, das Gott schafft (vgl. Gen 1,3). Gott ruhte am siebten Tag - dies ist ohnehin ein enger Zusammenhang von Schöpfung und Sabbat/Sonntag. Das Licht deutet natürlich auch auf den Glanz der in der Auferstehung aufgeht (vgl. Justin, I. Apol. 67,3). Freilich musste man immer wieder das Missverständnis beseitigen, die Christen würden die Sonne anbeten.


Heute ist einigermaßen geklärt, dass der christliche Sonntag einen eigenen Ursprung hat und nicht ohne weiteres und direkt aus dem Sabbat abgeleitet werden kann. Man hat nämlich auch die These vertreten, die Sonntagsfeier sei eine verlängerte christliche Sabbatfeier. In Wirklichkeit gibt es hier einen klaren Unterschied zwischen dem Sabbat und dem christlichen Sonntag. Dies ist aus noch zu erläuternden Gründen später verwischt worden. Gerade die Sabbatkritik Jesu (vgl. (Mk 2,23-28; 3,1-6) hat jedoch zu einer frühen Differenzierung zwischen Sonntag und Sabbat geführt. Nur dies erklärt auch, warum der Sonntag als wöchentlicher Feiertag der Gemeinde schon zu Beginn des zweiten Jahrhunderts vollkommen selbstverständlich, also keine Neuerung mehr ist. Dafür gibt es außerchristliche und christliche Belege (Plinius-Brief X., 96; Barnabas-Brief 15,9; Justin, I. Apol. 67; Didarche 14,1; Ignatius von Antiochien an die Magnesier 9,1).


Wir verbinden mit dem Sonntag aufgrund der historischen Entwicklung ganz selbstverständlich die Arbeitsruhe. Man muss sich jedoch klar machen, dass in der vorkonstantinischen Zeit beim Sonntag nicht von einer allgemeinen Arbeitsruhe der Christen die Rede sein kann. Dies ging ja auch wegen der Identifizierung der Christen nicht. Denn dann hätte man ihre Zugehörigkeit zum verbotenen Christentum leicht aufdecken können. Von da aus ist es auch verständlich, dass in den früheren Schriften der Kirchenväter die alttestamentlichen Sabbatgebote praktisch keine Rolle spielen, obgleich es immer wieder Vergleiche zwischen Sabbat und Sonntag gibt. Erst Kaiser Konstantin I. erklärte im Jahr 321 den Sonntag zum allgemeinen Ruhetag aller Stadtbewohner, an dem keine Arbeit (außer Feldarbeit) und kein Rechtsgeschäft (außer Sklavenfreilassung) erfolgen darf. So werden auch später Gerichtsverhandlungen, Zirkusspiele, Theateraufführungen und Pferderennen verboten.


Dies ist erst der Zeitpunkt, wo nun der Sonntag und der Sabbat durch die gemeinsame Kennzeichnung der Unterbrechung der Arbeit und das Arbeitsverbot nahe aneinander rücken. Sabbat und Sonntag verschmelzen regelrecht. Nun werden mehr und mehr Inhalte des Sabbatverständnisses auf den Sonntag übertragen. Aber auch die konstantinische Sonntagsgesetzgebung war noch kein Sieg des Christentums, wie oft leicht vermutet wird, sondern sie war auch vereinbar mit allerhand astrologischen Lehren und dem Sonnenkult der Mithrasreligion. Für die Christen war und blieb der Sonntag zuallererst durch die Feier des Gottesdienstes, den "Herrentag" gekennzeichnet.


Die Verschmelzung von Sonntag und Sabbat führte manchmal auch dazu, dass manche Schriften, die allerdings nicht repräsentativ sind, dazu auffordern, den Sabbat und den Sonntag zu beachten (vgl. z.B. Apost. Konstitutionen). Dies hat natürlich eine weitreichende Bedeutung, wenn nämlich das moderne, säkulare Wochenende die Arbeitsruhe des Sabbat und des Sonntags in sich als wesentlichen Kern begreift. Im Übrigen ist es ja auch aufschlussreich, dass unser deutsches Wort Samstag sprachgeschichtlich von Sabbat abgeleitet wird. Die Einhaltung der Arbeitsruhe wird übrigens mehr und mehr als Nachahmung Gottes (vgl. Gen 2,2) verstanden. So entwickelte sich vom frühen Mittelalter an das Sonntagsgebot als doppelte Aufforderung der Arbeitsruhe und der Messfeier. Dies bildet das Verständnis des Sonntags im christlichen Bereich bis in unsere Gegenwart hinein.


Hier mag eine gute Gelegenheit sein, um auf die Beachtung des Freitag im Islam wenigstens kurz zurückzukommen. Die Wahl des Freitags erfolgte in deutlicher Absetzung von den wöchentlichen Feiertagen der Juden und Christen. Er betont bis heute den wesentlichen Unterschied zum Sabbat und zum Sonntag. Der Islam kennt auch nicht zwingend am Freitag eine verordnete Arbeitsruhe, obgleich sie durch den westlichen Einfluss vielfach beachtet wird. Der Freitagsgottesdienst ist wesentlich durch die Predigt gekennzeichnet, die immer schon stärkere politische Akzente trug. So heißt es über den Freitag im Koran: "Ihr Gläubigen! Wenn am Freitag (wörtlich: am Tag der Versammlung) zum Gebet gerufen wird, dann wendet euch mit Eifer dem Gedenken Gottes zu und lasst das Kaufgeschäft (so lange ruhen)! Das ist besser für euch, wenn (anders) ihr (richtig zu Gott) wisst. Doch wenn das Gebet zu Ende ist, dann geht eurer Wege und strebt danach, dass Gott euch Gunst erweist (indem ihr eurem Erwerb nachgeht)! Und gedenket Gottes ohne Unterlass! Vielleicht wird es euch wohlergehen." (Sure 62, 9-10) - Es gibt übrigens noch Hinweise für die Entstehung des Freitags-Gebetes im Zusammenhang des Sabbats, wenigstens in Medina. Die jüdischen Gemeinden versorgten sich beim großen Markt am Freitag in Medina mit Lebensmitteln für den nachfolgenden Sabbat. Man nützte jedoch den Markttag, besonders am Nachmittag, wenn der Markt zu Ende ging, zu einer eigenen Versammlung. So kam es zum Freitagsgebet der Muslime am Freitag.


Der Sinn des christlichen Sonntag ist in einfacher, aber tiefer Gestalt in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Ausdruck gebracht. Der Artikel 106, der sorgfältig beraten worden ist, ist eine gute Zusammenfassung. "Aus Apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Pascha-Mysterium jeweils am 8. Tage der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Herrentag genannt wird. An diesem Tag müssen die Christgläubigen zusammenkommen, um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferstehung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott Dank zu sagen, der sie' wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten' (1 Petr 1,3). Deshalb ist der Herrentag der Ur-Feiertag, den man der Frömmigkeit der Gläubigen eindringlich vor Augen stellen soll, auf das er auch ein Tag der Freude und der Muße werde. Andere Feiern sollen ihm nicht vorgezogen werden, wenn sie nicht wirklich von höchster Bedeutung sind; denn der Herrentag ist Fundament und Kern des ganzen liturgischen Jahres." Ein wichtiger Text findet sich auch in der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar im Beschluss Gottesdienst (vgl. Offizielle Gesamtausgabe I, 198-206). Ich möchte nur eine Stelle zitieren: "Darum kommen die Christen zusammen, um in den wechselnden Situationen des Lebens diese Botschaft immer besser zu begreifen und von ihr durch den Geist Jesu Christi ergriffen zu werden. Sie versammeln sich, um ihre Dankbarkeit gemeinsam auszudrücken, aber auch ihre Schuld und ihr Versagen zu bekennen. Sie können nicht aufhören, von ihrer Hoffnung zu singen und zu träumen, und sehen darin einen unersetzlichen Dienst an der Menschheit. Sie feiern nicht, um dem Alltag zu entfliehen, sondern um ihn in der Kraft Gottes zu bestehen im Dienst am Nächsten. Durch ihre gottesdienstlichen Feiern und durch das, was darin geschieht, erkennen sie ihren Glauben, der sich vollendet, wenn er in der Liebe wirksam wird." (I, 198) Hinweisen möchte ich noch auf das überaus gehaltvolle Apostolische Schreiben von Papst Johannes Paul II. "Dies Domini" vom 31. Mai 1998 (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 133, Bonn 1998).


Dies war auch noch lange Zeit bis in das 19. und 20. Jahrhundert gültig. Erst in der industriellen Revolution gab es einschneidendere Veränderungen. Im Interesse optimaler Maschinenlaufzeiten wurde die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit für Männer, Frauen und Kinder nach oben getrieben. Es gab Arbeitszeiten von bis zu 16 oder gar 18 Stunden an sechs oder sieben Wochentagen. Die gesundheitlichen und sozialen Folgen waren katastrophal. 1839 erlies Preußen ein Regulativ, das die Arbeit von Kindern unter 9 (später 12) Jahren an Sonntagen verbot und die wochentägliche Arbeitszeit begrenzte. Im Jahre 1887 stellten deutsche Umfragen fest, dass Sonntags im Durchschnitt knapp 60 % der Betriebe aus allen Wirtschaftszweigen (Großindustrie, Handwerk, Handel und Verkehr) ganz- oder halbtags arbeiten ließen und dabei rund 42 % der Beschäftigten eingesetzt wurden. 1891 wurde Sonntagsarbeit grundsätzlich verboten, einschließlich einer bestimmten Ausnahmeregelung. Es tritt eine völlig neue Situation ein, als mit der Weimarer Reichsverfassung im Jahr 1919 der Schutz des Sonntags Verfassungsrang erhält (vgl. Art. 139). Er gilt als Art. 140 unseres Gundgesetzes weiter: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tag der Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt."


Seit 1960 aber hat sich unter internationalem wirtschaftlichem Druck und wegen des sich weiter verändernden Freizeitverhaltens die Lage wieder geändert. Immer mehr Industriezweigen wird die kontinuierliche Sonntagsarbeit zugestanden. Sie steigt vor allem im Dienstleistungsbereich rapide an. In diesem Sinne wurde 1994 ein neues Arbeitszeitgesetz verabschiedet, das frühere Verordnungen von 1895 und 1938 aufhebt und nun in Generalklauseln die erlaubten und verbotenen industriellen und gewerblichen Tätigkeiten erfasst. In diesem Gesetz ist in Deutschland mehrmals auch die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit und die Beschäftigungssicherung aufgenommen. Auch das deutsche Ladenschlussgesetz wurde 1996 stark liberalisiert. Der gesellschaftliche Konsens sowie die Rechtsprechung werden in diesen und in anderen Bereichen liberaler.


Eine wichtige weitere Veränderung erfolgt durch das heutige Freizeit-Angebot und durch den Tourismus. Die Sonn- und Festtage sind in der Gefahr, entweder weitgehend verdrängt oder zum bloßen Wochenende, zum Ort für Ausflugs- und Sportveranstaltungen u.a. zu werden. Sie werden so ihres ursprünglichen theologischen und anthropologischen Sinnes beraubt und werden zum Anlass für neue Zwänge, von denen der Mensch nach der genuinen Auffassung des Sonntags an diesem Tag gerade befreit werden sollten. Der "Wochenende-Tourismus" und das geänderte Freizeitverhalten greifen tief in das Leben der Menschen ein. Sonntagsbräuche, festliche Kleidung und Sonntagsessen haben sich zum Teil verloren. Die Sinngebung des Sonntags ist in hohem Maß Privatsache geworden. Manche sind dadurch überfordert und leiden unter "Wochenenddepression" und "Sonntagsneurose". Sie können sich nur mehr durch Arbeit oder einen Freizeit-Stress ausdrücken. Ihre Fähigkeit zu Muße, Fest und Feier ist verkümmert. Das Wochenende wird von der Vergnügungs- und Unterhaltungsindustrie, vom Sport- und Freizeitbetrieb beherrscht. Dadurch kann vielen zur Erholung, Unterhaltung und Zerstreuung geholfen werden, weniger in entsprechendem Maß zur Sinngebung des Sonntags und des Lebens überhaupt. Es besteht kein Zweifel, dass in diesem Zusammenhang auch der Besuch des Sonntagsgottesdienstes, der in vieler Hinsicht ein Gradmesser der Beteiligung am Leben der Kirchen ist, drastisch zurückgegangen ist.


Hier wird deutlich, dass der religiöse und der anthropologische sowie der soziale Sinn des Sonntags eng miteinander verbunden sind. Die gemeinsam verbrachte und geteilte Zeit stützt und erhält das Leben in größeren und kleineren Gemeinschaften. Der Zusammenhang vor allem in überschaubaren Gemeinschaften wird dagegen gefährdet, wenn die notwendige Unterbrechung an unterschiedlichen Tagen stattfindet, sodass die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die zuerst nur in ihren Vorteilen gesehen wird, offenkundiger wird in den Folgen. Der Sonntag hat auch die Aufgabe des Schutzes vor einer weitgehenden oder totalen Ökonomisierung des Menschen. In einer notwendigerweise von Leistung geprägten Gesellschaft schafft gerade der Sonntag, wenn er richtig begangen wird, eine Zone der Freiheit z.B. vom Leistungsdruck. Er verhilft zum Abstand von dem sich immer mehr beschleunigenden Wandel sowie vom Anpassungsdruck des Erwerbslebens. Die Woche öffnet sich darum auch am Sonntag auf das Lebensganze hin, auf die Frage nach dem Woher und Wohin und dem Sinn des Lebens überhaupt. So ist der Sonntag eine Form, Zustimmung zur Welt und zum Leben im ganzen, einen Tag der Orientierung, der Vergewisserung des Lebenssinnes und der Öffnung auf Transzendenz und Gott hin zu gewinnen. Insofern ist die Feier des Sonntags, gerade wenn es auch um das Freiwerden von Zwängen geht, ein Erfordernis der Menschenwürde, ein Protest gegen die Vermarktung des Menschen und gegen die Versklavung durch die Arbeitswelt. Der Sonntag ist ein Tag der Gemeinschaft, der Kultur und der Pflege gesellschaftlicher Intimräume (Ehe und Familie, Freundschaften usw.) und wirkt so der Vereinsamung und Anonymität in der heutigen Gesellschaft entgegen.


Diese Bedeutung für die Gesellschaft kann der Sonntag allerdings nur dann gewinnen, wenn er grundsätzlich von allen gemeinsam gehalten wird und nicht in einer "gleitenden Arbeitswoche" jeder einen anderen freien Tag erhält. Selbstverständlich müssen manche Arbeiten auch am Sonntag geleistet werden. Sie sollen jedoch im Interesse aller auf jene Aufgaben beschränkt werden, die für das Gemeinwohl unbedingt erforderlich sind. Die Sorge um den Sonntag ist darum auch nicht nur Sache des Einzelnen oder der Kirchen, sondern sie muss auch von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft mitgetragen werden. Der Sonntag - übrigens ebenso wie der Sabbat - ist freilich in seiner gesamten Geschichte immer wieder vor einer schleichenden Erosion durch verschiedene Interessen gefährdet. Dabei gibt es auch verschiedene grundlegende Missverständnisse. Ein besonders bedauerlicher Bruch mit der Tradition ist es, dass die Internationale Organisation für Standardisierung (ISO), eine Unterorganisation der UNO, empfohlen hat, ab 1.1.1970 den Sonntag als letzten Tag der Woche zu betrachten.


Darum muss der Sonntag immer wieder in seiner Unentbehrlichkeit und Unersetzbarkeit für den Menschen verteidigt und geschützt werden. Es gibt dafür immer wieder neue Herausforderungen. Die Kirchen haben in ökumenischer Zusammenarbeit während der letzten 20 Jahre immer wieder versucht, sich dieser Aufgabe zu stellen (vgl. die Gemeinsamen Worte "Den Sonntag feiern", 1984, "Der Sonntag muss geschätzt bleiben", 1985, "Unsere Verantwortung für den Sonntag", 1989 und "Menschen brauchen den Sonntag", 1999). Dabei geht es in eins mit dem religiösen Gehalt immer auch um den Sonntag in seiner humanisierenden, sozialen Funktion und in seiner kulturellen Bedeutung.


Darum möchte ich gerade vor diesem Hintergrund die Einrichtung dieser Ausstellung mit Nachdruck begrüßen und dafür danken, dass hier eine außerordentliche Gelegenheit besteht, über den Sonntag und seine heutige Gefährdung neu nachzudenken. Die Ausstellung kann uns nicht nur an vergebliche und falsche Versuche der Korrektur unserer Zeitrechnung erinnern, sondern auch zur Einsicht führen: Alle Geschöpfe, besonders die Menschen, sollen Gelegenheit erhalten, sich von den Zwängen der Gesellschaft und unserer Welt freizumachen und sich zu erholen. Der Rhythmus von Arbeit und Freiheit von ihr ist für die Existenz des Menschen ähnlich wichtig wie seine soziale Grundanlage. Darum steht der Sonntag nicht zu unserer freien Disposition. Zu den Bedingungen gelungener Freiheit gehört eine würdige Feier des Sonntags. Also ist es kein Zufall, dass der Sabbat für die Juden ein ganz besonderes Geschenk Gottes an die Menschheit ist - nicht minder der Sonntag.


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Kleine Bücherauswahl


Zunächst sei auf die Artikel Sabbat/Sonntag in den großen Lexika verwiesen:


Lexikon für Theologie und Kirche, Religion in Geschichte und Gegenwart, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Neues Bibellexikon usw. Leider enthält das historische Lexikon "Geschichtliche Grundbegriffe" keinen entsprechenden Artikel.



C. S. Mosna, Storia della Domenica dalle origini fino agli inzi del V Secolo, Roma 1969,


Willy Rordorf, Sabbat und Sonntag in der Alten Kirche, Zürich 1972 (Auswahl von Texten),


Der Sonntag, Anspruch – Wirklichkeit – Gestalt, hrsg. von A. M. Altermatt u.a., Würzburg 1986,


Jürgen P. Rinderspacher, Am Ende der Woche. Die soziale und kulturelle Bedeutung des Wochenendes, Bonn 1987,


E. Schudlich, Die Abkehr vom Normalarbeitstag. Entwicklung der Arbeitszeiten in der Industrie der Bundesrepublik seit 1949, 3 Bände, 1987ff.,


Mehr als ein Weekend? Der Sonntag in der Diskussion, hrsg. von J. Wilke, Paderborn 1989,


Abraham J. Heschel, Sabbat. Seine Bedeutung für den heutigen Menschen, Neukirchen 1990,


K. Koch, Ist der Sonntag noch zu retten? Unzeitgemäße Fragmente, Stuttgart 1991,


H. Maier, Die christliche Zeitrechnung, Freiburg 1991,


G. Schulze, Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt 1992,


G. Schmidtchen, Lebenssinn und Arbeitswelt, Orientierung im Unternehmen, Gütersloh 1996.
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