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»Lobpreis wie Popcorn?«:


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Rolf

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Serie »Lobpreis wie Popcorn?«: »Sprache und ihre Bilder reflektieren eine Erfahrungswelt« (Martin Pepper)





Von Martin Pepper



03.03.2008




"Lobpreis wie Popcorn? - Warum so viele Anbetungslieder so wenig Sinn ergeben" lautet der provozierende Titel eines Buchese, das in dieser Woche im R. Brockhaus Verlag erscheint. Witzig, aber auch nicht minder bissig setzt sich darin der britische Autor Nick Page (Übersetzung von Andreas Malessa) mit dem Reizthema "Lobpreiskultur" auseinander.
Wir haben das Buch bekannten deutschen Lobpreisleitern geschickt, damit sie sich an dem Text reiben und ihr eigenes Schaffen an seinen Thesen kritisch hinterfragen können.

Wer schon mal bei einem Essen im Restaurant plötzlich auf Steine gebissen hat, die sich im Salat, in Meeresfrüchten oder im Hackfleisch versteckt hielten, weiß, wie ich mich beim Lesen dieses Buches gefühlt habe. Eine Mischung aus Genuss, Nährwert und spitzen Steinen, an denen man sich beim herzhaften Zubeißen verletzt. Ich ignorierte zunächst Titel und Coverfoto, um möglichst unvoreingenommen so viel wie möglich vom Gedanken - Menü dieses Autors zu kosten, der immerhin von namhaften Leuten aus England auf dem Buchrücken empfohlen und dem von mir sehr geschätzten Andreas Malessa übersetzt und ergänzt worden ist. Schon bald musste ich herzhaft lachen und konnte mich mit dem Standpunkt des Verfassers gut identifizieren, weil er Dinge köstlich beschreibt, die in unseren Kreisen wohlmeinend, aber mit unbeabsichtigter Wirkung auf den Tisch gebracht werden (der Hochzeitslobpreis).

Es ist allerdings nicht ganz neu und originell, was er da mit seinem „Muster – Lobpreisleiter“ Kornelius Kleinteil an Humor ins Spiel bringt. Eine solche Inszenierung des selbstverliebten und sich maßlos überschätzenden „Lowprice Lighters“ hat uns ja schon Klaus Fischer geschenkt; und Adrian Plass hat ähnliche Figuren in seinen Büchern entworfen. Sei es drum, wir genießen das Plagiat mit Wilhelm-Busch Feeling (ach, was muss man oft von diesen Lobpreisleitern hören und lesen ...) und hoffen auf die versprochene Reformation des so unsinnig und flach gewordenen Lobpreisliederrepertoires. Ich bin gespannt und werde belohnt: Einige aus meiner Sicht hervorragende Thesen und Leitsätze werden in diesem „Zwischenruf“ genannt.

Hier meine Favoriten, mit denen ich mich absolut identifizieren kann, aber auch meine Einwände:

Zitat: „Was öffentlich vorgetragen wird, muss auch öffentlich diskutiert werden dürfen.“ Und: “Mit Leuten, die göttliche Offenbarung für sich in Anspruch nehmen, kann man schlecht diskutieren.“ (S.69)

Meine Ergänzung: Unsere Gotteserfahrung und ihre Vermittlung ist immer eine Mischung aus menschlichen und göttlichen Impulsen. Wer „Gott pur“ für sich beansprucht, ist an der Grenze der Anmaßung.
Mein Einwand: In der öffentlichen Diskussion um Inhalte und Ausdrucksformen der Lobpreislieder müssen wir ebenso den Respekt vor dem menschlichen Element einfordern. Verdächtigungen und Unterstellungen fördern keine sachorientierte Diskussion. Einige dieser verletzenden Steinchen hätte man mit etwas Sorgfalt aus dieser Mahlzeit entfernen können (vielleicht nach Rücksprache mit einigen der diskussionsfreudigeren Verdächtigten).

“Tiefe wird von Menschen unterschiedlich wahrgenommen.“

„Tiefe Wahrheiten erzeugen tiefe Anbetung. Flache Worte erzeugen oberflächlichen Lobpreis. Banale, bedeutungsarme Lyrik, die obendrein handwerklich grob gezimmert in verwirrenden Begriffen daherkommt, wird uns nicht in jene tiefe Gottesverbindung führen, die die Kirche und die Welt letztlich brauchen.“ (S.39)

Mein Einwand: Tiefe wird von Menschen unterschiedlich wahrgenommen. Was für den einen als tiefsinnig verstanden wird, ist für den anderen verkopft und kompliziert. Das hat mit Sozialisation (Bildung, Hintergrund, lyrisches Empfinden) zu tun, nicht mit Echtheit. Einige Menschen haben beim Singen einfach gestrickter Chorusse tiefgehende Gotteserfahrungen und werden in ihrem Glauben berührt und gestärkt. Es gibt nicht umsonst eine große Bandbreite christlicher Ausdrucksformen, in denen sich unterschiedliche Menschen je nach ihrem Lebensgefühl und ihrer Herkunft „wohl“ fühlen. Wer so ein „mir ist wohl in dem Herrn“ als Ausdrucksform mag, sollte von dem, der mehr intellektuelles Niveau sucht, nicht in seiner Art der Begegnung mit Gott abgewertet werden. Ich erlebe auf meinen Reisen durch die christlichen Gemeinden auch manches, was ich selber nicht mag und so nicht machen würde. Wo ich gefragt werde, mache ich Verbesserungsvorschläge. In kleinerem privaten Kreis mache ich mich auch mal ein bisschen lustig darüber. Ich zerre dies aber nicht detailliert an die Öffentlichkeit und lästere genüsslich in öffentlichen Plattformen über diese Menschen. Das verbietet mir die Liebe zur Gemeinde und auch ein gewisses Ehrgefühl. Wie sagt man so schön: da schweigt des Sängers Höflichkeit.

“In vielen Kreisen werden Gefühle grundsätzlich verdächtigt.“

Zitat: „Lobpreis ist eine Kombination aus Verständnis und Empfindung. Wenn wir begriffen haben und uns ergriffen hat, was Gott für uns tat, können wir auch mit unseren Gefühlen darauf reagieren. Einsichten allein führen zu leblosen, erstarrten Gottesdiensten. Nur Gefühle allein führen zu oberflächlichen, vorübergehenden Gottesdiensten. Wir brauchen eine ausbalancierte Mischung!“ (S.54-55)

Meine Ergänzung: In vielen Kreisen werden Gefühle grundsätzlich verdächtigt. Emotion und Spontaneität sind lange Zeit keine Kennzeichen christlicher Gemeinden gewesen (Ausnahmen: die Gospelszene und die charismatisch pfingstlichen Gemeinden, in denen Spontaneität durch das Wirken des Geistes gesucht wird und dadurch auch emotional eine größere Freiheit existiert). Ich habe mich im Laufe meiner Entwicklung als Christ immer wieder zu den Kreisen hingezogen gefühlt, wo geistlich und emotional eine gewisse Weite erfahrbar war. Es tut mir einfach gut, mit anderen zusammen in einen Raum großer Freiheit und tiefer Emotionalität einzutauchen, um mich von Gott berühren, heilen, erfrischen und auch herausfordern zu lassen. Andererseits habe ich auch erlebt, das man manchmal wirklich nur das pure „emotional-geistliche“ Erlebnis will. Da wird das Bemühen um Moderation und Verstehen zwischen den Liedern nur als Behinderung des Geistes verstanden.
Mein Einwand: Die Verspottung einer intensiv gefühlsmäßig anbetenden Person durch das Cover hilft nicht gerade, Verständnis und Respekt für unterschiedliche Ansätze im Feiern der Begegnung mit Gott zu schaffen.

„Selbstständigkeit, Rückgrat und mündiges Verhalten sind auch Gottes Erziehungsziele“

Zitat: „Gute Absichten sind kein Ersatz für gute Technik!“ (S.64)

Meine Ergänzung: Die häufige Abwertung unserer Erfahrungen, Möglichkeiten der Vorbereitung und Organisation zugunsten eines „reinen“ von Gott geleitet Seins ist eine der immer wiederkehrenden Lehrbetonungen in der „Lobpreisszene“. Das, was wir machen und lernen können, wird als fleischlich, menschlich und selbstherrlich abgewertet, während das reine Beten, „sich abhängig machen von Gott“ als Allheilmittel zu einer geisterfüllten und gottgefälligen Veranstaltung, einem Lied, einer Anbetungszeit etc. angesehen wird. Da wird oft ein „entweder – oder“ statt ein „sowohl – als auch“ gepredigt. Das demotiviert den Einsatz und die Entwicklung eines guten Handwerkszeugs, guter Technik, und sorgfältiger Planung. „Nur durch Gott“ ist eine These, die Angst davor hat, das wir durch allzu viel menschliche Eigenaktivität den Herrn behindern, bremsen und vor allem, dann, wenn es erfolgreich ist, uns selbst zu sehr dafür auf die Schulter klopfen könnten. Ich meine, dass Gott die Größe hat, uns mit unseren entwickelten Stärken anstatt ohne sie zum Ziel zu führen und uns das Erfolgserlebnis in jeder Hinsicht gönnt. Selbstständigkeit, Rückgrat und mündiges Verhalten sind auch Gottes Erziehungsziele bei seinen Kindern, wie ich es in meiner Befreiungshymne „Emanzipation“ auf dem neuen Album „Fiesta“ zum Ausdruck gebracht habe.

Ich kann also manches in diesem Buch als wertvolle Anregung zur Verbesserung der Texte, des Liedgutes und der stilistischen Bandbreite unserer christlichen Gottesdienstmusik sehen. Anderes wieder ist mir zu verletzend, weil dieser moralisierend erhobene Zeigefinger mir immer wieder den Geschmack verdirbt, z.B. die Unterstellung, das moderne Anbeter das Leben ausklammern und nur „eine schöne Zeit der Anbetung“ haben wollen (Kap.3). Wer die „Anbetungsszene“ auch nur oberflächlich kennen lernt (zumindest bei uns in Deutschland), der kriegt als erstes den Leitsatz „Anbetung ist mehr als Lieder singen – es muss mit unserem Leben zusammengehen“ auf die Ohren.

„Sprache und ihre Bilder reflektieren eine Erfahrungswelt“

Zu allen Beobachtungen unreifer Selbstüberschätzung, hastiger Veröffentlichungswut und an die Peinlichkeit grenzender Texte kann ich nur laut „mea culpa“ (auch meine Schuld!) sagen. Ich bin all dieser Dinge immer wieder schuldig geworden und habe ein ausgewogenes, reiferes Denken nur im Laufe der Zeit gewonnen. Von den etwa 100 veröffentlichten Texten meiner Songs aus den letzten 30 Jahren auf meiner Webseite habe ich bei einigen der ersten Lieder gravierende Veränderungen vornehmen müssen, weil es so viel Flaches, Unreifes und schnell Gestricktes gab, das mir heute peinlich ist. Andere habe ich so, wie sie waren, stehen gelassen, um auch diese Entwicklungsstufen zu dokumentieren.

In allen Liedern aber habe ich die Erfahrungswelt und Begeisterung eines Menschen transportiert, der die Wirklichkeit Gottes für sich entdeckt hat und es irgendwie ausdrücken will. Und hier ist ein weiteres Problem mit dem, was Nick Page einfordert: moderne Sprache. Sprache und ihre Bilder reflektieren eine Erfahrungswelt. Die Erfahrungswelt der Glaubenden, vor allem, wenn es um tiefgehende Momente der Berührung durch Gott geht, braucht das Geheimnis, das Andere, das vom Profanen abgesonderte, das Heilige. Hierfür findet man eher in der Sprache der Bibel als in der Alltagssprache unserer Zeit Entsprechungen. Ich plädiere für eine Sprache, die beides in einer gesunden Mischung enthält – biblische Urbilder, Worte mit Signalcharakter für bestimmte Erfahrungen in der Anbetung ergänzt und unterbrochen von Alltagssprache, die aber lyrisch schön sein muss und nicht technisch oder zu intellektuell klingen darf.

Ich bekenne mich auch zu der Bedürftigkeit nach Ergänzung und Korrektur durch andere. Meine Lieder werden vor ihrer Veröffentlichung nicht nur in meiner Familie besprochen und kritisiert. Ich habe immer wieder auch von Beate Ling profitiert, die zwar selber keine Songs schreibt, aber ein sehr hohes Feingefühl und Verständnis über anspruchsvolle Lieder entwickelt hat. Sie kennt sowohl die Erfahrungswelt „anbetungsfreudiger“ Gemeinden als auch den Wunsch nach intellektueller Tiefe und textlicher Sauberkeit, wie sie in der christlichen Liedermacherszene zu finden sind. Sie hat mich geschult, z.B. „im Bild zu bleiben“ und Sinnwidersprüche zu entfernen. Eine Panne wie „Von den Tälern zu den Bergen fließt ...“ wäre bei ihr sicher nicht durchgegangen (wie kann etwas von unten nach oben fließen?).

Ich freue mich, das der R. Brockhaus Verlag das allzu vernichtende Pauschalurteil des englischen Titels „Why worship is failing the church“ nicht eins zu eins übernommen hat. Das deutsche Buch ist eine herzhafte Mahlzeit, die aber mit ein paar spitzen Steinen zu viel serviert wurde.


Paperback, 100 Seiten
VÖ: Februar 2008
Verlag: R. Brockhaus Verlag
ISBN: 978-3-417-26233-9



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