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Der Unterschied zwischen "Sekten" und "Nicht-


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Rolf

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Der Unterschied zwischen "Sekten" und "Nicht-Sekten"





Von Kjell Totland



In der Diskussion ¸ber das, was als die problematischen Seiten religi–ser Sekten aufgefaþt wird, richtet sich die Aufmerksamkeit gew–hnlich darauf, auf welche Weise sich Sekten von normalen Glaubensgemeinschaften unterscheiden, aber selten darauf, welche gemeinsamen Z¸ge es geben kann. Der Autor behauptet seinerseits, daþ Sekten und Nicht-Sekten viele gemeinsame Z¸ge haben, wenn man von der Haltung des einzelnen Individuums ausgeht. Dies wird durch die Konkretisierung des Begriffes "egozentrische Haltungen" als Ph”nomen exemplifiziert, das in verschiedenen Graden bei Menschen in allen Glaubensgemeinschaften vorkommt. Der Autor beschreibt auch Beispiele von gleichartigen Z¸gen bei autorit”ren Haltungen, die sich in unserer Kultur der Kindererziehung finden, und von entsprechenden Haltungen in religi–sem Zusammenhang.


Was bedeutet der Begriff "Sekte" ?


Traditionell war es ¸blich, zwischen sektiererischen und nicht-sektiererischen Glaubensgemeinschaften zu unterscheiden, eventuell mit einer Zwischengruppe von Glaubensgemeinschaften mit sektiererischen Z¸gen. Eine ¸bliche Begr¸ndung f¸r solche Kategorisierungen ist, man habe einen Bedarf, gewisse religi–se Gruppen zu identifizieren, vor denen man meine, in unserer Kultur warnen zu m¸ssen. F¸r diese Begr¸ndung habe ich ein gewisses Verst”ndnis. Aber eine solche Einteilung zu treffen ist nicht ganz unproblematisch. Erstens setzt man voraus, daþ nur einzelne Glaubensgemeinschaften sektiererisch sind. Beckford (1975) behauptet zum Beispiel, daþ zwischen Sekten und Nicht-Sekten nur graduelle Unterschiede bestehen.

Beckford empfiehlt ferner, man solle alternativ eine Anzahl von gemeinsamen Kriterien entwickeln, die man auf verschiedene religi–se Gruppen beziehen kann und die einen Ausgangspunkt f¸r Forschung und seri–se Diskussionen bilden k–nnen. Als eine Parallele dazu kann man die Entwicklung des Begriffes Psychopathie sehen: Traditionell ist es ¸blich, einzelne Menschen entweder als Psychopathen oder als Nicht-Psychopathen zu beschreiben. Und man meint, es sei richtig, ein solches Entweder / Oder aufrecht zu erhalten, weil es wichtig sei, diese Gruppe zu "entlarven" und weil es oft die gleichen Z¸ge seien, die man bei Psychopathen finde. Nach und nach wurde der Begriff Psychopath durch Soziopath ersetzt, da man meint, Menschen als Psychopathen zu bezeichnen, sei Ausdruck f¸r ein zu destruktives Menschenbild, und man solle statt dessen das Augenmerk auf das Zusammenspiel mit der Umgebung richten. Heute spricht man meist davon, daþ Personen in gr–þerem oder geringerem Maþ psychopathische Z¸ge haben k–nnen, daþ alle Menschen in der einen oder anderen Form, in gr–þerem oder geringerem Grad oder in Perioden des Lebens psychopathische Z¸ge aufweisen oder psychopathische Techniken anwenden, und daþ die Bezeichnung Psychopath nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn diese Z¸ge und Techniken klar und deutlich sind und bestimmte Kriterien erf¸llen. In meiner weiteren Darstellung des Sektenbegriffes m–chte ich diesen auf eine Weise definieren, die dem heutigen Psychopathie-Begriff entspricht.

Eine kategorische Unterscheidung zwischen Sekten und Nicht-Sekten zu schaffen kann auch dazu ben¸tzt werden, Macht und Kontrolle in Bezug auf die eigene Rechtgl”ubigkeit zu markieren und damit zu bewirken, daþ sich Menschen voneinander distanzieren, statt aufeinander zu h–ren und voneinander zu lernen. Man hat vielleicht eine vage Empfindung, daþ die Gruppe, der man selbst angeh–rt, nicht die "volle und ganze Wahrheit" darstellt, und daþ andere "abweichende" Glaubensgemeinschaften vielleicht etwas beizutragen haben. Statt daraus die Konsequenzen zu ziehen, wird die ganze andere Glaubensgemeinschaft als Sekte mit der Absicht definiert, die eigene religi–se Identit”t zu verteidigen und zu sch¸tzen. Auf diese Weise wird die Bedrohung von seiten dieser Glaubensgemeinschaft eliminiert.

Auþerdem ist der Begriff statisch und nimmt nicht R¸cksicht (a) auf Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern: Zwei Personen k–nnen Mitglieder der selben Glaubensgemeinschaft sein, aber nur die eine hat sektiererische Haltungen. (B) auf zeitliche Unterschiede: Glaubensgemeinschaften k–nnen sich ”ndern, oder die Auffassung der Umgebung dar¸ber, was sektiererisch ist, ”ndert sich. Fr¸her war zum Beispiel der Begriff "dissidente Gruppe" negativer beladen. © von Land zu Land oder von Ort zu Ort, oder (d) zwischen dem, was die Organisation lehrt, was das einzelne Mitglied lehrt, was das einzelne Mitglied faktisch glaubt und was in formellen und informellen Zusammenh”ngen vermittelt wird.

Es gibt auch keine Einigkeit dar¸ber, was der Grund daf¸r sein soll, eine Glaubensgemeinschaft als Sekte zu bezeichnen: (a) Die formelle Definition geht darauf hinaus, eine Sekte sei eine Ausbrechergruppe aus einer gr–þeren etablierten Glaubensgemeinschaft (siehe z.B. Aschehoug und Gyldendal, "Das groþe norwegische Lexikon", 1989). Jedoch nicht alle Glaubensgemeinschaften, die von den meisten als Sekten empfunden werden, passen in eine solche Definition. Eine Schwierigkeit liegt auch darin, daþ das rechtgl”ubige Christentum nach dieser Definition zu Beginn eine Sekte war, da es aus dem klassischen Judentum ausbrach, indem es behauptete, die Juden h”tten miþverstanden, was Gott eigentlich wollte. (B) Die eher umgangssprachliche Definition f¸r Sekte, die etwa so lautet: Eine kleine Gruppe von Menschen, die f¸r sich selbst leben und ihre eigenen religi–sen Interessen haben. © Andere wieder setzen ein Gleichheitszeichen zwischen Sekten und alle, die unter den Begriff "neureligi–se Glaubensgemeinschaften" fallen. (d)

Einige Autoren haben versucht, Sekten zu definieren, indem sei eine Liste mit Kennzeichen anlegten, wie z.B. Lavik (1985) und Ulland (1995). Begriffe, die sich in solchen Listen fanden, waren: Verhaltens-, Gedanken- und Gef¸hlskontrolle, Gleichmacherei, Perfektionismus, charismatische F¸hrerschaft, dichotomische Einteilung von Menschen usw. Da man hier Kriterien ben¸tzt, wird die Ann”herung sofort seri–ser. Aber es ist ein Problem, daþ man mit verschiedenen Listen arbeitet. Eine Folge davon ist, daþ man leicht auf folgende Weise "beweisen" kann, daþ eine Glaubensgemeinschaft eine Sekte sei: Zuerst nimmt man eine aktuelle Glaubensgemeinschaft aufs Korn, von der man meint, sie sei eine Sekte, dann beschreibt man die Glaubensgemeinschaft in sektiererischen Ausdr¸cken, dann weist man auf eine Kriterienliste hin, die zur Beschreibung paþt, und man hat damit "bewiesen", daþ die Glaubensgemeinschaft eine Sekte ist. Auf ebensolche Weise ist es auch nicht schwierig zu "beweisen", daþ Sekten "Gehirnw”sche" betreiben. (e)

Es ist auch ¸blich zu behaupten, daþ Sekten sich dadurch auszeichnen, daþ sie mit grundlegenden und in unserer Gesellschaft allgemein anerkannten humanistischen Prinzipien brechen, z.B. mit den Menschenrechten der UNO, indem sie autorit”r, pathologisch, undemokratisch und von Ðbergriffen gepr”gt sind, oder daþ sie mit grundlegenden Prinzipien von Respekt und Gleichwertigkeit brechen (das letztere ist eine Ansicht, die auch ich selbst habe). (f)

Andere wieder nehmen den Ausgangspunkt im Lehrm”þigen und setzen damit ein Gleichheitszeichen zwischen Sektentum und Irrlehre (zwei Begriffe, von denen ich glaube, daþ man sie trennen muþ). In Norwegen, wo die lutherische Lehre Staatsreligion ist, war es z.B. ¸blich, Sekten entsprechend ihrem Grad der Abweichung von der offiziellen Lehre der Kirche zu definieren, z.B. mit folgender Einteilung: (1) Die Rechtgl”ubigen, welche die lutherische Lehre akzeptieren. (2) Freigemeinden / Dissidentengemeinden, die lehrm”þig abweichen, ohne daþ man sie deshalb nicht-christlich nennen k–nnte, (3) Sekten, die sich der Grenze des Nicht-Christlichen n”hern oder sie ¸berschritten haben, und (4) Kulte, die lehrm”þig ganz aus dem Rahmen fallen und die auþerdem destruktive Elemente wie Isolation, extreme Personenverehrung. Ðbergriffe usw. enthalten. Johannesen (1991) sagte folgendes (S. 190):

Das Wort (Kult) kann etwas verschieden ben¸tzt werden, aber oft unterscheidet man zwischen "Sekten", was eine Gruppe innerhalb des Rahmens der Christenheit bedeutet, und "Kulten", die auþerhalb des Rahmens der Christenheit fallen. Hoekma (1972) unterscheidet zwischen echten Sekten und falschen Sekten, indem er behauptet, daþ echte Sekten aus einer Mutterkirche ausgebrochen sind, jedoch dennoch Respekt vor ihr haben. Falsche Sekten hingegen, meint er, sind dadurch gekennzeichnet, daþ sie (1) sich selbst ¸bersch”tzen, (2) Gewicht auf Unwesentliches legen und das Wesentliche bagatellisieren, (3) ihr Augenmerk auf Perfektionismus richten, (4) aus dem historischen Christentum und seinem Bekenntnis ausbrechen, (5) eine schriftliche Autori”t ¸ber die Bibel hinaus haben, (6) die Lehre von der Rechtfertigung aus Gnade zur¸ckweisen, (7) Christus abwerten, (8) behaupten, nur Mitglieder der Organisation k–nnten gerettet werden, (9) eine ganz zentrale Rolle in "den letzten Zeiten" spielen wollen. (g) Manchmal werden auch die Ausdr¸cke "Kult" und "Sekte" synonym verwendet. Z.B. ben¸tzt Hoekma (1972) die Bezeichnung Kult f¸r die Siebenten-Tags-Adventisten, Mormonen und die Christliche Wissenschaft, was hier in Norwegen nicht ¸blich ist.

Ein Beispiel daf¸r, wozu es f¸hren kann, wenn kein Konsens dar¸ber besteht, was man unter einer Sekte versteht, sind zwei Ank¸ndigungen im Wochenblatt "Vi Menn" ("Wir M”nner"), wo die Redaktion in Nummer 31/95 behauptete, die Pfingstbewegung sei eine Sekte, um dies (nach "gewissen Reaktionen") in der Nummer 35/95 zu dementieren.
Ich selbst meine, daþ es richtig ist, Glaubensgemeinschaften und religi–se Gruppen als Sekten zu identifizieren, wenn es ganz offenbar ist, daþ sie mit grundlegenden humanistischen Prinzipien wie Respekt und Gleichwertigkeit brechen. Denn es handelt sich darum, daþ wir als Mitmenschen die Verantwortung daf¸r ¸bernehmen m¸ssen, einander auf destruktive und sch”dliche Elemente in unserer Kultur aufmerksam zu machen, wenn es solche gibt.

Aber gleichzeitig m¸ssen wir zugestehen, daþ Sektierertum etwas ist, was man in allen religi–sen Zusammenh”ngen finden kann (nat¸rlich auch in nichtreligi–sen Zusammenh”ngen). Um diese Nuance hervorzuheben, schlage ich vor, den Begriff religi–se sektiererische Haltungen einzuf¸hren. Meine Definition einer religi–sen Sekte sieht dann so aus, daþ es sich um eine Glaubensgemeinschaft oder religi–se Gruppe handelt, die Haltungen aufweist, die ganz klar mit grundlegenden Prinzipien von Respekt und Gleichwertigkeit brechen. Diese Haltungen m¸ssen sowohl von seiten der Mitglieder als auch der Leitung der Glaubensgemeinschaft / Gruppe zum Ausdruck kommen.

Aber in der Praxis wird es schwierig (um nicht zu sagen unm–glich) sein, eindeutig zu sagen, wann eine Nicht-Sekte zur Sekte wird oder umgekehrt. Nach meiner Meinung ist es verh”ltnism”þig normal, daþ man auf der Ebene der Individuen in einer Nicht-Sekte Personen mit Haltungen finden kann, die extremer sind als bei mehreren Personen in einer Sekte, und daþ man in Sekten Personen finden kann, die gem”þigter sind als solche in vergleichbaren Nicht-Sekten. Man kann daher den Unterschied zwischen Sekten und Nicht-Sekten gut beschreiben als "zwei Normalvariationen mit verschiedenem Durchschnitt und verschiedener Streuung und mit einer gewissen Ðberlappung".


Egozentrische Haltungen in religi–sen Zusammenh”ngen


Einen Konsens ¸ber den Begriff sektiererische Haltungen zu erlangen ist jedoch schwierig, da man den Begriff mit vielen Unterbegriffen mit unklarem und teilweise ¸berlappendem Inhalt verbinden kann. Aktuelle Begriffe k–nnen z.B. sein: Egozentrisch, autorit”r, ausschlieþend, fundamentalistisch, fanatisch, faschistisch, destruktiv, indoktrinierend, dogmatisch, absolut, totalit”r, extrem und kultisch. Aus diesen Begriffen m–chte ich egozentrische Haltungen herausarbeiten, die meiner Meinung eine Basishaltung darstellen, welche die Grundlage f¸r weitere sektiererische Haltungen bildet. In der weiteren Darstellung m–chte ich Beispiele f¸r solche Haltungen anf¸hren. Beispiele f¸r egozentrische Haltungen in religi–sen Milieus k–nnen Anzeichen daf¸r sein, wie Nicht-Sekten zu Sekten werden k–nnen, wenn die Haltungen verst”rkt werden, sich entwickeln k–nnen und eventuell auch lehrm”þig akzeptiert werden.

1. Ðberbewertung seiner eigenen Bedeutung

Man faþt sich oder die Organisation, die man repr”sentiert, als "Gottes Augenstern" auf, den Gott auf besondere Weise dazu auserw”hlt hat, darin an vorderster Front zu stehen, was Gott den Menschen zu vermitteln f¸r wichtig h”lt, und daþ Personen, die auþerhalb stehen, damit rechnen m¸ssen, ein Teil des "Problems" und nicht der "L–sung " zu sein. In Sekten kann dieses Denken zu einem Teil der offiziellen Lehre der Organisation gemacht werden, und man spricht offen dar¸ber, daþ man besser ist als andere Menschen.

2. Konkurrenz bez¸glich der Frage, wer das beste Verh”ltnis zu Gott hat

Wenn das Augenmerk darauf gerichtet wird, daþ man selbst bedeutend ist, wird es f¸r den einzelnen auch wichtig, anderen gegen¸ber hervorzuheben, was bei einem selbst darauf hinweist, daþ man ein Nahverh”ltnis zu Gott hat. Dies kann direkt oder indirekt vermittelt werden: Man kann direkt sagen: Gott hat zu mir gesprochen, Gott hat mir gezeigt, oder Gott hat sich mir geoffenbart. Oder man kann das eher indirekt sagen: In der letzten Zeit habe ich mehr die Tiefe dessen verstanden, was die Gnade beinhaltet, oder: Ich verstehe immer mehr, wie hilflos und abh”ngig ich von Gott bin. In Sekten kann dies dadurch zum Ausdruck kommen, daþ Leiter direkt sagen, sie h”tten ein besonderes Nahverh”ltnis zu Gott, oder daþ Gott ausschlieþlich durch sie spricht.

3. Augenmerk auf eigenen Erfolg

F¸r jemanden, der egozentrisch ist, paþt es schlecht, ¸ber eigene Schwachheiten zu sprechen. Man kann das Augenmerk darauf lenken, wie diszipliniert man in seinem Andachtsleben, wie getreu in seiner Bibellesung, wie eifrig in der Verk¸ndigung der frohen Botschaft man ist. Ðber "weltliche" Seiten bei einem selbst, inkonsequente Haltungen, faktische Niederlagen usw. zu sprechen paþt schlecht. In Sekten kann man dies zusammen mit einer systematischen Darstellung von "vorbildlicher Leitung" und mit einem st”ndigen Hinweis darauf finden, wie man von ihrem Beispiel lernen kann. Die Leiter k–nnen auch als vollkommen, g–ttlich usw. dargestellt werden.

4. Augenmerk auf ”uþere Kennzeichen des eigenen Wertes

Kriterien f¸r den eigenen Wert k–nnen z.B. sein (a) daþ man "geistliche Disziplin" hat (man hat ein diszipliniertes Andachtsleben, geht regelm”þig zu Versammlungen, ist ein treuer Zeuge usw.). (B) daþ man in seiner Kleidung Ausdruck f¸r eine geistliche Einstellung gibt, © daþ man Ausdruck daf¸r gibt, daþ man zu "den rechten" Leitern aufblickt, (d) daþ man mit der internen Sprache der Gruppe vertraut ist und die rechten Worte am rechten Ort sagt, oder (e) daþ man einen Ehepartner mit einer geistlichen Karriere hat. Gemeinsam f¸r solche Kriterien ist, daþ man die Aufmerksamkeit darauf richtet, sich anderen darzustellen, und daþ man in gr–þerem oder kleinerem Maþ seine Identit”t auf "anerkennenden R¸ckmeldungen" aufbaut. In Sekten kann sich dies z.B. zeigen durch (1) ein extremes Augenmerk, die ganze Zeit zu denken: "Ist das Ÿuþere korrekt?", "bin ich ein guter Repr”sentant f¸r Gottes Auserw”hlte?", oder "ist an mir etwas, das ausdr¸cken kann, daþ ich nicht dabei bin?", (2) umfassende oder detaillierte Konkretisierungen von korrektem Benehmen, oder (3) daþ Kriterien f¸r den Ausschluþ an Abweichungen vom "korrekten Benehmen" gekn¸pft werden.

5. Verehrung der geistlichen Leitung

Jene, die nicht damit prahlen k–nnen, daþ sie bedeutend, erfolgreich oder diszipliniert sind oder daþ sie ein Nahverh”ltnis zu Gott haben, m¸ssen sich statt dessen damit begn¸gen, zu denen aufzublicken, die einen solchen Status haben, viel dar¸ber zu reden, was diese anderen vermitteln, ihre B¸cher zu kaufen, sie zu zitieren, zu hoffen, daþ sie "sich herablassen", ihnen Aufmerksamkeit zu schenken usw. In Sekten kann man dies bei der Verehrung charismatischer Leiter sehen. Es ist auch nicht ungew–hnlich, daþ Sektenleiter eine solche Verehrung beanspruchen und daþ sie verschiedene Formen von Ðbergriffen ben¸tzen, damit die Verehrung aufrecht erhalten wird.

6. Ðberbetonung von Zielgerichtetheit und Effektivit”t

Wenn man die Gunst erhielt, Gottes heimlichen Plan geoffenbart zu bekommen, dann wird es wichtig, nicht unn–tig Zeit zu verschwenden. Alle eigenen Aktivit”ten m¸ssen bewuþt auf das ¸bergeordnete Ziel und die besondere Aufgabe gerichtet sein, die man von Gott erhalten hat. Was mit Spontaneit”t, Zuf”lligkeit, "Ferien", "Leerlauf", "Faulheit" und "Halbherzigkeit" zu tun hat, muþ niedrige Priorit”t erhalten oder ausgeschaltet werden. Wer sich nicht auf solche Bedingungen einl”þt, verl”þt die Elitegruppe und wird nur des "minderen Segens" teilhaftig. In Sekten sind die Drohungen oft dramatischer: Wer nicht bereit ist, gen¸gend programmiert und diszipliniert zu sein, kann Gefahr laufen, von Gottes Zorn, Verdammnis, Ausschluþ oder Isolation getroffen zu werden.

Eine andere Seite davon ist eine Betonung des "Geistlichen" beim Menschen auf Kosten des "ganzen Menschen". Die R¸cksichtnahme auf das Aufwachsen, auf Voraussetzungen, gef¸hlsm”þige Bed¸rfnisse, k–rperliche Bed¸rfnisse, intellektuelle Bed¸rfnisse, –konomische Bed¸rfnisse, soziale Bed¸rfnisse und andere Gegebenheiten von Personen, welche die Aufmerksamkeit vom "Ziel" ablenken k–nnten, wird vernachl”ssigt. Man erh”lt dadurch ein System, das auf kurze Sicht effektiv wirkt, aber auf lange Sicht dem Menschen psychische Probleme bereiten kann. In Sekten kann man dies daran sehen, daþ man z.B. der Familie, den Freunden, der Freizeit, der Ausbildung, der Verliebtheit entsagen muþ.

Eine dritte Seite davon ist die Furcht vor Ambivalenzen, Widerspr¸chen und Unsicherheit bei sich selbst und bei anderen. Es wird auch wenig Raum f¸r divergierende lehrm”þige Auffassungen und daf¸r, offen und "suchend" zu sein, gew”hrt. In Sekten kann man dies daran sehen, daþ die Leitung die Ansicht vermittelt, alle dienten selbstverst”ndlich Gott mit Freuden, alle h”tten das selbe Verst”ndnis davon, wie Gott denkt und was er lehrt, und daþ jene, die vielleicht f¸r etwas anderes Ausdruck geben, entweder unter "Druck gesetzt" werden, sich anzupassen, oder, falls das nichts hilft, als "Aufr¸hrer" oder "Verf¸hrer" bezeichnet werden.

7. Erfahrungen und Methoden, die bei einigen positiv gewirkt haben, werden zu Prinzipien und Gesetzen dogmatisiert, die f¸r alle gelten sollen

Dem, was einzelne erlebt haben, wird so groþe Bedeutung zugemessen, daþ man meint, was man selbst erlebt hat oder die Weise, auf die es geschah, m¸sse auch von allen anderen erlebt und durchgef¸hrt werden. Zum Beispiel kann man der Meinung sein, daþ eine religi–se Bekehrung nur auf eine einzige Weise geschehen kann. Solche Haltungen k–nnen mit einem allgemeinen Mangel an F”higkeit zu Reflexion und Nuancierung zusammenh”ngen. Es kann auch mit dem nat¸rlichen Enthusiasmus zusammenh”ngen, der auf eine Bekehrung folgt. Aber es kann auch mit dem Wunsch zusammenh”ngen, Personen hervorzuheben, welche die "richtigen" Methoden ben¸tzen, oder mit der Furcht vor Vielfalt und davor, jemand, der anders ist, k–nnte ausbrechen und Unruhe erzeugen. In Sekten k–nnen solche Haltungen durch einseitige Betonung des Weges, den der Leiter seinerzeit ging, und durch die Erwartung, daþ alle anderen ihm auf diesem Weg nachfolgen m¸ssen, kultiviert werden.

8. Elitedenken

Elitedenken kann sich in der Form zeigen, daþ man sich ¸ber andere Gl”ubige und andere Glaubensgemeinschaften erhebt. Man sieht auf die anderen mit einer gewissen "herablassenden Nachsicht", man bedauert die anderen, weil sie nicht "sehen", und bittet Gott, er m–ge ihnen in seiner Gnade dennoch vergeben und sie retten. Es kann sich auch in der Form einer Klassentrennung zwischen geistlicher "A-Mannschaft" und "B-Mannschaft" zeigen, indem man z.B. unterscheidet zwischen (a) jenen, die eine pers–nliche Berufung haben und jenen, die sie nicht haben, (B) jenen, die "J¸nger" und jenen, die nur "gew–hnliche Christen" sind, © jenen, die von Gott "pers–nliche Zusagen" erhalten haben und jenen, die "nur" allgemeine Zusagen erhalten haben, (d) jenen, die "geistliche" Gnadengaben erhalten haben und jenen, die nur "gew–hnliche" Gnadengaben erhalten haben, (e) jenen, die "geisterf¸llt" sind oder "ein sieghaftes Leben f¸hren" und jenen, die eine solche "Segnung" nicht erleben, und (f) jenen, die "bibeltreu" und jenen, die es nicht sind. Ich will damit nicht behaupten, alle, die in solchen Zweiteilungen denken, seien automatisch egozentrisch. Gleichwohl dreht es sich um eine Type von Theologie, die gut f¸r Personen paþt, die im Ausgangspunkt egozentrisch sind und die Bedarf f¸r eine "”uþerliche" Best”tigung ihrer Abgesondertheit und Exklusivit”t haben. In Sekten kann man ein solches Elitedenken vorfinden, wenn behauptet wird, "die anderen" w¸rden "gerade noch" gerettet, oder, extremer, wenn z.B. das Heil mit der Mitgliedschaft oder Leiterschaft verbunden wird und sie voraussetzt.

9. Verbindung von Eigenwert mit Position

In Glaubensgemeinschaften, die eine hierarchische Organisationsstruktur haben, ist es nicht un¸blich, sich selbst einen bestimmten Wert als Mensch zuzulegen, abh”ngig davon, wie hoch oben man sich im System befindet und eine wie groþe Verantwortung man hat. Dies h”ngt damit zusammen, daþ man zwischen Eigenwert und Position ein Gleichheitszeichen setzt. Hierarchische Systeme k–nnen, im Gegensatz zu "flachen" Organisationsstrukturen, wie ein Magnet auf Menschen wirken, die Bedarf an ”uþerer Best”tigung ihrer Exklusivit”t und Abgesondertheit haben. In Sekten k–nnen sich solche Zusammenh”nge z.B. durch klare Unterscheidung der "Herren-Klasse" und der "Diener-Klasse" zeigen.

10. Mangelnde F”higkeit oder mangelnder Wille, zu sehen, daþ es sich bei der Wirklichkeit und bei der eigenen Interpretation der Wirklichkeit logisch gesehen um zwei verschiedene Ph”nomene handeln muþ

In der Psychologie gibt es einen Begriff, der "ego-syntones Miþverst”ndnis" genannt wird (Watzlawick 1976). Dies kann man bei Personen finden, die nicht begreifen k–nnen, daþ es sich bei einer objektive Wirklichkeit und deren eigenem Erleben logisch gesehen um zwei verschiedene Ph”nomene handeln muþ, und die auþerdem ihrem Erleben einen ideologischen Ðberbau verleihen. Solche Auffassungen findet man in allen religi–sen Zusammenh”ngen. Manche begn¸gen sich damit, zu sagen, ich habe meine klaren Ðberzeugungen oder hier geht es nicht um Interpretation, sondern darum, sich an die klare Sprache der Schrift zu halten, wenn kontroversielle und komplizierte Lehrfragen zur Diskussion stehen.

Andere gehen in einer solchen kategorischen Denkweise weiter und sehen es als ihre sonnenklare Pflicht an, den Rest der Welt dar¸ber aufzukl”ren, was sie selbst "gesehen" haben, ohne R¸cksicht darauf, ob die Welt an dieser Aufkl”rung teilhaben will oder nicht. Wormnes (1981, S. 189) behauptet, solche ego-syntonen Auffassungen k–nnten sich mit der Zeit in Milieus entwickeln, die von einseitigen Werten und Best”tigungen gepr”gt seien, da man keine Toleranz und keinen Respekt vor verschiedenen gleichwertigen Weisen entwickelt hat, die Wirklichkeit aufzufassen. In solchen Milieus wird alles, was "anders" ist, zur Bedrohung und muþ bek”mpft oder verdr”ngt werden, und verschiedene Techniken werden als Kampfmittel gegen andere ben¸tzt, um die Konsistenz und die Stabilit”t der eigenen Realit”tsauffassung zu bewahren.

11. Moralisierende Haltungen


Moralisierung ist eine Haltung, die man gegen andere Menschen (oder eine andere Gruppe) richtet, von denen man meint, sie h”tten eine "verkehrte" Handlung ausgef¸hrt (oder f¸hren sie aus oder "denken verkehrt"). Moralisierung hat vier Hauptkennzeichen: (a) Man nimmt es als gegeben an, daþ dies, was einem selbst gelingt, auch anderen gelingen kann (Das kann doch kein Problem sein, ich schaffe es ja). (B) Man nimmt es als gegeben an, daþ der andere aus egoistischen und selbstverherrlichenden Motiven handelt (Er ist nur auf die Befriedigung seiner L¸ste bedacht!), © man nimmt an, der andere handle aus Ðberlegung (Das tut er wissentlich und absichtlich!) und (d) man interessiert sich nicht f¸r die Voraussetzungen bei der betreffenden Person (z.B. pers–nlichkeitsm”þige oder genetische) oder f¸r andere Umst”nde rund um die Person (z.B. Milieus, in denen der Betreffende aufwuchs oder in denen er jetzt lebt), die nicht nur bewirken, daþ die Handlung weniger "verkehrt" wird, sondern die die Handlung mitunter zu einer richtigen, sinnvollen und gleichwertigen machen k–nnen. Solche Haltungen d¸rften ¸brigens auch in nicht-sektiererischen Zusammenh”ngen bekannt sein. In sektiererischen Zusammenh”ngen kann man z.B. die "auþerhalb" (oft "die Welt" genannt) als eine Gruppe darstellen, die sich in Gottlosigkeit und satanischen L¸sten w”lzt und es bewuþt unterl”þt, daran etwas zu ”ndern.

Autorit”re Haltungen

Egozentrische Haltungen sind meiner Meinung nach ein grundlegendes Kennzeichen von Sekten und die dahinterliegende Ursache f¸r den Mangel an Respekt und Gleichwertigkeit, die man in allen religi–sen Zusammenh”ngen findet, nicht zuletzt in religi–sen Sekten. Meiner Meinung nach liegt hier auch der Grund f¸r andere Haltungen, z. B. autorit”re Haltungen. Nun sind weder egozentrische noch autorit”re Haltungen etwas, was man nur in religi–sen Zusammenh”ngen findet, sondern es gibt sie ganz allgemein in unserer Kultur. Dies m–chte ich dadurch illustrieren, daþ ich einen Vergleich zwischen autorit”ren Haltungen, wie sie sich z.B. in der Kindererziehung zeigen k–nnen, und solchen in religi–sen Zusammenh”ngen aufstellen will. Es wird dabei nicht zwischen Sekten und Nicht-Sekten unterschieden. Der interessierte Leser kann sich ja selbst eine Meinung ¸ber einen solchen Unterschied bilden, er kann eventuell auch Parallelen zwischen egozentrischen Haltungen in religi–sen Zusammenh”ngen und in der Kindererziehung ziehen

1. Zielsetzung
Autorit”re Kindererziehung Autorit”re religi–se Haltungen

Der Erwachsene hat keinen Plan dar¸ber hinaus, als "Ruhe und Frieden" zu erleben. Man hat keine Pl”ne dar¸ber hinaus, als eine Tradition aufrechtzuerhalten und "die R”der in Gang zu halten".

Das Ziel ist, daþ andere zu einem aufblicken und daþ man einen "guten Ruf" hat. Das Ziel ist, Macht und Einfluþ zu haben und bewundert zu werden, sowohl von den eigenen Mitgliedern als auch von auþerhalb.

Das Ziel ist, sich durch seine Kinder selbst zu verwirklichen. Das Ziel ist, seine Berufung durch die Gemeinde zu verwirklichen.

2. Haltungen
Autorit”re Kindererziehung Autorit”re religi–se Haltungen

Der Erwachsene hat vorausbestimmt, wozu sich das Kind entwickeln soll. Die Parole ist: Komm wie du bist, aber werde wie wir. Es gibt eine allgemeine, konkrete Zielsetzung, die f¸r alle Mitglieder gelten soll.

Der Erwachsene l”þt sich von Pflichtgef¸hl, Gesetzen und Prinzipien leiten. Es wird auf "Gottes Ruf", Gottes Gesetze und formelle oder informelle Bestimmungen hingewiesen.

Der Erwachsene k¸mmert sich haupts”chlich um das Benehmen des Kindes. Das Augenmerk wird meist auf das Ÿuþerliche und Sichtbare gelegt, u.a. darauf, nach auþen hin eine guten Eindruck zu machen. Man ben¸tzt in erster Linie meþbare Kriterien, um Fortschritt und Entwicklung zu best”tigen.

Der Erwachsene ist wenig am Zusammensein mit dem Kind als an einem Wert an sich interessiert. Das Zusammensein der Leitung mit den Mitgliedern wird in erster Linie als eine strategische Handlung (Investition) betrachtet und nicht als ein Wert an sich.

Der Erwachsene ist wenig an den Gef¸hlen und Erlebnissen des Kindes interessiert. Man ist wenig daran interessiert, wie die Mitglieder eigentlich die Situation erleben, auf jeden Fall, solange sie nicht negativ reagieren.

Der Erwachsene zeigt wenig Respekt davor, das Kind in seinem eigenen Takt wachsen zu lassen. Die Leitung bestimmt das Tempo der Entwicklung. Sie wird gerne mit der Entwicklung der anderen Mitglieder koordiniert. Man soll, mit anderen Worten, im Takt wachsen.

Der Erwachsene hat Probleme damit, zu akzeptieren, daþ das Kind darin unterwegs ist, eine Aufgabe zu bew”ltigen, gutes Benehmen zu haben oder ein Ergebnis zu zeigen. Verhaltensprobleme m¸ssen ausgemerzt werden. Gehorsam muþ so rasch wie m–glich erreicht werden. Unsicherheit und Zweifel werden als etwas Negatives betrachtet. "Ordnung in den Reihen" ist wichtig. Auf groþe und kleine negative Reaktionen von Seiten der Mitglieder wird mit Strenge reagiert.

3. Methoden
Autorit”re Kindererziehung Autorit”re religi–se Haltungen

Der Erwachsene l”þt nicht zu. daþ das Kind zur Kindererziehung kritische Fragen stellt. Die Leitung hat ihre Berufung und ihre Aufgaben von Gott erhalten. Kritik daran "von unten" ist daher eine Unm–glichkeit.

Der Erwachsene spricht haupts”chlich zum Kind und nicht mit dem Kind. Es gibt wenig Dialog. Die Kommunikation geht haupts”chlich in einer Richtung, wenn es um Fragen bez¸glich Ethik und Moral geht.

Der Erwachsene ben¸tzt seine eigene formelle Position als Bezug. Erinnere dich daran, wer ich bin. So etwaswollen wir nicht im Hause haben. Die Autorit”t der Leitung, die "von oben" gegeben ist, ist ein ¸blicher Bezug, um die Motivation bei den Mitgliedern aufrecht zu erhalten.

Der Erwachsene baut mehr auf Furcht und Zwang als auf Zusammenarbeit. Furcht vor dem Zorn Gottes, Verdammnis, Ausschluþ und Isolation sind ¸bliche Motivierungsfaktoren.

Abschluþ

Wie ich es sehe, sind sowohl "egozentrische religi–se Haltungen" und "autorit”re religi–se Haltungen" Ausdruck f¸r einen Bedarf bei uns Menschen, uns selbst zu verehren, uns ¸ber andere zu erheben und ¸ber sie zu herrschen. Solche sektiererischen Haltungen k–nnen sich sowohl in religi–sen als auch in nichtreligi–sen Zusammenh”ngen zeigen. Sie k–nnen mehr oder weniger verdeckt sein. Sie k–nnen in gr–þerem oder kleinerem Maþ ein Milieu pr”gen, z.B. durch formelle und informelle Normen. Und in religi–sen Zusammenh”ngen k–nnen Haltungen in gr–þerem oder kleinerem Maþ als ein Teil der Lehre der Glaubensgemeinschaft formuliert sein.

Es war ¸blich, das Augenmerk darauf zu richten, welche Haltungen man in Sekten findet, wie diese den Mitgliedern psychische Sch”den zuf¸gen k–nnen und wie sie vorgehen, um zu verbergen, womit sie sich besch”ftigen. Aber es gab wenig Augenmerk darauf in Beziehung zu nichtsektiererischen Milieus. Das h”ngt m–glicherweise damit zusammen, daþ etliche, die sich f¸r das Sektenwesen interessieren, selbst eine "¸bliche" religi–se Zugeh–rigkeit besitzen und daþ es deshalb am sichersten ist, die Aufmerksamkeit auf die Sekten zu richten. Aber solche Haltungen gibt es ¸berall, und der Unterschied zwischen Sekten und Nicht-Sekten ist vielleicht geringer als man glaubt. Als Beispiel k–nnen wir die folgende Liste von Verbergungsman–vern anf¸hren, die man in "¸blichen" religi–sen Milieus (die meisten auch in sektiererischen Milieus) finden kann: (a) Man weist darauf hin, daþ man "der guten Gesellschaft" angeh–rt, an "der gesunden Lehre" festh”lt und einer religi–sen Mehrheit angeh–rt und sich deshalb allgemeiner Anerkennung in der Gesellschaft erfreuen kann. (B)

Marktr¸cksichten nach auþen hin werden zu einem ¸bergeordneten Ziel. © Ehrlichkeit, Echtheit, Respekt, Offenheit und aktives Zuh–ren werden ersetzt durch Geschlossenheit, Zugeh–rigkeit, Manipulation, Positionierung und Einweg-Kommunikation. (d) In der Theorie legt man Wert darauf, ¸ber Gleichwertigkeit zu sprechen. Aber in der Praxis "genieþt" man es, im Brennpunkt zu stehen. (e) Man maskiert seine Haltungen durch die Ben¸tzung von Redefinitionen, z.B. indem man behauptet, man erwarte "nur" Vertrauen, aber in Wirklichkeit dennoch Gehorsam verlangt. (f) Man versucht, die Vergangenheit auszuschlieþen: Wir waren vielleicht fr¸her so, aber wir sind es jetzt nicht mehr. Oder: Der Leiter tat dies ja in guter Absicht. Oder: Verwirren wir nicht die jetzigen Mitarbeiter durch das, was damals geschah. (g) Quasi-Offenheit: Man ben¸tzt Zeit f¸r Er–rterung, kritische Debatten und dadurch, daþ. man formuliert, wie "offen" man ist. Aber die Beschl¸sse werden auf die gleiche Weise gefaþt wie bisher, und auf kritische Bemerkungen wird in der Praxis keine R¸cksicht genommen. (h) Man nimmt kosmetische Ÿnderungen vor, ohne die grundlegenden Haltungen und Voraussetzungen der T”tigkeit zu ”ndern. (i) Man ben¸tzt viel Zeit, darauf zu h–ren, was andere zu sagen haben, und kommentiert ihre Aussagen, sagt aber wenig dar¸ber, was man eigentlich selbst vertritt (nette Kommentare - gibt es noch andere ?). (j)

Man legt das Augenmerk auf den "Kampf gegen die Sekten", denn da wird niemand den Verdacht hegen, daþ man selbst sektiererische Haltungen hat. (k) Wenn zentrale Leiter Mangel an Respekt und Gleichwertigkeit aufweisen, wird in erster Linie diese Person abgeschirmt. Ihre Handlungen werden wegerkl”rt, indem man auf "den guten Willen", Arbeitsdruck, Widerstand von auþen, Versuchungen, die andere in der Gemeinde dem Betreffenden zuf¸gen, gute Rednergabe, allgemeine Popularit”t und anders hinweist. Die Probleme m¸sse man akzeptieren und damit leben und d¸rfe mit R¸cksicht auf den guten Ruf und die Expansionsm–glichkeiten der Gemeinde nicht beginnen, "Unruhe zu stiften". Man folgt also dem Prinzip, daþ das Ziel die Mittel heiligt.

Wie solche "Verbergungsman–ver" zur Belastung f¸r ein Mitglied werden k–nnen, zus”tzlich dazu, was der Betreffende bereits an sektiererischen Haltungen vorfindet, ist ein Problemkomplex, f¸r den man sich in unserer Kultur vielleicht mehr interessieren sollte.

Es wurde einiges dar¸ber geschrieben, wie Menschen es erleben, Sekten zu verlassen (siehe z.B. Singer 1979). Diese k–nnen groþe Schwierigkeiten beim Ðbergang ins Leben auþerhalb der Sekte haben. Aber sie haben jenen gegen¸ber, die eine Nicht-Sekte verlassen, den Vorteil, daþ sie mit gr–þerem Verst”ndnis und mit Unterst¸tzung der Umgebung rechnen k–nnen - denn sie waren ja in einer Sekte! Aber jemand, der sektiererische Haltungen in einer Gemeinde erlebt hat, die zur "guten Gesellschaft" geh–rt, kann nicht ohne Weiteres mit Unterst¸tzung rechnen, wenn er die Gemeinde verl”þt. Statt dessen l”uft man Gefahr, als "schwierig" abgestempelt zu werden. Denn: Man verl”þt keine gesunde Gemeinde, auþer es muþ mit dem Betreffenden etwas nicht in Ordnung sein. Und wenn man sich nicht aktiv einer anderen Gemeinde anschlieþt, muþ man damit rechnen, als "geistlich Abgefallener" abgestempelt zu werden, ohne R¸cksicht darauf, ob man sich allgemein von der religi–sen Dimension distanziert hat oder nur ein "Daheimsitzer" geworden ist, weil man (aus dem einen oder anderen Grund) gegen¸ber organisierter religi–ser T”tigkeit skeptisch geworden ist. Solche "Abgefallene", ob sie nun ihren Hintergrund in Sekten oder Nicht-Sekten haben, sind eine Gruppe von Menschen, denen unsere Kultur und wir als Mitmenschen meiner Meinung nach mehr Respekt, Interesse und F¸rsorge widmen sollten.


Referenzen:

Aschehoug & Gyldendal (1987): Store Norske Leksikon [Groþes norwegisches Lexikon]. Gyldendal Norsk Forlag, Oslo.
Bekford J.A. (1975): The Trumpet of Prophesy. A Sociological Study of Jehovah's Witnesses. Basil Blackwell, Oxford, England.
Hoekma, A.A. (1972): The Four Major Cults. Erdemans Publishing Co. Grand Rapids, Michigan, USA.
Johannesen, G.H. (1992): "Vekkelse eller villfarelse? Trosforkynnelse alias Herlighetsteologien: Hvor herlig er den?" ["Erweckung oder Irrweg? Die Glaubensverk¸ndigung alias Herrlichkeitstheologie. Wie herrlich ist sie?"] Lunde Forlag, Oslo.
Lavik, N.J. (1985): Frelst eller forf¯rt? Om "hjernevask" og psykologisk pÂvirkning i ny- religi¯se sekter [Erl–st oder verf¸hrt? Ðber "Gehirnw”sche" und psychologische Beeinflussung in neu-religi–sen Sekten]. Gyldendal Norsk Forlag, Oslo.
Singer, M. (1979): Coming Out Of The Cults. Psychology Today, 12:72-82.
Ulland, D. (1995): Religi¯s sekterisme og mentale lidelser. [Religi–ses Sektenwesen und mentale Leiden]. Kirke og kultur. 2/1995.
Watzlawick, P. (1981): How real.is real? Random House, New York, USA.
Wormnes, B. (1981): Reformulering som terapeutisk teknikk [Reformulierung als therapeu- tische Technik]. Tidskrift for Norsk Psykologforening. Nr. 4, Vol. 18. S. 187-196.
* * * * *
Der Autor Kjell Totland, geb. 1948, Cand. psychol., ist Psychologe im pastoralpsychologischen Dienst. Anschrift: BÂst¯veien 11, N-3480 Filtved, Norwegen.
Der obige Beitrag erschien im Heft 4-98 der Zeitschrift "Kirke og kultur", Universitetsforlaget, Oslo. Ðbersetzung: Friedrich Griess
Die erw”hnten Beitr”ge von N.J. Lavik und D. Ulland , sowie einige schwedische Berichte ¸ber die "Glaubensverk¸ndigung alias Herrlichkeitstheologie" sind ebenfalls in deutscher Ðbersetzung verf¸gbar.


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#2
Rolf

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Der Weg in die Freiheit



Bewußtseinsblockierungen veranlassen dich, deine eigene Gedanken zu stoppen, wenn immer du beginnst, andere kritisch zu sehen.
Du magst noch immer der Meinung sein, bei deiner Gruppe handle es sich nicht um mißbrauchende Jüngerschaft, wenn du auch zugibst, du sähest zumindest einige Parallelen zu den Gruppen, über die wir gesprochen haben. "Ja", wirst du sagen, "ich habe mißbrauchende Jüngerschaft kennengelernt und ich stimme mit vielem überein, was in dem Buch steht, aber in unserer Gemeinschaft gibt es so viel Gutes". Oder du magst denken: "Ich persönlich habe keine schlechten Erfahrungen". Oder vielleicht: "Es gibt in meiner Jüngerschaft noch eine Menge Gutes". Dann gibt es die, die sagen: "Ich weiß, daß meine Gruppe keinen Mißbrauch treibt. Ich werde nicht gesteuert. Ich treffe alle meine Entscheidungen selbst."
Die Leugnung von Tatsachen kann bedeuten, daß du "Bewußseinsblockierungen" benützt - diese Denkmuster, die dir erlauben, eine Quelle von Zweifel oder Beunruhigung auszuschalten, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Wenn du etwas Negatives über deine Gruppe hörst, dann funktioniert die Bewußtseinsblockierung folgendermaßen: Wenn du Kritik übst, bist du böse; wenn du böse bist, ist deine Information falsch; wenn deine Information falsch ist, dann brauche ich nicht zuzuhören [84].

Was bedeutet es, wenn du zugibst, daß es zwischen deiner Gruppe und mißbrauchenden Jüngerschaften Parallelen gibt, aber du drehst dich um und sagst: "Unsere Jüngerschaft mißbraucht nicht." Es bedeutet Leugnung. Unglücklicherweise sind Bewußtseinsblockierungen, die subtil während einer langen Zeitperiode auferlegt wurden, für das Opfer fast unsichtbar.
Überprüfen wir es: wir alle benützen Bewußtseinsblockierungen zu verschiedenen Zeiten, wenn wir uns an ein Vorurteil klammern, aber die Wirklichkeit uns mit entgegengesetzten Fakten ins Gesicht schlägt. In mißbrauchenden Gruppen werden Bewußtseinsblockierungen systematisch installiert und sind besonders heimtückisch, denn sie klingen so, als ob sie biblische Grundsätze wären. Sehen wir uns einmal die Lehre des Leiters einer wohlbekannten mißbrauchenden christlichen Gruppe an:

Wenn du uns kritisiert, dann kritisierst du Gott.
Wenn du uns kritisiert, dann kritisierst du Gott
Wenn du uns kritisiert, dann kritisierst du Gott.[85]

Dieser Führer setzt seine Gruppe mit Gott gleich! Jede Kritik der Gruppe wird zu einer Kritik an Gott, und dadurch entsteht eine typische Bewußtseinsblockierung. Obwohl es auf verschiedene Weise ausgedrückt werden kann, liegt das Gemeinsame darin, daß mißbrauchende Leiter wollen, daß du dich schuldig fühlst, wenn du die Gruppe kritisierst. Das ist überhaupt kein biblisches Prinzip. Wenn wir der Bibel folgen, dann dürfen wir nicht allzu kritisch sein; wenn aber etwas nicht in Ordnung ist, dann ist es unsere Verantwortung, nach Gerechtigkeit zu suchen.

Es gibt noch andere Bewußtseinsblockierungen, die du vielleicht gelernt hast, welche dich davon abhalten, die Leiter zur Verantwortung zu ziehen:

Leiter sind nur Gott gegenüber verantwortlich.
Sie müssen vor Gott stehen - deshalb liegt es nicht an mir zu urteilen.
Ich kann für ihre Taten nicht verantwortlich sein.

Gott lenkt


"Gott lenkt". Ich war durch einen Wegbegleiter frustriert, der diese Worte immer nachplapperte, wenn ich versuchte, ihn über etwas, das vielleicht nicht in Ordnung war, zu kritischem Denken zu bringen. Später dämmerte mir, daß Gott, statt zu lenken, souverän ist! Ein souveräner König lenkt nicht die einzelnen Entscheidungen aller in seinem Königreich. Würde Gott nicht den freien Willen gestatten, dann würden wir sagen, Gott lenke. Dies zu sagen leugnet die Existenz des freien Willens.
Als ich diesen Wegbegleiter näher beobachtete, entdeckte ich mehrere bemerkenswerte Dinge: (1) ein falsches Konzept war eingepflanzt worden; (2) das Nachplappern von "Gott lenkt" erlaubte ihm, passiv zu bleiben, auch wenn ihm ein Fehler in der Kirche gezeigt wurde; (3) wenn dieser Wegbegleiter selbst einen Fehler machte, gab ihm "Gott lenkt" eine nette Entschuldigung: (4) dies half ihm, seine kritischen Denkfähigkeiten auszuschalten, denn wenn dies einmal gesagt worden war, dann war das Gespräch vorüber.

Wenn du auf ein berechtigtes Problem in irgend einer Kult- oder Kirchengruppe hinweist und du hörst: "Gott lenkt", dann heißt das in Wirklichkeit: "Ich kann nichts dagegen tun." Das ist falsch. Gott gab uns den freien Willen, falsche Dinge zu korrigieren. Ja, wir können etwas gegen Fehler und Probleme in unseren Kirchengruppen unternehmen.
Wenn ein Jünger mich das nächste Mal mit "Gott lenkt" ansprach, dann fragte ich bloß: "Heißt das, daß Gott für deine Sünde verantwortlich ist? Wenn Gott nicht für das Übel verantwortlich ist, dann kannst du nicht sagen 'er lenkt'". Gott erlaubt in seiner Souveränität Übel als Folge des freien Willens, so sage nicht "er lenkt", außer du meinst ehrlich, daß du keinen freien Willen hast.

Eine andere gebräuchliche Bewußtseinsblockierung ist das Konzept "Zweifel ist Sünde". Dieses Konzept kann direkt oder implizit gelehrt werden. Mit der Zeit gewinnt man das Gefühl, daß jene, die zweifeln, schwach sind. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt - jene, die bereit sind, einige Zweifel zuzugeben, sind im allgemeinen die, welche das stärkere Selbstbewußtsein haben und kritischer denken können.

Erinnere dich an die Zeit, als du Zweifel an der Gruppe hattest oder mit einer Situation kämpftest? Vielleicht sprach der Herr zu dir oder vielleicht sprach dein Gewissen zu dir. Du bist vielleicht zu deinem Wegbegleiter gegangen, der alle deine Angst wegwusch, indem er dir eine Antwort gab, die "gut klang". Wenn du nun zurückblickst, siehst du vielleicht, daß das, was du "vom Herrn hörtest", damals richtig war. Du magst sehen, daß der Leiter dir deine richtigen Gefühle ausredete, indem er sagte, der Zweifel sei Sünde oder der Teufel oder schwacher Glaube.

Dies sind nur einige Beispiele von Leugnungsmustern, aber sie können dir helfen, dich darauf aufmerksam zu machen, was du tust, um deine Fähigkeit zu objektivem Beurteilen auszuschalten. Es gibt hunderte von Wegen, dich am Zweifeln an deiner Gruppe zu hindern.

Jetzt ist Zeit dazu! Mach eine Liste aller Zweifel, die du verdrängt hast oder die dir dein Wegbegleiter ausgeredet hat. Du solltest auch mit einigen von jenen reden, die deine Gruppe verlassen haben. Vielleicht wird Gott diese ehemaligen Mitglieder benützen, um dir die Augen zu öffnen, damit du sehen kannst, was in deiner Jüngerschaft, Gruppe oder Kirche falsch ist.

Mitglieder, die aus der Gruppe von David Koresh überlebten, erzählten Geschichten über sein rüdes Benehmen, seine schmutzige Sprache, seine Waffenbesessenheit und seinen physischen Mißbrauch von Mitgliedern. Koresh hatte Antworten für alles. Seine Anhänger hätten ihn fragen sollen: "Sind das wirklich die richtigen Antworten?" Die, welche bei Koresh blieben, hatten Begründungen, die vielleicht so wie deine eigenen klangen: "Wir haben hier viel Spaß in der Gemeinschaft. Die Leiter kümmern sich wirklich um die Mitglieder und sind bereit, sich ihnen zu widersetzen und sie zu erziehen. Gott ist vollkommen, aber er benützt unvollkommene Instrumente. Keine andere Kirche lebt Christentum so wie wir, um den Weg zu finden, also warum sollen wir hier weggehen, auch wenn es einige Probleme gibt?"

Wer sich in einem kontrollierten Milieu befindet, kann nicht objektiv sehen, obwohl er meint, er sähe alles normal. Die meisten, die dieses Buch lesen, glauben wahrscheinlich, daß, hätten sie David Koresh's bizarre Lehren gehört, sie anders reagiert hätten als die meisten seiner Gruppe. Unter den gleichen Umständen hätten jedoch die meisten von euch ebenso reagiert! Wenn du darauf bestehst, daß du anders reagiert hättest, dann verstehst du nicht, wie mächtig die Lenkungsmechanismen sind.

Dieses Buch hat dir, so hoffe ich, geholfen, die Lehren deiner Gruppe und die Aktionen deines Leiters objektiver zu beurteilen. Doch du schwankst wahrscheinlich noch. Wenn du anerkennst, daß sich in deiner Gruppe die Charakteristiken der Kontrolle finden, du aber deine Gruppe nicht als mißbräuchlich klassifizieren kannst, dann bist du ebenso wie die Mitglieder von Koresh's Gruppe in einem Spinnennetz der Kontrolle gefangen.

Du wirst vielleicht noch fragen; "Aber wie weiß ich, ob es eine biblische Idee oder bloß die Meinung meines Pastors ist? Oder ob es eine Lehre ist, die biblisch klingt, es aber nicht ist?" Dies kann schwierig zu beantworten sein, denn die Meinung von kontrollierenden Leitern kann biblisch klingen, besonders im geschlossenen Bereich der Gruppe. Deshalb mußt du bereit sein, Ratschläge von außerhalb der Gruppe anzunehmen, vielleicht sogar aus anderen Konfessionen. Wenn du zögerst, weil du denkst, andere Christen seien nicht so vollkommen von Gott geleitet wie deine Gruppe, so geschieht dies wahrscheinlich deshalb, weil dir deine Gruppe diese Ansicht vermittelt hat oder weil du nicht mit gesunder Weisheit in Berührung kamst, die oft in anderen Kirchen zu finden ist. Die Bibel ermahnt, viele Berater zu konsultieren ( Spr 11,14; 13,10; Apg 15, 1-32). Eine Vielfalt von Antworten ist nötig, um gesunde Entscheidungen zu treffen.

Was erwartet dich, wenn du die Gruppe verläßt?

Vielen von euch ist es gelungen, alle diese Stufen der Leugnung zu überwinden und sie unternehmen nun Schritte nach vorne, um sich von der Kontrolle freizumachen. Wenn ihr erkennt, daß Kontrolle in eurer Kirche benützt wird, kann das sehr erschreckend sein. Deshalb hast du vielleicht Schlafprobleme oder sogar Alpträume. Du fühlst vielleicht Übelkeit, körperliches Unwohlsein, Traurigkeit, Reizbarkeit, Appetitlosigkeit, Depression, Konzentrationsschwäche oder viele andere Probleme.

Ein Wunsch, zur Gruppe zurückzukehren, könnte das Ergebnis der Angst und der Paranoia sein, die durch die Indoktrination durch die Gruppe entstanden sind. Die Angst, zu denken, daß ein Verlassen der Gruppe gegen Gott gerichtet ist, könnte dich veranlassen, auf die Kontrolle und den Mißbrauch durch die Gruppe zu vergessen. Frage dich selbst: Beruht mein ewiges Heil auf dieser Gruppe oder auf der Erlösungstat Christi? Muß ich zu dieser Gruppe gehören, um die Gebote Gottes zu halten? Ist meine Rettung das Ergebnis meiner Hände Werk oder das Ergebnis der Gnade Gottes?

Ein anderes Element, das Mitglieder in kontrollierenden Gruppen hält, ist der Gruppendruck und die falsche Lehre, daß du niemals eine eingegangene Verpflichtung brechen sollst. Herodes wurde unter Druck gesetzt, Johannes den Täufer zu enthaupten (Mk 6, 17-19). Wenn Könige durch Gruppendruck Schwierigkeiten haben, stelle dir vor, wieviel schwieriger dies für einen gewöhnlichen Menschen ist. Eingegangene Verpflichtungen einzuhalten ist nicht immer das Richtige.

Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, eine kontrollierende Gruppe elegant zu verlassen. Sie stellen normalerweise deine Verpflichtung Christus gegenüber in Frage und lassen Dich an deiner Rettung zweifeln. Oft wird dein Ansehen geschmälert. Erinnere dich daran, daß deine Verpflichtung nicht der Gruppe gilt, sondern Gott. Dies war vermutlich deine Verpflichtung, bevor du diese Gruppe trafst, und es muß auch jetzt deine Verpflichtung bleiben. Auch wenn du durch diese Gruppe Christ geworden bist, so bedeutet das nicht, daß du in der Gruppe bleiben mußt, um gerettet zu werden. Jesus ist dein Retter, nicht die Gruppe.

Wenn du aufhörst, an dieser Gruppe teilzunehmen, werden Leute, die du für deine besten Freunde hieltst, sofort den Kontakt abbrechen. Du wirst dich vielleicht über diesen Verlust und auch darüber zermartern, daß du das verloren hast, was du bisher für die perfekteste Kirche hieltst. Dann wirst du draufkommen, daß deine Gruppe in ernsteren Problemen steckt als die anderen Kirchen, auf die du herabzublicken pflegtest. Vielleicht fühlst du, daß das Leben keinen Sinn mehr hat.
Studiere dieses Wiederherstellungsbuch und andere. Nimm dir genügend Zeit, nachzudenken; sprich mit ehemaligen Mitgliedern ähnlicher Gruppen und lies über mißbrauchende Kirchen. Von größter Wichtigkeit: sprich den ganzen Tag lang spontan aus deinem Herzen zu Gott.

Es gibt eine praktische und mächtige Anleitung, die dir helfen wird, deine persönliche Stärke auf der Basis deines Vertrauens und deiner Liebe zu Jesus wieder zu gewinnen. Diese kleine Anleitung wurde von Christen die ganze Geschichte hindurch benützt. Theresa von Lisieux nannte es den Kleinen Weg; Bruder Lawrence nannte es die Verwirklichung seiner Gegenwart; Andrew Murray nennt es Verweilen in Christus:

Der Herr ist dein ständiger Partner. Wenn du dein Zimmer reinigst, arbeitest du mit ihm an deiner Seite. Starte dein Auto am Morgen und denke, Jesus säße neben dir und teile jeden Abschnitt des Tages mit dir. Du wirst plötzlich die Erfüllung finden, die du früher durch die Gruppenaktivität erfuhrst. Sich die Gegenwart Jesu bewußt zu machen ist besonders heilsam während des Überganges von mißbrauchender Kontrolle zur Wiedergewöhnung an die Unabhängigkeit von der Gruppe.
Während der Rekonvaleszenz kann das Lesen der Bibel Verwirrung hervorrufen wegen der zusätzlichen Bedeutungen, die der Führer deiner Gruppe dich in den Text hineinzulesen lehrte. Gebetbücher bieten dir eine Alternative zum alleinigen Lesen der Bibel. Später, wenn du zum Lesen der Bibel zurückkehrst, kaufe eine andere Übersetzung, denn du könntest noch immer fühlen, daß bestimmte Sätze Bedeutungen haben, die nicht der ursprünglichen Absicht der Bibel entsprechen.
Auch nach dem Verlassen der lenkenden Gruppe werden dir Bibelverse in den Sinn kommen und dich veranlassen, dich schuldig zu fühlen, weil diese Verse durch deine Leiter verdreht wurden. Finde jemand, der dir helfen kann, diese Verse im Zusammenhang zu verstehen; das wird dich von der falschen Belastung durch Schuldgefühle befreien. Übergehung dieses Problems wird nur eine Verlängerung des Schmerzes bewirken. Auch ich versuchte zuerst, einigen Versen aus dem Wege zu gehen. Aber sobald ich lernte, wie diese Verse mißbraucht worden waren, war ich von den falschen Interpretationen befreit und ich hörte auf zu versuchen, über diese Schriftstellen hinwegzusehen.

Es kann Monate oder sogar Jahre dauern, bevor du die Wahrheit von den Entstellungen oder Hinzufügungen zur Bibel unterscheiden kannst, die deine Gruppe gelehrt hat. Sei geduldig mit dir selbst. Gott weiß, was du durchgemacht hast, und Er wird dich nicht zur Eile antreiben.

Lerne aus deiner Erfahrung und sei beharrlich im Gebet. Es mag eine lange Zeit dauern, sich vom Mißbrauch einer lenkenden Gruppe zu erholen, aber du kannst zur Normalität zurückkehren. Es wird eine Weile dauern, bis du zur Ruhe kommst, nachdem du dieser Art von Beeinflussung entkommen bist, aber mit Gottes Hilfe ist es möglich.
Es mag Reizworte oder bestimmte Situationen geben, die dich beunruhigen. Sei darauf gefaßt. Analysiere dein Verhalten. Versuche zu sehen, was du dir selbst erzählst. Das Führen eines Tagebuchs kann dir helfen, über solche Ereignisse zu reflektieren.

Du wirst auch einige der gesetzlichen Verhaltensweisen zu sehen beginnen, die du in der Gruppe gelernt hast. "Brenda" erzählte mir, daß sie ein silbernes Schmuckarmband weggeworfen hatte, da ihre Gruppe sie überzeugt hatte, die kleinen Symbole auf dem Armband seien abergläubisch und von Übel. Sie bedauert nun den Verlust. Das Armband hätte sie bloß an glückliche Familienereignisse erinnern sollen. Auch du hast vielleicht Verluste erlitten, die du bedauerst, aber lerne aus deiner Erfahrung und verharre im Gebet und suche den Herrn. Die Wiederherstellung ist im Gang. Es dauert vielleicht eine lange Zeit, bis du wiederhergestellt bist, aber glaube mir, du kannst zur Normalität zurückkehren.

Als ich zu meiner nicht-kontrollierenden Kirche zurückkehrte, fühlte ich, als ob die anderen Pfarrangehörigen tot seien, weil sie nicht mit dem gleichen Enthusiasmus sangen als die in meiner lenkenden Gruppe. Der Prediger schien nicht viel Eifer zu haben, wenn er sprach. Später wurde mir klar, daß diese Leute freiwillig ohne Zwang sangen. Langsam begann ich zu verstehen, daß ich nicht das Recht hatte, das Engagement meiner christlichen Glaubensgenossen nach der Stärke ihrer Stimme zu beurteilen. Und sie mußten nicht auf eine bestimmte Weise beten oder predigen, um mein Interesse wach zu halten.

Verstehe die Schrift im richtigen Zusammenhang - studiere mehrere Gesichtspunkte

Mißbrauchte Jünger berichten mir oft, sie fühlten sich schuldig, weil sie durch die Geschichte vom "reichen Jüngling" (Mt 19) manipuliert wurden. Führer von kontrollierenden Gruppen nehmen es als selbstverständlich an, daß dieser junge Mann in die Hölle kam, weil er nicht den Jüngern Jesu bei ihren tagtäglichen Aktivitäten folgte. Zum Beispiel lehrt ein sehr populäres christliches Buch: "Der Jüngling ... verlor das Ewige Leben."[86].

Verdrehen der Bedeutung dieser Geschichte kann dich glauben machen, daß du das Königreich Gottes verlieren wirst, wenn du dich nicht einer besonderen Gruppe von Jüngern anschließt. Der reiche Jüngling hielt bereits die Gebote, von denen Jesus sagte, daß er dies müsse, um den Himmel zu gewinnen. Er fragte Jesus, was er zusätzlich tun müsse, um vollkommen zu sein. Jesus antwortete: "Wenn du vollkommen sein willst, geh und verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, dann wirst du einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir" (Mt 19, 21). Jesus gab dem reichen Jüngling zuerst eine Vollmacht für den Himmel, und dann, später, die Wahl, wenn er (und du und ich) nach Vollkommenheit strebte.

Finde deinen Weg zurück

Kontrollierte Milieus lassen dich normalerweise dein früheres Leben zu einem gewissen Grad verfälscht sehen. Ergreife jede Gelegenheit, mit alten Freunden und Verwandten dich an alte Zeiten zu erinnern. Dies wird dir helfen, die Perspektiven deines früheren Lebens zurückzugewinnen,. die du vielleicht verloren hast.

Vielen von euch wurde dringend nahegelegt, mit anderen Gruppenmitgliedern zusammen zu leben, da kontrollierte Jüngerschaften oft die Idee fördern, daß du mit anderen Christen zusammenleben sollst. Nachdem er den Eunuchen getauft hatte, hinderte ihn Philippus nicht daran, in ein nichtchristliches Land zurückzukehren (Apg 8, 27-39). Aber kontrollierende und mißbrauchende Gruppen sagen den Christen oft, daß sie nicht stark genug seien, um allein zu leben, und noch weniger stark genug, um in ein fremdes Land zu reisen.

Du bekamst vielleicht die Idee eingepflanzt, daß Nichtchristen dich zur Strecke bringen würden. Dies verleitet Mitglieder, mit anderen Mitgliedern zusammenzuziehen, und ermöglicht kontrollierenden Leitern viel mehr Einfluß. Wenn du Gott verpflichtet bist und nach Seinen Geboten lebst, kannst du ein großer Zeuge sein, wo immer du lebst.
Du fühlst dich vielleicht schuldig, weil du nun deine Privatsphäre genießt. Du brauchst nicht fühlen, daß du selbstsüchtig seist, weil du dein eigenes Zimmer oder deine eigene Wohnung wünscht. Um ein Christ zu sein, mußt du dich der Sünde enthalten, nicht der Privatsphäre.

Jünger, welche kontrollierende und mißbrauchende Gruppen verlassen, haben oft finanzielle Probleme. Manchmal ist dies auf den Druck zurückzuführen, der auf die Mitglieder ausgeübt wird, die Gruppe zu unterstützen, oft weit über den Zehent hinaus. Die meisten dieser Gruppen ermuntern auch sehr, in die Ferne zu ziehen, um das Evangelium zu verkünden. Das kann sehr teuer sein und bringt die Mitglieder oft in finanzielle Abhängigkeit. Viele Gruppenmitglieder hatten niemals finanzielle Probleme, bevor sie sich der Gruppe anschlossen, aber finden sich jetzt als Schuldner wieder.

Wenn Schuldnerberatung nötig ist, sieh, daß du Hilfe bekommst. Sich über so weltliche Probleme zu ärgern wird die Schwierigkeiten erhöhen, auf die du stößt, wenn du deine Unabhängigkeit wieder gewinnen willst. Laß nicht vorübergehende Schwierigkeiten dich davon abhalten, deine Stäke wieder zu erlangen und dein christliches Fundament neu aufzubauen.
Therapie und Therapeuten können die Wiederherstellung fördern - oder behindern
Solche posttraumatischen Symptome wie emotionelle oder psychologische Probleme sind oft das Ergebnis eines Austrittes aus einem Gedankenreform-Milieu oder einer kontrollierten Gruppe.

Es ist schwierig, geübte Berater zu finden, die wissen, wie man wirksam mit ehemaligen Mitgliedern mißbrauchender Gruppen umgeht. Bei der Behandlung von Patienten haben Therapeuten oft wenig Wissen über zwanghafte Überredung. Sie kümmern sich um die Kindheit, aber informieren das Opfer nicht sorgfältig über die Steuerungsmethoden, die auf es angewendet wurden und wie dies normalerweise menschliches Denken, Verhalten und menschliche Entscheidungen beeinflußt. Ehemaligen Mitgliedern wird oft gesagt, sie sollten die Vergangenheit hinter sich lassen und im Leben fortschreiten. Fachleute neigen dazu, dem Opfer die Schuld zu geben, weil sie glauben, der Einzelne müsse irgend ein Problem gehabt haben, um in eine mißbrauchende Gruppe verführt zu werden. [87]

Oft haben Opfer mißbrauchender Kirchen nicht das Glück, professionelle Hilfe zu erreichen, die Erfahrung mit ihrer Art von Fällen hat. Sei offen und ehrlich deinem Therapeuten oder deiner Therapeutin gegenüber, frage, ob er oder sie bereit ist zu lernen. Versuche, einen erfahrenen Berater auf diesem Gebiet zu finden, der deinem Therapeuten / deiner Therapeutin Ratschläge geben kann. Suche im Anhang I nach Ideen, woher man Informationen bekommen kann.

Ich finde, daß Therapeuten, die sich nicht auf das Problem der Wiederherstellung nach Kulten oder mißbrauchenden Gruppen spezialisiert haben, selten verstehen, daß die Geschichte einzelner Mitglieder von mißbrauchenden Gruppen durch den Gruppeneinfluß stark verzerrt wurde. Einige Therapeuten mögen versuchen, Familienbeziehungen auf der Basis der Meinung des indoktrinierten Opfers zu heilen. Viele Therapeuten machen den Fehler, der neuen Identität der Opfers und den Wertvorstellungen zu schmeicheln, die durch das kontrollierte Milieu gebildet wurden, aber da diese Ansichten den Opfern durch die Gruppe auferlegt wurden, verzögert dies die Wiederherstellung.

Außer wenn die Opfer schon vor dem Beitritt zur kontrollierenden Gruppe eine negative Ansicht über ihre Familie hatten, ist es am wirkungsvollsten, die Geschwister, Verwandten oder Freunde in die Sitzungen zu bringen, um ihre Ansichten über die Eltern und Verwandten zu beschreiben und den Unterschied zu den verzerrten Gesichtspunkten der Opfer zu zeigen. Normalerweise wird die Ansicht des Opfers mit der der anderen nicht übereinstimmen, und die Opfer werden finden, daß sie diese Überzeugungen erst nach der Beeinflussung durch die Gruppe entwickelten. Opfer behaupten oft, daß sie schon immer so fühlten, denn sie können sich nicht erinnern, jemals anders gedacht zu haben. Im allgemeinen tauchen jedoch die ursprünglichen Gefühle wieder auf, wenn man sich vom kontrollierten Milieu entfernt hat.

Vielleicht möchtest du Therapeuten aufsuchen, die sich mit dem "Falschen Erinnerungs-Syndrom" beschäftigt haben. Opfer von Gedächtnis-Wiederherstellungs-Therapien wurden anscheinend auf ähnliche Weise mißbraucht wie jene von kontrollierenden Kirchen. Therapeuten, die mit jenen arbeiten, bei denen falsche Erinnerungen hervorgerufen wurden, verstehen, wie deine Geschichte durch den Einfluß der Gruppe verzerrt werden konnte.

Zu der Zeit, als ich dies schreibe, gibt es nur eine stationäre Einrichtung, Wellspring (siehe Appendix 1), die sich auf die Hilfe für ehemalige Mitglieder mißbrauchender Bibelgruppen spezialisiert hat. Der Gründer, Dr. Paul Martin, war acht Jahre lang das Opfer einer kontrollierenden Bibelgruppe. Er und seine professionellen Mitarbeiter sind ganz ausgezeichnet in ihrer Einstellung und ihrem Verständnis der speziellen Bedürfnisse dieser Opfer. Wenn du dir Beratung nicht leisten kannst, frage lokale Kirchen oder Synagogen, ob sie bereit sind, dir bei der Bezahlung eines kurzen Aufenthalts in Wellspring zu helfen. Gib nicht nur deswegen auf, weil du kein Geld hast. Frage weiterhin.

Eine andere Quelle der Hilfe für jene, die über begrenzte Mittel verfügen, können Berater sein, die mit Partnern arbeiten, die mißhandelt wurden. Sie sind vielleicht in deinem Telefonbuch unter häusliche Gewalt, Gewalt in der Familie, Sexuelle Mißhandlung, mißbrauchte oder mißhandelte Partner angeführt. Diese Berater verstehen normalerweise destruktive Milieus, psychologische Kontrolle und die Probleme, die mit dem Verlassen eines kontrollierten Milieus verbunden sind. Vielleicht mußt du deine eigene besondere Erfahrung mit diesen Beratern besprechen. Du wirst möglicherweise als "mißhandelt" qualifiziert werden, da du von seiten deines Wegbegleiters, Leiters oder programmierten Partners ähnlichen psychologischen Mißbrauch erfahren hast. Laß nicht finanzielle Beschränkungen dich davon abhalten, die Hilfe zu suchen, die du nötig hast und die dir gebührt. Die Preise vieler solcher Einrichtungen sind deiner Zahlungsfähigkeit angemessen.

Die Erinnerung und das Erkennen des Mißbrauches sind äußerst wichtig, denn es mag Tage geben, an denen du denkst, du hättest einen Fehler begangen, die Gruppe zu verlassen. Manchmal kann dies Floating, Spacing Out oder Dissoziation verursachen. (Alle diese Worte beschreiben einen veränderten Bewußtseinszustand). Dies kann vor allem dann eintreten, wenn du deprimiert oder einsam bist. Dich aus diesem Rückfall heraus- und in ein objektives und kritisches Denken wieder hineinzuführen ist teilweise das Ziel der Übung in Anhang 3. Immer, wenn du dich in dieser Situation befindest, nimmt dir bitte diese Übung vor.

Die Bereiche der Wiederherstellung, die unten angeführt sind, sind aus einer Vorlesung von Dr. Paul Martin entnommen [88]. Diesen Bereichen sollte gebührende Beachtung beigemessen werden, um die Wiederherstellung zu beschleunigen: (1) der Zweck der Rehabilitation; (2) der Wiederherstellungsprozeß; und (3) die aufgebürdete Pathologie der totalitären Gruppe (totalitär meint die Einengung der Realität auf ein Schwarz-Weiß-Muster - gut und böse). Dies ist bloß ein Überblick. Bücher, welche Wiederherstellungsprobleme ausführlich behandeln, sind im Anhang 1 angeführt).

Rehabilitation

Nachdem du dein kontrollierendes Milieu verlassen hast, mußt du dich darauf vorbereiten, einer Anzahl von neuen Herausforderungen gegenüberzutreten; einige davon mögen sehr leicht zu bestehen sein, andere aber wieder schwer zu handhaben. Wenn du fachliche Hilfe aufsuchst, wird es nützlich sein, über die folgenden Punkte mit deinem Therapeuten zu sprechen:

1. Leben in Freiheit und was es bedeutet.
2. Lernen, wie man mit Gefühlen, Emotionen, Desillusionierung, Enttäuschung, Kummer und der in der Gruppe verschwendeten Zeit umgeht.
3. Wiedererlangung der physischen Gesundheit.
4. Abschütteln der Abhängigkeit.
5. Wieder lernen, Entscheidungen zu treffen und unabhängig zu denken.
6. Anpassung an die Gesellschaft; Ablegen gesellschaftlicher Ungeschicklichkeit.
7. Annahme seiner selbst.
8. Wiederherstellung familiärer und sozialer Beziehungen.
9. Teilen der Erfahrung mit anderen ehemaligen Mitgliedern.
10. Wiederbewertung persönlicher und beruflicher Ziele.
11. Befriedigung gesunden theologischen Interesses.
12. Befriedigung gesunden übernatürlichen und kritischen philosophischen Interesses.
13. Lösung sexueller Probleme.
14. Information über Methoden der Bewußtseinsmanipulation und jener totalitärer Bewegungen.
15. Vorbereitung auf das Zusammentreffen mit derzeitigen Mitgliedern von mißbrauchenden Gruppen.
16. Information über den Wiederherstellungprozeß.
17. Lösung emotioneller Probleme, die durch die Lehre der Gruppe hervorgerufen wurden ( z.B. Furcht, Reue, Paranoia).
18. Lösung von "Floating" (das Gefühl, von der Gesellschaft, Gleichaltrigen und christlichen Glaubensgenossen getrennt zu sein, was dich veranlassen könnte,
zur Gruppe zurückzukehren, statt deine Unabhängigkeit zu wahren).
19. Wiederbewertung der Gründe, warum du beitratest, mit einem neuen Verständnis dafür, wie uninformiert du damals über die Forderungen der Gruppe warst.
Hilfreiche Ideen für die Wiederherstellung
1. Suche ärztliche Behandlung auf, wenn du dich physisch krank fühlst.
2. Erkenne deinen Bedarf für Anerkennung und Mitgefühl.
3. Gewinne deine persönliche Würde zurück
a. Selbstachtung
b. Identität
c. Spiritualität
4. Erzähle deine Geschichte
5. Verstehe und akzeptiere deinen Bedarf an Privatsphäre
6. Verstärke die Kommunikation innerhalb der Familie
7. Gebet
8. Verstehe, daß du ein Opfer warst, daß du normal bist, daß du okay bist.
9. Habe Vertrauen zu Gott und verliere nie die Hoffnung
10. Nimm dir Zeit zur Beratung
11. Bemühe dich um ein psychologisches Standard-Interview und eine Beurteilung
12. Sei bereit, über die positiven und die negativen Aspekte deiner Gruppe zu sprechen
13. Arbeit den Prozeß des Schämens durch
14. Suche Bewertung deiner selbst
15. Analysiere deine Empfindungen von Verlust, Desillusionierung, Depression und Schuld
16. Teile deine Zeit ein, so daß du einen täglichen Plan hast, der konkrete Anweisungen und Problemlösungs-Aufgaben gestattet.
17. Erlaube wichtigen anderen, dir Liebe und Fürsorge zu erweisen.
18. Suche nach solider konservativer Information in Philosophie und Metaphysik
19. Erkenne, daß du durch Mitgliedschaft in einer totalitären Bewegung einem Streß unterworfen warst, und nach dem Verlassen wieder dem Streß ausgesetzt bist, dein Leben völlig von neuem zu gestalten.
20. Erlaube dir, zu dir selbst freundlich und fürsorglich zu sein
21. Verstehe Sexualität und deine sexuelle Rolle im Zusammenhang der Christlichkeit
22. Suche Berufsberatung, falls erforderlich
23. Suche finanzielle Beratung, falls erforderlich
24. Untersuche, wie die Lehre der Gruppe sich vom Hauptstrom der Christenheit unterschied, und stelle fest, ob es wirklich biblische Lehren waren
25. Nimm dir Zeit für Muße
26. Versuche, die Bekanntschaft sympathischer und liebender Christen zu machen, um ein dauerhaftes unterstützendes Netzwerk aufzubauen
27. Vermeide es eine Zeitlang, die Bibel zu lesen, religiöse Sendungen im Fernsehen anzusehen oder an emotionellen oder intensiven Kirchenaktivitäten teilzunehmen.
28. Vermeide okkulte Literatur
29. Führe ein persönliches Tagebuch
30. Bemühe dich um viel intellektuelle Anregung
31. Öffne dich für vorher unterdrückte Gefühle
32. Suche nach jeder möglichen Unterstützungsquelle in einer (anderen) Kirche, einer gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Einrichtung, bei Verwandten und Freunden
33. Blicke hoffnungsvoll in die Zukunft [89]
Beobachte sorgfältig Symptome
Es folgt eine Übersicht über emotionelle und mentale Gesundheitsprobleme, die man erwarten kann, nachdem man Manipulation und Täuschung unterworfen wurde. Die folgende Liste stammt aus Vorlesungen von Dr. Paul Martin. Einige der Ausdrücke sind technische Ausdrücke aus dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen, 4. Auflage (DSM-IV), dem von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung benützten Standardwerk. Obwohl diese Liste zunächst als Referenz für Fachleute gedacht ist, ist DSM-IV in den meisten öffentlichen Bibliotheken für jene Nichtfachleute verfügbar, die eine tiefere Studie über diese Probleme durchführen wollen.

1. Entfremdung oder Verzweiflung, Gefühl der Hoffnungslosigkeit, des Nicht-Dazugehörens.
2. Erfahrung eines Kulturschocks bei der Rückkehr in die Gesellschaft
3. Religiöser Mißbrauch:
a. Erkenntnis, Opfer zu sein
b. Bitterkeit und Zorn
4. Persönlichkeitsspaltung (es gibt eine ursprüngliche Persönlichkeit und eine neugeschaffene Persönlichkeit, die als Ergebnis der Gruppenindoktrination und des Gruppeneinflusses entstand. Manchmal wird das alte spontane Selbst auftauchen und zu anderen Zeiten die erzeugte Identität an die Oberfläche kommen.)
5. Gefühle der psychologischen und intellektuellen Vergewaltigung
6. Induzierte Psychose ohne frühere psychotische Vorgeschichte wird von einigen ehemaligen Mitgliedern während einer Zeit von einem Monat bis zu zwei Jahren erfahren
7. Atypische dissoziative Störungen
8. Ängstlichkeit verbunden mit Gedächtnisstörungen
9. Streßreaktionen
10. Fortwährende verstärkte Abhängigkeit
11. Furcht vor den speziellen psychologischen, physischen oder spirituellen Bedrohungen, welche die Gruppe im Fall des Austrittes andeutet
12. Formelle Methoden der Dissoziation (d.h. systematische Mittel zur Erzeugung dissoziativer Zustände)
13. Das Gefühl, erpreßt oder erdrückt zu sein
14. Verzerrtes Weltbild
15. Paranoia
16. Unfähigkeit, einen Job zu finden
17. Einsamkeit
18. Desillusionierung
19. Ein Zwang, sich selbst und anderen absichtlich Schaden zuzufügen:
a. Selbstverstümmelung
b. Selbstmord
c. Mißbrauch von Drogen oder Alkohol
20. Reaktive Psychose
21. Posttraumatisches Streß-Syndrom
22. Chronisches Schock-Syndrom
23. Multiple Persönlichkeitsstörung
24. Hyperventilation: verändert die Blutchemie und die Stimmung
25. Cognitive Untauglichkeit, Gedächtnisschwäche
26. Atypische Ängstlichkeit
27. Durch Entspannung herbeigeführte Ängstlichkeit
28. Veränderter Zustand oder Trance-Zustand durch induzierte oder gelehrte Techniken [90]

Viele ehemalige Mitglieder erhalten die Diagnose "Nicht Näher Bezeichnete Dissoziative Störungen". Für weitere Informationen darüber siehe DSM-IV, Abschnitt 300.15.

Abschließende Gedanken auf persönlicher Ebene

Falls du es noch immer als schwierig findest, deinen emotionelle Verbindung zu deiner Gruppe abzubrechen, dann könnte es hilfreich sein, einmal lange Ferien zu machen und über alles nachzudenken, was du gelernt hast.
Ich gebe es zu. Der Bruch war auch für mich schwierig. Ich studierte monatelang und versuchte zu verstehen. Eines Nachts, als ich auf meinem Bett lag und ganz unten war, kam mir eine Frage zu Bewußtsein: Existiert Gott wirklich? Ich wußte, wie ehrlich ich um die Wahrheit gebetet hatte, als ich zum erstenmal in die Gruppe involviert wurde. Die einzig mögliche Schlußfolgerung war, daß es keinen Gott gäbe, denn ich hatte um die Wahrheit gebetet und wurde statt dessen betrogen. Ich fühlte, daß ich mir selbst Unrecht tun würde, wenn ich versuchte, mich dazu zu bringen, an Gott zu glauben.

Ich hing an einem dünnen Faden von Glauben, da ich meinen Glauben an Gott nicht aufgeben wollte, jedoch dachte, dies sei nicht logisch. Ich fühlte in meinem Herzen all den Schmerz der letzten Jahre, besonders den Tod meiner Schwester und meines Bruders, und wie mich meine Freunde abgewiesen hatten. Ich hatte gedacht, alle diese Schmerzen wären durch meine Gruppe geheilt worden, aber nun tauchten sie wieder auf. Obwohl es schien, als gäbe es keinen Gott, widerstand ich - ich wollte mich an die Hoffnung anklammern.

"Hilfe!" schrie ich lautlos aus dem ganzen Innersten meines Wesens. Plötzlich kam eine Gegenwart in mein Herz und nahm alle Schmerzen weg - Schmerzen, die seitdem nie wieder gekommen sind. Ich wußte, ich würde nie wieder die Existenz meines liebenden Gottes in Frage stellen. Ich verstehe nun, daß Gott Herzen ebenso leicht heilt, als er Gras sprießen läßt. Ich bete, daß Gott die gleiche Heilung jedem senden möge, der an der Erfahrung des Verlassens einer mißbrauchenden Gruppe leidet.

Anmerkungen:

[84] Entnommen einem unveröffentlichten Aufsatz: The Sheperding / Discipleship Movement von Tom Yoder, einem ehemaligen Mitglied der People of Praise.
[85] Children of Faith. A Newscenter 13 Probe Report with Tom Cochrun, WTHR. Channel 13 Video. Indiana, Inc., Indianapolis, 1983. Interview of Hobart Freeman, leader of Faith Assembly.
[86] Blackaby, Henry T. and King, Claude V. Experiencing God. (Life Way Press, Nashville, TN. 1993) p.128.
[87] Yoder, Tom. Leaving The Promised Land. (Unpublished article by this eightyear former member of the "Word of God Community", Ann Arbor, Michigan).
[88] From a lecture by Dr. Paul Martin. Transcriped by Tom Yoder.
[89] Ibid.
[90] Ibid.

Kapitel 17 des Buches "Twisted Scriptures" von Mary Alice Chrnalogar, erschienen 1997 (revidiert 1998) bei Control Techniques, Inc., P.O. Box 8021, Chattanooga, TN 37414-8021, USA. Übersetzung: Friedrich Griess
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