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Der Heilige Geist und die Hermeneutik


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Rolf

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Der Heilige Geist und die Hermeneutik




von Daniel B. Wallace, Ph.D.
Associate Professor für Neutestamentarische Forschung
Theologisches Seminar Dallas
Translation: Anne Schulz



Vorwort

Dieser kurze Essay stellt einen vorsichtigen Versuch dar, die Rolle des Heiligen Geistes bei der Interpretation der Schrift zu formulieren. Kritik und Kommentare sind willkommen. (Dabei muss man aber im Auge behalten, dass ich zu Evangelikalen spreche. Jemand mit einem anderen theologischen Raster wird sicherlich so viel an diesem Essay zu kritisieren finden, dass er gar nicht weiß, wo er anfangen soll!)

Einleitung

Über die Rolle des Heiligen Geistes in der Hermeneutik wird unter heutigen Evangelikalen heiß diskutiert. Auf volkstümlicher Ebene gab es darüber schon immer viele falsche Vorstellungen. Viele Christen glauben, dass der Heilige Geist ihnen die richtige Interpretation schenken wird, wenn sie nur darum beten. Andere kümmern sich gar nicht so sehr um die Interpretation eines Textes, sondern sind mit seiner idiosynkratischen Bedeutung zufrieden („Was dieser Vers für mich bedeutet ...“). All das entspricht einer Situation, in der die Doktrin von der Priesterschaft der Gläubigen Amok läuft. Zwar ist jeder Einzelne vor Gott dafür verantwortlich, wie er die Botschaft der Bibel versteht und anwendet; aber das bedeutet keineswegs, dass die gesammelte Unwissenheit oder ein rein pietistischer Umgang mit der Schrift dem göttlichen Auftrag gerecht wird.

Erstaunlicherweise gibt es aber auch zwischen konservativen Wissenschaftlern eine zunehmende Kluft. James De Young sagte zum Beispiel kürzlich: „Wenn es um wissenschaftliche Methoden der Bibelinterpretation geht, könnte der Heilige Geist genauso gut tot sein.“ Warum gibt es eine solche Polarität? Aus zumindest vier Gründen: (1) aufgrund der Entwicklung in Richtung Postmoderne (und damit weg von Rationalismus und Logik hin zur Erfahrung als dem Maßstab für eine Interpretation); (2) aufgrund der mangelnden Bereitschaft zu anstrengender Forschungsarbeit, wie es David F. Wells einmal ausdrückte; (3) weil evangelikales Denken eigentlich zu viel Rationalismus aufgesogen hat; (4) weil sich der Evangelikalismus in Richtung eines Postkonservativismus entwickelt, der in vielen Fällen Toleranz statt Überzeugung als angemessene Haltung betrachtet.

Kerngedanken

1. Jede evangelikale Auffassung über die Rolle des Heiligen Geistes bei der Auslegung muss sich auf den Text gründen und die grundsätzliche Auseinandersetzung muss sich mit den wesentlichen Textabschnitten über dieses Thema auseinandersetzen.

2. Viele nicht-evangelikale (ja, sogar nicht-christliche) Kommentare gehören in puncto Klarheit, Einblick in und Verständnis für den biblischen Text zum Besten, was es auf diesem Gebiet gibt. Umgekehrt gehören viele evangelikale Kommentare zu den schlechtesten, die es gibt. Mit dieser Situation müssen sich Vetreter jedweder Auffassung über die Beziehung zwischen dem Heiligen Geist und der Hermeneutik ernsthaft auseinandersetzen. Für unsere Zwecke ist festzuhalten: Selbst unter Ungläubigen kann es Erkenntnis geben.

3. Eine Position sollte unbedingt so formuliert werden, dass man die einmalige offenbarende Natur der Schrift erkennt. Wir dürfen also nicht sagen, der Geist füge zum geschriebenen Wort weitere Offenbarung hinzu. Das würde die Hinlänglichkeit der Schrift in Abrede stellen. Außerdem würde es die jeweilige Interpretation unwiderlegbar machen, weil ich in diesem Fall nur über dich Zugang zu der zusätzlichen Offenbarung durch den Geist hätte. Und schließlich kommt so etwas der neo-orthodoxen Auffassung von Barth gefährlich nahe, der sagt, dass die Bibel in unserer Erfahrung zum Wort Gottes wird. Man kann unschwer erkennen, wie die Bibel unter solchen Bedingungen zu dem sprichwörtlichen Wachsklumpen wird, der zu jeglicher Bedeutung geformt werden kann, die der Bildner ihm nur geben will.

Schlüsselstellen

Eine Schlüsselstelle für ein bestimmtes theologisches Thema wird als Crux interpretum bezeichnet. An einem solchen Text hängt unsere Ansicht wie an einer Türangel. Führend unter den hermeneutischen Cruces sind zwei Textstellen: 1.Ko 2:12-14 und 1.Jo 2:20,27. Ich werde nicht so weit gehen, mich mit diesen beiden Textstellen in detaillierter Exegese auseinanderzusetzen. Aber ich werde die Hauptprobleme herausstellen und kurz diskutieren.

1. Korinther 2: 12-14
Dieser Text lautet folgendermaßen:
(12) hJmei'" deV ouj toV pneu'ma tou' kovsmou ejlavbomen ajllaV toV pneu'ma toV ejk tou' qeou', i{na eijdw'men taV uJpoV tou' qeou' carisqevnta hJmi'n: (13) a} kaiV lalou'men oujk ejn didaktoi'" ajnqrwpivnh" sofiva" lovgoi" ajll? ejn didaktoi'" pneuvmato", pneumatikoi'" pneumatikaV sugkrivnonte". (14) yucikoV" deV a[nqrwpo" ouj devcetai taV tou' pneuvmato" tou' qeou', mwriva gaVr aujtw'/ ejstin, kaiV ouj duvnatai gnw'nai, o{ti pneumatikw'" ajnakrivnetai:
Die Übersetzungen unterscheiden sich, besonders in Vers 13, erheblich voneinander. Aus Platzgründen beschränke ich mich auf die folgenden Übersetzungen, die als repräsentativ angesehen werden können.

RSV: (12) Now we have received not the spirit of the world, but the Spirit which is from God, that we might understand the gifts bestowed on us by God. (13) And we impart this in words not taught by human wisdom but taught by the Spirit, interpreting spiritual truths to those who possess the Spirit. (14) The unspiritual man does not receive the gifts of the Spirit of God, for they are folly to him, and he is not able to understand them because they are spiritually discerned.
RSV (Revised Standard Version): (12) Nun haben wir empfangen nicht den Geist der Welt, sondern den Geist, der von Gott ist, dass wir die Gaben verstehen mögen, die uns von Gott zuteil geworden sind. (13) Und wir tun dies kund in Worten, die nicht menschliche Weisheit gelehrt hat, sondern der Geist gelehrt hat, und deuten geistliche Gegebenheiten für die, die den Geist besitzen. (14) Der ungeistliche Mensch empfängt nicht die Gaben des Geistes Gottes, denn sie sind Torheit für ihn, und er kann sie nicht verstehen, weil sie geistlich wahrgenommen werden.

NIV: (12) We have not received the spirit of the world but the Spirit who is from God, that we may understand what God has freely given us. (13) This is what we speak, not in words taught us by human wisdom but in words taught by the Spirit, expressing spiritual truths in spiritual words. (14) The man without the Spirit does not accept the things that come from the Spirit of God, for they are foolishness to him, and he cannot understand them, because they are spiritually discerned.
NIV (New International Version):

(12) Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott ist, dass wir verstehen mögen, was Gott uns frei gegeben hat. (13) Das ist es, was wir reden, nicht in Worten, die uns menschliche Weisheit gelehrt hat, sondern in Worten, die der Geist gelehrt hat, und drücken geistliche Gegebenheiten in geistlichen Worten aus. (14) Der Mann ohne den Geist nimmt die Dinge nicht an, die von dem Geiste Gottes kommen, denn sie sind Torheit für ihn, und er kann sie nicht verstehen, weil sie geistlich wahrgenommen werden.

ASV: (12) But we received, not the spirit of the world, but the spirit which is from God; that we might know the things that were freely given to us of God. (13) Which things also we speak, not in words which man’s wisdom teacheth, but which the Spirit teacheth; combining spiritual things with spiritual words. (14) Now the natural man receiveth not the things of the Spirit of God: for they are foolishness unto him; and he cannot know them, because they are spiritually judged.
ASV (American Standard Version): (12) Wir aber empfingen, nicht den Geist der Welt, sondern den Geist, der von Gott ist, dass wir die Dinge erkennen mögen, die uns frei von Gott gegeben wurden. (13) Welche Dinge wir auch reden, nicht in Worten, welche des Menschen Weisheit lehret, sondern welche der Geist lehret; und wir verbinden geistliche Dinge mit geistlichen Worten. (14) Der natürliche Mensch aber empfänget nicht die Dinge des Geistes Gottes: denn sie sind ihm Torheit; und er kann sie nicht erkennen, weil sie geistlich beurteilt werden.

Die Knackpunkte hierbei sind: (1) die Bedeutung des letzten Satzes von Vers 13 (nämlich, worauf sich die zwei Adjektive beziehen und was das Verb in dem gegebenen Zusammenhang bedeutet); (2) in Vers 14 (a) in welchem Sinne das natürliche Individuum die Dinge des Geistes nicht annimmt und (B) ob die beiden Sätze parallel oder appositionell stehen.
Wenn man diese Punkte etwas weiter aufrollt, kann man zu den folgenden vorsichtigen Schlussfolgerungen kommen.
(1) Vers 13 bedeutet entweder, dass Paulus und seine Gefährten spirituelle Dinge für spirituelle Menschen interpretieren – oder irgendetwas anderes (es gibt hier eine Vielzahl von Möglichkeiten). Nichtsdestoweniger muss man eine entscheidende Feststellung treffen: Man darf einen so verkappten Text nicht als grundlegenden Beweis für welche Sichtweise auch immer hernehmen. Suchen Sie nach eindeutigeren Textstellen, um Ihren Standpunkt zu beweisen. (Zumindest können wir sagen, dass die NIV-Übersetzung wahrscheinlich nicht korrekt ist, wenn man das Bedeutungsspektrum zugrunde legt, das das BAGD [biblisch-griechisches Wörterbuch, das üblicherweise für neutestamentarische Studien herangezogen wird; Anm. d. Ü.] anführt.)

(2) In Vers 14 (a) möchte der natürliche Mensch geistliche Dinge nicht empfangen. Das Verb devcomai hat diesen grundlegenden Beiklang. Es drückt einen deutlicheren Zusammenhang mit dem Willen aus als lambavnw. Der natürliche Mensch hat also Probleme mit dem Wollen, wenn es um das Evangelium geht.

(B) Wenn die beiden Teilsätze appositionell stehen, dann möchte der natürliche Mensch die geistlichen Dinge nicht empfangen, und weil er das nicht möchte, kann er sie nicht in all ihrer Fülle erfassen. Wenn die zwei Sätze aber parallel stehen, dann präsentiert Paulus damit zwei voneinander unterschiedene und getrennte Tatsachen: Der natürliche Mensch hat ein Problem mit dem Willen und der natürliche Mensch hat ein Problem mit dem Verstehen. Das einfache kai,v das die beiden Sätze verbindet, wäre normalerweise kein überzeugender Hinweis auf eine Apposition (wenngleich ein epexegetisches kaiv natürlich möglich ist): prima facie scheinen die beiden Sätze in Vers 14 parallele Aussagen zu sein. Für eine Apposition spricht jedoch die Tatsache, dass semitische Parallelen (z.B. synonyme oder synthetische Parallelen) selbst im Neuen Testament oft benutzt wurden; und wenn Paulus hier so etwas macht, dann kann er dabei sehr wohl den Beiklang einer Apposition im Kopf haben. Das Problem bei dieser Sichtweise ist allerdings, dass ginwvskw (trotz gegenteiliger Behauptungen mancher Menschen) ein ziemlich schwacher Ausdruck für „erkennen“ ist. Mit anderen Worten: Wenn dieser Satz in irgendeiner Weise appositionell zu dem vorhergehenden steht, würde man eher einen anderen Ausdruck, z.B. oi\da, erwarten. Wenn hier ginwvskw steht, weist das eher darauf hin, dass es sich um zwei getrennte Ideen handelt: Der natürliche Mensch versteht die Offenbarung nicht richtig, weil die Sünde Auswirkungen auf seinen Willen und auf seinen Verstand hat. Die letztere Kategorie betrifft den noetischen Effekt der Sünde und steht als theologische Kategorie im Einklang mit den Aussagen von Paulus und dem Neuen Testament: Die Sünde beeinträchtigt unseren Willen, unsere Gefühle und unseren Verstand.

Summa summarum sagt 1.Ko 2:12-14, dass der Nicht-Christ die geistlichen Gegebenheiten nicht annehmen will und nicht verstehen kann. Das sind zwei unterschiedliche, aber miteinander verwandte Vorstellungen. Tatsächlich können Nicht-Christen die Botschaft des Evangeliums manchmal sehr gut verstehen und ungläubige Exegeten präsentieren oft wertvolle Erkenntnisse über den Text. Darüber wird hier gar nicht diskutiert. Paulus will hier wohl vielmehr sagen, dass die Ungläubigen die ganze Tiefe von Gottes Wegen und Gottes Weisheit niemals auch nur annähernd erfassen können. Es gibt da eine Ebene, zu der sie keinen Zugang haben.

1. Johannes 2: 20, 27
Dieser Text lautet folgendermaßen:
(20) kaiV uJmei'" cri'sma e[cete ajpoV tou' aJgivou, kaiV oi[date pavnte". . . . (27) kaiV uJmei'" toV cri'sma o} ejlavbete ajp? aujtou' mevnei ejn uJmi'n, kaiV ouj creivan e[cete i{na ti" didavskh/ uJma'": ajll? wJ" toV aujtou' cri'sma didavskei uJma'" periV pavntwn, kaiV ajlhqev" ejstin kaiV oujk e[stin yeu'do", kaiV kaqwV" ejdivdaxen uJma'", mevnete ejn aujtw'/.
Die Schlüsselelemente in diesen Versen sind: (1) Vers 20: „ihr alle wisst es“ (d.h., ihr alle wisst, dass ihr eine Salbung habt von dem, der heilig ist); (2) Vers 27 (a) „ihr bedürfet nicht, dass euch irgendjemand lehre“ und (b) „seine Salbung belehrt euch über alle Dinge“.

Einige Kommentare erscheinen angebracht: (1) Dieser Textabschnitt illustriert die drei wichtigsten Regeln der Exegese: KONTEXT, KONTEXT, KONTEXT. Nur wenn wir den Kontext ignorieren, können wir eine Bedeutung konstruieren, die diesen Text verallgemeinert. (2) Vers 20 drückt aus, dass das, was die Gläubigen durch persönliche Erfahrung erkennen (oi\da), ihre Salbung ist. Ich gehe davon aus, dass es sich dabei um das innere Zeugnis des Geistes handelt: Die Gläubigen erkennen, dass der Geist ihnen unmittelbar und nicht-argumentativ dient und ihnen Gewissheit über ihr Verhältnis zu Gott gibt (vgl. Rö 8:16). (3) Wenn der Verfasser sagen wollte, dass überhaupt niemand die Gläubigen irgendetwas lehren solle – warum belehrt er sie dann in seinem Brief? Sicher wird durch den unmittelbaren Kontext eine andere Bedeutung nahegelegt. (4) Auch die Salbung, die sie über alles belehrt, muss im Textzusammenhang betrachtet werden. Der Verfasser stellt die Gläubigen den Häretikern gegenüber, die sich aus der Gemeinschaft der Glaubenden entfernt haben (vgl. 2:19). Der Verfasser hebt hervor, was die Gläubigen erkannt haben: dass Christus im Fleisch zu uns gekommen ist, dass er zurückkommen wird, und dass sie Kinder Gottes sind. Er hebt auch hervor, wie die Gläubigen die essenziellen Dinge des Glaubens verstehen können: sie haben den Geist Gottes. Er ist davon überzeugt, dass sie dem Glauben treu bleiben werden – dass sie in ihm bleiben (mevnw) werden – denn „der in euch ist, ist größer als der, der in der Welt ist“ (4:4).
Einerseits sagt 1.Johannes 2:20,27 also nicht aus, dass der Heilige Geist den Vorgang der Interpretation umgeht. Andererseits wirkt der Heilige Geist in unserem Herzen und überzeugt uns von den essenziellen Wahrheiten des Glaubens. Wenn jemand den Geist Gottes nicht hat, kann er diese Wahrheiten nicht glauben und also auch nicht durch Erfahrung erkennen.

Was hat der Heilige Geist mit der Auslegung zu tun?

Hier stelle ich Ihnen meine vorläufigen Schlussfolgerungen vor. Ich glaube, dass der Heilige Geist auf mindestens sieben oder acht Arten mit der Auslegung zu tun hat. Etliche davon überschneiden sich, und mancher würde sie sicher auch anders anordnen als hier dargestellt.

1. Das Wirken des Geistes geschieht in erster Linie im Bereich der Überzeugung und nicht so sehr im kognitiven Bereich. Dennoch muss man auch auf diesem Gebiet differenzieren. Die Überzeugung eines Menschen beeinflusst seine Wahrnehmung. Also kann man wohl sagen, dass der Heilige Geist selbst dann noch zu unserer Interpretation beitragen würde, wenn seine Rolle nur auf den Bereich der Überzeugung beschränkt wäre. Aber wie?

2. Erkenntnis durch Erfahrung wirkt wie ein Bumerang zurück auf das intellektuelle Verständnis. In vielen Bereichen ist es so, dass der/die Interpretierende eine Aussage nur so weit verstehen kann, wie seine/ihre eigene Erfahrung reicht. Wenn jemand beispielsweise noch niemals verliebt war, wird er/sie Schwierigkeiten haben, alles, was mit Romantik zu tun hat, wirklich umfassend zu verstehen.

3. In dem Maße, in dem jemand der Schrift nicht gehorsam ist, obwohl er ein (zumindest Lippen )Bekenntnis für ihre Autorität ablegt, wird er einen Text verdrehen. Vgl. 2.Petrus 3:15-16. Und umgekehrt: in dem Maße, in dem jemand der Schrift gehorsam ist, wird er/sie eine bessere Ausgangsposition erlangen, um die Schrift zu verstehen und ehrlich mit ihr umzugehen.

4. Sympathie für den biblischen Schreiber öffnet den Weg zum Verständnis. Am meisten sympathisiert als Exeget der Gläubige. Ein nicht-sympathisierender Interpret versteht die Dinge dagegen oft falsch, weil ihm der Wunsch zu verstehen fehlt. Diese Tatsache kann man leicht anhand der politischen Arena illustrieren: Diejenigen, die mit Leidenschaft einer bestimmten Partei den richtigen Standpunkt zusprechen, neigen dazu, bei den anderen Parteien alles schlecht zu machen. Selbst unter Christen gibt es oft einen „Kanon innerhalb des Kanons“; das heißt, manche Bücher/Verfasser werden höher geschätzt als andere. In dem Maße, in dem wir nicht allen Autoren der Schriften Sympathie entgegenbringen, verschließen wir uns der vollen Bedeutung ihrer Botschaft.

Gleichzeitig sieht man über etliche Widersprüchlichkeiten in der Schrift hinweg, wenn man mit dem göttlichen Autor sympathisiert, aber den menschlichen Autor ignoriert. Wenn jemand daher die Unfehlbarkeit (wie es heute oft der Fall ist) mit den Mitteln einer doketischen Bibliologie zur Schau stellt, wird seine Interpretation ironischerweise oft eher zur Verteidigung einer postulierten Harmonie als zu einer ehrlichen Untersuchung dessen, was der Autor gemeint hat. Die Offenbarung wird in ihrem Fortschreiten nivelliert und menschliche Autoren werden zu bloßen Stenographen. Spannungen im Text werden nicht bemerkt, nur um dann als klare Widersprüche von denen zur Sprache gebracht zu werden, die der Schrift nicht so viel Sympathie entgegenbringen. Den Evangelikalen wird damit nur noch die Aufgabe der Schadensbegrenzung überlassen. Wenn man die Spannungen innerhalb der Schrift ebenso anerkennt wie die Tatsache, dass die Offenbarung sich entwickelt – und dass die Bibel sowohl ein göttliches als auch ein sehr menschliches Buch ist –, vermeidet man diese Probleme.

5. Wer sich prinzipiell zum Glauben an das Übernatürliche bekennt, hat damit eine bessere Ausgangsposition für die Interpretation von Wundern und Prophezeiungen. Ein Nichtgläubiger kann mit diesen Elementen der Schrift einfach nicht angemessen umgehen; das geht über den Standpunkt der bloßen „Sympathie für alle Welt“ hinaus. Wenn sich jemand standhaft weigert zu glauben, dass es Prophezeiungen gibt, dann muss er die prophetischen Anteile der Schrift als etwas Anderes interpretieren denn als tatsächliche Voraussagen. Diese werden dann entweder als unerfüllt abgetan oder als Vaticinium ex eventu (oder nachträgliche Prophezeiung nach Eintreten des Prophezeiten) behandelt. Auch Wunder müssen umgeschrieben und entmythologisiert werden. Die einige Jahrzehnte alte Kritik von C.S. Lewis ist als Anklage gegen eine solche Behandlung der Schrift noch immer gültig: die Schrift – und insbesondere das Neue Testament – als voll von Fabeln anzusehen setzt eine nachgewiesenermaßen falsche Chronologie voraus. Der zeitliche Abstand zwischen dem Stattfinden der Ereignisse und dem Erzählen der Geschichten ist einfach zu kurz und man findet diesbezüglich keine Parallele bei irgendeiner Literatur, die von sich behauptet, historisch zu sein. Lewis zieht den Schluss, dass diejenigen, die das NT als voll von Fabeln bezeichnen, sich wohl niemals wirklich mit Fabeln beschäftigt haben. Oder, wie Vincent Taylor, der britische NT Wissenschaftler bemerkte: Die Dokumente des NT als voll von Mythen zu betrachten setzt voraus, dass sämtliche Augenzeugen praktisch unmittelbar nach dem Stattfinden der Ereignisse verschwunden sein müssen. Kurz gesagt, wenn es um Wunder und Prophezeiungen geht, hat der Gläubige die weitaus besseren Voraussetzungen, um ihre Botschaft zu verstehen. Das erinnert etwas daran, wie Jesus die Sadduzäer anklagte, weil sie die Auferstehung nicht annehmen wollten: „Ihr kennt nicht die Schriften noch die Macht Gottes.“

6. Das innere Zeugnis des Geistes (vgl. Rö 8:16; 1.Jo 2:20,27 etc.) stellt einen wichtigen Faktor sowohl für die Überzeugung als auch für die Wahrnehmung der Kernaussagen der Schrift dar. Aus meinen vorläufigen Studien heraus würde ich sagen, dass das Zeugnis des Geistes ein unmittelbares, nicht-argumentatives, über-rationales Zeugnis für die Wahrheit der zentralen Glaubensgrundsätze darstellt. Der Geist überzeugt uns von deren Wahrheit in einer Weise, die außerhalb der Exegese liegt. Wovon aber überzeugt er uns genau? Unter anderem von (1) unserem Verhältnis der Kindschaft Gott gegenüber, (2) der leiblichen Auferstehung Christi, (3) dem Menschsein Christi, (4) der leiblichen Wiederkehr Christi, (5) der Göttlichkeit Christi, (6) der Tatsache, dass die Erlösung eine freie Gabe Gottes ist. Das Zeugnis des Geistes mag wohl noch weiter gehen. Aber wie weit? Man darf bezweifeln, dass der Geist Zeugnis ablegt über die Zeit, die Gott benötigte, um das Universum zu erschaffen, oder darüber, ob der Dispensationalismus oder die Theologie des Bundes das bessere System darstellt, oder darüber, ob es Unfehlbarkeit gibt. Ich bezweifle auch, dass er Zeugnis für ein bestimmtes kirchliches Leitungssystem oder über die Rolle der Frauen in der Kirchenleitung oder über die Definition der geistlichen Gaben ablegt. Es gibt so viele Dinge in der Schrift, die uns selbst zu ergründen bleiben, und wir sollten dabei das beste aus unseren rationalen und aus unseren empirischen Resourcen machen! Das bedeutet nicht, dass wir darüber nicht zu einigen recht soliden Schlussfolgerungen kommen können. Es bedeutet aber, dass diese Dinge in Bezug auf die Erlösung von weniger zentraler Bedeutung sind als andere. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese „verhandlungsfähigen“ Dinge wichtige Forschungsgebiete darstellen. Viele (aber nicht alle) Ergebnisse daraus sind wichtig für das Heil der Kirche, aber nicht ausschlaggebend für das Leben der Kirche.

Drei abschließende Bemerkungen über das innere Zeugnis des Geistes: (1) Mancher mag irritiert darüber sein, dass ich hier so weit gegangen bin, eine vorsichtige Taxonomie der Doktrinen zu präsentieren. Die Alternative dazu wäre, alle Doktrinen als von gleichrangiger Bedeutung anzusehen. Das aber ist in historischer, exegetischer und geistlicher Hinsicht problematisch. Eine solche „Domino“-Sichtweise der Doktrin führt entweder in einen nicht zu rechtfertigenden Dogmatismus, gekoppelt mit selbstgefälliger Arroganz, oder in den Zusammenbruch praktisch aller doktrinären Glaubensinhalte (denn wenn einer fällt, fallen alle). (2) Wenn es in einigen Bereichen kein Zeugnis des Geistes gibt, bedeutet das nicht, dass diese Bereiche nicht wichtig wären. Es bedeutet vielmehr, dass wir jemandem, der eine andere Meinung vertritt als wir selbst, umso mehr Freiheit und Toleranz zugestehen sollten, je weniger zentrale Bedeutung diese Bereicht für die Erlösung und für eine gesunde Kirche haben – selbst wenn es sich um die Themen handelt, die gegenwärtig so heiß diskutiert werden (wie die geistlichen Gaben und die Rolle der Frauen in der Leitung). Die eigentliche Herausforderung liegt bei der Auseinandersetzung mit diesen Themen zum Teil darin festzustellen, inwieweit unsere exegetischen Entscheidungen Auswirkungen auf das Heil unserer Kirche haben. Wenn wir aber unsere Erkenntnisse präsentieren, muss das immer im Geiste der Nächstenliebe geschehen. Hüten Sie sich davor, Ihre eigenen „nicht-zentralen“ Einstellungen zu solchen erstrangigen Überzeugungen zu erheben, wie sie allein den Tatsachen vorbehalten sind, für die der Geist Zeugnis ablegt. (3) Das innere Zeugnis des Geistes kann bis zu einem gewissen Grade unterdrückt werden. Man muss Gott gegenüber (durch Gebet, Anbetung, Gemeinschaft, Demut, Gehorsam etc.) ein warmes Herz und (durch die Beschäftigung mit der Schrift wie auch mit der Kirchengeschichte) eine differenzierte Wachheit für die Kostbarkeit der zentralen Wahrheiten bewahren, um so die Wertschätzung für das innere Zeugnis des Geistes zu pflegen.

7. Auch die allgemeine Erleuchtung ist ein Bereich, in dem uns der Geist für unsere Interpretation behilflich ist. Mit allgemeiner Erleuchtung meine ich sein Wirken, mit dem er uns zu einem Verständnis jedes Bereiches im Leben und in der Welt verhilft. Das muss näher erläutert werden: Allgemein gesagt glaube ich, dass uns der Geist bei vielen Dingen, mit denen wir uns auseinandersetzen, hilft, unseren Sinn zu klären – sei es die Bezahlung der Steuern, das Suchen nach den Autoschlüsseln oder ein Examen, das wir ablegen müssen. Warum sollten wir die Schrift aus diesem Bereich ausklammern? Gewiss steht die Schrift doch nicht außerhalb dieses Wirkungsbereiches des Geistes, auf dem er den Gläubigen seine allgemeine Hilfe anbietet. Zugegebenermaßen muss auf diesem Gebiet noch weiter geforscht werden. Meine Gedanken dazu sind rein vorläufiger Natur.

8. Gemeinschaftliche und historische Erleuchtung: Mithilfe des gesamten Leibes Christ – seiner Manifestation sowohl in der Gegenwart als auch im Verlaufe der Geschichte – sind die Gläubigen dazu gekommen, Gottes Willen und Gottes Wort immer besser zu verstehen. Wir dürfen jedoch nicht wagen, einen Konsens oder die Tradition in den Status unfehlbarer Autorität zu erheben! Sie sollten andererseits aber auch nicht geringschätzig abgetan werden. Schließlich hat der Heilige Geist mit seiner Belehrung der Kirche nicht bei Ihnen angefangen, sondern er ist schon einige Jahrhunderte lang im Geschäft.

* * *

Ich möchte diesen Artikel mit drei Caveats beschließen:

1. Betrachten Sie nicht die Grenzen der Exegese als Interpretation eines Textes. Das Ziel der Exegese besteht letzten Endes nicht in der Interpretation, sondern in der Transformation.

2. Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihre Interpretation allein dadurch die Richtige ist, dass Sie beten, geistlich leben etc.. Trägheit beim Studium ist keine Entschuldigung für eine schlechte Interpretation. Außerdem: Selbst wenn Sie nicht faul sind, muss doch eine unzugängliche Interpretation als eine unwahrscheinliche Interpretation gewertet werden.

3. Versuchen Sie nicht, Studium und Anbetung zu trennen. Vor allem wer im Seminar tätig ist, sollte den Auftrag für alldie, die Diener des Wortes sein wollen, sehr ernst nehmen: Studiere! Jede Äußerung, die nicht harter Arbeit entspringt, ruft ein warmes, diffuses Gefühl hervor, dem die Substanz fehlt. Sie ist Honig für die Seele. Wenn andererseits Ihr Studium nur eine intellektuelle Übung ist statt Teil der Anbetung, die Sie Gott darbringen, wird seine Wirkung kalt und herzlos sein. Man kann seinen Mineralbedarf vielleicht dadurch decken, dass man Steine isst, aber wer würde seine Mineralstoffe in solch unverdaulicher Form einnehmen wollen?

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