Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Biblisch-therapeutische Seelsorge (BTS)


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34203 Beiträge
  • Land: Country Flag
Quelle: Bibelbund




Biblisch-therapeutische Seelsorge (BTS)





Versuch einer Bewertung aus biblischer Sicht


Roland Antholzer



Wir haben seit Jahrzehnten ein gefährliches Defizit in unsern Gemeinden. Es ist das Defizit an wirksamer seelsorgerlicher Hilfestellung. Zwar ist es uns in der Schrift geboten, die Last des andern zu tragen, doch weithin wird es nicht mehr praktiziert. Christen haben in diesem Bereich längst das Feld geräumt und den sog. Fachleuten überlassen. Ist es von ungefähr, daß fast zum selben Zeitpunkt verschiedene Hilfsangebote entwickelt worden sind, die diesem Mangel abhelfen sollen? Fast alle Schulungsangebote, die heute im deutschsprachigen Raum bestehen, wurden in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gegründet. Defizite sind allerdings grundsätzlich gefährlich: Sie sind wie ein Vakuum, das ansaugt, was immer geeignet erscheint, der Not abzuhelfen. In dieses Vakuum strömen dann auch Gedanken und Ideologien ein, die der Gemeinde langfristig zum Schaden werden können. Der altböse Feind schläft nicht. Die Psychologie ist eine seiner wirksamsten Waffen.

Lassen Sie mich die Wirkungsweise der Psychologie bildhaft beschreiben. Stellen wir uns die christliche Landschaft als Meer vor. Auf der Oberfläche gibt es starken Wellengang. Seit den 60er Jahren wird ja die christliche Gemeinde von diversen Wellen überrollt, die insgesamt mehr Zerstörung gebracht haben als Segen. Solche Wellen bleiben in ihrer Urgewalt nicht unbemerkt. Anders sieht es dagegen mit untermeerischen Strömen aus wie etwa dem Golfstrom. Der Golfstrom nimmt völlig unbemerkt seinen

Weg tief unter der Meeresoberfläche. Und er hat immense Auswirkungen auf das Klima der Länder, in deren Nähe er kommt. Nun meine ich, daß die Psychologie in ihrer Wirkungsweise dem Golfstrom gleicht. Sie geschieht unbemerkt, unter der Oberfläche, aber sie hat eine gewaltige Auswirkung auf das Denken und damit auch auf den Glaubensvollzug der Christen.

1. Einige Vorbemerkungen
1.1 Kein Lieblingsthema


Ich rede nicht gern über dieses Thema. Grundsätzlich rede ich zehnmal lieber über ein Thema, das die Zuhörer auferbaut. Aber trotzdem ist es wichtig und notwendig, daß auch über kontroverse Themen wie dieses gesprochen wird. Wieso müssen wir überhaupt darüber reden, ob Psychotherapie und Seelsorge miteinander kompatibel sind? Weil sich in der christlichen Landschaft einiges verändert hat. Noch vor zwei Jahrzehnten gab es unter den evangelikalen Christen in unserm Land einen gewissen Konsens darüber, daß Seelsorge von der Hl. Schrift her getan werden muß, und daß die Psychotherapie für unsere Ziele eher schädlich wäre. Mittlerweile hat sich der Wind gewendet. Er bläst jetzt jedem ins Gesicht, der es wagt, den Wert der psychotherapeutischen Zugänge zur Lebens- und Glaubenshilfe für Christen in Frage zu stellen.

Eigentlich entspricht die Formulierung des Leitthemas dieser Tagung "Seelsorge kontra Psychotherapie?" eher der Situation von damals. Damals wurde noch ein Gegeneinander wahrgenommen, eine KontraPosition. Heute würden viele Christen fragen: "Wieso Contra, wieso nicht beides zusammen?" Der Gedanke der Integration hat den der KontraPosition weitgehend verdrängt. Was vor 12 Jahren schon ansatzweise zu erkennen war, ist mittlerweile fast zur Norm geworden. Waren früher Begriffe wie "biblisch" und "therapeutisch" ein Gegensatzpaar, kann man heute von "biblisch-therapeutischer Seelsorge" sprechen, wobei unter "therapeutisch" explizit "psychotherapeutisch" verstanden wird.

1.2 Persönliche Betroffenheit

Es ist ein Thema, das mich betroffen macht. Seit meiner Bekehrung vor über 20 Jahren bewegt es mich. Ich befand mich damals gerade mitten in meinem Studium der Psychologie und am Beginn einer Ausbildung in Gesprächspsychotherapie, die ich dann auch noch abgeschlossen habe. Von Anfang an war ich mit den Widersprüchen zwischen den Aussagen einer humanistischen Psychologie und der Lehre der Bibel konfrontiert. Ich möchte nichts beschönigen: Ich habe jahrelang darum gekämpft, die Denkansätze der Tiefenpsychologie, des Behaviorismus oder der humanistischen Psychologie in mein Christenleben hinüberzuretten. Ich bin aber heute dem HERRN dankbar, daß Er mich vor diesem fragwürdigen Kompromiß bewahrt hat.

1.3 Kritik muß nicht lieblos sein

Wenn ich im Folgenden mal Personen aus dem christlichen Umfeld unseres Landes zitiere und deren Aussagen kritisiere, dann tue ich damit nichts Unrechtes. Hier geht es um eine geistige Auseinandersetzung, die wir nicht im luftleeren Raum ansiedeln können. Christen haben sich in diversen Büchern dazu geäußert und damit ihre Meinung öffentlich gemacht. Wer das tut, der muß es hinnehmen, daß diese Meinung auch öffentlich in Frage gestellt wird. Ich jedenfalls nehme es niemandem übel, der sich kritisch über meine veröffentlichten Gedanken äußert. Man werfe mir also bitte nicht vor, lieblos zu sein, wenn ich mal einen Namen nenne. Wenn ich eines Bruders Meinung kritisiere, heißt das doch nicht, daß ich ihn selbst nicht liebe oder achte.

1.4.Worum geht es

Ich spreche nicht darüber, ob es eine Berechtigung hat, daß Ungläubige Psychotherapie in Anspruch nehmen. Mich interessiert bei dieser Frage, was die Gemeinde Jesu macht. Auch geht es nicht so sehr darum, ob die Wissenschaft Psychologie brauchbare Ergebnisse hat. Es gibt diese Ergebnisse, das ist gar keine Frage. Ich könnte eine Vielzahl von Ergebnissen psychologischer Forschung aufzählen, die unser Alltagsleben längst mitformen, größtenteils ohne daß wir uns dessen bewußt sind. Wer denkt schon daran, wenn er Auto fährt, daß er von Erkenntnissen psychologischer Forschung über die Wahrnehmung des Menschen oder über das Funktionieren von Mensch-Maschine-Systemen profitiert? Es geht hier auch nicht um eine Kritik der Psychiatrie. Sicher läßt sich auch über diese Thematik so manches sagen. Anderseits haben wir bei Geisteskrankheiten keine bessere Alternative als die Behandlung mit Medikamenten wie z.B. Antidepressiva oder Neuroleptika. Es geht mir in diesem Seminar ausschließlich um die Frage, ob es sinnvoll und biblisch vertretbar ist, die Methoden der Psychotherapie in die christliche Seelsorge zu integrieren.

Der integrative Ansatz biblisch-therapeutischer Seelsorge wird im übrigen nicht nur von der DGBTS vertreten, sondern auch von einer Reihe anderer Personen und Institutionen, so etwa von Reinhold Ruthe mit seinem "Magnus Felsenstein-Institut für angewandte therapeutische und beratende Seelsorge", oder von dem Verein "Biblische Seelsorge und Lebensberatung" am Flensunger Hof, von dem "Verein für Seelsorge und Lebensberatung" in Wiesbaden, der "Arbeitsgemeinschaft Therapeutische Seelsorge im Bund freier evangelischer Gemeinden" in Waldbröl oder vom "Deutschen EC-Verband" in Kassel, um nur einige zu nennen. Daneben gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Beratungsstellen und niedergelassenen Einzelpersonen, die auf dieser Basis arbeiten.

2. Kurze Darstellung wesentlicher Grundsätze biblisch-therapeutischer Seelsorge
2.1 Biblisch-therapeutische Seelsorge arbeitet integrationistisch


Man strebt ganz bewußt die Integration bestimmter psychotherapeutischer Methoden an, weil man in diesen Methoden eine wesentliche und unverzichtbare Ergänzung des seelsorgerlichen Handwerkszeugs sieht.

2.2 Biblisch-therapeutische Seelsorge arbeitet methodenplural

Man will sich nicht einer einzigen Methode verschreiben, sondern eine Vielzahl von verschiedenen methodischen Ansätzen zum Einsatz bringen. Damit grenzt man sich von der Schulenbildung speziell tiefenpsychologischer Richtungen ab, die sich ja gegenseitig bekämpft haben. In der modernen, auf empirische Forschung gegründeten Psychologie ist man von diesen mehr ideologisch als wissenschaftlich begründeten Festlegungen weithin abgekommen.

Allerdings: Nicht alle, die einen integrativen Ansatz in der Seelsorge vertreten, arbeiten auch methodenplural, sprich: setzen verschiedene Methoden oder besser "Methodenversatzstücke" ein. So z.B. hat sich Reinhold Ruthe ausschließlich der Individialpsychologie von Alfred Adler verschrieben.

2.3 Biblisch-therapeutische Seelsorge arbeitet eklektisch

"Eklektisch" heißt, man hält sich nicht streng an eine bestimmte psychologische Schule, sondern nimmt sich aus verschiedenen Ansätzen jeweils das heraus, was einem brauchbar erscheint. Am besten macht es vielleicht ein Zitat von Minirth & Meier deutlich, die in den USA als christliche Psychotherapeuten eine bedeutende Rolle spielen: "Zusätzlich zu der grundlegenden Erkenntnis, daß der Mensch von ganzheitlicher Natur ist, muß der christliche Berater sowohl ein breites Wissen von der großen Vielfalt der (psychotherapeutischen) Zugänge haben, die uns zur Verfügung stehen, als auch eine Sensibilität dafür, welcher Zugang für den jeweiligen Menschen, den er berät, am besten paßt... Wir suchen uns das Beste aus jeder der wichtigsten Ausprägungen der Psychotherapie heraus."[ 1 ]

Ähnlich äußert sich Dieterich in seinen Büchern. Die großen Schulen der Psychotherapie sind für ihn so etwas wie ein Steinbruch, aus dem man sich die schönsten und brauchbarsten Stücke herausbricht. Bei der Auswahl der diversen psychotherapeutischen Methoden, die für ihn so etwas wie "Handwerkszeug" darstellen, und bei der Entscheidung, wann die Bibel zum Einsatz kommen soll, kommt schließlich der Hl. Geist ins Spiel: "So wie zur angemessenen Wahrheitsfindung aus der Bibel die Leitung des Heiligen Geistes hinzugehört, benötigt der biblisch-therapeutische Seelsorger diese Leitung bei der Auswahl des für den jeweiligen Seelsorgefall entsprechenden therapeutischen Handwerkszeugs."

Und: "Die Methode in der BTS gibt es also nicht - häufig wechseln sogar die Vorgehensweisen innerhalb weniger Minuten. Und wie schon weiter oben ausgeführt, es ist der Hl. Geist, der um permanente Leitung zur Auswahl und Änderung der Methoden (die der Seelsorger natürlich erlernt haben muß) gebeten wird."[ 2 ]

3. Argumente der Integrationisten für ihre Position

Die Argumente, die die Integrationisten für ihre Vermischung von Psychotherapie und Seelsorge ins Feld führen, sind bei genauerer Betrachtung nicht stichhaltig. Das gilt sowohl für die Begründungen derer, die wie BTS methodenplural arbeiten, als auch für diejenigen, die sich wie Reinhold Ruthe nur einer Methode verschrieben haben. Einige dieser Argumente möchte ich nun kritisch reflektieren.

3.1 Psychotherapeutische Methoden sind wissenschaftlich begründet (weisheitlicher Ansatz)

Sehen wir zunächst einmal davon ab, ob der Nachweis der Wissenschaftlichkeit überhaupt etwas zur Sache tut und fragen wir: Wie wissenschaftlich ist die Psychotherapie denn nun wirklich?
Wenn wir das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten zur Wirksamkeit der Psychotherapien durch die Psychologen Hans Grawe und Hans H. Strupp zugrunde legen, kommen wir wie diese beiden Forscher auch zu einem vernichtenden Ergebnis: Von den mittlerweile mehrere Hundert Psychotherapien sind es nur drei(!), deren Wirksamkeit überhaupt schon wissenschaftlich untersucht wurde: die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie (einschließlich der kognitiven Ansätze wie z. B. die Rational-emotive Therapie von Ellis) und die Nondirektive Gesprächspsychotherapie nach Rogers. Bei der Psychoanalyse konnte bisher überhaupt keine spezifische Wirksamkeit nachgewiesen werden. Etwas besser steht es bei der Gesprächspsychotherapie und am besten ist die Wirksamkeit der verhaltenstherapeutischen Methoden belegt.

Letzteres erklärt sich von daher, weil die Verhaltenstherapie die einzige Therapieform ist, die sich auf die Anwendung wissenschaftlich abgesicherter Ergebnisse gründet. Hier wurden psychologische Forschungsergebnisse über die verschiedenen Formen der Konditionierung und über den Ablauf von Lernvorgängen konsequent in therapeutische Methoden umgesetzt. Darin liegt letztlich die Überlegenheit der Verhaltenstherapie gegenüber andern Methoden begründet.

Alle andern Therapieformen sind mehr oder weniger Erfindungen, die in den Köpfen ihrer Begründer entstanden sind und mehr ideologisch begründet sind als wissenschaftlich. Ähnlich hat es der heute populärste Psychotherapie-Begründer Albert Ellis gesagt. Ellis wird heute etwa dieselbe Bedeutung zugeschrieben wie seinerzeit Sigmund Freud und Carl Rogers. Er hat eine kognitive Verhaltenstherapie, die sog. "Rational-emotive Therapie", entwickelt. In einem Interview, das er anläßlich eines Psychotherapie-Kongresses gab, machte er sich über sämtliche Therapiebegründer lustig, ausgenommen natürlich sich selbst. Er kam dabei zu dem Resümee: "Fast alle Therapien tun das Gleiche. Sie haben nicht die leiseste Ahnung über die tatsächliche Störung der Menschen, geschweige denn, wie sie diese beseitigen sollen. Dafür halten sie sich an den absoluten Blödsinn über das Unbewußte." ... "Freud war ein großer Erfinder, Erickson ebenfalls und Fritz Perls war auch ein großer Erfinder. Sie taten einfach zufällig Dinge, die teilweise funktionierten

Aber sie hatten alle nicht den blassesten Schimmer, warum Menschen wirklich gestört sind und wie diese Störungen aufzuheben sind. Sie taten einfach zufällig Dinge, die teilweise funktionierten." ... "Sie könnten genauso gut das ganze Freud'sche Wissen nehmen und es in den Müll kippen."[ 3 ]

Anzumerken wäre, daß Ellis von den Vertretern des Integrationsansatzes besonders favorisiert wird, weil es ja auch in der Seelsorge um eine Veränderung des Denkens geht.

Bei BTS spricht man von einem "weisheitlichen Ansatz". Hier müßten wir uns der Wissenschaftstheorie zuwenden, worauf ich allerdings aus Platzgründen verzichten muß.[ 4 ] Aber abgesehen von der Tatsache, daß es schlicht keine objektive und wertfreie Wissenschaft gibt, möchte ich doch zu bedenken geben: Man wird bei empirischer Wissenschaft keineswegs nur zutage fördern, was Gott dem Menschen "beigelegt" hat, denn wir haben es ja doch mit dem gefallenen Menschen zu tun. Der gefallene Mensch wird mit Sicherheit anders funktionieren und reagieren als Adam vor dem Fall.

Und selbst da, wo die Psychologie Zusammenhänge über das menschliche Erleben und Verhalten offenlegt, deren Kenntnis eine Einflußnahme auf den Menschen ermöglichen, heißt das noch lange nicht, daß eine solche Einflußnahme auch ethisch vertretbar oder gar von Gott sanktioniert wäre. Die Möglichkeit der Genmanipulation liegt auch in der Schöpfung drin - aber ist sie deswegen schon gut? Dasselbe gilt für die Atomspaltung. Auch sie beruht auf schöpfungsmäßig vorgegebenen physikalischen Zusammenhängen, und doch wären wir ja heilfroh, wenn der Mensch dabei geblieben wäre, Holz zu spalten! Wissenschaft und Ethik stehen nun mal in einem untrennbaren Zusammenhang. Die ethische Entscheidung kann mir aber durch die Wissenschaft nie abgenommen werden.

Man nimmt ganz selbstverständlich an, daß Zusammenhänge über menschliches Verhalten, die durch wissenschaftliche Forschung "entdeckt" wurden, unbedingt auch nutzbar gemacht werden müssen. Wer sich dieser Nutzung verschließt, mißachtet Gottes Ordnung! Ähnlich apodiktisch hat es Dieterich in dem Artikel "Pro und Contra Psychotherapie" in Neues Leben formuliert, in dem er die Pro-Seite vertrat und ich die Contra-Seite. Er schrieb dort: "Wer Christen moderne psychologische oder psychotherapeutische Hilfen vorenthält, macht sich an ihnen schuldig. Und zwar genauso, wie wenn man aus `Glaubensgründen' vor der Einnahme von notwendiger Medizin warnen würde. Solche Ratschläge verleugnen die Schöpfungsordnungen Gottes." [ 5 ]Ist eine ethische Prüfung nicht mehr erforderliche wenn die Sache nur wissenschaftlich begründet ist?

Die Möglichkeit, daß man auch vor einem Medikament warnen müßte, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist, wird von Dieterich erst gar nicht eingeräumt. Als müßte nicht jeder, der ein Medikament nimmt, gründlich prüfen, ob er bereit ist, die z. T. gravierenden Nebenwirkungen um einer zumindest fraglichen Wirkung willen in Kauf zu nehmen. Immer wieder klingt durch, daß eine ethische Prüfung und Entscheidung "im Angesicht Gottes" dann nicht mehr erforderlich ist, wenn die Sache nur wissenschaftlich begründet ist.

Dem weisheitlichen Ansatz liegt m.E. die unreflektierte Vorstellung von einer natürlichen Offenbarung zugrunde. Wenn man meint, daß Wissenschaft uns Kenntnisse vermitteln kann, die eine über die Aussagen der Bibel hinausgehende Offenbarung Gottes darstellen, dann unterliegt man offensichtlich einem Mißverständnis darüber, was Offenbarung ist. In biblischer Sicht ist Offenbarung per definitionem der menschlichen Untersuchung oder Erkenntnis unzugänglich. Offenbarung liegt nur da vor, wo Gott von sich aus dem Menschen ein Wissen zugänglich macht, das ihm sonst verschlossen und mit Hilfe seiner Möglichkeiten auch nicht zu erlangen wäre.

3.2 Psychotherapeutische Methoden sind wertneutral und können problemlos von ihrem Überbau abgelöst werden

Michael Dieterich schreibt: "Ich bin der Meinung, daß die Begründer der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen häufig zu der Zeit, in der sie ihre Methoden erstmalig anwandten, noch gar keinen eindeutigen theoretischen Hintergrund, keinesfalls aber eine Ideologie parat hatten. Sie haben auf den Menschen prinzipiell wirksame Mechanismen entdeckt, die von der Anlage des Menschen her vorgegeben waren. Erst im nachhinein (also häufig in den "Spätwerken") tritt ein ideologischer Überbau auf, der aber m. E. nicht zwingend ist." [ 6 ]

Ich glaube, daß die These, der Überbau lasse sich problemlos von der Methode ablösen, falsch ist. Ja es ist bereits schon sehr fragwürdig, ob es sich bei der Ideologie, die hinter der Methode steht, überhaupt um einen "Überbau" handelt oder nicht doch um die Grundlage, das Fundament. Die Rede vom Überbau soll suggerieren, als handle es sich um so etwas wie ein später aufgesetztes Dach, das man leicht wieder entfernen und durch ein anderes Dach ersetzen könnte.

Die Methode der Gesprächspsychotherapie zeigt aber meiner Meinung nach deutlich auf, wie eng die Philosophie des Begründers Rogers mit seiner Methode verwoben ist. Ohne die Vorstellung, daß der Mensch das Gute in sich selbst trägt und unter günstigen Bedingungen fruchtbar machen kann, würde man auf diese Methode kaum kommen. Es mag ja sein, daß Rogers seine Persönlichkeitstheorie erst nach seiner Methode kreiert hat, doch ist sein humanistisches Menschenbild schon vorher in seinem Kopf gewesen und hat mit Sicherheit bereits bei der Entwicklung der Methode Pate gestanden. Er hat selbst auf den Einfluß seiner Biografie verwiesen und gemeint, daß seine Therapie nicht unabhängig von seiner humanistischen Weltanschauung gesehen werden könne.

Hinter dieser Therapieform steht ganz eindeutig das humanistische Grundpostulat: "Der Mensch ist von Natur aus gut!" Es kennzeichnet das im Gegensatz zu Freud sehr optimistische Menschenbild von Rogers. Nicht selbstsüchtige Motive treiben den Menschen an, sondern der angeborene Drang zur Selbstverwirklichung oder die Tendenz, seine inhärenten bzw. angeborenen Möglichkeiten zu aktualisieren. Der Mensch wird mit einem "blueprint" geboren, d. h. mit einer inneren Skizze oder einem Schema, das nichts in sich birgt, was notwendigerweise zum Konflikt mit der Umwelt führen müßte. Zur neurotischen Entwicklung kommt es deshalb, weil dem Menschen nicht ausreichend "positive Wertschätzung" vermittelt wird, und weil die Umwelt der Verwirklichung seiner Möglichkeiten Widerstände entgegensetzt.

Aus dieser Persönlichkeitstheorie erklärt sich die Forderung an den Therapeuten, auf jegliche Direktiven (Vorschläge, Ratschläge) in der Therapie zu verzichten, da jedes Individuum die beste Lösung für seine Probleme in sich selbst finden könne. Auch das Gewicht, das der Vermittlung von positiver Wertschätzung und einer möglichst entspannten und angstfreien Atmosphäre gegeben wird, läßt sich hier einordnen. Das therapeutische Vorgehen der Gesprächspsychotherapie bekommt also nur Sinn, wenn man ihre anthropologischen Voraussetzungen mit einbezieht. Kein Mensch käme doch sonst auf die völlig abwegige Idee, man dürfe einem Menschen, der durch seinen sündigen Lebensstil sein eigenes Leben und das anderer zerstört, keine Richtung weisen. Wir sehen also, daß die humanistische Weltanschauung eines Rogers nicht nachträglich übergestülpt wurde, sondern in die Entwicklung dieser Therapie eingegangen ist und sie durchdringt. Wollte man diese Therapie von ihren widerbiblischen Inhalten reinigen, müßte man zuerst auf die Verbalisierungstechnik verzichten, durch die der Ratsuchende massiv manipuliert wird. Damit hätte man das einzige Eigenständige an dieser Methode entfernt.

Wollte man also die Gesprächspsychotherapie von ihrem humanistischen Geist säubern, bliebe von der eigentlichen Methode nicht mehr Brauchbares übrig als das, was der biblisch orientierte Seelsorger ohnehin täte und was er zudem nicht aus seinem natürlichen Wesen, sondern nur in Christus verwirklichen könnte.

Dasselbe ließe sich ohne Mühe auch für die andern Psychotherapieverfahren zeigen. Die Behauptung der Wertneutralität psychotherapeutischer Methoden auf steht tönernen Füßen.
Psychotherapie ist nun mal eben etwas anderes als ein "Handwerkszeug". Sie geschieht mit Worten, ist Kommunikation, Pädagogik, Beeinflussung. Es geht hier primär um etwas Geistiges. Hiob stellte seinem Freund Bildad interessante Fragen: "Wie hast du den beraten, der keine Weisheit hat und Gelingen in Fülle geoffenbart! Wem hast du denn deine Worte mitgeteilt, und wessen Geist ist von dir ausgegangen?" (Hi 26,3-4). Diesen Fragen sollten wir uns als Seelsorger auch stellen. Ich bin somit der Meinung, daß die Behauptung der Wertneutralität psychotherapeutischer Methoden auf tönernen Füßen steht.


--------------------------------------------------------------------------------

[ 1 ] Minirth & Meier: Counseling and the Nature of Man. Aus: Hunt, D.: Rückkehr zum biblischen Christentum. S. 151.
[ 2 ] Dieterich, Michael: Psychotherapie - Seelsorge - Biblisch-therapeutische Seelsorge. Neuhausen-Stuttgart 1987, S. 52.
[ 3 ] M.E.G.a.Phon. Informationsblatt/Newsletter der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose e.V., Nr. 19, 1994, S. 8-9.
[ 4 ] Siehe dazu: Antholzer, Roland & Thomas Schirrmacher: Psychotherapie - der fatale Irrtum. Berneck 1997, S. 157-161.
[ 5 ] Dieterich, Michael: Pro & Contra. Darf Seelsorge Methoden der Psychotherapie an wenden? Neues Leben, Nr. 6, 1996, S. 47.
[ 6 ] Dieterich, Michael: Psychotherapie contra Seelsorge. Neuhausen-Stuttgart 1984, S. 160



--------------------------------------------------------------------------------
Diplompsychologe Roland Antholzer studierte Psychologie und Soziologie an der Universität Tübingen. Längere Zeit arbeitete er therapeutisch mit verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen in einer Fachklinik für Suchtkranke. Er ist Gründer und Vorsitzender der "Gemeindeorientierten Initiative für biblische Beratung"(GIBB e.V.)
  • 0