Karl R. fragt:
Wie erklärst Du dir dann zB , dass das Wort unsere Seele und Geist trennen soll?
Ich zitiere den Auszug der Worte aus Hebräer 4,12 in drei Übersetzungen:
"Es [das Wort Gottes] dringt durch und geht „durch Mark und Bein“, bis es das Seelische vom Geistlichen scheidet;" (Bruns 1963)
"bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes" (rev. ELB 1985)
"bis es scheidet sowohl Seele als auch Geist, sowohl Mark als auch Bein, " (SLT 2000)
Zwischen Schlachter und Bruns tut sich eine erhebliche Kluft auf: Bei Schlachter scheidet das Wort Gottes sowohl Seele, wie auch Geist (in sich). Bei Bruns scheidet es Seele von Geist. Die Formulierung der Elberfelder läßt beide Interpretation zu und gibt dadurch Raum dort hineinzulesen, was man sich wünscht. Wer aber hat Recht: Bruns oder Schlachter?
Nun ist die Bruns keine Übersetzung, sondern eine Übertragung in (damals) modernes Deutsch. Aber er gibt ein Verständnis dieser Stelle wieder, das eine gewissen Verbreitung hat.
Daß Bruns dabei nicht unvoreingenommen an den Wortlaut des Textes herangeht zeigt auch seine Übersetzung mit Kommentar von 2. Kor 7,1, wo er zwar „Geist“ übersetzt (weil dort pneuma steht), aber Seele liest:
„...so wollen wir uns von aller Befleckung an Leib und Geist reinigen“
Kommentar: Er [Paulus] legt ihnen [den Korinthern] mehrere Gottesworte vor und ermuntert zuletzt zur Heiligung an Leib und Seele.
Ob man als Laie der Wahrheit an dieser Stelle auf den Grund gehen kann, indem man mehrere Übersetzungen miteinander vergleicht, ist fraglich.
Die "großen" Deutschen Übersetzungen, die sich mehr oder minder konkordant an der Formulierung und Wortfolge orientieren schreiben:
"bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein" (LUT 84)
"es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark" (EIN)
"bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes" (rev. ELB 1985)"
Kommunikativere und auf die Sinn-Aussage ausgerichtete Übersetzungen dagegen:
"Das schärfste beidseitig geschliffene Schwert ist nicht so scharf wie dieses Wort, das Seele und Geist und Mark und Bein durchdringt" (NGÜ);
"so dringt das Wort Gottes ins Innerste von Seele und Geist." (GNB);
"Es ist schärfer als das schärfste Schwert und durchdringt unsere innersten Gedanken und Wünsche." (NL);
"dringt es doch bis in unser Innerstes, bis in unsere Seele und unseren Geist, und trifft uns tief in Mark und Bein." (HFA)
Haben erstere die "wörtliche Wahrheit" und sind letztere nur vertuschende Interpretation?
Interessant ist auch die DaBhar-Übersetzung, deren Herausgeber versuchen in etwas verschrobenem Deutsch, dem griechischen Text konkordant nachzuspüren:
Durch Zusatz [i]„und Mark“[/b] machen die Herausgeber deutlich, was sie unter dem Wort „Teilung“ verstehen, nämlich das Teilen/Zuschneiden einer Sache „in sich“.„... und durchreichend bis zur Teilung von Seele und Geist, Gelenken, außerdem auch Mark und Mark“
Ob man will oder nicht. Wo die Übersetzungen kein eindeutiges Verständnis liefern und sich sogar wiedersprechen, kommt man am Griechischen nicht vorbei, um die Frage zu beantworten:
Trennt das Wort Gottes die menschliche Seele vom menschlichen Geist?
Zunächst gibt es eine kleine Grundtextabweichung zwischen dem Textus Receptus und dem von der Textkritik erstellten Nestle/Aland-Grundtext, wobei der TR ein kleines Wörtchen (te) mehr hat. Bemerkbar macht sich das bei Schlachter 2000 in der Formulierung: "sowohl... als auch..."
Im Grunde genommen bleibt es aber egal für welchen Grundtext man sich in diesem Fall aus "Vernunft" oder Glauben entscheidet, denn das entscheidende ist das die Tätigkeit beschreibende Nomen: Scheidung/Teilung, gr. Merismos.
Dieses meint die Aufteilung und Zuteilung eines bestehenden Ganzen, nicht die Scheidung zweier verschiedener Dinge. So steht es im Hebräerbrief auch in Kapitel 2 Vers 4:
Hebr 2,4: "Und Gott hat dazu Zeugnis gegeben [...] durch die Austeilung[en] (gr. merismois) des heiligen Geistes nach seinem Willen."
Der eine Heilige Geist wird nicht "gespalten", sondern sorgfältig ordnend zugeteilt.
Im Sinne der Aufteilung einer Sache wird der "Stamm" des Wortes auch anderen Stellen verwendet, wie bei:
Apg 8,21: "Du hast weder Teil noch Los an dieser [einen] Sache"
Matth 12,25: "Jedes [eine] Reich, das wider sich selbst entzweit ist, wird verwüstet;"
1. Kor 1,13: "Ist der [eine] Christus zerteilt?"
Anders ist es dagegen beim Verb "aphorizo" (trennen), das die Trennung einer Sache von einer anderen, andersartigen meint, wie in:
Matth 25,32: "Und vor ihm werden versammelt werden alle Nationen, und er wird sie voneinander
scheiden, wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet."
oder:
Lk 6,22: "Glückselig seid ihr, wenn die Menschen euch hassen werden und wenn sie euch absondern [von sich]
und schmähen..."
Aus dem regierenden Nomen (merismos) ist zu schließen, daß Gottes Wort tief dringt, sowohl Seele, wie auch Geist in sich zu scheiden (evtl. zuzuschneiden, dabei den Menschen in seinem ganzen Sein erfassend, und zu (ur)teilen vermag. Daß Ihm nichts verborgen bleibt, der er "Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens" ist.
Dies muß jeder Leser dieser Stelle hingestellt lassen, sei es, daß er die Ansicht vertritt, daß Geist und Seele, tatsächlich zwei verschiedene Dinge sind, oder daß sie lediglich zwei Namen für dieselbe Sache (das immaterielle Innere des Menschen) sind, die Paulus hier beide gebraucht um möglichst unmißverständlich auszudrücken, daß Gott Einsicht in alle Angelegenheiten des Menschen hat.
In jedem Fall: Hebr 4,12 lehrt nicht, daß sie voneinander geschieden werden.
Siehe auch:
www.gibb.info/Downloads/Anthropologie_2.pdf