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Der Zorn der Gläubigen


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Rolf

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Der Zorn der Gläubigen

Von Bruno Schrep

Im Revier sollen rund hundert katholische Kirchen dichtgemacht werden, selbst altehrwürdigen Bauten droht der Abriss. Die Gemeinden kämpfen gegen den eigenen Bischof.

Nein, an den Teufel glaubt er nicht, der Bochumer Priester Arun Jan Mathur. Und ans Fegefeuer und die ewige Verdammnis auch nicht. Der katholische Gottesmann mit den lichten Haaren, 43 Jahre alt, stämmig, bärtig, räumt dennoch ein, dass das Böse immer und überall zu finden ist. Auch da, wo es niemand vermuten würde.

Pfarrer Mathur und viele Christen in seiner Gemeinde haben einen Bösewicht in den eigenen Reihen ausgemacht: ihren Oberhirten, den Essener Bischof Felix Genn. Der 57-jährige Kirchenmann, der immer so freundlich lächelt, oft und gern Hände schüttelt, hat in Bochum heftigste, von wenig Nächstenliebe geprägte Gefühle ausgelöst.

Gläubige, denen sonst selten ein Fluch herausrutscht, reden plötzlich von "gesunder Wut", sogar von "Hass". Bitterböse Sätze fallen. "Was die Bomben nicht geschafft haben, das schafft jetzt der Bischof", schimpft ein Mitglied des Kirchenvorstands.

Grund der Verbitterung: Bischof Genn hat angeordnet, die Kirche Christ-König, einen 1932 errichteten Backsteinbau nahe dem Bochumer Hauptbahnhof, im kommenden Jahr dichtzumachen, die Gemeinde aufzulösen und in eine Großpfarrei einzugliedern. Demnächst wird kein Cent mehr für die Unterhaltung der ehemaligen Klosterkirche gezahlt, Pfarrer Mathur wird Anfang 2008 nach Duisburg versetzt. Das Zelebrieren der Messe ist eine seiner letzten Amtshandlungen in der alten Gemeinde.

"Hier geht ganz viel kaputt", prophezeit der Priester. Er hat an diesem Vormittag schon zwei Beerdigungen hinter sich, wirkt gehetzt, das Telefon klingelt, die Sekretärin mahnt den nächsten Termin an. Es muss viel abgewickelt werden.

"Warum ausgerechnet diese Gemeinde?", fragt er. Waren die Gottesdienste nicht stets gut besucht, viel besser als in den Nachbarkirchen? Sind nicht sogar viele Familien von außerhalb gekommen? Wurde die Jugendarbeit nicht immer gelobt? Mehr für die Alten getan als anderswo? Und dann dieser Schlag. "Geführt mit dem Holzhammer", beschwert sich Pfarrer Mathur.

"Stimmt nicht", kontert Ulrich Lota, Sprecher des Bistums Essen. Jede einzelne Schließung sei sorgsam abgewogen worden, Härtefälle seien aber nicht zu vermeiden gewesen. Im Zentrum Bochums, dem Standort von Christ-König, gebe es einfach zu viele katholische Kirchen auf engstem Raum. Dem Bischof habe das Herz geblutet.

Das Ende von Christ-König ist nur ein winziger Teil eines rigorosen Kahlschlags, den es so in der Geschichte des deutschen Katholizismus noch nie gegeben hat. Im Bistum Essen, dem Bischof Genn vorsteht, werden 96 von 368 katholischen Kirchen zugemacht, 259 Gemeinden zu 42 Großpfarreien vereint - nach den Zechen sterben im Ruhrgebiet die Gotteshäuser.

Kohle und Kirche, das war hier seit je eine gemeinsame Geschichte. Dass neben den Hochöfen die Glockentürme in die Höhe schossen und an jeder zweiten Ecke sogenannte Pantoffelkirchen entstanden, lag schließlich an den frommen katholischen Kumpeln aus dem Osten, die zum Malochen unter Tage ins Revier eingewandert waren. Die Kumpel sind lange weg, die Kirchen stehen noch. Doch die Zeiten, in denen diese Gotteshäuser so überfüllt waren wie die Kneipen ringsum, sind lange vorbei.

"Eine bestimmte Sozialgestalt der Kirche geht nicht zu Ende, sie ist zu Ende", bilanziert deshalb Bischof Genn. Dem müsse nun, leider, leider, Rechnung getragen werden. "Ich bin zum Handeln gezwungen." Sein Sprecher formuliert es noch drastischer: "Der Glaube in dieser Gesellschaft ist regelrecht verdunstet. Über die Folgen darf sich niemand wundern."

Auch wenn jüngste Studien eine überraschend hohe Gläubigkeit unter Bundesbürgern feststellen: Im Ruhrgebiet haben massenhafte Austritte, Geburtenschwund, Wegzug und Überalterung die Katholiken um ein Drittel dezimiert; von 1,4 Millionen im Jahr der Bistumsgründung 1958 sind gerade mal 920.000 übrig geblieben. Das Kirchensteueraufkommen brach ein, die Finanznot ist groß. Im Haushalt fehlen jedes Jahr zweistellige Millionenbeträge. Für die Erhaltung aller Kirchen, sagt der Bischof, fehle es schlicht an Geld. Außerdem gebe es nicht mehr genug Priester, um die vielen Gemeinden zu betreuen.

"Was gibt es denn Schönes in Bochum außer den Kirchen?"

Dem Rotstift zum Opfer fallen vor allem kleine Gemeinden wie Christ-König, auch dann, wenn es dort mehr Zusammenhalt, mehr Kirchgänger und mehr Aktivitäten gibt als anderswo. Ob der Schnitt so tief sein musste, wird von Kritikern bezweifelt. Konjunkturaufschwung und Rückgang der Arbeitslosigkeit sorgten wieder für steigende Einnahmen, argumentieren sie. Der bischöfliche Rundumschlag, angestoßen von einer McKinsey-Beraterin, sei weit überzogen. Tatsache ist: Kein anderes der 27 katholischen Bistümer in Deutschland hat seinen Gläubigen eine derartige Radikalkur zugemutet.

Bochum ist vom Aderlass besonders betroffen. Jedes dritte der 49 katholischen Gotteshäuser steht vor dem Aus. Demgegenüber sind in den letzten Jahren in Seitenstraßen und Hinterhöfen 15 Moscheen entstanden, und es werden ständig mehr.

Für die Revierstadt, die selbst von ihrem feurigsten Lokalpatrioten, dem Barden Herbert Grönemeyer ("Bochum, ich häng an dir"), als "total verbaut" besungen wird, führt das christliche Kirchensterben womöglich auch zu einem architektonischen Desaster. In der vom Beton der frühen sechziger Jahre geprägten Stadt bilden die sakralen Gebäude so ziemlich die einzigen ästhetischen Lichtblicke. Noch.

Die neugotische Marienkirche, eines der Wahrzeichen der City, wurde bereits entwidmet. Bauarbeiter haben Altar, Orgel und Chorgestühl weggeschafft, die bunten Fenster ausgebaut, die Lampen abmontiert. Aus dem 70 Meter hohen Westturm wuchern Sträucher, im Innern des ausgeschlachteten Kirchenschiffs nisten Tauben.

Nachdem der Plan gescheitert ist, die Kirche in den Neubau einer Konzerthalle zu integrieren, könnten schon bald die Bagger kommen. Die Amtskirche hat einen Abrissantrag gestellt - und damit sogar Proteste im angrenzenden Vergnügungsviertel ausgelöst. Der Sakralbau ist ein attraktiver Blickfang, weshalb die dortigen Kneipenwirte Geld gesammelt haben, um ihn weiter mit riesigen Scheinwerfern anzustrahlen.

Ruck, zuck geschleift wurde bereits die erst 1978 erbaute Kirche St. Thomas Morus im Stadtteil Langendreer, ein modernes Gotteshaus mit freistehendem Turm. Auf dem Grundstück werden derzeit Einfamilienhäuser gebaut, die Glocken wurden verschenkt an eine Missionskirche in Burundi.

Plattgemacht werden soll auch die Antoniuskirche, fertiggestellt 1902, ein eindrucksvoller roter Backsteinbau, der in Bochum-Mitte ein ganzes Viertel überragt. Teile der Decke sind bereits ins Kirchenschiff gestürzt, auf dem Gelände soll künftig ein Altenheim stehen. "Eine Schande" nennt die Kunsthistorikerin Christel Darmstadt die bischöflichen Abrisspläne. Und fragt provozierend: "Was gibt es denn Schönes in Bochum außer den Kirchen?"

Die kleine resolute Frau gilt bei den Kirchenoberen als unbequeme, lästige Mahnerin. Sie hat ein Buch über "Sakrale Baukunst in Bochum" herausgegeben und die Bürgeraktion "Rettet Bochumer Kirchen" gegründet.

Mit Transparenten und Trillerpfeifen gegen den Bischof

Tatsächlich rumort es in vielen Gemeinden. Gläubige wollen den Exitus ihrer Kirche nicht hinnehmen, verfassen Flugblätter, formulieren zornige Briefe an das Bistum. Nirgendwo wird jedoch so verbissen um den Erhalt der Kirche gekämpft wie in der Gemeinde Christ-König.

Seit bekannt wurde, dass die Gemeinde in die Großpfarrei St. Peter und Paul eingegliedert werden soll, proben die Gläubigen den Aufstand. Sie protestierten zu Hunderten mit Transparenten und Trillerpfeifen vor dem Essener Bischofssitz, gründeten einen Förderverein, sammelten Geld, hissten vor der Kirche eine schwarze Flagge.

Beim Adventsgottesdienst am zweiten Dezembersonntag schwankt die Stimmung zwischen Verbitterung und Trotz. Den meisten ist klar, dass es eine solche Messe im nächsten Jahr an dieser Stelle nicht geben wird.

Pfarrer Mathur, der wider den Konsumstress in der Weihnachtszeit predigt, kann sich einen Seitenhieb auf seine Vorgesetzten nicht verkneifen: "Wes Geistes Kind sind die Verantwortlichen im Bistum Essen, wenn sie Kirchen schließen?" Dann singen alle: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit."

Organist Wilhelm Keller bangt um seinen Arbeitsplatz wie Hunderte andere Bistumsangestellte - wie Musiker, Küster, Sekretärinnen, Buchhalter -, die demnächst gefeuert werden sollen. "Seit ich weiß, dass hier bald Schluss ist, kann ich keine Nacht mehr schlafen", berichtet der im Dienst grau gewordene 55-Jährige, der seit 30 Jahren in Christ-König an der Orgel sitzt. Ihm ist klar, dass künftig mehr als die Hälfte der Kirchenmusiker im Bistum nicht mehr gebraucht werden - und dass seine Chance in der freien Wirtschaft einen Job zu bekommen, gleich null ist.

Im Gemeindesaal, wo sich die Kirchgänger nach der Messe treffen, wird trotz Weihnachtszeit gnadenlos mit den Bistumsfunktionären abgerechnet. "Die schließen nicht nur ein Gemäuer, die zerstören unser Gemeindeleben", schimpft ein junger Mann - Replik auf den Vorwurf des Bischofs, die Gläubigen trauerten hauptsächlich um tote Steine. Der junge Mann: "Es geht nicht um Steine, es geht um Menschen."

Indes hängen gerade die Alten an der im neuromanischen Stil erbauten, innen klösterlich karg ausgestatteten Kirche mit der riesigen Dornenkrone über dem Altar. "Hier hab ich geheiratet, hier sind meine sechs Kinder getauft worden, hier bin ich zu Hause", versichert Magdalena Fischer, 81. "Ich weiß noch, wie die Nazis die Kirche besetzten", erinnert sich die 95-jährige Lotte Symann. "Die Gestapo ist rein, Stunden später war der Pfarrer tot." Nach der Teilzerstörung durch Fliegerbomben habe sie nach dem Krieg beim Wiederaufbau mitangepackt, Steine geklopft, Schubkarre gefahren. "Zum Lohn gab es Heiligenbildchen."

Einig sind sich viele Alte, aber auch ein paar Junge in einem Punkt: In die Ersatzkirche St. Peter und Paul werden sie nicht pilgern. "Da bringt mich keiner hin", schwört Rentner Franz Pluta, seit 44 Jahren treuer Gottesdienstbesucher.

Geht es nach Kirchenvorstand Walter Faßbender, wird das womöglich nicht nötig sein. Der pensionierte Schulrektor hat eine optimistische Rechnung aufgemacht: Kämen im Förderverein jährlich Spenden von 20.000 Euro zusammen, spekuliert er, könnte die Gemeinde die laufenden Kosten ihrer Kirche selbst finanzieren. Dann würde in Christ-König sonntags weiter gepredigt, gesungen und gebetet - vorausgesetzt, ein Priester und ein Organist würden jeweils aushelfen.

Zwar sind viele Gläubige von Faßbenders Vision begeistert, wollen sich nicht lumpen lassen. Ob jedoch Jahr für Jahr genug gespendet wird, ist mehr als fraglich.

Realistischer erscheint da schon die Vorstellung von Probst Michael Ludwig, dem Seelsorger der neuen Großpfarrei St. Peter und Paul. Der plant, die Kirche Christ-König in ein katholisches Veranstaltungszentrum umzubauen, dabei einen kleinen Andachtsraum mit Altar zu erhalten und, um das Ganze zu finanzieren, das Gemeindehaus als Bürofläche zu vermieten. Entsprechende Zeichnungen liegen in seiner Schublade.



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