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Scheinheilige Eltern schicken Kinder in die Kirche


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Rolf

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Glaube




Scheinheilige Eltern schicken Kinder in die Kirche




Zu Weihnachten sind die Gotteshäuser wieder voll. Aber es meist nicht der Glaube, der die Menschen dorthin zieht. Es geht ihnen vielmehr um Rituale und darum, ihren Kindern zu vermitteln, dass Religion zur bürgerlichen Biografie gehört.

Dass wir ausgerechnet zu Weihnachten so intensiv über den Glauben nachdenken, beweist, wie eng bei uns die Religion an die Biografie gebunden ist. Weihnachtliche Kindheitserinnerungen und die elterliche Freude am familiären Erleben lassen wie nichts sonst die Deutschen spüren, dass sie einer Religion anhängen.

Diese Fixierung auf die biografische Seite der Religiosität ist nicht selbstverständlich. Religion kann ja auch aus Reflexion erwachsen, aus Erweckung oder Ekstase. Dann werden andere Feste wichtiger: Karfreitag und Ostern, Pfingsten, Buß- und Bettag. Doch diese Anlässe einer bewussten Auseinandersetzung mit religiösen Inhalten lassen die meisten ungenutzt verstreichen. Hingegen lässt sich kaum jemand die weihnachtliche Vergewisserung des Dazugehörens seit frühester Kindheit entgehen.

Hierzu passt, dass Erwachsenentaufen in Deutschland peinlich berühren, während die Kindertaufe beharrlich gepflegt wird. Kirchenzugehörigkeit soll sich im Modus des gleichsam automatischen Mitlebens vollziehen. Das muss bedenken, wer angesichts voller Kirchen in linksliberalen Stadtteilen wie dem Berliner Bezirk Prenzlauer Berg eine Wiederkehr der Religion behauptet.

Denn voll sind jene Kirchen nicht, weil die jungen Bildungsbürger dort fromm geworden wären – sondern weil sie viele Kinder haben und meinen, dass zu deren Biografie die Religion gehöre. Daher lassen sie die in großer Zahl taufen und in die Kindergottesdienste gehen, wodurch dann auch die Eltern in Kontakt zur Kirche treten. Wenig zu tun hat das mit neuer religiöser Überzeugtheit, viel mit der für Deutschland typischen Verankerung der Religion im Lebenslauf.

Theologen sind darüber nicht glücklich. Denn es bedeutet, dass aktives Gemeindeengagement und offenes Bekenntnis viel weniger relevant für das Christsein sind als das Dazugehören, das dann im Erwachsenenalter meist zur Entrichtung der Kirchensteuern wird. Doch es lässt sich nicht ändern: In Deutschland ist Religion entweder als fester Bestandteil der Biografie von Kindesbeinen an vorhanden – oder sie ist gar nicht vorhanden.

Da können sich die Kirchen auf den Kopf stellen: Seit Jahrzehnten probieren sie es mit immer neuen Angeboten für kirchenferne Erwachsene, mit Ausstellungen, verschiedensten Gottesdiensten, Festen, Gesprächskreisen – doch es kommen fast immer dieselben Leute. Entsprechend kommt niemand, wo die Kirche nicht von Anfang an in den Biografien vorhanden war, vor allem in Ostdeutschland.

Doch hat dies auch positive Seiten. Die spezifische Gedämpftheit unserer Religiosität macht immun gegen Frömmelei und offen für wissenschaftliche Rationalität. Zudem wird manche Aufgeregtheit der neueren kirchlichen Kommunikation auf erfreuliche Weise zuschanden. Muss auch noch die Kirche mit Medienkampagnen daherkommen, muss Religion in eine trendige Mentalität verwandelt werden, die sich nach Erregungszuständen bemisst?

Die päpstliche Medienkritik wäre plausibler, wenn sich die katholische Kirche mit ihren Weltjugendtagen nicht ebenfalls dem Spektakel verschreiben und stundenweisen Überschwang als Renaissance des Christentums verkaufen würde. Und die Pfarrer beider Konfessionen wären manchen Stress los, wenn sie nicht ständig neue Angebotsreize ersinnen müssten, sondern tun dürften, was sie können (sollten) und gern machen: Gottesdienste würdig feiern, Amtshandlungen vornehmen, seelsorgerische Gespräche führen.

Nach allen neueren Studien geht es den Christen in Deutschland um genau dies: Rituale, Feiern an Wendepunkten des Lebens, Begegnungen mit glaubwürdigen Amtsträgern. All das möchte man als Teil des Lebenslaufes nicht missen. Man muss es aber früh kennenlernen.

Daher tun die Kirchen recht daran, sich derzeit verstärkt ihren Kindergärten, Schulen und Konfirmanden zu widmen. Mit Indoktrination hat das nichts zu tun. Zum einen findet man in heutigen Klosterschulen oder kirchlichen Kindergärten nicht mehr jenen Druck, der dort früher geherrscht haben mag. Zum andern sind die Deutschen frei genug geworden, um sich durch Protest oder Wurschtigkeit religiöser Zwangsbeglückung zu entziehen. Nicht entziehen aber wollen sie sich der Religion als Teil ihres Lebensvollzugs. Dies können ihnen die Kirchen ermöglichen. Gerade zu Weihnachten.


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