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Paradoxe Theologie (livenavigator.typepad.com)


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#1
Rolf

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Paradoxe Theologie Teil 1




In einem meiner letzten Posts habe ich den Mund voll genommen und behauptet, die Lehren, welches das Wort & Geist-Zentrum in Röhrnbach verbreite, seien Irrlehren. Solch eine zugegebenermassen polemische Aussage ist schnell gemacht, mehr Zeit braucht es, sie argumentativ zu belegen. Ich bin mir bewusst, dass schon der Begriff „Irrlehre“ problematisch ist, Kapeka fragte denn auch in der Comment-Sektion zu Recht, nach welchen Kriterien ich etwas oder jemanden als "Irrlehre" respektive "Irrlehrer" bezeichnen würde? Das ist eine gute Frage und im Protestantismus schwerer zu beantworten als im Katholizismus. Wenn da der Papst etwas ex kathedra verkündigt, ist es unfehlbar und gleichzeitig offizielle Lehre des Vatikans. Wenn ich nun auf diesem Blog den Mund aufmache, ist es ungleich schwieriger. Es gibt kein zentrales evangelisches Lehramt, welches entscheidet, was orthodoxe Lehre ist und welche Ansichten den Anstrich „Irrlehre“ verdienen (Sam, dein Vorschlag nach einem Gemeinde-Güte-Siegel ist interessant, in der Praxis aber wohl schwierig umzusetzen, früher oder später würde es wohl darauf hinaus laufen, dass es ein baptistisches, charismatisches, täuferisches oder was auch immer –Gütesiegel geben würde, weil sich die Verbände nicht einigen könnten). Zudem schreibe ich als Privatperson und nicht als Vertreter eines Gremiums, einer Denomination oder einer Universität. Das hat Vor-und Nachteile. Ein zentrales Institut für „Reine Lehre“ würde der evangelischen Betonung des Allgemeinen Priestertums zuwiderlaufen.

Der einzelne Christ ist mündig und darf selber mit bestem Gewissen vor Gott und Menschen entscheiden und sich eine Meinung bilden ohne dass ein oberster Stelllvertreter nötig wird, der diese Aufgabe abnimmt. Gleichzeitig birgt dieser Denkansatz die Grundlage für eine Pluralität an Meinungen. Da unsere Erziehung, unsere Gesellschaft, unsere Kirchen unser Verständnis von Bibel und Dogmatik prägen, gibt es keine neutralen Urteile, die einfachen nur wiedergeben, was sowieso schon in der Bibel steht. Unsere theologische Meinung ist der Bibel untergeordnet oder „nachgeordnet“, wie es Stanley Grenz in seiner Definition von Theologie gut auf den Punkt bringt:

Christian theology is an ongoing, second-order, contextual discipline that engages in critical and constructive reflection on the faith, life, and practice of the Christian community. Its task is the articulation of biblically normed, historically informed, and culturally relevant models of the Christian belief-mosaic for the purpose of assisting the community of Christ’s followers in their vocation to live as the people of God in the particular social-historical context in which they are situated. (Grenz, Beyond Foundationalism, 2001, S.16 )

Diese Vielfalt an Meinungen, die eine Betonung des Allgemeinen Priestertums an den Tag bringt, erschwert offensichtlich eine griffige Beurteilung von allfälligen Irrlehren. So ist diese neutestamentliche Lehre sowohl Segen als auch Herausforderung, wenn wir auf der Suche nach vernünftigen Beurteilungs-Kriterien sind. Eine Stellungnahme wie die der GGE hat naturgemäss mehr Gewicht als die einer Privatperson, es sei denn man heisst beispielsweise John Stott, Klaus Berger oder Dietrich Bonhoeffer. Darum begrüsse ich es, wenn Denominationen und Organsiationen den Mut haben, ihre Stimme öffentlich abzugeben. Wenn ich aber z.B. der GGE gegenüber kritisch eingestellt wäre, würde deren Argumentation mich wahrscheinlich auch nicht überzeugen, d.h. bei mehreren Stellungnahmen würde ich wahrscheinlich diejenige wählen, mit der ich mich theologisch am ehesten identifizieren kann. Dies führt aber häufig zu Pattsituationen. Eine weitere klassische theologische Antwort wäre der Hinweis auf die Bekenntnisse der Kirchengeschichte, Bekenntnisse sozusagen als Orientierungshilfe im Dschungel des Meinungspluralismus. Durchaus, Bekenntnisse sind wertvoll, nach langem Ringen versucht man theologische Inhalte in prägnante Sätze zu fassen. Was aber wenn die Themen, die es zu beurteilen gilt, in den Bekenntnissen nicht vorkommen? So sind die strittigen Punkte bei Wort & Geist kaum Gegenstand in gängigen Bekenntnissen, und wenn, dann höchstens implizit zu erahnen. Klar, auch Dogmatik-Bücher können helfen. Früher oder später werden wir aber immer wieder zum Schluss kommen, dass es nur eigenes tüchtiges exegetisches und systematisches Arbeiten mit den biblischen Texten zum Erfolg führt. Zwar werden wir aus oben genannten Gründen nicht eine allzeit gültige, garantiert irrtumslose Argumentation auf den Tisch bringen, aber mitten in der Pluralität der Meinungen gibt es meiner Meinung Qualitätsunterschiede. Tiefgründige Gedankengänge, welche die Schwächen und Einseitigkeiten der Konkurrenz aufzeigen können. Für manche Evangelikale wirkt diese Sicht von Theologie bedrohlich, weil sie befürchten, dass absolute Werte verloren gehen. Doch nicht die Bibel wird relativiert, aber unsere menschliche Interpretation davon ist nicht fehlerfrei, unsere Theologie ist nicht absolut, sie ist lern- und korrekturbedürftig. Mit Theologie kann man weder z.B. die Inspiration, die Existenz Gottes noch die Schöpfung „beweisen“, dies gilt auch für das Gegenteil; Theologie funktioniert nicht auf der mathematischen Ebene der Beweisführung. Die oben genannten Aussagen sind Glaubensfragen, ich kann aber mit meiner Theologie darlegen, dass es dem Selbstzeugnis der Schrift und dem biblischen Befund mehr gerecht wird, davon auszugehen als es zu verneinen. In diesem Zusammenhang nennt die Stellungnahme der GGE ein wichtiges Stichwort. Sie spricht vom Gesamtzeugnis der Bibel. Was ich darunter verstehe, werde ich in einem zweiten Post darlegen und da auch konkret die „Wort & Geist“-Lehren auf den Prüfstand nehmen.
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#2
Rolf

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Paradoxe Theologie Teil 2




So, nun komme ich wieder dazu weitere Gedanken zu „Wort+Geist“ zu skizzieren. Die Diskussion auf Depone’s Blog läuft und läuft, interessant und aufschlussreich wird es, wenn Anhänger von W+G mitdiskutieren. Ich habe in der Zwischenzeit via Internet eine ganze Reihe von Predigten downgeloadet, um mir ein besseres Bild zu machen. Peter Aschoff hat richtig erwähnt: „um Lehre zu beurteilen, muss man ja nicht da gewesen sein“. Das heisst aber für mich auch, den Lebensstil der involvierten Personen will und kann ich nicht beurteilen. Das wäre nicht fair und anmassend, denn ich habe keinen persönlichen Kontakt zur Bewegung. Deshalb versuche ich die Gedankenführung bewusst auf einer theologischen Ebene zu halten. In anderen Worten, zur Debatte steht die Orthodoxie („die rechte Lehre“) und nicht die Orthopraxie („die rechte Praxis, der Lebensstil“), dies bedeutet nicht, dass etwa Orthopraxie weniger wichtig wäre, nein, aber wie gesagt aus meiner Warte bin ich da nicht der Richtige, um dies zu untersuchen.

Also, was lässt sich sagen? Welche Grundzüge zeigen sich in den Predigten?

Erstaunt war ich über die monotone Themenwahl. Obwohl ich ganz unterschiedliche Referenten gehört habe, waren die Predigten praktisch identisch und thematisch haben sie sich vor allem im Kern um die Thematik „Christus in dir“, „deine Identität in Christus“ „das neue Leben“ gedreht. Ewas bös gesagt, hast du eine Predigt gehört, hast du alle gehört. Die inbrünstigen „Halleluja“-Rufe während der Predigt sind zwar definitiv nicht mein Stil, aber Stilfragen will ich nicht bewerten. AMEN, PTL! Als einer der Kernverse der W+G-Bewegung scheint sich 2Kor 5,17 heraus zu kristallisieren, dort schreibt Paulus:

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

Ein grandioser Vers, ja, ein sehr guter Vers und da muss ich W+G auch ein Lob aussprechen. Mir gefällt die Betonung auf die neue Identität des Christen in Jesus, die hier hochgehalten wird. Das ist christuszentriert und eine erfreuliche Antwort auf die „Ich-bin-ein armes- Würmchen“-Mentalität mancher Evangelikaler, die sich in endlosen Selbstbespiegelungen immer als Sünder und Versager sehen und mit gebücktem Haupt durchs Leben gehen. AMEN! Nun, das meine ich ernst. Wenn wir nur die Anforderungen, Pflichten und Gebote predigen und die Verheissungen ausser Acht lassen, wird kaum ein lebensfrohes Christentum die Folge sein. Theologisch gesprochen, zuerst kommt der Heils-Indikativ (Du bist ein Kind Gottes u.a.) und erst dann der Imperativ (Liebe deinen Nächsten, sei Zeuge u.a.). Das gefällt mir!


Schwere Bauchschmerzen bereiten mir allerdings Aussagen wie z.B. „Du bist nicht mehr Körper, sondern du bist Geist“, „Wenn du nun müde bist, dann sag einfach Schluss damit“ (Marita Bauer, 23.7.06). Haarsträubend. Ein wahrlich gutes Rezept für alle Burnout-Gefährdeten, so im Sinne von „Wenn du nicht mehr magst, dann soll dein Geist einfach dem Körper befehlen und alles wird gut, ja überhaupt, wird alles immer besser. Jeden Tag wird alles besser.“ Das ist schlicht verantwortungslose Theologie. Auch in anderen Predigten fiel mir eine „Geist-Überbetonung“, alles Körperliche, Seelische wird massiv abgewertet, wenn nun auch noch die Abwertung des AT zugunsten des NT dazukommt, sind wir in der Nähe der Gnosis. Hallo? Wo finden wir das im NT? Ich finde keine Stelle, auch 1Kor 9,27 kann meiner Meinung kaum in diese Richtung interpretiert werden. Den Himmel auf Erden will diese Endzeitbewegung schaffen (O-Ton: Wir sind nicht zu stoppen, diese Endzeitbewegung ist aus Gott). Luther nannte diese Art Theologie „theologia gloriae“, und setzte ihr seine „Theologia crucis“ (Theologie des Kreuzes) entgegen. Dieser Triumphalismus zeigt sich auch auf der Website:

Jesus wurde für dich zur Krankheit, damit du nicht krank sein musst!
Jesus trug deine Schmerzen, damit du sie nicht tragen musst!
Krankheit gehört somit nicht zu uns und hat bei keinem Menschen etwas verloren. Beanspruche Gottes Verheißung für deine Heilung und deine Gesundheit! Gottes Wille für dich ist ein Leben ohne Krankheit und ohne Schmerzen!


Der berechtigte Wunsch nach Heilung, nach Gottes übernatürlichem Wirken, die Sehnsucht der Menschen nach dem Paradies wird hier völlig einseitig ins Zentrum gestellt. W+G sind frömmer als die Bibel selbst. Klar, es gibt Stellen, die von Heilung, von Sieg & Überwindung sprechen, aber genauso finden wir Texte, die von Leid & Krankheit (z.B. Hiob, da kommt mir in den Sinn, ist ja Alter Bund, darum kann man die Geschichte rauchen, du denn nun sind wir ja 100% Geist und müssen uns nicht mehr mit Gebrechen und Schmerzen herumschlagen. Entschuldigt, bei solchen Predigten dringt mein begraben geglaubter Zynismus wieder an die Oberfläche!), Stellen, de von unserem Seufzen und dem der Schöpfung (Röm 8,22+23) berichten. Wie sagte Bonhoeffer so schön: unsere Welt, das ist das vorletzte, aber noch nicht das letzte. Das Reich Gottes ist zwar schon angebrochen, aber die grosse Erfüllung steht noch aus. In dieser Spannung leben wir und die Bibel selbst löst diese Spannung nirgends auf. Inmitten der genannten Paradoxe leben wir, darum ist christliche Theologie in ihrem Herzen immer paradoxe Theologie: Kreuz & Auferstehung, Überwindung & Schmerz, Jesus als Mensch und Gottes Sohn, die Prädestination & unsere eigene Verantwortung…ich könnte diese Reihe beliebig fortführen und genau diese Spannung finde ich bei W+G nicht. Die Spannung wird aufgelöst und so fallen sie auf der einen Seite vom Pferd. Im Laufe der Kirchengeschichte sind immer wieder Bewegungen der Versuchung erlegen, den biblischen Spannungsbogen zu ignorieren und wollten das Paradies schon auf Erden errichten. Doch nur, und das ist eine meiner tiefsten theologischen Überzeugungen, wer diese Spannung erduldet und aushält, manchmal mit Freude & Mut, manchmal mit Zweifel & Fragen, der wird zu einem reifen Glauben gelangen, der sich in Sonnen-und Schattenseiten bewährt. Im ersten Post habe ich provokativ von Irrlehre gesprochen. Ich behaupte: wer einseitig diesen Spannungsbogen durchbricht, wird früher oder später in die Irre gehen und ist darum letztendlich einer Irrlehre aufgesessen. Aus dieser Perspektive betrachtet, vertritt W+G m.E. Irrlehren.


Wie weit W+G auch ein Wohlstandsevangelium („Prosperity Gospel“) lehrt, ist meiner Beobachtung nach eine zwiespältige Sache. Zitate aus dem Dran-Artikel weisen deutlich in diese Richtung, in den Predigten, die ich gehört habe, ist mir folgende Definition von Wohlstand entgegen gekommen „in Christus bist du erfolgreich, du bist eine neue Schöpfung, du hast göttliche Gesundheit, Gott möchte, dass es dir gut geht, aber göttlicher Wohlstand hat nichts mit Reichtum zu tun.“ (alles O-Ton, aus verschiedenen Predigten). So gesehen, wäre W+G keine klassische „Prosperity-Gospel“, denn da würden der Swimmingpool und der SL zum Profil des wahren Gläubigen gehören.

So, das sind einige Gedanken und Beobachtungen. Ich lasse mich auch belehren, falls ich in gewissen Punkten W+G Unrecht tue. Wenn ihr Ergänzungen und Anregungen habt, nur zu, die Comment-Sektion ist offen…

Verfasst von Mike Bischoff am 31. Juli 06
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