„Das Leben ist zu einer grausamen Reality Show geworden“: Fotograf aus Nir Oz dokumentiert nach Hamas-Angriff den Ort
Kurz nach Ausbruch des Kriegs teile Shahar Vahab in einem Text in Israel HaYom seine Fotos des pittoresken Nir Oz vor dem brutalen Überfall der Hamas. Diesmal kehrt er in die dezimierte Gemeinde zurück um die Zerstörung zu dokumentieren sowie die Felder, auf denen Nutzpflanzen jetzt wieder wachsen.
Ich bin jetzt eineinhalb Monate in Europa gewesen und so schön der Herbst auch ist, es ist kalt und nass. Ich kehrte nur für ein paar Tage nach Israel zurück, um alle zu besuchen und Sachen von Zuhause zu holen. Nach zwei Tagen mit Staus im Zentrum flitzte ich .
Mein Haus haben sie nicht niedergebrannt, sie stellten nur alles auf den Kopf und stahlen alles Mögliche. Also begann ich wie immer, wenn ich aus dem Ausland komme, alles sauber zu machen und zu spülen als ob ich wirklich dort leben würde. Sammelte etwas Kleidung, wichtige Dokumente und Fotos ein.
Die Terroristen waren in meinem Haus, machten sich die Mühe die Schere zu finden (nicht einmal ich kann finde sie immer) und zerschnitten unserer Familienfotos, während meine Frau und mein Kind sich im Bombenschutzraum versteckten, in der Hoffnung nicht gefunden zu werden.
Ich bliebt schließlich über Nacht in meinem Haus, trank auf dem Balkon aus meiner Tasse Kaffee – und am nächsten Tag kehrte ich zurück nach Zentralisrael. Nach einem ganzen Tag mit Verkehrsstaus und Besorgungen bin ich der großen Stadt wieder müde. In der Nacht fahre ich nach Süden und beginne nach Hause zu fahren. Ich muss daran denken in Sde Boker anzuhalten und ein Foto des Sonnenaufgangs zu machen.
Wir lieben Sde Boker. Es liegt in der Nähe von Nir Oz und ist genauso schön wie ein Gemälde. Es ist auch unser Ziel, wann immer es einen Krieg oder eine militärische Operation oder „nur“ Raketen gibt. Meistens ist die Zeit gut, aber nicht immer werden die Operationen im Gazastreifen mit uns geplant und koordiniert, um sicherzustellen, dass wir Zeit haben zu fliehen. Das haben wir diesmal gemacht – eine Tasche gepackt und nach Sde Boker gefahren und auf die Nachrichten gewartet, um heute Abend zu sehen, was die Hamas diesmal beschlossen hat.
Antwort in zwei Worten
Morgen im Negev. Ich öffne en Fenster und trockene, warme Luft umgibt mich. Wüsten-luft, anders als im feuchten Europa. Ich habe sie vermisst. Die Wüste steigt und fällt und bald werden wir in Eilat sein, um auf die andren aus Nir Oz zu treffen.
Ich treffe meine Mutter, Geschwister und Freunde. Wie geht es euch? Wie geht es dir? Und dir? Als ob ich das in zwei Worten beantworten könnte oder auch in einem vollen Satz. Alles ist beschissen, ist das, was ich sagen will und ich habe noch kein besseres Wort gefunden, um die Situation zu beschreiben.
Ein entwickelt sich eine Routine: Mittagessen im Speisesaal und Wäsche waschen im provisorischen Waschraum im Spendenraum. Meine Wäsche ist die, die gerade gewaschen wird. Heute Abend werden Geiseln aus Nir Oz freigelassen. Eine Nachricht mit der Liste wurde an die Gruppe geschickt.
Am Abend sitzen wir in der Lobby. Auf einem großen Bildschirm sehen wir die Nachrich-ten. Oder halten uns draußen auf der Terrasse auf, unter den Reportern und Kameras und Kids, die im Hotel bereits gelangweilt sind und alle Aktivitäten und alle Künstler und Fußballer, die zu Besuch kommen, interessieren sie nicht – weil Vati nicht auf der Liste derer steht, deren Freilassung heute Abend erwartet wird.
Ein fremder Ort, diese Alternative Welt von Nir Oz in Eilat. Alles läuft wie üblich, die Tagesmütter haben in einem großen Zelt einen provisorischen Kindergarten eröffnet. Ich komme plötzlich von außen, nachdem ich lange nicht bei dabei war und alles erschient mir wie eine große Reality-Show. Also winke und lächle ich jedes Mal in die Kameras, wenn ich vorbekomme.
Die Folge von heute: Großmütter
Heute Abend ist eine verrückte Folge dran. Einige der Großmütter von Nir Oz kommen aus der Gefangenschaft zurück, aber von der Hamas könnte immer noch eine Überraschung kommen und immer noch ist alles ungewiss! Wir befinden uns alle in diesem verrückten Roulette: Was wird morgen Abend passieren, werden die Mädchen zurückkommen oder nicht? Schalten Sie die heutige Folge ein, um es herauszufinden.
Das Drama ist vorbei und auch die Werbung. Die Geiseln sind heimgekehrt, aber morgen und in den nächsten Tagen sollen weitere kommen. Außerhalb der Lobby sitzen die jungen Leute und trinken etwas. Niemand sieht noch fern und alle Kinder sind schlafen gegangen. Wir hören noch immer Geschichten, die wir zum 7. Oktober nicht kannten.
Nachts dreht sich das Roulette weiter und die Liste für morgen wird veröffentlicht. Nur Geiseln aus Be’eri, nicht aus Nir Oz. Niete … Moment, nein, eigentlich ist sie großartig! Unsere moralischen Ideale sind vor kurzem in alle Richtungen gedehnt worden.
Am nächsten Tag gibt es also draußen einen großen Bildschirm, aber es kommen weniger Leute um zuzusehen. Heute werden Geiseln aus Be’eri freigelassen und wir im Land von Nir Oz, die Einschaltquoten sind für diese Folge des „Schwarzen Spiegels“ niedriger. Was wird morgen sein? Wir wissen es nicht, die Hamas hat noch nicht erlaubt die Liste zu veröffentlichen.
Es ist schwer zu beschreiben, was wir durchmachen. Es fühlt sich surreal an. Wir sitzen in einem Hotel 250km von Zuhause entfernt, um uns sicher zu fühlen, während die Hamas jeden Tag ankündigt, wer von unseren engsten Freunden aus der Gefangenschaft im Gaza-streifen heute vielleicht freigelassen wird. Das ganze Land befindet sich in der Krise, alle Mitglieder der Armee, selbst Tel Aviv ist menschenleer! Aber keine Sorge, wir werden die Hamas besiegen.
„Wer entscheidet, welche Geiseln freigelassen werden?“, denke ich bei mir nach dem dritten Drink in der Lobby mit den Jungs. Wie entscheidet man, wer freigelassen wird, macht Sinwar einfach mit einem Bleistift Haken auf einer Namensliste oder gibt es geheime und komplexe Diskussionen? Wie die Kinder Fußballkarten tauschen – ich gebe dir zweimal Messi für einen Mbappé, aber pass auf, dass du sie nicht knitterst.
Was können wir tun, ist das ein guter oder ein schlechter Deal? Ich frage jeden, den ich im Hotel treffe. Die Antwort lautet immer: „Es spielt keine Rolle, wir haben keine Wahl.“ Wir haben keine Wahl, weil die Geiseln zurückgeholt werden müssen.
Was jetzt?
In dem ganzen Durcheinander muss ich Wohnung und Möbel für die neue Unterkunft in Kiryat Gat aussuchen. Jeder steht unter Druck. Alles muss in der nächsten bis übernächst-en Woche passieren und jeder muss aus dem Hotel ausziehen. Und danach gehst du zurück um Nir Oz wieder aufzubauen oder machst du etwas anderes? Wie alle zusammen oder jeder für sich? Gute Fragen, aber in der täglichen Folge zur Freilassung von Geiseln geht gleich los, also denken wir alle morgen darüber nach.
Keiner von uns will außerhalb der Gemeinschaft legen, deshalb waren wir überhaupt in Nir Oz. Wie wir uns am Ende entscheiden, steht in direktem Zusammenhang damit, wie dieser Krieg enden wird. Alle Geiseln zurückgeben und im Gazastreifen aufgeben? Oder machen wir weiter, bis wir die Hamas auslöschen?
Und die Geiseln? Wie werden sie aus der Gefangenschaft zurückkommen? Werden sie dieselben sein, nur ein wenig trauriger? Oder werden sie den Staub des Gazastreifens abschütteln und weitermachen wie vorher? Wohl kaum, denke ich und frage mich, ob sie überhaupt bald wieder bei uns sind.
Ringsum laufen die Söhne und Töchter von Nir Oz aus allen Zeiten herum. Helfen, organi-sieren, arrangieren und unterstützen einfach. Im Kibbuz selbst säen die Leute bereits Weizen und pflücken Avocados. Tolle Leute, allesamt. Nun wir wurden alle von diesen Großmüttern aufgezogen, die ihr in den Nachrichten aus der Gefangenschaft aufrecht zurückkommen seht. Ich beneide keinen Hamas-Terroristen, der versuchte ihnen blöd zu kommen. Ich habe damit schon als junges Kind aufgehört.
Die Wäsche ist fertig
Nir Oz ist wunderschön. Alles ist grün und es gibt jede Menge Schmetterlinge in der Luft. Die Katzen gehen herum, als würde der Ort ihnen gehören, aber rußig. Die verlassenen und abgebrannten Häuser sind für sie ein großartiges Jagdgebiet.
Es ist schön zu Besuch zu kommen, aber es ist hart darüber nachzudenken, zurückzu------kommen, um dort zu leben. Eine Menge Fragen und nicht viele Antworten, das ist jetzt das Leben. Wir werden auf jeden warten, dass er zurückkommt und hört, was wir sagen. Und ich werde informiert, dass meine Wäsche fertig ist und ich muss schnell hingehen und meine Kleidung holen.
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