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Streit über das Thema "geistlicher Missbrauch".


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Eine Antwort in diesem Thema

#1
Rolf

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Streit über das Thema "geistlicher Missbrauch".



Neu ist das Thema nicht, insbesondere nicht im englischsprachigen Kontext. Am Anfang einer neu aufgebrochenen Debatte darüber in Deutschland stand ein Buch mit dem Titel "Geistlicher Mißbrauch. Die zerstörende Kraft frommer Gewalt" von D. Johnsen und J. VanVonderen, 1996 im charismatisch geprägten Verlag Projektion J erschienen, der inzwischen in die Hände des Verlegers Klaus Gerth übergegangen ist. Die beiden Seelsorger haben sich mit einer Vielzahl von Fällen seelischer Unterdrückung in nordamerikanischen Gemeinden beschäftigt und festgestellt, dass geistlicher Missbrauch in Gemeinden, die ein hohes Maß an Verbindlichkeit von ihren Mitgliedern erwarten, häufig vorkommt. Geistlicher Mißbrauch meint nach ihrem Verständnis den falschen Umgang mit einem Menschen, "der Hilfe, Unterstützung und Stärkung braucht, mit dem Ergebnis, daß dieser betreffende Mensch in seinem geistlichen Leben geschwächt und behindert wird" (vgl. dazu auch MD 7/97, S. 215ff). Das Buch initiierte im deutschsprachigen Bereich eine selbstkritische Diskussion zur Frage von Machtmissbrauch und religiös-geistlicher Abhängigkeit, die in zahlreichen dem evangelikalen und charismatischen Spektrum zugehörigen Publikationen ihren Ausdruck fand.

Die Zeitschrift des Missionswerkes "Neues Leben" (Juni 97) widmete sich dem Thema in zwei Hauptartikeln, die die Relevanz und Brisanz der Thematik aufzeigen. In Interviews mit Erwin Scharrer, dem Chefarzt für Psychiatrie an der christlichen Klinik "Hohe Mark", und Rainer Oberbillig, dem leitenden Psychologen der dem charismatischen Spektrum zugehörigen christlichen Fachklinik "De Ignis", wurde auf krankmachende Strukturen im Bereich charismatischer und evangelikaler Frömmigkeit hingewiesen. Auch das Fachorgan der charismatisch geprägten Ignis-Gesellschaft in Kitzingen "Befreiende Wahrheit" (Juli 1997) diskutierte die Thematik unter dem Thema "Seelsorger sein" und problematisierte mögliche Machtbefugnisse des Seelsorgers, die zur Missachtung der Freiheit des Ratsuchenden führen können. Peter Aschoff, der Leiter der Elia Gemeinschaft in Erlangen, plädierte in einem Artikel im Nehemia-Info (August 1 997) "Macht auf dem Prüfstand" für eine offene Diskussion über das Thema. Die Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft für Gemeindeaufbau "Praxis - Mitarbeiten in der Gemeinde" widmete ein ganzes Themenheft der Fragestellung "Leiterschaft": "Wenn Leiter ihre Macht missbrauchen".

Der Tenor aller Stellungnahmen lautet: Das Problem muss ernstgenommen werden. Die Praxis der Leiterschaft bedarf kritischer Überprüfung und Klärung. Alle Beiträge enthalten eine deutliche Absage an ein Jüngerschaftsverständnis im Sinneeiner bedingungslosen Unterwerfung unter eine geistliche Autorität (Shepherding), das auch in Teilen der charismatischen Bewegung praktiziert wurde und wird. Wer in seiner Hingabebereitschaft geistlich mitbrachte und in seiner individuellen Würde und Freiheit nicht respektiert wird, kann in seiner Glaubensentwicklung nur weiterkommen, wenn er problematische Machtstrukturen (Ungehorsam gegenüber dem Leiter oder Seelsorger ist Ungehorsam gegenüber Gott; prophetische Worte werden in einer seelsorgerlichen Situation ohne das Beisein dritter - ausgesprochen und sollen als unmittelbare Stimme Gottes gelten) durchschaut, in Frage stellt und sich aus Abhängigkeitsverhältnissen löst. Vor allem im Bereich konfessionsunabhängiger charismatischer Gemeinden löste die Diskussion heftigen Protest aus, worüber im vom Norbert Abt herausgegebenen C-report (September 1997) ausführlich berichtet wurde.

Peter Wenz von der Biblischen Glaubens-Gemeinde in Stuttgart meinte in einer Stellungnahme: "Wir als Gemeinde hatten keinerlei. Probleme mit den umstrittenen Themen - und ich erwarte auch nicht, dass dies geschehen wird. " Gleichwohl hält er die aufgeworfene Debatte für außerordentlich schädlich und meint, dass diese "literarische Aktion eher zum Schaden als zum Bau des Reiches Gottes ausgeschlagen habe". Überaus problematisch findet er es, wenn Leiter nicht unterstützt werden, sondern zur "heiligen Revolte" gegen sie aufgerufen wird. Auch Wolfhard Margies von der Gemeinde auf dem Weg, Berlin, und Rudi Pinke vom Christlichen Zentrum, Frankfurt, halten die Diskussion über das Thema für schädlich und überzogen. Eckhard Neumann, der Leiter des Josua-Werkes, das in Kontakt mit über 20 konfessionsunabhängigen Gemeinden in den neuen Bundesländern steht, weiß von Gemeindespaltungen und Austritten aufgrund des Buches von Johnson und VanVonderen zu berichten und bezeichnet es als "Affront" gegen viele Pastoren, Leiter und Seelsorger, deren biblisch fundierte Seelsorge plötzlich als geistlicher Missbrauch bezeichnet werde.

Die Diskussion über geistlichen Missbrauch zeigt an, dass viele evangelikale und charismatische Gruppen durchaus bereit sind, sich mit den Schwächen der eigenen Frömmigkeitsorientierung auseinanderzusetzen. Diese Bereitschaft ist ein Zeichen von Stärke für Lernfähigkeit. Charakteristisch ist aber auch, dass einzelne Gruppen und Gemeinden, bei denen das Thema geistlicher Missbrauch von größter Aktualität ist, jeglichen Willen vermissen lassen, sich den Schattenseiten der eigenen pastoralen Orientierungen zu stellen. Die Erfolgsgeschichten und die Beanspruchungen geistlicher Vollmacht, mit denen manche charismatische Gemeinden ihr Selbstbild offensiv propagieren, stehen in einem unübersehbaren Kontrast zu den Verletzungen, die sie zahlreichen suchenden und hingabebereiten Christinnen und Christen zufügen, und den Konflikten, die sie vor allem durch einseitige und problematische seelsorgerliche Orientierungen erzeugen. Da, wo es nötig wäre, die Folgen der eigenen Seelsorge- und Leitungspraxis wahrzunehmen, wehrt man sich am vehementesten dagegen. Damit wird eine gute Chance zu einer dringend gebotenen Selbstkorrektur vertan.
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#2
1Joh1V9

1Joh1V9

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Es gibt ja das Sprichwort "betroffene Hunde bellen". Das nun gerade Leute wie Wenz und Margies darüber aufgebracht sind, als geistlich mißbrauchende dazustehen, ist nicht verwunderlich. Haben sie doch vermutlich recht wenig darüber nachgedacht, ob sie nicht selber Täter sein könnten.

Trotzdem gibt es einen Funken Wahrheit in der Kritik, denn die meisten Artikel und Bücher über geistlichen Mißbrauch gehen ziemlich selbstverständlich davon aus, daß bei geistlichem Mißbrauch geistliche Leiter die Gemeinde mißbrauchen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn so manche Gemeinde mißbraucht ihre Pastoren und Leiter massiv.

Es ist nicht so selten, daß Pastoren entnervt aufgeben, weil gewisse Gruppen und Klüngel gegen sie opponieren und mit unrealistischen und gemeinen Forderungen kommen. Ich kenne das sogar aus mehreren Gemeinden, die ich besucht habe.

Z.B. Wenn der Pastor nach Ansicht einer lautstarken Gruppe in der Gemeinde nicht "im selben Fluß und in der selben Vollmacht" predigt, wie sie das von den mp3s und Röhrnbach-Besuchen kennen und sie ihn deshalb fertig machen. Das war, wenn nicht der ganze Grund, dann doch zumindest der Auslöser dafür, daß ich meine W+G-Gemeinde verlassen habe. So ein Umgang mit Pastoren ist einfach nur mies und eine Schande für eine Gemeinde.

Die geistlichen Leiter stehen nicht über den "Schafen" aber es gilt auch ganz genauso andersherum. Man sollte mit geistlichen Leitern frei über innergemeindliche Probleme sprechen können. Andererseits sollten auch geistliche Leiter nicht von der Gemeinde zu Dingen gezwungen werden, die sie vor Gott nicht verantworten können und wollen.

Ein Pastor dient sicher der Gemeinde, aber seine Verantwortung hat er vor Gott, und verbiegen und verstellen kann und sollte er sich auch nicht. Daher kann er nicht einfach das tun, wozu irgendwelche Gruppen in der Gemeinde gerade Lust hätten.

Soweit hier meine Einschätzung. Gemeinde und Gemeindeleitung stehen eigentlich auf einer Stufe, einer braucht den anderen. Daher ist Mißbrauch in beiden Richtungen möglich. Als biblisches Beispiel fällt mir vor allem Mose ein, der seine liebe Not mit seinen Leuten hatte, die von ihm einerseits Wundertaten verlangten und andererseits gerne sagten: "Ägypten war so toll, da gab es noch Fleischtöpfe..." Wenn Hunger und Durst aufkam, waren sie lieber Sklaven, als mit Mose dem HERRN nachzufolgen. Und so wollen manche lieber zu den "Röhrnbacher Fleischtöpfen" als eine funktionierende Ortsgemeinde zu sein. Und das kann echt zum geistlichen Mißbrauch und Entwürdigung von Pastoren führen. Rolfs Erfahrungsbericht geht ja auch in die Richtung.
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