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WAS IST GEISTLICHER MISSBRAUCH ?(


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#1
Rolf

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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Betreiberin der Internetseite




WAS IST GEISTLICHER MISSBRAUCH ?( FEG VISP WALLIS) APRIL 2006 TEIL 1




Wir Webseitenbetreiber waren anwesend als in einer Freien evangelischen Gemeinde FEG über das Thema "Geistlicher Missbrauch" gepredigt wurde. Wir haben um Erlaubnis für die Veröffentlichung gebeten.

*****

© Diese Predigt ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Copyright-Inhabers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © Copyright 2006 by Daniel Rohner, FEG Visp

"Sämtliche Namen der in dieser Predigt erwähnten
Personen wurd en aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert!"

-1-

Geistlicher Missbrauch

Gliederung
I. Was IST geistlicher Missbrauch?
II. Was ist geistlicher Missbrauch NICHT?
III. Was steckt dahinter? – Mechanismen und Theologie…

Einleitung

Ich begrüsse Euch ganz herzlich zum heutigen Gottesdienst. Nachdem wir uns in den vergangenen 2 Monaten mit einem "schönen" Thema beschäftigt haben, nämlich mit Abraham, möchte ich mit Euch in den nächsten sicher 2
Predigten über ein Thema nachdenken, das alles andere als "schön" ist.

Nämlich über das Thema "geistlicher Missbrauch".

Manche von Euch können mit dem Begriff vielleicht nichts anfangen und fragen sich schon, worum es heute Morgen wohl gehen wird. Andere kennen das Thema (vielleicht aus eigener Erfahrung oder weil Ihr Literatur zum Thema gelesen habt) und es interessiert Euch, was wir als Gemeindeleitung dazu zu sagen haben.

Ich beschäftige mich selber seit 1994 mit dem Thema, seit 1997 sehr intensiv. Einerseits, weil ich Machtmissbrauch selber erlebt habe als Betroffener und auch als Beobachter, andererseits, weil Machtmissbrauch im Zusammenhang mit Freikirchen immer wieder auch in der Presse thematisiert wird. Um ehrlich zu sein: Bisher hatte ich den Eindruck, dass es eigentlich genügt, das Thema einfach immer wieder einfliessen zu lassen in Predigten.

Aber verschiedene Gespräche mit betroffenen Menschen und auch Diskussionen im Internet, die ich verfolgt habe, haben mich dazu bewogen, das Thema frontal und pro-aktiv anzugehen. Dazu kommt, dass mir bewusst geworden ist, dass wir als Gemeindeleitung uns zwar sehr scharf und dezidiert GEGEN Missbrauch aussprechen, gleichzeitig aber nicht verhindern können, dass wir Leute, die zu unserer Gemeinde gehören, verletzen. Oftmals, ohne dass wir uns dessen bewusst
sind oder im Nachhinein auch wirklich gesagt bekommen, was falsch lief.

Von daher ist es mir enorm wichtig, das Thema mal anzugehen. Nicht nur wegen des Themas "Missbrauch" generell, sondern auch wegen der Frage, wie wir in unserer Gemeinde Leitung wahrnehmen können und wie wir unsere Konflikt- und Gesprächskultur verbessern könnten.


Wie gesagt gehe ich davon aus, dass manche von Euch gar keine Ahnung haben, was sich hinter den Begriffen "Machtmissbrauch" oder "geistlicher Missbrauch" überhaupt verbirgt. Von daher möchte ich Euch zuerst mal
erklären, was man unter dem Begriff versteht und was damit gemeint ist.

I. Was ist geistlicher Missbrauch? Was ist geistlicher Missbrauch

NICHT? Wo findet GM statt?

Wenn man über sexuellen Missbrauch spricht, wissen in der Regel alle, worum es geht. Geistlichen Missbrauch zu beschreiben, ist dagegen nicht ganz so einfach, und zwar deshalb, weil geistlicher Missbrauch in den unterschiedlichsten Formen stattfinden kann und an den unterschiedlichsten Orten. Worum es aber immer geht, ist, dass Menschen von anderen
Menschen auf subtile Art und Weise bewusst oder unbewusst manipuliert und für ihre Zwecke missbraucht werden. Es geht um "Macht", also um Einfluss, und es geht um ein Missbrauchen dieses Einflusses.

Vielleicht hilft es Euch, wenn ich Euch Beispiele bringe. Also:

Machtmissbrauch ist zB. dann der Fall, wenn jemand in einer Gruppe

aufgrund seiner Position, seines Amtes oder seiner Sozialisation mehr

Autorität zugesprochen bekommt als andere, und sich die übrigen Personen

in der Gruppe dem Wunsch dieser einen Person beugen müssen. Wenn zB.

Entscheidungen getroffen werden müssen, und sich alle mehr oder weniger

dem Ratschlag einer Person oder einer Gruppe unterordnen und dabei ihre

eigene Meinung nicht mehr zu sagen getrauen. Oftmals laufen diese

Mechanismen nicht "offen" ab, sondern meistens sehr subtil. Manchmal geht

der Missbrauch direkt von der Leitung der Gruppe aus (also vom Chef oder

von der Vereinsleitung), oftmals aber auch von Leuten in der Gruppe, die

nicht offiziell die Leiter sind.

Machtmissbrauch als solches ist seit langem bekannt. Mobbing zB., also das

Fertigmachen eines anderen am Arbeitsplatz, im Verein oder in der

Nachbarschaft oder dergleichen, sind nichts anderes als Machtmissbrauch.

Als eher "neueres" Phänomen wird aber mehr und mehr bekannt, dass

Missbrauch in Freikirchen und unter Christen stattfindet, und zwar mitunter in

übelster, übelster Form, indem man mit frommen Motiven und Begründungen

Menschen unterdrückt.

Machtmissbrauch in religiösen Systemen an und für sich ist aber uralt. Schon

im AT warnt Gott immer wieder vor "falschen Propheten", die das Volk

bewusst unterdrücken, gefangen halten und ausnutzen. Jesus warnt im NT

davor, dass Menschen in der Gemeinde sein können, die nach aussen hin

wie Schafe aussehen, innerlich aber reissende Wölfe sind. Er bezeichnete

-3-

die Pharisäer als solche, die dem Volk "Lasten auferlegten, sie selber aber

nicht tragen würden". Paulus sagt den Ältesten in der Gemeinde in Ephesus

voraus, dass in der Mitte der Gemeinde Menschen sein werden, die die

Gemeinde zerstören werden (Apg 20). Und der 3Johannesbrief wurde nur

deshalb geschrieben, weil in einer Gemeinde ein Machtmensch alles daran

setzte, die Leitung der Gemeinde zu übernehmen.

Leute: Machtmissbrauch in christl. Gemeinden / zerstörende und

krankmachende Glaubenssysteme / auseinandergerissene und zerstörte

Familien sind eine Tatsache. Machtmissbrauch unter Christen kommt vor,

und er kann ganz unterschiedlich aussehen. zB. kann es sein, dass in einer

Gemeinde eine bestimmte Gruppe, eine Familie vielleicht, oder eine

bestimmte Person unausgesprochen einfach das "Sagen" hat. Sie gehören

vielleicht schon seit mehreren Generationen zur Gemeinde und haben

sukzessive die "Macht" an sich gerissen. Wenn dann Entscheidungen

getroffen werden sollen über Veränderungen in der Gemeinde, haben alle

Angst. "Was wird Fam. Müller dazu sagen?" – Und niemand wagt es, seine

Meinung zu sagen, weil alle Angst haben vor dem Konflikt, der vielleicht

entstehen könnte. Max, das Familienoberhaupt, muss in der

Mitgliederversammlung vielleicht nicht einmal etwas sagen. Alle sehen es

seinem Gesichtsausdruck an, wie er über die Sache denkt, und so stimmen

alle genauso ab, wie er es will.

Oftmals nimmt Machtmissbrauch in frommen Kreisen ganz subtile und

unterschwellige Formen an, weil man gerade bei den Frommen nie einen

Konflikt austragen würde, geschweige denn, dass man einen Machtkampf

ans Licht bringt. Es läuft dann eher so, dass man unter Zuhilfenahme von

bestimmten Bibeltexten systematisch den Gehorsam der Mitglieder

einfordert. Da heisst es dann zB.: "Wenn Du willst, dass Jesus Dich segnet,

dann musst Du Dich der Gemeindeleitung unterordnen! Heisst es nicht schon

von Saul, dass er der "Gesalbte des HERRN" war, und hat nicht David selber

sich geweigert, den "Gesalbten des HERRN" anzutasten? – Genauso darfst

Du auf keinen Fall die Gemeindeleitung kritisieren oder hinterfragen. Und

wurden nicht Aaron und Mirjam von Gott dafür bestraft, dass sie Mose

kritisiert haben? Oder die Rotte Korah…? Pass also auf, wie Du Dich

gegenüber den Leitern verhältst…!"

Machtmenschen werden nichts dulden, das ihrem Anliegen oder ihrer Sicht

der Dinge widerspricht. Ich möchte Euch gerne die Geschichte von Walter

und Evi erzählen, einem Ehepaar aus Deutschland, das praktisch aus dem

Nichts eine Gemeinde aufgebaut hat. Walter und Evi hatten ein grosses

Anliegen dafür, dass Menschen Jesus kennen lernen können. Und sie

wollten deshalb gerne einige Dinge in der Gemeinde verändern.

-4-

Und so fingen sie an, in der Gemeinde über ihre Ideen zu sprechen und

haben dabei gemerkt, dass viele eigentlich sehr offen gewesen wären. Und

so hat die Gemeinde langsam angefangen, nach neuen, kreativen und

hilfreichen Formen zu suchen.

Das Problem dabei war: Die Idee kam von diesem Ehepaar, und es gab

einen Machtmenschen in der Gemeinde, dem das absolut nicht gepasst hat.

Einer der ersten Schritte war darum: Das Ehepaar zum Mittagessen

einladen. Und in diesem Mittagessen wurde wirklich alles versucht, die Ideen

dieses Ehepaares ad absurdum zu führen. "Das haben wir schon mal

versucht. / Meinst Du wirklich, dass das klappt? – Also, wenn Du mich fragst,

wir müssen zuerst lernen, mehr zu beten, und DANN können wir über Deine

Ideen nachdenken" (übrigens: Letzteres Argument kenne ich gut. Nichts

gegen Beten, aber man kann Dinge auch "totbeten". Denn: Wann hat man

denn eigentlich "genug" gebetet, sodass man "so weit" ist…?)

Das Problem war: Das Ehepaar hatte wirklich gute Argumente und liess sich

nicht abbringen. Der zweite Schritt war, dass der Machtmensch anfing,

vermehrt "geistliche" Argumente einzubringen. "Ich glaube nicht, dass Jesus

solche Formen bei uns haben möchte" / "Der Gottesdienst soll ein heiliger

Moment sein" / "Es ist doch Gottes WORT, das Menschen überzeugt, und

nicht die Formen" etc. etc. Aber auch diesen Dingen konnten Walter und Evi

gute Argumente entgegensetzen, sodass dem Machtmenschen der

"biblische Stoff" ausging.

Der nächste Schritt war, dass die Ideen und die Person des Ehepaares

systematisch lächerlich gemacht wurden. Wenn der Machtmensch (er war

Ältester in der Gemeinde) predigte, dann hat er ganz geschickt genau die

Dinge angesprochen, die dieses Ehepaar bewegt haben, aber immer so,

dass es niemandem bewusst wurde. In Gesprächen lief parallel dazu vieles

"hintenherum", also so, dass der Machtmensch sich nie eine Blösse gegeben

hätte. Es wurde gelogen, Menschen wurden verleugnet, aber wenn die

Sachen angesprochen wurden, dann hiess es meistens: "Ach, das habe ich

überhaupt nie so gesagt. Nein, also so habe ich das nicht gesagt, wer hat Dir

denn das erzählt. Also: Das stimmt so nicht…!".

Letzter Schritt: Es kam zum offenen Konflikt zwischen dem Ehepaar und dem

Machtmenschen. Der hatte lange, lange daraufhin gearbeitet und

systematisch die Gemeinde hinter sich geschart. Eines Tages warf er dem

Ehepaar vor der Gemeinde vor, sie seien Machtmenschen, und er sei das

Opfer. Der Machtmensch sagte: "Ich sehe nicht, dass Walter und Evi noch

weiterhin in der Verantwortung der Gemeinde mitarbeiten sollten mit dieser

-5-

geistlichen Haltung!" Es kam dazu, dass die beiden aus der Gemeinde

geschmissen wurden.

Die Gemeinde wählte darauf einen neuen "Leiter". Ihr könnt Euch vorstellen,

wen, oder? Und das Schlimme dabei war: Das alles in einer Freikirche, und

unter ständigem Beten und frommen Argumenten. Die Freikirche gibt es

übrigens heute nicht mehr. Sie hat unter der Leitung des Machtmenschen

kein Jahr überlebt. Heute ist dieser Mann in einer anderen Gemeinde.

Allerdings nicht als Mitglied der Gemeindeleitung, sondern er steht der GL "in

beratender Funktion helfend" zur Seite…

Ich denke an ein anderes Beispiel, wo jemand mit dem Leiter der Gemeinde

ins Gespräch kommen wollte über theologische Fragen. Nur in's Gespräch

kommen – er hatte Fragen zur theol. Haltung des Leiters. Und das

Gemeindeglied fragte: "Denkst Du nicht, dass Deine Haltung in dieser Frage

etwas einseitig ist? Es gibt doch auch Christen, die das anders sehen, auch

in unserem direkten Umfeld!" – Nun: Zuerst wurde "sanft" diskutiert und

versucht, den Bruder zurechtzubiegen. Zweiter Schritt: Beruhigen. Es hiess:

"O.k., Du darfst so denken!" Dritter Schritt: In der Gemeinde wurde da und

dort gesagt, dass man an der "geistlichen Haltung von Bruder so und so"

gewisse Fragen habe (offen könne man leider nicht darüber sprechen, das

würden sicher alle verstehen…). Vierter Schritt: Er durfte nicht mehr

mitarbeiten. Fünfter Schritt: Gemeindeaustritt!

Hier laufen typische Kennzeichen von Machtmissbrauch ab, wie wir sie

schon bei Diotrephes, dem Machtmenschen aus dem 3Joh kennen. Der

Machtmensch:

• Will alleine herrschen

• Nimmt keine Kritik an

• Verleumdet seine Kritiker

• Greift zu immer stärkeren Mitteln

• Bildet Allianzen, polarisiert

• Übt "Gemeindezucht" gegen seine Feinde

Das ist nur zwei Beispiele. Glaubt mir: Es gibt 100-e! Und Ihr werdet in

diesen 100-en von Beispielen 100-e von unterschiedlichen Geschichten zu

hören bekommen. Was diese Geschichten aber alle eint, ist: Jemand ist nicht

bereit, sich dem Machtanspruch einer Person oder einer Gruppe zu beugen

und wird systematisch bearbeitet und zurechtgebogen, oder aber (falls das

nichts fruchtet) diskreditiert und lächerlich gemacht, sodass er entweder

selber geht. Oder (falls auch das nicht erfolgt) hinausgeekelt!

-6-

Zweitens: Vielleicht ist auch wichtig, darüber nachzudenken, was Missbrauch

NICHT ist:

II. Was ist geistlicher Missbrauch NICHT?

Nun, lasst mich das auch sagen: Nicht hinter jedem Konflikt steht ein

Machtmissbrauch. Genauso wenig, wie in jeder Freikirche Machtmissbrauch

geschieht. Dass man heute vermehrt Machtmissbrauch unter Christen

diskutiert, führt leider auch dazu, dass manchmal Gemeinden des

Machtmissbrauchs beschuldigt werden, obwohl das nun wirklich nicht der

Fall ist. Wenn zB. jemand meint, er hätte die Berufung, in der Gemeinde zu

predigen, die Gemeinde aber nun vielleicht aus berechtigten Gründen findet:

"Also, damit haben wir eher Mühe", dann ist das kein Missbrauch.

Aber weil Machtmissbrauch vermehrt thematisiert wird, wird dieser Gemeinde

nun vielleicht einfach das Etikett "Missbrauch" angehängt. Dabei handelte es

sich aber einfach um ein Zerwürfnis oder darum, dass jemandem auf seinem

Weg zur Selbstverwirklichung ein Riegel geschoben wurde. Jeff

vanVonderen, der Mitautor des wahrscheinlich besten deutschen Buches

über GM, hat darum auch einen ganzen Abschnitt überschrieben mit "Dies ist

keine Hexenjagd" und warnt davor, dass man plötzlich jede Form von Leitung

als "machtmissbräuchend" bezeichnet.

Machtmissbrauch ist auch nicht, wenn eine Gemeinde ein klare theologische

Identität hat und an dieser Identität festhält. Man darf als Gemeinde eine

theologische Identität haben. zB. "Wir wollen eine evangelistischmissionarische,

nicht-charismatische Gemeinde sein". Nur, weil sie an dieser

Identität festhält, obwohl das vielleicht jemandem in der Gemeinde nicht

"passt", ist die Gemeinde deswegen nicht "machtmissbrauchend".

Missbrauch ist auch nicht, wenn der Pastor oder eine Gemeindeleitung

sagen, welche Meinung und Haltung sie in bestimmten Fragen haben.

Hoffentlich hat eine Gemeindeleitung eine klare Haltung. Problematisch wird

es dann, wenn deshalb JEDER IN DER GEMEINDE AUCH DIESE

HALTUNG haben muss. Aber solange allen klar ist: "Ich als Pastor denke so,

aber die Leute meiner Gemeinde dürfen auch anderer Meinung sein als ich",

ist das nicht Machtmissbrauch.

Missbrauch ist überall dort der Fall, wo die Zugehörigkeit zur Gemeinde oder

das Erhalten von Gottes Gunst abhängig gemacht wird von Linientreue, von

Gehorsam gegenüber Leitern, Einzelpersonen oder einer Gruppe IN der

Gemeinde bzw. davon, dass ich tue, was der andere von mir verlangt.

-7-

Damit zu einem dritten Punkt.

III. Was steckt dahinter? – Theologische Fragen…

Vielleicht fragt Ihr Euch, ob Geistlicher Missbrauch in einer bestimmten

theologischen Ecke stärker vorkommt als anderswo. Ihr werdet Ihr sicherlich

unterschiedliche Antworten zu hören bekommen. Manche würden sagen,

dass in charismatischen Freikirchen Missbrauch stärker vorkommt als

andernorts. Das ist möglich. Ich glaube aber nicht, dass grundsätzlich die

charismatische Theologie der Grund dafür ist.

Grund dafür sind bestimmte Mechanismen, die ablaufen, und diese

Mechanismen könnt Ihr querbeet im evangelikalen Lager finden. Vielleicht

sind Christen aus charismatischen Freikirchen einfach eher bereit, darüber

zu sprechen, als Christen in konservativ-gesetzlichen Kreisen. Mechanismen,

die innerhalb von Machtmissbrauch ablaufen, sind immer gleich. Aber je

nach theol. Prägung der Gemeinde tragen sie ein "charismatisches" oder ein

stärker "konservativ-gesetzliches" Mäntelchen. Vier solcher Mechanismen

sind:

1. Verhaltensorientierte Theologie

Zum einen findet geistlicher Missbrauch sehr oft in Freikirchen statt, in der

eine verhaltensorientierte Theologie vertreten wird. Verhaltensorientiert

meint: "Das, was Du tust, ist entscheidend dafür, ob Gott mit Dir zufrieden ist

oder nicht!" Ob Du zB. 10 % Deines Einkommens abgibst, immer die

Gemeindeveranstaltungen besuchst oder aktiv mitarbeitest. Hier werden

dann Aussagen gemacht, wie zB. "Wenn Du nur genug glauben würdest,

dann…" oder "Wenn Du Jesus gehorsam wärst, dann…" oder "Wenn Du

mehr beten und mehr Bibellesen würdest, dann…".

Das verschafft potentiellen Missbraucher natürlich ein enormes "Druckmittel".

Keiner von uns will, dass Gott mit ihm unzufrieden ist oder dass er die Gunst

Gottes verliert, geschweige denn, dass er u.U. nicht in den Himmel kommen

könnte, oder? – Wenn nun mein "Verhalten" ausschlaggebend ist für das Heil

oder aber dafür, dass Gott mich liebt, dann entsteht dadurch ein grosser

Druck. Der Missbrauch, der so ausgeübt wird, wird von den Opfern selber oft

auch gar nicht als Missbrauch wahrgenommen, weil es die anderen ja nur

"gut" mit mir meinen.

Oftmals herrscht in so einer Freikirche (wobei ich hier ehrlich gesagt nicht

mehr gerne von "Freikirche" spreche) ein Klima des gegenseitigen

Überwachens und Misstrauens. Eine verhaltensorientierte Theologie führt

-8-

früher oder später IMMER zu Missbrauch. Leute: Ihr könnt Euch nicht

vorstellen, was für schlimme Deformationen eine verhaltensorientierte

Theologie in der Seele eines Christen auslösen kann! Wo immer die

Erlösung oder die Liebe Gottes losgelöst werden von "Allein durch Gnade

und allein durch Christens", gibt’s Probleme!

2. Starke "Guru-Mentalität". Unterdrücken von selbständigem Denken

In Gruppen, in denen machtmissbrauchende Strukturen herrschen, ist es

oftmals so, dass eine Person eine starke "Guru-Position" inne hat. Das kann

eine Person sein, die direkt auf die eigene Autorität beharrt, oder es kann

eine Person sein, die sich indirekt auf die Autorität einer Guru-Person

bezieht, die ausserhalb der Gemeinde ist. zB. "Wilhelm Pahls sagt…" oder

"Benny Hinn sagt" oder "unserer Gemeindegründer hat das aber vor 20

Jahren anders gelehrt" oder so.

Diese Guru-Typen können in der Leitungs-Ebene sitzen oder aber "normale"

Gemeindeglieder sein. Und sie berufen ihre Autorität entweder auf ihre

Ausbildung, ihre Erfahrung oder aber ihre geistlichen Verdienste in der

Vergangenheit ("Die Gemeinde hat dem und dem sooo viel zu verdanken").

Der Gedanke, der dahinter steckt, ist einfach: "Du darfst nicht selber denken!

Das übernehmen andere für Dich!" Das geschieht in charismatischen

Strukturen genauso wie in Gemeinden mit gesetzlichem Hintergrund.

3. "Uniforme"-Theologie

Daraus folgt, dass andere Meinungen keinen Platz haben in solchen

Freikirchen. "Es gibt nur (M)EINE Meinung, und die ist dann biblisch!" Alles

andere ist Irrlehre, oder alle, die es anders sehen, sind einfach nur lächerlich

und nicht ernst zu nehmen. Es geht nicht darum, dass man als Christ nicht

eine pointierte Meinung haben dürfte. Hoffentlich habt Ihr alle eine Meinung.

Schwierig ist einfach, wenn meine Meinung die einzige ist, die zählt, und

daraus allen, die eine andere Meinung haben, zB. das Christsein oder das

Heil abgesprochen wird. Das führt dann zwangsläufig zum Exklusivismus,

also: "Nur wir sind die einzig richtigen". Entweder die einzigen, die die "Fülle

des Geistes" haben, oder aber die einzigen, die noch "wirklich treu dem

Herrn nachfolgen".

-9-

Oft findet in solchen Gruppen theologisch eine starke Eng-Führung statt,

paradoxerweise meistens von Menschen, bei denen ich von aussen

betrachtet den Eindruck habe, dass es um ihr theologisches Wissen nicht

sehr rosig bestellt ist. Ich denke an ein Gespräch mit einer Frau, die in einer

stark machtmissbrauchenden Gruppe in der Ostschweiz beheimatet war. Es

gab praktisch nur eine Meinung in dieser Gruppe, die des Leiters. Er hatte

weder eine theologische Ausbildung noch sonst eine fachliche Qualifikation

(Wobei ich nicht der Meinung bin, dass ein Theologiestudium Pflicht wäre

dafür, Pastor werden oder Gottes Wort weitergeben zu können. Aber wenn

sich jemand aufspielt, als ob er theologisch voll den Durchblick hätte,

gleichzeitig aber theologisch nie ein bisschen "Breite" kennengelernt hat,

dann stimmt mich das nachdenklich. Interessant: Viele Machtmenschen, die

ich kenne, "brüsten" sich geradezu damit, dass sie NIE eine theologische

Ausbildung hatten. In solchen Kreisen wird es fast zum "Qualitätsmerkmal",

KEINE Ausbildung gehabt zu haben…)

Als ich in unserer Unterhaltung die Frau darauf ansprach und sagte: "Weißt

Du, ich habe Bedenken. Du lässt ja nur die Meinung dieses Mannes gelten",

sagte mir die Frau im Brustton voller Überzeugung: "Nein, das ist nicht seine

Meinung. Das ist das Wort, das das sagt!"

Leute: Es gab in der Kirchengeschichte immer unterschiedliche Positionen.

Wir sind herausgefordert, mit unterschiedlichen Positionen zusammenzuleben.

4. Berufung auf die Bibel, auf Gottes Geist oder auf das Amt

Letztes Kennzeichen: Machtmissbrauchende Christen berufen sich immer

auf eine geistliche Autorität, gegen die man als "normaler Christ" nichts tun

kann. zB. die Berufung auf die Bibel. Da wird dann gerne gesagt: "Im Wort

steht" oder "das Wort sagt" oder dergleichen, aber selten wird gesagt, WO im

Wort dass das tatsächlich steht. Oder dann (auch schon erlebt), dass Verse

aus dem Zusammenhang gerissen werden, oder aber bestimmte Aussagen

über- und andere gar nicht betont werden.

Ebenfalls eine Autorität, gegen die man nichts ausrichten kann, ist Gottes

Geist. Ich denke an das Beispiel einer jungen Frau, die schreibt, dass sie

sich in einer Gruppe gemeinsam mit allen anderen angemeldet hat für ein

Seminar-Angebot in der Gemeinde. Der Rest der Gruppe hat daraufhin mit

ihr gesprochen und gesagt: "Weißt Du, wir haben gebetet, und der Herr hat

uns gezeigt, dass Du nicht an dieses Seminar gehen sollst!" Tja, da stehst

Du dann da und denkst: "Wer bin ich, dass ich gegen den Heiligen Geist

-10-

etwas sage…!" Ähnliche Äusserungen sind: "Gott hat mir gesagt" / "Wir sind

im Geist überein gekommen" / "Gott hat uns klar gemacht, dass…" etc.

Letzte Autorität ist oft das Amt. Jemand sagt: "Ich bin der Pastor, deshalb

habe ich das letzte Wort!" Wir werden nächstes Mal darüber nachdenken,

welche Rolle der Pastor und die Gemeindeleitung in einer Gemeinde haben,

aber so viel sei schon mal vorausgeschickt: "Der Pastor absolut nicht mehr

Autorität als alle anderen in der Gemeinde!" Und schon gar nicht von "Amteswegen."

Glaubt mir: Ich musste das selber lernen und bin froh darum!

Zusammenfassung

Das war viel Information heute Morgen. Viel negative Information – ich weiss.

Aber das Thema ist echt wichtig. Es gibt religiöse Gemeinschaften, die sich

Freikirchen nennen, bei denen aber sehr stark "sektenähnliche Strukturen

und Mechanismen" ablaufen. Täter von geistlichem Missbrauch MÜSSEN

entlarvt und zur Rede gestellt werden. Denn das, was hier zT. abläuft, ist

wirklich, wirklich tragisch.

Nicht nur deshalb, weil dadurch oft "saubere" Freikirchen in Verruf gebracht

werden. Sondern vor allem, weil Menschen systematisch zerstört werden.

Diese Menschen sind tief verletzt und kaputt gemacht worden und haben

grosse Probleme, wieder zu Jesus Vertrauen zu fassen – ganz zu schweigen

davon, Christen wieder zu vertrauen. Wegen dieser Menschen ist es unsere

Pflicht, dass wir uns mit dem Thema auseinandersetzen.

Wir werden in den nächsten Predigten darüber nachdenken, wie wir

Menschen begegnen können, die Missbrauch erlebt haben und auch

darüber, was wir als Gemeinde tun können, um Missbrauch bei uns und in

unserem Umfeld zu verhindern. Und: Ich möchte mit Euch darüber

nachdenken, was wir gemeinsam tun können, um eine gesunde Konfliktkultur

zu leben in unserer Gemeinde, sodass wir dort, wo wir uns verletzen, auch

bei einander entschuldigen können.

Lasst mich schliessen mit einer Aussagen von Paulus aus dem Galaterbrief.

In Gal 5.1 sagt er: "Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht. So

steht nun fest und lasst Euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei

belasten!"

-Amen
  • 0

#2
loopus

loopus

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Gutes Post :!:

LG
Daniel
  • 0