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Yuppie im Namen Gottes


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Rolf

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Yuppie im Namen Gottes




Er ist smart, emotional und undurchsichtig. Die Oberschicht liebt ihn, das ägyptische Regime fürchtet ihn: Der Fernsehprediger Amr Khaled ist mit seinem Mix aus Islam, Kapitalismus und Moral ein Popstar in der arabischen Welt. Der Westen setzt ihn ein – gegen Islamismus.


Er fleht, bittet, reißt die Augen auf, die ungewöhnlich hohe Männerstimme ist kurz davor, sich zu überschlagen. Er lacht laut. Kunstpause. Er schließt die Augen wie in Ekstase, das aufgesetzte Lächeln verschwindet, kurz. Dann schleudert er dem Publikum wieder seine Botschaften entgegen, mit doppelter Energie, so scheint es, notfalls werden die wichtigen Sätze dreimal in Folge wiederholt.

Er ist zurück. Auf vier arabischen Satellitensendern täglich, in hunderttausenden arabischen Wohnzimmern. Amr Khaled, der ägyptische Starprediger. Der weiße Sessel, auf dem er thront, steht auf einem Podest vor einem Meer von weißen, roten und gelben Blumen in großen Vasen. Das Studiodesign ähnelt dem anderer Talkshows. Doch der Mann inmitten dieser Dekoration unterscheidet sich sehr von anderen Predigern. Amr Khaled, 40 Jahre alt, trägt einen hellgrauen Anzug seiner Lieblingsmarke Hugo Boss und einen gestutzten Schnauzbart. Adrett wirkt er, Typ Traumschwiegersohn. Er zieht alle emotionalen Register. Er ist eine perfekt organisierte Ein-Mann-Show, sie hat nichts mit den oft monotonen und blutarmen Darbietungen traditioneller Prediger gemein. Amr Khaled, Yuppie in Gottes Namen.

„Erst kommt die Liebe, dann die Strenge“, sagt Amr Khaled. Und: „Der Vater muss auch der Freund seiner Kinder sein, nicht nur Autoritätsperson.“ Ein Satz, in freundlichstem Ton dahingesagt, der ein Frontalangriff auf das traditionelle Rollenverständnis vieler arabischer Väter ist. Amr Khaled kommt damit gut an in der arabischen Welt, die Jugend und die Frauen der Mittel- und Oberschicht lieben diesen Mann, der immer etwas aufgekratzt wirkt. Und der hat sich ein Wirtschaftsimperium erschaffen.

Er scheint es zu verstehen, Islam und Moderne zu verbinden, den Islam positiv zu besetzen. Vielleicht, weil er kein Islamgelehrter ist, sondern ein gelernter Buchhalter mit schauspielerischem Talent und einer Mission. Das ägyptische Regime fürchtet seine Popularität. Seit 2002 darf Amr Khaled in seiner Heimat nicht mehr öffentlich auftreten. Angeblich soll sich die Schwiegertochter von Präsident Hosni Mubarak verschleiert haben, nachdem sie Amr Khaled predigen hörte. Dafür hat der Westen Amr Khaled als Gegengift gegen die extremen Islam- Interpretationen von Hetzpredigern entdeckt. Das britische Außenministerium etwa organisiert Veranstaltungen im Wembley-Stadion mit dem exzentrischen Redner. Adressat: die eigene muslimische Bevölkerung. Das Magazin „Time“ zählte Khaled zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt, auf Platz 62 zwischen Garry Kasparow und Al Gore.

Die Dunkelheit hat sich über Scheich Zayyed gelegt, eine neu entstehende Reichenvorstadt im Westen Kairos. Inmitten von Baustellen steht ein luxuriöses dreistöckiges Haus, hell erleuchtet. Der Mann, der seine Gäste vor dem Haus mit Handschlag empfängt, trägt ein türkisfarbenes Poloshirt und wirkt deutlich ruhiger als jener Amr Khaled im Fernsehen. Er führt in den großen Empfangssalon. Der Raum ist klassisch-orientalisch in Gold und Beige gehalten, mit verschnörkelten Möbeln im „Louis-Farouk-Stil“. Khaled bringt arabisches Gebäck und Orangensaft aus der Küche. Er umarmt Omar, seinen sechsjährigen Sohn, und schickt ihn zum Spielen auf die Dachterrasse, wo eine Geburtstagsparty für seinen Freund im Gange ist.

„Amr Khaled ist ein Puzzle“, sagt Amr Khaled, als der Sohn draußen ist. Es ist seine Antwort auf die Frage, ob er ein Fernsehprediger wie der amerikanische Tele-Evangelist Billy Graham sei, ein Psychologe oder ein Guru der Selbstverwirklichung. „Amr Khaled hat eine Botschaft, vielleicht kann man sagen, Amr Khaled ist ein Motivator, er will die Menschen aufrütteln.“ Khaled spricht ausnahmslos in der dritten Person von sich, als rede er über eine Institution.

Die arabische Welt, sagt Khaled, sei in einem katastrophalen Zustand. „Wir sind die Parasiten dieser Welt, die nur nehmen, aber nichts selbst erschaffen.“ Ihm schwebt eine „Renaissance der Region“ vor, eine Erfolg in Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft. Dank des Glaubens.

Khaled sagt, wenn man über Entwicklungspolitik spreche, höre in Ländern wie Ägypten niemand zu. „Nichts kann die Menschen so sehr bewegen wie der Glaube.“ Also habe er zuerst über den Glauben gesprochen. Er sitzt jetzt auf der vorderen Kante seines Sessels, er beginnt zu dozieren. Erfolg, Willenskraft, Eigeninitiative. Das sind die Worte, auf die es ihm nun ankommt. Er spricht, als sei der Glaube ein hilfreiches Mittel, erfolgreich zu sein. „Islam beschränkt sich nicht auf das Gebet und das Fasten. Islam soll das Leben gestalten, erfolgreiche und hervorragende Leute hervorbringen.“ Seine Liebe zu Allah drückte der Gläubige auch durch beruflichen Erfolg aus, die Anhäufung von Reichtum könne als Beweis verstanden werden, dass man im Sinne Gottes handele. Es sind solche Ansichten, die Khaleds Erfolg bei der aufsteigenden Mittel- und der Oberschicht erklären.

Reichtum und Islam. Der Schweizer Wissenschaftler Patrick Haenni hat das Phänomen in seinem Buch „Islam de Marché“ untersucht. Er spricht von einer „Theologie des Reichtums“, in der Erfolg ein Zeichen göttlicher Auszeichnung und Armut zu einem individuellen Problem werde. Keine Spur mehr von jenem politischen Islam, der sich sozialer Gerechtigkeit verschrieben hatte. Stattdessen: Zementierung der Klassengesellschaft.

Amr Khaled kann mit dieser Erklärung nichts anfangen, sie ist ihm zu theoretisch. Er, der Pragmatiker, gibt lieber Beispiele und Anekdoten als Erklärungen. „Amr Khaled zeigt, dass islamischer Glaube und modernes Leben vereinbar sind.“ Der Schleier, findet er, sei dafür ein gutes Beispiel. Frauen müssen ihr Haar bedecken, der Hijab ist Teil des Islams, da bestehen für den Prediger keine Zweifel – anders als für reformorientierte Wissenschaftler und Koranexperten. „Aber er muss nicht schwarz sein. Er soll ruhig hübsch aussehen.“ Die jungen Frauen in Kairo binden heute zwei verschiedenfarbige Tücher übereinander, knoten sie im Nacken wie eine Art Dutt zusammen, statt die Ausläufer Brust und Hals bedecken zu lassen. Unter modischen ärmellosen Kleidern aus Jeans oder im Ethnolook tragen sie eng anliegende Bodies. „Manche sagen, dass sei Amr Khaleds Mode“, sagt Amr Khaled, und man kann seinen Stolz hören.

Die Soziologin Mona Abaza von der Amerikanischen Universität Kairo, die in Deutschland studiert hat, gehört nicht zu seinen Fans: „Amr Khaled gibt dem Islam nur oberflächlich ein moderneres Gesicht. Aber ohne die Essenz der Moderne, kritisches Denken, einzuführen. Er schafft neue Herden in einer Konsumgesellschaft, in der Islam ein Produkt geworden ist.“ Das Produkt Amr Khaled ist äußerst erfolgreich. Seine Predigten sind in „You Tube“ zu sehen. Seine mehrsprachige Webseite gehört zu den 1000 meistgelesenen Internetseiten weltweit. Er hat mehrere Gesellschaften gegründet, die Kassetten mit seinen Predigten vertreiben. Khaled ist Berater des saudischen Satellitensenders Iqra. Seine Fernsehprogramme verkauft er an reiche Satellitensender aus der Golfregion.

Er ist präsent, aber schwierig zu fassen. 2002 habe er Ägypten verlassen, zunächst zwei Jahre in Libanon und dann ein Jahr in Großbritannien verbracht. Angeblich hatten Sicherheitsdienste ihn aufgefordert, das Land zu verlassen. Kritiker glauben, dass Khaled seine Bedrohung übertrieb, um sich zum Helden zu stilisieren. In seinen ersten Predigten beschrieb er, wie Frauen Kopf und Hals und auch den Oberkörper mit weiten Gewändern zu verhüllen hätten. Oder dass die Frau in erster Linie ihrem Mann dienen solle. Und nicht ins Arbeitsleben streben, wie die Frauen im Westen. Heute sagt er, er wolle die Position von Frauen stärken. In seiner karitativen Organisation mit Sitz in Birmingham arbeiteten Frauen, die keinen Schleier tragen. „Ich gebe zu, dass meine Ansichten gereift sind“, sagt er selbst. Er erklärt seinen Wandel nicht, er hofft einfach, dass niemand mehr seine frühen Texte liest.

Dass er überhaupt predigt, hat mit einer Laune des Schicksals zu tun. Ein Freund bat den Buchhalter, damals 30, kurzfristig für einen Prediger in einem Club einzuspringen. 1997 war das. Bald hielt er Vorträge in Clubs und bei Kaffeerunden und in den Moscheen der Oberschicht. Als er in eine Vorortmoschee beordert wurde, reisten jeden Freitag tausende junge Leute an, um ihn zu hören. Auch am Golf und in Saudi-Arabien wurde er zum Star.

Reichtum und Islam. Und noch etwas. In Großbritannien hat Khaled ein neues Thema gefunden – und eine neue Bühne: „Friedliche Koexistenz zwischen den Zivilisationen“, es ist das Thema seiner Doktorarbeit, die er Ende dieses Jahres an der Universität von Wales beenden will. Er hat eine Stiftung, mit der er eine Brücke schlagen will zwischen arabischer und muslimischer Jugend und dem Westen. „Wir haben Projekte zur Drogenbekämpfung, in Kooperation mit der Dubaier Polizei und der Weltgesundheitsorganisation.“ Mitarbeiter Tony Blairs sollen ihrem Premierminister 2004 geraten haben, Amr Khaled in Kampagnen zur besseren Integration muslimischer Jugend einzubinden. Tatsächlich könnten manche seiner Sätze ebenso gut von einem Redenschreiber aus Downing Street stammen: „Osama bin Laden behauptet, er spreche im Namen der Muslime, aber wer hat ihn darum gebeten?“ Er selbst dagegen, sagt Khaled, spreche im Namen von 1,4 Millionen jungen Muslimen weltweit. So viele antworteten ihm auf eine elektronische Umfrage über die Wünsche und Nöte junger Menschen.

Inzwischen scheint auch das ägyptische Regime, das die Religion nach Belieben nutzt und manipuliert, zu erkennen, dass ihm der populäre Prediger nützlich sein könnte. Erstmals seit 2002 durfte Khaled in diesem Jahr seine Ramadan-Serie in ägyptischen Filmstudios produzieren. Ist das eine Annäherung? Vor zwei Jahren trat Khaled trotz des Redeverbots in der Provinzhauptstadt Mansura im Delta auf – wegen des Andrangs von etwa 15 000 Fans öffneten die Behörden schließlich widerwillig das Fußballstadion der Stadt für den Ungeliebten. Jetzt beschwichtigt Khaled. „Die ägyptische Regierung hat meine Botschaft anfangs nicht verstanden.“

Bewegt zeigt Khaled auf einen großen Esstisch im Nebenraum. Erst vor wenigen Tagen saßen dort hochrangige Vertreter der Al-Azhar-Universität, einer der höchsten Lehranstalten des sunnitischen Islams. Sie steht unter Kontrolle der Regierung, hat aber stark an Einfluss verloren. „Ich versuche sie zu überzeugen, dass sie einen neuen Trend in ihren Rechtsgutachten einführen müssen, der einen Konflikt zwischen Glauben und modernem Leben vermeidet“, sagt Khaled selbstsicher. Er kennt seinen Marktwert im Kampf um die Seelen der Muslime.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 15.10.2007)
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