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Darum sind Freikirchen nicht die Volkskirchen der Zukunft


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Rolf

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Darum sind Freikirchen nicht die Volkskirchen der Zukunft
 
 
 
 
Profitieren Freikirchen vom Niedergang der Landeskirchen? Nein, sagt der Theologe Thorsten Dietz und zeigt, warum Freikirchen seit Jahrzehnten nicht weiterwachsen.
 

Welche Rolle werden Evangelikale in den Kirchen der Zukunft spielen? Weltweit wird das sehr verschieden aussehen. In Deutschland schwanken die Evangelikalen zwischen Zuversicht und Pessimismus.

 

Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD legte sich hingegen zuletzt fest: In einer vergleichenden Studie zu landeskirchlichen und evangelikalen Gemeinden kam es zur Prognose, „dass evangelikale Bewegungen auch in Deutschland auf dem Vormarsch sind und sich auf dem religiösen Markt behaupten“.

 

Der entscheidende Grund ist die andere Gemeindekultur: Evangelikale besuchen häufiger den Gottesdienst, engagieren sich stärker ehrenamtlich und verbringen mehr Zeit in der Gemeinde. Dieses aktivere und lebendigere Gemeindeleben macht es auch für andere attraktiv, nicht zuletzt für die eigenen Kinder und Jugendlichen.

 

Es gibt keine evangelikale Kirche

 

Evangelikale Gemeinden und Gruppierungen sind auch sehr viel weniger Teil der gesellschaftlichen Öffentlichkeit wie die Kirchen. Traditionell haben sie stets Abstand zu öffentlichen Sphären wie Politik, Bildung und Kultur gehalten.

 

Es gibt keine evangelikale Kirche; man spricht von „evangelikaler Bewegung“. Bis heute ist das höchst bezeichnend. Natürlich gibt es weltweit viele evangelikale Gemeinden, die teilweise in einer anderen, stärker volkskirchlichen Situation sind als die Evangelikalen in Deutschland, wie beispielsweise die Southern Baptists in den USA.

 

Nachteile der freikirchlichen Kirchenstruktur

 

Weit überwiegend aber ist es für Evangelikale typisch, dass sie nicht auf den Aufbau von strukturell stark organisierten Kirchen setzen, die sich als Gegenüber des Staates, der Wirtschaft oder der Medien verstehen. Die entscheidende Einheit der Evangelikalen ist stets die konkrete Gemeinde bzw. die konkrete Gruppe.

 

Gerade in der Minderheitensituation sind die Nachteile einer solchen Struktur offensichtlich. Es gibt für die Öffentlichkeit in der Regel keinen allgemeinen Ansprechpartner. Es fehlt auch an Expertise für alle möglichen konkreten Sphären. Es gibt in der evangelikalen Bewegung keine oder kaum Kirchenjuristen oder vollzeitliche Repräsentanten für Fragen des Sozialen, der Kultur, der Bildung etc.

 

All das findet zwar auch irgendwo in der evangelikalen Bewegung statt, aber in Gestalt von freien Werken. Die Vielzahl der freien Werke, Freikirchen und Einzelgemeinden ist „irgendwie“ in der Evangelischen Allianz verknüpft; aber in einer undurchsichtigen Art und Weise, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar ist.

 

Diese Struktur macht die Evangelikalen für die Öffentlichkeit fast unsichtbar.

Man versteht nur: Evangelikale Netzwerke basieren auf persönlichen Bekanntschaften. Aber eine verbindliche Organisations- und Entscheidungsstruktur gibt es nicht. Die Einzelgemeinde vor Ort entscheidet sehr vieles autonom.

 

Diese Struktur macht die Evangelikalen für die Öffentlichkeit fast unsichtbar. Denn diese ist schlicht von modernen Organisationen eine andere Transparenz gewöhnt. Im strengen Sinne sind Evangelikale eine soziale Bewegung in, mit und unter den realexistierenden Kirchen.

 

Allen Nachteilen in einer hoch organisierten Welt zum Trotz, sollte man auch die Vorteile wahrnehmen, die diese dezentrale Struktur den Evangelikalen bot und bietet. Organisationen werden wie selbstverständlich haftbar gemacht für alles, was in ihnen geschieht. Die Verantwortlichkeit leitender Stellen gehört schließlich zu ihrem Wesen.

 

Chaos begünstigt Innovationen und Kreativität

 

Seit Jahren sehen wir die Folgen dieser Logik bei unterschiedlichsten Skandalen in den Großkirchen. Fehlverhalten von Klerikern oder Verbrechen im Raum der Kirche werden nicht einfach nur den Tätern zugerechnet. Von den Kirchen wird gefordert, dass sie Verantwortung übernehmen, und das bringt diese vielfach an ihre Grenzen und darüber hinaus.

 

Die evangelikale Bewegung war und ist dezentral aufgestellt. Das Entstehen und Vergehen einflussreicher Gemeinden und Werke ist oft chaotisch. Aber dieses Chaos begünstigt auch immer neue Innovationen und kreative Anfänge von anderen Menschen an anderen Orten.

 

Die Evangelikalen sind in wesentlichen Fragen viel zu wenig konservativ!

Dieser Umgang mit dem Thema Kirche trägt den Evangelikalen auch Kritik ein, zum Beispiel von Seiten des konservativen reformierten Theologen D. G. Hart. Für Evangelikale ist es ungewöhnlich, aus konservativer Richtung Kritik zu erhalten, gehört es doch zum eigenen Selbstverständnis, eine konservative Theologie zu vertreten und sich von progressiven oder liberalen Tendenzen abzugrenzen.

 

Doch Hart, Mitglied der konservativen Orthodox Presbyterian Church, sieht darin das entscheidende Problem: Die Evangelikalen sind in wesentlichen Fragen viel zu wenig konservativ! Um eine möglichst einflussreiche und darum große Bewegung aufzubauen, haben sie sämtliche einst so heiß umstrittenen Themen der Christentumsgeschichte (Taufe, Abendmahl, Kirchenstruktur, Ämter) nicht nur zu zweitrangigen Fragen gemacht; sie haben aufgehört, diese Fragen ernst zu nehmen.

 

Keine Vielfalt der Überzeugungen, sondern Beliebigkeit

 

Was im Abendmahl geschieht und was wir darin empfangen, ist für viele kaum noch eine Frage. Ähnlich gleichgültig ist es für viele Evangelikale, dass es nicht nur Gemeinden gibt, sondern diese auch zu Kirchen gehören, deren Glaube und Ordnung eindeutigen Ausdruck in kirchlichen Bekenntnissen, in einer gemeinsamen Gottesliturgie und einer einheitlichen Gestalt von Lehren und Diensten findet.

 

In der individualistischen Frömmigkeit vieler Evangelikaler hat erlebbare Gemeinschaft mit anderen Gläubigen einen sehr hohen Stellenwert. Aber alles Geschichtliche und Institutionelle wird kaum oder gar nicht als Halt und Heimat empfunden. Daher ist für die evangelikale Bewegung in diesen Fragen keine Vielfalt der Überzeugungen, sondern eher ihre Beliebigkeit prägend.

 

Unübersehbares Nebeneinander von Einzelgemeinden

 

Die Hochschätzung von Gemeinschaft und Geringschätzung von Kirche treibt eine der größten Tendenzen der Gegenwart voran: Aus Konfessionskirchen, die in einer lebendigen Tradition der Lehre und der Liturgie stehen und die überregionalen Strukturen der Verantwortlichkeit kennen, wird ein unübersehbares Nebeneinander von non-denominational Churches, also von Einzelgemeinden ohne traditionelle Bekenntnisse, ohne übergemeindliche Verankerung in Aufsichtsstrukturen, ohne geschichtliche Wurzeln.

 

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Erkenntnisse des freikirchlichen Theologen Philipp Bartholomä. Ausgehend von unterschiedlichen empirischen Untersuchungen gibt Bartholomä einen interessanten Überblick zur aktuellen Lage der Freikirchen in Deutschland.

 

Freikirchen haben seit dem 19. Jahrhundert versucht, ein Gegenmodell zu den Volkskirchen zu bilden und waren damit lange Zeit hinreichend erfolgreich oder zumindest stabil. Sie haben dabei stets eine durchgängige Ansprechbarkeit der Bevölkerung voraussetzen können.

 

Was in der evangelikalen Welt faktisch stattfindet, ist sehr viel Transfer von traditionellen Gemeinden hin zu erlebnisintensiveren und kulturmodernen Gemeinden.

Der christliche Glaube als solcher galt vielerorts als normal. Freikirchen erschienen vielen als ein Weg, das Christentum glaubwürdiger und verbindlicher umzusetzen, als es in den Großkirchen geschah.

 

Doch: Missionarische Durchschlagskraft entfalten die Freikirchen in Deutschland heute kaum noch. Auch die Neugründung von Gemeinden führt überwiegend zu einer Umverteilung der Gläubigen. Was in der evangelikalen Welt faktisch stattfindet, ist sehr viel Transfer von traditionellen Gemeinden hin zu erlebnisintensiveren und kulturmodernen Gemeinden.

 

Säkularisierung erschwert Freikirchen Erfolge

 

Gründungen und missionarische Projekte sind da erfolgreich, wo es noch ein relativ breites Netz von christlichen Gemeinden der großen Kirchen gibt. Je stärker säkularisiert und entkirchlicht eine Region ist, desto schwerer fällt es Freikirchen und Neugründungen, nennenswerte Erfolge zu erzielen.

 

Für Bartholomä ist das ein Anlass, eine Neuorientierung im freikirchlichen Selbstverständnis zu empfehlen. Die zunehmende Entkirchlichung und Säkularisierung führen gerade nicht dazu, dass die Zeitgenossen offener würden für freikirchliche Angebote.

 

Die meisten Gemeinden haben einen zu großen kulturellen Abstand zu denen, die sie erreichen wollen.

Vielmehr zeigt sich, dass der Erfolg der Freikirchen immer schon die traditionelle Christlichkeit der Gesellschaft voraussetzen konnte. Wo sich diese auflöst, verlieren auch die Freikirchen ihre Attraktivität als vermeintlich lebendigere Form des Christentums. Freikirchen stehen heute „einer im Vergleich mit früheren Zeiten gänzlich veränderten Nachfragesituation gegenüber“. (

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Die meisten Gemeinden haben einen zu großen kulturellen Abstand zu denen, die sie erreichen wollen. Erfolgsversprechend sind freikirchliche Gemeindeprojekte nur da, wo zweierlei zusammenkommt: eine bewusst missionarische Grundhaltung und Praxis, die aber mit einem umfassenden Eingehen auf den jeweiligen Kontext vor Ort verbunden sein muss.

 

Nichts spricht dafür, dass die Evangelikalen auch nur ansatzweise das an Wachstum wettmachen können, was die traditionellen Kirchen an Säkularisierungsprozesse verlieren. Aber vieles spricht dafür, dass die Religionslandschaft der Zukunft sehr bunt sein wird; und dass Evangelikale dabei in eine größere Rolle als bislang hineinwachsen werden.

 

Kirche wird bunt

 

Dafür werden wohl allein schon Migrationsbewegungen sorgen, die evangelikales und vor allem auch pentekostales Christentum hier so heimisch werden lassen dürften, wie es jetzt schon der Islam ist. Kirche wird einen erheblichen Gestaltwandel durchlaufen.

Die Volkskirchen werden weiter existieren, mit ihrem parochialen Netz aber weniger bestimmend sein als in früheren Zeiten. Inzwischen öffnen sich die Landeskirchen zunehmend für experimentelle Entwicklungen nach englischem Vorbild. Die Namen dafür sind vielfältig: Fresh X, kirchliche Erprobungsräume, Neos (neue kirchliche Orte) und viele mehr.

 

Die Grenze zwischen evangelikalen und nichtevangelikalen Projekten verschwimmt.

Bemerkenswert an dieser Entwicklung in Deutschland ist: Die Grenze zwischen evangelikalen und nichtevangelikalen Projekten verschwimmt. Die Impulse lassen sich zwar überwiegend aus evangelikalen Gemeindeentwicklungsdebatten ableiten.

Aber längst haben zahlreiche evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer erkannt, dass das Thema Mission unverzichtbar ist. Vielfach ist die Ökumene vor Ort weiter als die theologischen Schubladen in den Köpfen.

 

 

 

Dieser Artikel ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus dem neuen Buch von Thorsten Dietz 

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, erschienen im SCM R.Brockhaus Verlag. SCM R.Brockhaus ist Teil der SCM Verlagsgruppe, zu der auch Jesus.de gehört.


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