Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Gottesdienstkultur: Alter Beton, neuer Beton …


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34137 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!

 

 

 

 

Gottesdienstkultur: Alter Beton, neuer Beton …
 
 
 
 
8. Februar 2022
 
 
 

Während der Pandemie schaut sich Ulrich Eggers in der virtuellen Gottesdienstwelt um – und sieht erstaunlich viel Copy&Paste. Sind wir Gottesdienst-Schema-gläubig

?

Ulrich Eggers: Corona bringt es mit sich: Digital sieht, hört und erlebt man so viele verschiedene Gottesdienste wie selten. Egal, aus welchem Hintergrund sie kommen: Vieles empfinde ich erstaunlich ähnlich. Und oft geschieht das alles auf erstaunlich hohem Niveau – gerade auch musikalisch hat sich bei uns viel getan!

Neulich zum Beispiel: Eine gut eingespielte Worship-Gruppe eröffnete den Gottesdienst. Offensichtlich lauter Ehrenamtliche, aber mit sichtbarer Spielfreude, guter Abstimmung und echtem Können. Stark! Begrüßung, Schriftlesung, Infos – und dann der Lobpreis-Block. Drei, vier aktuelle Songs am Stück, gut mitsingbar (wo man das denn schon wieder darf …), gut anhörbar und wirklich ansehnlich: kein Grund zum Fremdschämen wie etwa in meiner Gemeinde vor 40 Jahren, wenn außer Tante Olga mal wieder keiner die Orgel bedienen konnte. Da schwitzte man innerlich mit …

So weit, so gut. Oder auch nicht. Denn trotz dieses vorbildlichen Einsatzes und der großen Dankbarkeit, die ich für alle empfinde, die sich in diesen wilden Zeiten engagieren, hat mich diese Anbetungszeit irgendwie nicht erreicht. Oder besser: Sie hinterließ ambivalente Gefühle in mir. Ja, das war alles wirklich gut – aber es ließ mich kalt.

 

Ich empfand es genauso, wie es heute allgemein heißt: als Block. Lobpreis-Block. Block, weil absolut berechenbar: drei oder vier oder fünf Lieder. Mit Gebet oder ohne. Mit Einleitung zum Lied – oder ohne. Aber auf jeden Fall: zusammenhängend, Block. Größte Frage: Wie viel Zeit haben wir – drei, vier oder fünf Lieder? Das ist der neue Stil. So hat es sich weithin durchgesetzt. So muss Kirche heute sein: mit Lobpreis-Block. Spontan empfand ich: „Das alles ist genauso betonhart wie früher!

 

Nur wird der alte Beton, die Ordnung und Gestaltung von früher, ersetzt durch neuen Beton: der Worship-Block! Drei Lieder plus am Stück!“ Diese Grundregel ist mittlerweile fast genauso vorhersehbar wie der alte Beton früher: Lieder brav im Wechsel – oder Liturgie und Lieder nach vorgeschriebenem Muster: alter Beton.

Ich dachte zurück an all die Kämpfe, die wir in den Gemeinden ausgetragen haben über die Musik. Orgel oder Gitarre, englisch oder deutsch, Worship-Block oder nicht. Heute ist der Sieg erfochten: Der Block ist durch!

Nur: Auch dieser neue Beton ist mittlerweile meist zur festen Form erstarrt. Wird – oft mit viel Herzblut und Engagement! – Sonntag für Sonntag als Regel gesetzt. Neuer Beton gegen alten Beton. Der umkämpfte Aufbruch aus der Erstarrung des Alten – mündete in der Erstarrung des Neuen. Aus altem Beton – wurde neuer.

Einschub: Mir ist sehr bewusst, auf wie gefährlichem Boden ich hier gerade schreibe! Denn ist der ehrenamtliche Einsatz der Worship-Leute, beherzten Anbeter und kreativen Musikerinnen in den vielen Gottesdiensten nicht eine Super-Gabe an die Gemeinden, die da Sonntag für Sonntag verschenkt wird? Wie viele Stunden Üben und Einsatz wird da – oft ohne großen Dank und mit anhaltendem Gemeckere von Lobbyisten der verschiedenen „Beton-Verbände“ – geleistet!

Ja, das ist so! Und das will ich hier deshalb mit hoher Anerkennung und großem Dank bewusst einschieben, damit ich verstanden werde. Es geht nicht um Geschmack oder alt oder neu. Es geht um Vielfalt. Und deswegen gehört der Dank für den Einsatz und die Hingabe ganz klar vorneweg: Die Gemeindeszene hat hier mit enormer Leidenschaft und großem Einsatz ein ganz neues Niveau von allgemeinem Priestertum erreicht – ja, Anbetung und Worship sind (meist ehrenamtliche!) priesterliche Dienste an der Gemeinde! Deswegen gehört der Dank an die erste Stelle.

Was also will der Mann? Mir geht es hier nicht um den Impuls, den Albert Frey in unserer kleinen Serie ins Gespräch bringt: um die Bandbreite der Texte. Recht hat er! Ich meine etwas anderes: Reichtum, Vielfalt! Freudige Erwartung, wenn ich an die Lieder unserer Gottesdienste denke. Überraschung und Abwechslung. Vertrautes und Unbekanntes.
Niemand hat doch beim Kampf für Worship-Zeiten die bedingungslose Kapitulation und Abwahl des Alten gefordert!

 

Es ging lediglich um Raum und Zeit für das Neue, was sich da in der internationalen Worship-Szene formte. Wie dumm wäre es, auf diese wunderbaren Lieder zu verzichten! Nur eben: Wie dumm ist es denn, auf den Schatz des Alten zu verzichten? Wer hat denn eigentlich solch eine schräge Idee zum betonharten neuen Maßstab gemacht?
Und was heißt „freudige Erwartung“ statt „vorhersehbarer Langeweile“ für mich? Warum nicht neue und alte Lieder im Wechsel? Warum nicht Psalmen oder Texte oder liturgische Elemente? Warum nicht Stillezeiten oder klassische Gebete oder künstlerische Elemente oder Bibelworte gemeinsam oder wechselnd gesprochen? Warum nicht Lieder vertiefen, indem man ihre Geschichte erzählt? Besonders gut könnte die neue Vielfalt klappen, wenn jüngere und ältere Anbeter die Gestaltung gemeinsam übernehmen.

Ehrlich: Ich bin beeindruckt von der starken Lobpreis-Kultur heute. Mit so tollen Leuten – könnten wir es locker noch kreativer und überraschender hinkriegen! Die Aufgabe des Sonntags ist es doch, durch die harte Schale das Alltags zu dringen und unsere Ängste und Sehnsüchte und Sorgen und Freude in Kontakt mit Gott zu bringen.

 

Thomas Härry kommentiert:

 

Deine Zeilen erinnern mich an ein Gespräch, dem ich vor mehr als zwanzig Jahren zugehört habe. Zwei ältere Männer, ein landes- und ein freikirchlicher Pastor, beschwerten sich über die hohlen Texte neuerer Lieder. Ich wurde richtiggehend sauer und widersprach heftig. Es kostete mich allen Mut, diesen gesetzteren Männern zu widersprechen. Ich muss gestehen: Mittlerweile verstehe ich sie besser.

 

Es fehlt mir manchmal genau das, wovon du, Uli, schreibst: Mehr Vielfalt. Weniger verkrampfter Versuch, das Hillsong-Konzertniveau in den fünfzigköpfigen Gottesdienst des kleinen Ortes Bergesheim zu transferieren. Mehr Eigenständigkeit, weniger Kopie (man könnte dasselbe von mancher Predigt und Moderation sagen). Dafür einfach authentischer, auf Jesus Christus ausgerichteter Dienst. Das Beste geben, aber mehr noch: Es auf Christus ausgerichtet machen. Seine Freude suchen, nicht den Wohlfühlstatus eines konsumverwöhnten Publikums.

Solche Gedanken mache ich mir noch nicht sehr lange. Ich dachte früher anders. Habe als Pfarrer selbst den alten Liedern zu wenig Raum gegeben. Bereue es heute. Eine Alterserscheinung? Gleichzeitig sage ich mir: Es ist das Privileg der jungen, engagierten Generation, ihren eigenen Weg zu suchen und zu gehen, auch in mancher Einseitigkeit. Der amerikanische Prediger Dwight L. Moody (1837-1899) soll einmal gesagt haben: „Wenn wir die Dinge so tun, wie sie die Alten getan haben, dann tun wir nicht, was die Alten getan haben.“

 

Dieses Zitat half mir in der Gemeindearbeit oft, wenn ich der Gemeinde eine neue Idee schmackhaft machen wollte. Heute finde ich mich manchmal unvermittelt auf der anderen Seite. Und will dennoch zuversichtlich sein: Bei vielen von ihnen wird die Entdeckung alter, noch immer klarer (Lied-)Quellen irgendwann von selbst kommen. Vielleicht ähnlich wie bei mir: Mit den Jahren, dem sich weitenden Blick und dem Hunger nach den anderen, alten, das Bekannte ergänzenden Impulsen.


  • 0