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"Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen."


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2 Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

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C.H.Spurgeon



Betrachtungen zum Buch Jesaja


Teil 1



"Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen."




Jes. 2, 3.

Es tut unsren Seelen wunderbar wohl, dass sie von dieser gegenwärtigen argen Welt sich zu etwas Besserem und Edlerem erheben können. Die Sorgen dieser Welt und der Betrug des Reichtums ersticken gar leicht alle guten Regungen in uns, und wir werden ängstlich, wollen verzweifeln, oder wir werden hochmütig und fleischlich gesinnt. Wohl uns, wenn wir diese Disteln und Dornen ausreuten, denn die himmlische Saat, die unter wucherndem Unkraut aufgeht, bringt schwerlich Frucht in der Ernte; und wo finden wir eine bessere Hacke, womit wir sie entfernen können, als die Gemeinschaft mit Gott und die Beschäftigung mit den Angelegenheiten seines Reichs? In manchen tiefen Tälern sind viele Bewohner missgestaltet, und alle haben ein krankhaftes Aussehen, weil die Luft dort mit ungesunden Dünsten erfüllt ist, ohne dass sie durch Winde erneuert wird; aber hoch auf ihren Bergen finden wir ein abgehärtetes, kräftiges Geschlecht; denn es atmet eine frische Luft ein, wie sie von den jungfräulichen Schneegipfeln herniederweht. Es wäre wohltätig für die Talbewohner, wenn sie ihren ungesunden Aufenthalt in den Sumpfgegenden und Fieber erzeugenden Nebeln öfters verlassen und auf den herrlichen Höhen den stählenden Hauch einer reinen Luft einatmen könnten.

Zu einer solchen Bergbesteigung lade ich euch diesen Abend ein. Der Geist Gottes wolle uns heraushelfen aus den Nebeln der Furcht und den Fiebersümpfen der Verzagtheit, und aus allen Übeln, die sich in diesem irdischen Tal ansammeln, und stehe uns bei, wenn wir die Berge des Vorgeschmacks aller himmlischen Freuden und Seligkeiten besteigen. Möge Gott der Heilige Geist alle Bande zerschneiden, die uns hienieden festhalten und unsern Fuß im Steigen stützen! Wir sitzen gar zu oft wie gefesselte Adler da, die an den Felsen gekettet sind; nur dass wir, ganz anders als der freigeborene König der Lüfte, unsre Ketten lieb gewinnen und sie ungern zerbrechen lassen. Gott der Herr schenke uns nun die Gnade, dass uns die Fesseln unsres Geistes abgenommen werden; und wenn wir unsern Leib gleich einem Knecht unten am Berge müssen warten lassen, möge unsre Seele, wie einst Abraham, allein auf die Höhe des Berges gehen und der Gemeinschaft des Höchsten teilhaftig werden.

"Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen."

Jes. 2, 4.

O, dass diese glücklichen Zeiten schon da wären! Gegenwärtig sind die Völker schwer gerüstet und erfinden immer schrecklichere Waffen, als wenn der Hauptzweck des Menschen nur dadurch erfüllt werden könnte, dass er Tausende seiner Mitmenschen tötet. Indes, eines Tages wird Friede sein, ja, und so gewaltig durchgreifend, dass die Werke der Zerstörung in andere Formen geschlagen und zu besseren Zwecken benutzt werden.

Wie wird dies zustandekommen? Durch Handel? Durch Zivilisation? Durch schiedsrichterliche Entscheidungen? Wir glauben es nicht. Die Erfahrung der Vergangenheit verbietet uns, so schwachen Mitteln zu trauen. Der Friede wird nur durch die Herrschaft des Friedefürsten gegründet werden. Er muss die Menschen durch seinen Geist lehren. Er muss ihre Herzen durch seine Gnade erneuern und über sie als Alleinherr herrschen. Dann werden sie aufhören, zu verwunden und zu töten. Der Mensch ist ein Ungeheuer, wenn sein Blut einmal in Erregung kommt, und nur der Herr Jesus kann diesen Löwen in ein Lamm verwandeln. Durch die Änderung seines Herzens werden die blutdürstigen Leidenschaften hinweggenommen. Möge jeder Leser dieser Zeilen heute dem Herrn und Geber des Friedens ein besonderes Gebet darbringen, dass er bald dem Krieg ein Ende machen und Eintracht in der ganzen Welt stiften wolle!

"Predigt von den Gerechten, dass sie es gut haben."

Jes. 3, 10.

Die Gerechten haben es immer gut. Wenn da gesagt wäre: "Predigt den Gerechten, dass sie es gut haben in ihrem Wohlstand," so müssten wir für einen so großen Segen recht dankbar sein, denn Wohlstand hat seine Gefahren, und es ist eine Gabe von oben, wenn man vor seinen Fallstricken bewahrt und behütet wird. Oder wenn geschrieben stände: "Die Gerechten haben es gut, wenn Verfolgung über sie kommt," so müssten wir dankbar sein für eine so tröstliche Zusicherung; denn die Verfolgung ist schwer zu ertragen. Wenn aber gar keine Zeiten und Umstände angegeben sind, so sind alle Zeiten mit inbegriffen. Gottes Verheißungen müssen immer in ihrem weitesten Sinne aufgefasst werden. Vom Anfang des Jahres bis zum Jahresschluss, vom ersten Schwinden des abendlichen Schattens an, bis wieder das Tagesgestirn leuchtet, in allen Verhältnissen und unter allen Umständen werden es die Gerechten gut haben. Der Gerechte hat es so gut, dass wir uns nicht denken können, wie er es besser haben könnte, denn er ist gut versorgt mit Speise und Trank: er isset Jesu Fleisch und trinkt sein Blut; er ist gut gekleidet, denn er trägt das Kleid der untadeligen Gerechtigkeit Christi; er hat eine gute Wohnung, denn er wohnt in Gott; er steht in einem guten Ehebund, denn seine Seele ist Christo vertraut in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit; er ist gut behütet, denn der Herr ist sein Hirte; er hat ein gutes Erbteil, denn ihm ist der Himmel verheißen.

Dem Gerechten geht es gut, die göttliche Zusage verbürgt es ihm, der Mund des Herrn verkündet die trostreiche Zusicherung. O Geliebte, wenn Gott bezeugt, dass es der Gerechte in allen Dingen gut hat, dann mögen tausend Teufel brüllen, dem Gerechten gehe es übel, so lachen wir, ihnen zum Hohn. Gelobt sei Gott für einen Glauben, der uns in den Stand setzt, auf Gottes Wort zu bauen, wenn alle Kreatur ihm widerspricht. Du hast es, spricht das Wort, zu allen Zeiten gut, du Gerechter; dann, liebe Seele, wenn du es noch nicht einsehen kannst so lass Gottes Wort dafür einstehen; ja, schenke der göttlichen Wahrhaftigkeit mehr Glauben, als wenn du es mit eignen Augen sähest, oder selber fühlest. Wen Gott segnet, der ist gesegnet, und was sein Mund spricht, steht fest.

"Siehe, eine Jungfrau ist schwanger, und wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen: Immanuel."

Jes. 7, 14.

Wir wollen nach Bethlehem gehen, wir wollen bewundern mit den Hirten und anbeten mit den Weisen und wollen betrachten Den, der geboren ward ein König der Juden; denn durch den Glauben haben wir teil an Ihm und können jubelnd singen: "Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben." Jesus ist der ins Fleisch gekommene Jehovah, unser Herr und unser Gott, und dennoch unser Freund und Bruder; lasset uns Ihn anbeten und verehren. Wir wollen seiner wunderbaren Menschwerdung gedenken. Es ist von Anfang an unerhört und ist seitdem nie wieder geschehen, dass eine Jungfrau sollte einen Sohn gebären. "Der Herr wird ein Neues im Lande erschaffen: Das Weib wird den Mann umgeben." Die erste Verheißung lautet: "des Weibes Same" und nicht des Mannes Nachkommenschaft. Seit die Lüsternheit des Weibes durch die Sünde den Weg gebahnt hat, auf welchem uns das Paradies verloren ging, so führt auch sie, und sie allein, den Wiederbringer des Paradieses ein in die Welt. Unser Heiland, obgleich wahrhaftiger Mensch, war dennoch in seiner menschlichen Natur der Heilige Gottes.

Durch die Kraft des Heiligen Geistes ward Er geboren von Maria der Jungfrau ohne Befleckung durch die Erbsünde, die allen denen anklebt, die aus dem Fleisch geboren sind. Beugen wir uns in Ehrfurcht vor dem heiligen Kind, dessen Unschuld der Menschheit die anfängliche Herrlichkeit wieder schenkt; und bitten wir, dass Er in uns möge geboren werden zur Hoffnung und Herrlichkeit. Achtet wohl auf seine arme Blutsverwandtschaft. Unser Schriftwort nennt seine Mutter "eine Jungfrau," nicht eine Fürstin oder Prophetin oder eine Vornehme von Reichtum und Ansehen. Zwar ihre Abkunft war nicht gering, denn königliches Blut rann in ihren Adern; noch war ihr Gemüt unempfänglich und ungebildet, denn sie hat uns einen herrlichen Lobgesang hinterlassen; und dennoch, wie war doch ihre Lage so bescheiden, wie arm war der Mann, dem sie vertrauet war, wie armselig die Ausstattung des neugeborenen Königs! Hier ist die Armut geheiligt worden, und Menschen aus niedrigem Stande sind erhöht zu großer Ehre. Jeder Gläubige ist ein Abbild Christi, aber ein armer Heiliger ist dasselbe wohlgetroffene Bildnis, in gleichen Rahmen der Armut gefasst, der unsers Meisters Bild umgibt.

"Es ist noch gar um ein Kleines zu tun, so wird die Ungnade und mein Zorn über ihre Untugend ein Ende haben."

Jes. 10, 25.

Auf diese Weise tut der Herr seine verschonende Güte kund. Es mag sein, dass der Leser jetzt unter schwerem Missfallen Gottes steht und dass ihm alles mit schleunigem Gericht droht. Möge dieser Spruch ihn vor Verzweiflung bewahren! Der Herr fordert dich auf, an deine Wege zu gedenken und deine Sünden zu bekennen. Wenn er ein Mensch gewesen wäre, so würde er dich längst ausgestoßen haben. Wenn er jetzt nach Menschenweise handeln wollte, so würde es ein Blitz und ein Donnerschlag sein, und dann hätte es ein Ende mit dir; aber es ist nicht so, denn "so viel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch seine Wege höher denn eure Wege".

Du nimmst mit Recht an, dass er zornig ist; aber er will nicht ewiglich zürnen. Wenn du dich von der Sünde zu Jesu kehrst, so will Gott sich von seinem Zorn abkehren. Weil er Gott ist und nicht ein Mensch, kannst du noch Vergebung haben, obwohl du bis an den Hals in Missetaten stecken magst. Du hast es mit einem Gott zu tun und nicht mit einem harten Menschen, nicht einmal mit einem bloß gerechten Menschen. Kein menschliches Wesen könnte Geduld mit dir haben: du würdest die Geduld eines Engels erschöpfen, wie du die deines trauernden Vaters erschöpft hast; aber Gott ist langmütig. Komm und stelle ihn sogleich auf die Probe! Bekenne, glaube und kehre um von deinem bösen Weg, so wirst du errettet werden!

"Es geht dir, wie uns."

Jes. 14, 10.

Wie furchtbar muss des abtrünnig gewordenen Jüngers Verdammnis sein, wenn seine nackte Seele vor Gott erscheinen muss? Wie kann er die Donnerstimme ertragen, die da spricht: "Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer. Du hast mich verworfen, und so verwerfe ich dich, und will dir nicht gnädig sein." Wie wird sich dieser Elende schämen müssen am letzten großen Tage, wenn vor allen versammelten Völkerscharen der Verräter entlarvt wird? Siehe, wie die Verworfenen und Sünder, die nie etwas von Gottesfurcht wissen wollten, sich aufrichten aus ihren Flammenbetten und auf ihn hinstarren und mit Fingern auf ihn zeigen. "Da ist er," spricht einer, "will er uns auch in der Hölle das Evangelium verkündigen?" "Da ist er," spricht ein andrer, "er hat mich gestraft um meine Gotteslästerung, und war doch selber ein Heuchler!" "Aha," sagt wieder einer, "hier kommt ein Psalmsinger und Heiligungsmann, ein Mensch, der nie seine Versammlung versäumt hat; das ist der Mensch, der sich rühmte, er sei der ewigen Seligkeit gewiss - und jetzt ist er hier!" Eine größere Wut kann bei den satanischen Quälgeistern nie zum Vorschein kommen, als an dem Tage, wo die Teufel des Heuchlers Seele hinabziehen ins ewige Verderben. Bunyan schildert dies mit freier, aber furchtbarer Großartigkeit der dichterischen Auffassung, wo er von dem Abgrund der Hölle spricht. Sieben Teufel banden den Elenden mit neun Stricken und rissen ihn von der Himmelsstraße, auf welcher er vorgegeben hatte zu wandeln, hinweg und stießen ihn durch die Hinterpforte in die Hölle hinab.

Denkt an diese Hinabfahrt zur Hölle, ihr, die ihr Christum bekennet! "Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seid." Habt acht auf euren Zustand; schauet zu, ob ihr in Christo seid oder nicht. Es ist die leichteste Sache von der Welt, ein absprechendes Urteil zu fällen, wenn unsereins im Tiegel der Trübsal schmachtet; aber ach! seid ja gerecht und wahrhaft hierin. Seid gerecht gegen jedermann, aber seid streng gegen euch selbst. Bedenkt, wenn ihr nicht auf einen Fels baut, sondern auf Sand, und ein Gewässer kommt und die Winde wehen und an das Haus stoßen, so wird es fallen und einen großen Fall tun. Ach, der Herr gebe euch doch Aufrichtigkeit, Beständigkeit und Festigkeit, auf dass ihr zu keiner Zeit, wie böse sie auch sei, abwendig gemacht werdet.

"Hüter, ist die Nacht schier hin?"

Jes. 21, 11.

Wie viel Feinde ringsum! Der Irrtümer sind eine gewaltige Horde, und ihrer erscheinen neue zu jeder Stunde: Gegen welche Irrlehre soll ich auf der Hut sein? Die Sünden schleichen hervor aus ihren Schlupfwinkeln, wenn Dunkel herrscht; ich muss auf die Warte steigen und wachen zum Gebet. Unser himmlischer Schutzherr sieht alle Angriffe voraus, die uns bedrohen, und wenn das Übel, das uns bevorsteht, noch erst im Wunsche des Widersachers liegt, bittet Er schon für uns, dass unser Glaube nicht wanke, wenn wir gesichtet werden als der Weizen. Fahre fort, du gnadenreicher Hüter, uns vor unsren Feinden zu warnen, und um Zions willen schweige nicht.

"Hüter, ist die Nacht schier hin?" Was drohen der Gemeinde Gottes für Ungewitter? Senken sich Wolken hernieder, oder ist alles klar und hell ob unserm Haupte? Wir müssen mit liebender Sorgfalt über die Gemeinde des Herrn wachen; und jetzt, wo Aberglaube und Unglaube uns von allen Seiten bedrohen, wollen wir auf die Zeichen der Zeit achten und uns zum Kampfe bereithalten.

"Hüter, ist die Nacht schier hin?" Welche Sterne sind sichtbar? Welche köstlichen Verheißungen strahlen uns als tröstende Boten in unsren Trübsalen entgegen? Du schreckst uns auf, so gewähre uns auch deinen Trost. Christus, der Polarstern, bleibt unbeweglich an seiner Stelle, und alle Sterne sind wohl geborgen in der Rechten ihres Herrn.

Aber, Hüter, wann bricht der Tag an? Der Bräutigam verzieht. Ist noch kein Anzeichen vorhanden, dass Er hervorgeht als die Sonne der Gerechtigkeit? Ist nicht der Morgenstern auferstanden als Verkündiger und Vorbote des Tages? Wann wird der Morgen dämmern, wann werden die nächtlichen Schatten fliehen? O Herr Jesu, wenn du heute noch nicht in eigner Person deiner Gemeinde erscheinst, die deiner harrt, so komme doch durch deinen Heiligen Geist in mein seufzendes Herz, und mache, dass es fröhlich singe:

"Wie lange währt der Frommen Leid?

Nicht ewig, Herr, nur kurze Zeit;

Nach überstand'nem Leide

Erquickest Du ihr Herz mit Ruh'

Und mit der ew'gen Freude!"

"Ich, der Herr, behüte ihn; ich will ihn anfeuchten jeden Augenblick, auf dass niemand ihn schädige; ich will ihn Tag und Nacht behüten." Jes. 27, 3.

Wenn der Herr nicht sowohl durch einen seiner Knechte, sondern in eigener Person handelt, so hat das ein besonderes Gewicht für gläubige Seelen. Es ist der Herr selbst, welcher der Hüter seines Weinbergs ist; er vertraut ihn keinem anderen an, sondern lässt ihn seine eigene, persönliche Sorge sein. Sind die nicht wohl behütet, die der Herr behütet?

Wir sollen Erfrischung erhalten, nicht nur jeden Tag und jede Stunde, sondern jeden Augenblick. Wie sollten wir wachsen! Wie frisch und fruchtbar sollte jede Pflanze sein! Was für reiche Trauben sollten die Reben tragen!

Aber Zerstörer kommen: kleine Füchse und die Wildschweine. Deshalb ist der Herr selbst unser Hüter, und das zu allen Stunden, beides, Tag und Nacht. Was kann uns dann schaden? Warum fürchten wir uns? Er pflegt, er feuchtet, er bewacht; was bedürfen wir mehr?

Zweimal sagt der Herr in diesem Vers: "Ich will." Welche Wahrheit, welche Macht, welche Liebe, welche Unveränderlichkeit finden wir in dem großen "Ich will" unseres Gottes! Wer kann seinem Willen widerstehen? Wenn er spricht: "Ich will", was für Raum ist dann für den Zweifel da? Mit einem "Ich will" können wir allen Heeren der Sünde, des Todes und der Hölle gegenübertreten. O Herr, wenn du sprichst: "Ich will dich behüten!", so antworte ich: "Ich will dich preisen!"

"Verlasst euch auf den Herrn ewiglich, denn Gott, der Herr, ist ein Fels ewiglich."

Jes. 26, 4.

Wenn wir sehen, dass wir einen solchen Gott haben, auf den wir uns verlassen dürfen, so wollen wir auf Ihn trauen mit aller Macht; wir wollen entschieden allem Unglauben absagen und danach streben, dass wir alle unsre Zweifel und Befürchtungen los werden, die uns so schändlich um unsern Trost betrügen; denn wo Gott der Grund unsers Vertrauens ist, haben wir keine Entschuldigung für unsre Furcht. Eine liebevolle Mutter wäre tiefbetrübt, wenn ihr Kind kein Zutrauen zu ihr haben wollte; wie verachtungswürdig, wie undankbar ist also unser Betragen, wenn wir so wenig Zutrauen zu unserm himmlischen Vater haben, der uns noch nie versäumt hat und nie versäumen will. Es wäre wahrlich gut, wenn alle Zweifel aus dem Haushalte Gottes verbannt wären; aber es ist zu fürchten, dass der alte Unglaube heutigestags so geschäftig ist, als damals, wo der Psalmist fragte: "Ist es denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheißung ein Ende?" David hatte das Schwert Goliaths nicht oft und lange erprobt, und dennoch sprach er: "Es ist seinesgleichen nicht." Er hatte es einmal erprobt in der Stunde seiner jugendlichen Siegestat, und es hatte sich bewährt, dass es von gutem Stahl sei, und darum rühmte er es später immer; und so sollten wir auch rühmen und reden von unserm Gott, denn es ist Ihm keiner gleich, weder im Himmel, noch auf Erden, noch unter der Erde.

"Wem sollt ihr denn mich nachbilden, dem ich gleich sei? spricht der Heilige." Es ist kein Fels wie der Fels Jakob, des sind selbst unsre Feinde Zeugen. Wenn wir bis jetzt noch Zweifel geduldet haben, so wollen wir das ganze schändliche Heer derselben ergreifen, wie Elias die Propheten Baals ergriff, und wollen sie schlachten am Bach; und wenn wir einen Wasserstrom suchen, der sie ersäufe, so nehmen wir unsre Zuflucht zu dem heiligen Strom, der aus unseres verwundeten Heilandes offener Seite hervorquillt. Wir sind schon in vielen Versuchungen gewesen, aber noch nie sind wir so weit gekommen, dass wir in unserm Gott nicht alles gefunden hätten, was wir bedurften. So lasst uns denn aufs neue Mut fassen, und auf den Herrn vertrauen ewiglich, in der Gewissheit, dass seine ewige Kraft wie bisher allezeit unsre Hilfe und unser Trost sein wird.

"Wer glaubt, der soll nicht eilen."

Jes. 28, 16.

Er soll eilen, des Herrn Gebote zu halten. Aber er soll nicht eilen in einem ungeduldigen oder ungehörigen Eifer.

Er soll nicht eilen, davonzukommen, denn er soll nicht von der Furcht, die einen panischen Schrecken verursacht, übermannt werden. Wenn andere hierhin und dorthin fliehen, als wenn sie von Sinnen wären, soll der Gläubige ruhig, gelassen und überlegend sein und deshalb fähig, in der Stunde der Prüfung weislich zu handeln.

Er soll nicht eilen in seinen Erwartungen, indem er sein Gutes sogleich und auf der Stelle begehrt, sondern er soll Gottes Zeit abwarten. Einige sind in verzweifelter Hast, den Sperling in der Hand zu haben; denn sie betrachten des Herrn Verheißung als einen Sperling auf dem Dach, den sie wahrscheinlich nicht erlangen werden. Gläubige können warten.

Er soll nicht eilen, indem er rasch zu unrechten oder zweifelhaften Maßregeln greift. Der Unglaube muss etwas tun und wirkt so zum eigenen Verderben; aber der Glaube übereilt sich nicht und ist deshalb nicht gezwungen, voll Trauer den Weg zurückzugehen, den er kopflos zu weit lief.

Wie steht es nun mit mir? Glaube ich und bleibe ich deshalb bei dem ruhigen Schritt des Gläubigen, dem Wandeln mit Gott? Sei doch still, du unruhige Seele! Ruhe in dem Herrn und harre geduldig auf ihn und fange damit jetzt an!

"Durch Stillsein und Vertrauen würdet ihr stark sein."

Jes. 30, 15.

Es ist immer Schwäche, sich zu plagen und zu quälen, zu zweifeln und zu misstrauen. Was können wir tun, wenn wir uns abquälen, bis wir nur noch Haut und Knochen sind? Können wir irgendetwas gewinnen durch Fürchten oder Toben? Machen wir uns nicht unfähig dadurch zum Handeln und zerrütten unseren Geist, so dass wir keine ruhige Entscheidung mehr treffen können? Wir sinken, weil wir um uns schlagen, während wir schwimmen könnten durch den Glauben.

O, dass wir Gnade hätten, still zu sein! Warum von Haus zu Haus laufen, um die ermüdende Geschichte zu wiederholen, die uns stets herzenskranker macht, je öfter wir sie erzählen? Warum auch nur daheim bleiben und voll Angst schreien wegen der traurigen Ahnungen, die sich vielleicht nie erfüllen? Es würde gut sein, eine stille Zunge zu haben. O, dass wir still wären und wüssten, dass der Herr Gott ist!

O, dass wir Gnade hätten, auf Gott zu vertrauen! An dem Herrn, unserem Gott, liegt es, die Seinen zu verteidigen und zu befreien. Er kann seine feierlichen Erklärungen nicht zurücknehmen. Wir können versichert sein, dass jedes seiner Worte unwandelbar bleibt, wenn auch die Berge weichen sollten. Er verdient, dass wir ihm trauen; und wenn wir vertrauen und die daraus folgende Stille entfalten wollten, könnten wir so glücklich sein wie die Geister vor dem Thron.

Komm, meine Seele, kehre wieder zu deiner Ruhe und lehne dein Haupt an die Brust deines Herrn!

"Darum harret der Herr, dass Er euch gnädig sei."

Jes. 30, 18.

Gott verzieht zuweilen mit der Erhörung des Gebets. Uns sind in der Heiligen Schrift verschiedene Beispiele hierfür aufbewahrt; Jakob empfing vom Engel den Segen nicht bis gegen Tagesanbruch; er musste die ganze lange Nacht mit ihm darob ringen. Das arme griechische Weib aus Syro-Phönice erhielt lange nicht eine einzige Silbe zur Antwort. Paulus flehte dreimal zum Herrn, dass "der Pfahl im Fleisch" von ihm weichen möchte und erhielt keine Zusicherung, dass er sollte von ihm genommen werden, sondern stattdessen eine Verheißung, dass er sich solle genügen lassen an Gottes Gnade. Wenn du angeklopft hast an der göttlichen Gnadenpforte, und hast keine Antwort empfangen: soll ich dir sagen, warum der allmächtige Schöpfer dir die Tür nicht aufgetan und dich nicht eingelassen hat? Unser Vater hat seine besonderen Gründe, wenn Er uns warten lässt. Manchmal will Er uns damit seine Macht-Vollkommenheit und Unumschränktheit beweisen, auf dass die Menschen erkennen sollen, dass Jehovah ein Recht habe, zu geben oder zu nehmen. Noch öfter ist das Verziehen zu unserm Heil notwendig.

Du musst vielleicht warten, damit dein Verlangen inniger und glühender werde. Gott weiß wohl, dass das Harren die Sehnsucht belebt und vermehrt, und dass, wenn Er dich warten lässt, du umso mehr deine Hilfsbedürftigkeit erkennst und die Hilfe umso ernstlicher suchst, und dass du die Gnade um des langen Verzuges willen nur umso höher schätzest. Es haftet vielleicht auch etwas Unrechtes an dir, das weggenommen werden muss, ehe dir des Herrn Freude zuteil wird. Vielleicht ist dein Verständnis des Heilsplanes noch mangelhaft, oder du verlässt dich noch irgendwie auf dich selbst, statt dass du einfältig und völlig auf den Herrn Jesum dein Vertrauen setzest. Oder Gott lässt dich eine Weile warten, damit Er dir zuletzt die Reichtümer seiner Gnade umso völliger erzeige. Deine Gebete werden im Himmel alle aufbewahrt, und werden sie auch nicht sogleich erhört, so werden sie nicht vergessen, sondern werden in einer Kürze erfüllt werden zu deiner Freude und Befriedigung. Lass dir dein Zagen und Zweifeln den Mund nicht stopfen, sondern fahre inständig fort mit ernstlichem Flehen. "Er wird dir gnädig sein, wenn du rufst; Er hat sich aufgemacht, dass Er sich deiner erbarme."

"Ein Mann wird sein wie eine Zuflucht vor dem Wind und ein Schirm vor dem Platzregen."

Jes. 32, 2.

Wer dieser M a n n ist, wissen wir alle. Wer könnte es anders sein als der zweite Mensch, der Herr vom Himmel, der Mann der Schmerzen, der Menschensohn! Was für eine Zuflucht ist er seinem Volk gewesen! Er ist der vollen Kraft des Windes ausgesetzt und schützt so diejenigen, die sich in ihm bergen. Wir s i n d so dem Zorn Gottes entronnen, und wir sollen dem Zorn der Menschen, den Sorgen dieses Lebens und den Schrecken des Todes entrinnen. Warum stehen wir im Wind, wenn wir doch so leicht und so sicher aus demselben herauskommen können, indem wir uns hinter unserem Herrn verbergen?! Lasst uns heute zu ihm flüchten und in ihm tiefen Frieden genießen!

Häufig erhebt sich der gewöhnliche Wind des Leidens zu seiner vollen Stärke und wird zum Sturm, der alles vor sich hinfegt. Dinge, die fest und dauerhaft aussahen, schwanken im Windstoß, und viele unserer fleischlichen Zuversichten tun einen großen Fall. Unser Herr Jesus, der glorreiche Mann, ist ein Schirm, der niemals umgeweht wird. In ihm verborgen, sehen wir den Sturm vorüberrasen, aber wir selber ruhen in köstlichem Frieden.

So wollen wir uns heute in unserem Zufluchtsort bergen und unter dem Schirm unseres Heilands Loblieder singen. Teurer Jesus! Wie lieben wir dich! Du bist uns ein Schutz in Zeiten des Sturmes!

"Mein Volk wird in Häusern des Friedens wohnen, in sichern Wohnungen und in stolzer Ruhe."

Jes. 32, 18.

Friede und Ruhe sind nicht der Unwiedergeborenen Eigentum, sie sind das besondere Erbteil der Kinder Gottes, ihr ausschließlicher Besitz. Der Herr des Friedens gibt vollkommenen Frieden denen, deren Herzen sich auf Ihn verlassen. Als der Mensch noch im Stande der Unschuld lebte, gab ihm sein Gott die blumigen Auen des Gartens Eden zur Wohnung des Friedens; ach, wie bald hat die Sünde den schönen Wonneaufenthalt zerstört! Am Tage jenes großen Gerichts, da die Sündflut ein ganzes sündiges Geschlecht hinwegraffte, war die auserwählte Familie völlig geborgen in der sichern Wohnung der Arche, welche sie von der alten, verurteilten Welt zur neuen Erde des Regenbogens und Friedensbundes hinübertrug, zum Vorbild des Heils in Jesu, unsrer Rettungsarche. Israel wohnte im Frieden unter den blutbesprengten Wohnungen Ägyptens, als der Engel der Verwüstung alle Erstgeburt schlug; und in der Wüste gewährte der Schatten der Wolkensäule und der wasserspendende Fels den müden Pilgern köstliche Ruhe. Zu dieser Stunde ruhen wir in den Verheißungen unsres treuen Bundesgottes und wissen, dass sein Wort treu und wahrhaftig ist; wir ruhen im Schatten der Lehre seines Wortes, das uns tröstet; wir ruhen in dem Bund seiner Gnade, welcher uns zum Port der Wonne geschenkt ist. Wir sind herrlicher bewahrt als David in der Höhle Adullam, oder Jonas unter seinem Kürbis, denn niemand kann unsre Ruhestätte stören oder vernichten. Die Person Jesu ist der sichere Ruheort seines Volkes, und wenn wir zu Ihm nahen im Brotbrechen, im Hören seines Wortes, in Betrachtung seiner Heiligen Schrift, im Gebet oder im Lobgesang, so erfahren wir, dass wir in jeder Weise, in welcher wir Ihm nahen, den Frieden unsrer Seele wieder finden.

"Lasst uns des Höchsten Lob und Ruhm

Mit Herz und Mund erheben!

Er hat aus seinem Heiligtum

Den Frieden uns gegeben;

O, lasst uns seine Gnadentat

Mit Dank ausbreiten früh und spat

Durch unser ganzes Leben!"

"Nun will ich aufstehen, spricht der Herr; nun will ich mich emporrichten, nun will ich mich erheben." Jes. 33, 10.

Als die Zerstörer das Land wüste gemacht hatten, wie wenn es von Heuschrecken verheert worden wäre, und die Krieger, die das Land verteidigt hatten, niedersaßen und wie Weiber waren, da kam der Herr zur Hilfe. Als die Wanderer die Straße nach der Stadt Gottes nicht mehr betraten und Basan und Karmel wie Weinberge waren, die keine Frucht mehr trugen, da stand der Herr auf. Gott wird erhöht in einem betrübten Volk, denn sie suchen sein Angesicht und vertrauen ihm. Er wird noch mehr erhöht, wenn er sich auf ihr Rufen erhebt, um sie zu befreien und ihre Feinde zu stürzen.

Ist dieser Tag für uns ein Tag des Leides, so lasst uns erwarten, den Herrn in unserer Befreiung verherrlicht zu sehen! Werden wir zu brünstigem Gebet getrieben, schreien wir Tag und Nacht zu ihm, dann ist die für seine Gnade bestimmte Zeit nahe. Gott wird sich zur rechten Stunde erheben. Er wird aufstehen, wann es am meisten zu seiner Ehre dient. Wir wünschen seine Ehre mehr als unsere eigene Befreiung. Wird der Herr erhöht, so ist unser Hauptwunsch erfüllt.

Herr, hilf uns, so dass wir erkennen können, dass du am Werk bist! Dann wollen wir dich in unserer innersten Seele erheben. Lass alle um uns her erkennen, welch großer und guter Gott du bist!

"Felsen werden seine Feste und Schutz sein. Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat er gewiss."

Jes. 33, 16.

Hast du noch Zweifel, lieber Christ, hast du noch Zweifel, ob auch Gott seine Verheißungen erfüllen wolle? Wird wohl der Sturm die Feste der Felsen wegfegen? Werden des Himmels Vorratskammern sich erschöpfen? Meinst du, dein himmlischer Vater, der wohl weiß, was du bedarfst an Nahrung und Kleidung, werde deiner vergessen? Wenn kein Sperling vom Dache fällt ohne deines Vaters Willen, und auch die Haare auf deinem Haupte alle gezählt sind, wie darfst du noch Zweifel und Misstrauen gegen Ihn hegen? Vielleicht wird deine Trübsal so lange auf dir lasten, bis dass du anfängst auf Gott zu vertrauen, und dann wird sie ein Ende nehmen. Gar viele gibt es, die schwer geprüft und heimgesucht worden sind, bis dass sie zuletzt in gänzlicher Verzweiflung dazu gezwungen wurden, ihr alleiniges Vertrauen auf Gott zu setzen; und der Geburtstag ihres Glaubens ward auch das Fest ihrer Erlösung; sie haben erfahren, ob Gott seine Verheißungen hält oder nicht. Ach, ich bitte dich, zweifle nicht mehr! Lebe nicht dem Satan zu Gefallen, und betrübe dich nicht selbst damit, dass du ferner solche Gottes unwürdige Gedanken hegst.

Glaube nicht, dass es wenig zu bedeuten habe, wenn man Jehovah misstraut. Bedenke, dass es eine Sünde ist, und zwar keine geringe Sünde, sondern eine Sünde der strafwürdigsten Art. Die Engel zweifeln nie an Ihm, auch nicht einmal die Teufel; wir allein unter allen Geschöpfen, die Gott erschaffen hat, verunehren Ihn durch unsern Unglauben, und beflecken seine Ehre durch unser Misstrauen. Schmach über uns um deswillen! Unser Gott hat es nicht um uns verdient, dass wir Ihn so schmählich beschimpfen; in unserm bisherigen Leben haben wir es erfahren, dass Er wahrhaft und treu ist in allem seinem Wort. Und weil Er in unzähligen Fällen seine Liebe und Güte an uns bewiesen hat und noch täglich beweist, so ist es schändlich und verdient keine Entschuldigung, dass wir noch dem geringsten Zweifel in unserm Herzen Raum gestatten. So wollen wir denn fortan kräftig gegen unsre Zweifel an Gott kämpfen, die unsern Frieden und seine Ehre anfechten; und gläubig wollen wir an dem festhalten, dass Er erfüllen wird, was Er verheißen hat. "Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben."

"Der wird in der Höhe wohnen, und Felsen werden seine Feste und Schutz sein. Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat er gewiss."

Jes. 33, 16.

Wem Gott die Gnade gegeben hat, ein neues Leben zu führen, der wohnt in vollkommener Sicherheit.

Er wohnt in der Höhe, über der Welt, außerhalb der Schussweite des Feindes und nahe beim Himmel. Er hat hohe Ziele und Beweggründe und findet hohe Tröstungen und angenehme Gesellschaft. Er frohlockt in den Höhen der ewigen Liebe, in denen er seine Wohnung hat.

Seine Waffen sind Felsblöcke von ungeheuren Ausmaßen. Es gibt ja nichts Festeres im Weltall als die Verheißungen des unwandelbaren Gottes. Sie sind die Leibgarde des gehorsamen Gläubigen.

Versorgt ist er durch die große Verheißung: "Sein Brot wird ihm gegeben." Wie der Feind nicht die Burg erklimmen noch den Wall niederbrechen kann, so kann die Feste auch nicht durch Belagerung und Hunger eingenommen werden. Der Herr, der Manna in der Wüste regnen ließ, wird den Vorrat der Seinen ständig erneuern, wenn sie von solchen umgeben sind, die sie aushungern möchten.

Aber wie, wenn das Wasser fehlen sollte? Das kann nicht sein, denn "sein Wasser hat er gewiss". Es ist ein nie versiegender Brunnen innerhalb der uneinnehmbaren Festung. Der Herr sieht darauf, dass es an nichts mangelt. Niemand kann die Bürger der Stadt Gottes anrühren. Wie grimmig auch der Feind ist, der Herr kann seine Erwählten bewahren.

"Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne."

Jes. 33, 17.

Je mehr Erkenntnis du von Christo hast, umso weniger magst du dich mit einem oberflächlichen Betrachten seines Wesens begnügen; und je tiefer du in die Geheimnisse seines ewigen Testaments, in die Verpflichtungen, die Er als dein ewiger Bürge auf sich genommen hat, und in die Fülle seiner Gnade, die in allen seine Werken zu Vorschein kommt, eindringst, umso wahrhaftiger sehen deine Augen den König in seiner Schöne. Vertiefe dich recht oft in solches Anschauen. Verlange je länger je mehr, den Herrn Jesum zu sehen. Sammlung und Betrachtung sind zuweilen wie Fenster von Kristall und Türen von Glas, durch welche wir den Heiland erblicken. Die Andacht nimmt das Fernrohr zur Hand und zeigt uns den Herrn Jesum deutlicher, als wir Ihn hätten sehen können, wenn wir in den Tagen seines Fleisches gelebt hätten. Ach, dass doch unser Wandel mehr im Himmel wäre, und wir der Person, dem Werk und der Schönheit unsres Fleisch gewordenen Erlösers näher ständen! Mehr Andacht! so wird die Schönheit des Königs mit größerem Glanze auf uns zurückstrahlen. Geliebte, es ist sehr wahrscheinlich, dass uns im Sterben ein so herrliches Anschauen unsres hochgelobten Königs geschenkt wird, wie es uns nie zuvor zuteil ward. Viele sterbende Kinder Gottes haben inmitten des alles verschlingenden Meeressturmes empor geblickt und den Herrn Jesum auf den Wasserwogen wandeln sehen und haben sein Wort vernommen:

"Fürchte dich nicht, ich bin's." Ach ja, wenn die Hülle beginnt zu wanken und Risse gewinnt, dann erblicken wir Christum durch die Lücken, und zwischen dem morschen Gebälke strömt der Sonnenschein des Himmels herein. Wenn wir aber gern "den König in seiner Schöne" von Angesicht zu Angesicht sehen möchten, dann müssen wir diesen Anblick im Himmel suchen, oder der König muss selber zu uns kommen. Ach, dass Er doch käme auf den Fittichen des Windes! Er ist unser Mann, und wir sind verwitwet, wenn Er uns mangelt; Er ist unser teurer und herrlicher Bruder, und ohne Ihn stehen wir vereinsamt; dichte Wolkenschleier hängen zwischen unsren Seelen und ihrem wahren Leben. Wann fliehen die Schatten der Nacht? O langersehnter Tag, wann kommst du doch heran?

"Unser Herz freuet sich seiner."

Ps. 33, 21.

Es ist etwas so Seliges darum, dass sich die Christen auch im tiefsten Elend und im größten Unglück freuen können; obgleich Trübsal sie umgibt, so singen sie dennoch; singen, wie manche Vögel am besten im Käfig. Ob die Wellen immer höher und höher schwellen und hoch über ihr Haupt hinbrausen, so steigt dennoch ihre Seele bald empor zur Oberfläche und schaut das Sonnenlicht vom Angesicht Gottes; sie haben einen Rettungsgurt bei sich, der ihr Haupt allezeit über Wasser erhält und sie trägt, dass sie singen können mitten im Schrecken des Sturmes: "Du, Gott, bist noch bei mir." Wem gebühret nun die Ehre? O, wem anders als Jesu; das alles kommt von Jesu. Trübsal bringt nicht notwendig zugleich den Trost mit für den Gläubigen, aber die Gegenwart des Sohnes Gottes, der bei ihm im Feuerofen stehet, erfüllt sein Herz mit Freude. Er ist krank und leidend; aber Jesus besucht ihn und erquickt ihn auf seinem Siechbette. Er liegt im Sterben, und die kalten schauerlichen Wellen des Jordanstromes umspülen ihn bis an den Mund, aber Jesus fasst ihn in seine Arme und ruft ihm zu: "Fürchte dich nicht, mein Lieber, Sterben ist Erben; die Fluten des Todes haben ihren Quell im Himmel; sie sind nicht bitter, süß sind sie wie Nektar, denn sie entströmen dem Throne Gottes."

Und wenn der scheidende Heilige die Strömung durchschreitet, und wenn sich die Wellen um ihn her auftürmen, und wenn das Herzblut stockt und der Blick erstarrt, dann flüstert ihm dieselbe Stimme ins Ohr: "Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott." Und wenn er den Gestaden der unbekannten Ewigkeit naht, und schon zurückschaudert vor den Toren des Schattenreichs, spricht Jesus: "Fürchte dich nicht, es ist deines Vaters Wohlgefallen, dir das Reich zu geben." So gestärkt und getröstet fürchtet sich der Gläubige nicht, zu sterben; ja, er freut sich abzuscheiden, denn weil er Jesum erblickt hat als den Morgenstern, so sehnt er sich, Ihn anzuschauen und sich an seinem Anblick zu weiden als an einer hell strahlenden Sonne. Wahrlich, die Gegenwart Jesu ist der ganze Himmel, nach dem uns verlangt.

"Jesu, Jesu, komm zu mir,

O, wie sehn' ich mich nach dir!

Jesu, Deine Lieb' allein

Kann mein armes Herz erfreu'n!"

"Aber daselbst wird der mächtige Herr uns ein Ort sein mit breiten Flüssen und Strömen, dass darüber keine Galeere mit Rudern fahren, noch stattliche Schiffe dahin kommen sollen."

Jes. 33, 21.

Der Herr will uns das größte Gut sein ohne einen der Nachteile, welche notwendig mit den besten irdischen Dingen verbunden scheinen. Wenn eine Stadt den Vorteil breiter Flüsse hat, so kann sie leicht durch Galeeren mit Rudern und andere Kriegsschiffe angegriffen werden. Aber wenn der Herr den Überfluss seiner Güte unter diesem Bild darstellt, so trägt er Sorge, ausdrücklich die Furcht zu bannen, welche diese Verheißung einflößen könnte. Gesegnet sei seine vollkommene Liebe!

Herr, wenn du mir Reichtümer gleich breiten Flüssen sendet, so lass nicht die Galeere mit Rudern heraufkommen in Gestalt von Weltlichkeit oder Stolz. Wenn du völlige Gesundheit und ein fröhliches Gemüt verleihst, lass nicht das stattliche Schiff der fleischlichen Gemächlichkeit die steigende Flut hinaufsegeln! Wenn ich Erfolg im heiligen Dienst habe, breit wie der stolze Rhein, so lass mich niemals die Galeere des Dünkels und des Selbstvertrauens auf den Wellen meiner Wirksamkeit schwimmend finden. Sollte ich so überaus glücklich sein, das Licht deines Angesichts Jahr für Jahr zu genießen, so lass mich doch nie deine schwachen Heiligen verachten; lass auch nie zu, dass die eitle Einbildung von meiner Vollkommenheit die breiten Ströme meiner völligen Heilsgewissheit hinaufsegelt! Herr, gib mir den Segen, welcher reich macht und weder Schmerz hinzufügt, noch Sünde fördert.

"Auf wen verlässt du dich denn?"

Jes. 36, 5.

Lieber Bruder, das ist eine höchst wichtige Frage. Höre auf Christliebs Antwort, und siehe, ob's die deinige ist. "Auf wen verlässt du dich?" "Ich verlasse mich," spricht Christlieb, "auf den dreieinigen Gott. Ich vertraue auf den Vater, und glaube, dass Er mich erwählt hat, bevor der Welt Grund gelegt ward; ich glaube zuversichtlich, dass Er nach seiner gütigen Vorsehung für mich sorgt, mich unterweist, mich leitet, mich züchtigt, wo es nötig ist, und mich zu sich heimführt in sein Haus, wo der Wohnungen viele sind. Ich vertraue auf den Sohn, der da ist wahrer Gott aus wahrem Gott, der Mensch Christus Jesus. Ich glaube zuversichtlich, dass Er durch sein blutiges Versöhnungsopfer alle meine Sünden wegnimmt und mich schmückt mit seiner vollkommenen Gerechtigkeit. Ich weiß, dass Er mein Mittler ist und alle meine Bitten und Anliegen vor seines Vaters Thron darbringt, und glaube, dass Er mein Fürsprecher ist am großen jüngsten Tage, mich und meine Sache vertritt und mich rechtfertigt. Ich glaube an Ihn um deswillen, was Er ist, was Er für mich getan hat, und was Er noch für mich zu tun verheißen hat. Und ich vertraue auf den Heiligen Geist, der angefangen hat, mich zu erretten von meiner Erbsünde; ich glaube zuversichtlich, dass Er sie ganz von mir austreiben wird; ich glaube, dass Er mein Gemüt weich machen, meinen Willen beugen, mein Verständnis erleuchten, meine Leidenschaften dämpfen, mich in Verzweiflung trösten, meiner Schwachheit aufhelfen und meine Nacht erhellen wird; ich glaube, dass Er in mir wohnen wird als mein Leben und in mir herrschen als mein König, dass Er mich ganz samt Geist, Seele und Leib heiligen und mich endlich aufnehmen wird, ewiglich zu wohnen mit den Heiligen im Licht."

O seliges, gläubiges Vertrauen! Ihm sich hinzugeben, dessen Macht sich nimmer erschöpft, dessen Liebe nimmer erkaltet, dessen Güte sich nimmer verändert, dessen Treue nimmer wankt, dessen Weisheit unübertroffen bleibt, und dessen vollkommene Herrlichkeit nie abnimmt! Selig bist du, o Mensch, wenn du solches Vertrauen und solche Zuversicht hast! Wenn du dich auf einen solchen Gott verlässt, so hast du schon in diesem Augenblick süßen Frieden zu genießen und danach die Herrlichkeit, und der Grund deines Glaubens wird nimmermehr wanken.

"Die darauf gehen, ob sie auch Toren seien, sollen nicht irren."

Jes. 35, 8.

Der Weg der Nachfolge Jesu ist so gerade und deutlich, dass auch die einfachste Seele nicht irregehen kann, wenn sie ihm beständig folgt. Die Weltlich-Weisen haben viele Windungen und Wendungen, und dennoch machen sie törichte Fehler und verfehlen gewöhnlich ihr Ziel. Weltliche Klugheit ist eine armselige, kurzsichtige Sache, und wenn die Menschen diese als ihren Weg wählen, so führt er sie über dunkle Berge. Begnadigte Seelen wissen nichts Besseres zu tun, als den Weisungen des Herrn zu folgen; und dies hält sie auf des Königs Straßen und unter königlichem Schutz.

Lieber Leser, versuche keinen Augenblick, dich durch Falschheit oder zweifelhafte Handlungen aus einer Schwierigkeit herauszuziehen; bleibe mitten auf der königlichen Straße der Wahrheit und Lauterkeit, dann wirst du die beste, nur mögliche Bahn verfolgen. In unserem Leben dürfen wir uns nie im Kreise drehen, noch an listige Ausflüchte denken. Sei gerecht und fürchte dich nicht! Gehorche Jesus und achte nicht auf schlimme Folgen! Wenn das Schlimmste der Übel durch Unrechttun vermieden werden könnte, so würden wir, indem wir dies versuchten, in ein Übel hineingeraten, das schlimmer wäre, als irgendein anderes sein könnte. Gottes Weg muss der beste sein. Folge ihm, ob auch Menschen dich für einen Toren halten, dann wirst du wahrhaft weise sein!

Herr, führe deine Knechte auf ebenem Pfad, um ihrer Feinde willen!

"Die Tochter Jerusalems schüttelt das Haupt dir nach."

Jes. 37, 22.

Getröstet und aufgerichtet durch das Wort des Herrn, wurden die armen, zitternden Bürger Zions mutig und schüttelten das Haupt als Antwort auf das übermütige Drohen Sanheribs. Ein starker Glaube setzt die Knechte Gottes in den Stand, mit ruhiger Zuversicht auf ihre stolzesten Feinde zu schauen. Wir wissen ja, dass unsre Widersacher sich das Unmögliche vornehmen. Sie suchen das ewige Leben zu vernichten, das nicht sterben kann, so lange Jesus lebt; die feste Burg zu erstürmen, welche auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen sollen. Sie löcken wider den Stachel und verwunden sich damit selbst, sie dringen ein auf den gehärteten Stahl des Schildes Jehovahs und tragen Beulen davon. Wir kennen ihre Schwäche. Was sind sie denn anders als Menschen? Und was ist der Mensch? Ist er nicht ein Wurm? Sie branden und brausen wie wilde Wellen des Meeres, die ihre eigne Schande ausschäumen. Wenn der Herr sich aufmacht, denn werden sie verwehen wie Spreu vor dem Winde, und verzehret werden wie krachende Dornen unter den Töpfen. Ihre äußerste Ohnmacht, Schaden zu tun der Sache Gottes und seiner Wahrheit, kann die schwächsten Streiter in den Reihen des Zionsheeres zum Lachen reizen, jene zum knirschenden Zorn.

Über das alles wissen wir, dass der Höchste mit uns ist, und wenn Er seine Waffen anlegt, wo mögen dann seine Feinde bleiben? Wenn Er hervorgeht aus seinem Ort, werden die irdenen Töpfe nicht mehr lange mit dem Töpfer hadern. Sein eisernes Zepter wird sie zerschlagen, und wie Töpfe wird Er sie zerschmeißen, dass auch ihr Gedächtnis von der Erde verschwinden muss. Darum weg alle Furcht, das Reich ist wohl bewahrt in seines Königs Händen. Lasset uns jauchzen und fröhlich sein, denn der Herr ist König, und seine Feinde werden sein wie Stroh im Feuer.

"Jesus hat alles in mächtigen Händen,

Herrschet auch unter der feindlichen Schar,

Er, der sein Werk wollt' am Kreuze vollenden,

Bietet noch immer sein Leben uns dar.

Die uns hier wehren,

Die uns verstören,

Müssen das Heil uns nur fördern und mehren."

"Denn die Herrlichkeit des Herrn soll geoffenbart werden; und alles Fleisch miteinander wird sehen, dass des Herrn Mund redet."

Jes. 40, 5.

Wir schauen hinaus auf den seligen Tag, wo die ganze Welt wird zu Christo bekehrt sein, wo die Götter der Heiden werden gestürzt und zermalmt werden; wo der Aberglaube wird ausgerottet, und der stolze Wahnglaube vernichtet werden, um nie wieder ihre düsteren Flammen anzuzünden unter den Völkern; wo alle Könige sich beugen werden vor dem Fürsten des Friedens, und alle Völker ihren Heiland selig preisen. Etliche wollen hieran verzweifeln. Sie schauen auf die Welt, wie auf ein scheiterndes Schiff, das in den Fluten untergeht und spurlos verschwindet. Wir aber wissen, dass die Welt und alles, was in derselben ist, einst in Flammen untergehen wird, um einem neuen Himmel und einer neuen Erde Raum zu machen; wir aber können Gottes Wort nicht lesen, ohne die Überzeugung zu gewinnen, dass das Reich und die Macht wird Gottes und seines Christus sein. Wir lassen uns nicht entmutigen durch sein langes Ausbleiben; wir lassen uns nicht zum Zagen verleiten durch den langen Zeitraum, den Er seine Gemeinde lässt ohne sichtbaren Erfolg, ja, mit scheinbarem Unterliegen ringen und kämpfen. Wir glauben, Gott wird nie zugeben, dass diese Welt, welche einst Christi Blut hat vergießen sehen, auf immer des Teufels Bollwerk bleibe. Christus ist gekommen, diese Welt von der unseligen Gewalt der Mächte der Finsternis zu befreien. Was wird das für einen Jubel geben, wenn Menschen und Engel in den Ruf zusammenstimmen: "Halleluja, Halleluja, denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen!" Welch eine Befriedigung werden wir empfinden an jenem Tage, dass wir am Kampfe teilgenommen haben, dass wir geholfen haben, die Pfeile des Bogens zu zerbrechen, die wir Zeugen gewesen sind von dem herrlichen Siege unseres Herrn! Selig, wer sich auf diesen seinen allüberwindenden Herrn verlässt und an seiner Seite kämpft und in seinem Namen und in seiner Kraft sich am Streit beteiligt! Wie unglückselig, wer auf Seiten des Feindes steht! Dort ist sicherer Untergang, ein Unterliegen und eine Verdammnis in alle Ewigkeit. Auf welcher Seite stehest du? "Wer hält mit Jesu Christ das Feld? Der trägt die Kron' als Siegesheld."

"Steige auf einen hohen Berg."

Jes. 40, 9.

Unsre Erkenntnis Jesu Christi hat einige Ähnlichkeit mit dem Besteigen hoher Gebirge. Wenn ihr euch am Fuß eines Berges befindet, so seht ihr wenig; der Berg selber erscheint euch kaum halb so hoch, als er in Wirklichkeit ist. Umschlossen von einem engen Tal, erblickt ihr kaum etwas andres, als die rauschenden Bäche, die hinabstürzen, um sich in den Strom zu ergießen, der sich in der Tiefe der Ebene hinwälzt. Erklettert jetzt den ersten aufragenden Hügel, so erweitert und dehnt sich das Tal unter euren Füßen. Geht weiter hinauf, und ihr überschauet die Gegend auf stundenweite Entfernung in die Runde, und werdet mit Entzücken erfüllt über die erweiterte Aussicht. Steigt immer höher, und die Aussicht wird noch großartiger; bis endlich, wenn ihr auf dem Gipfel angelangt seid, und nach Ost und West, nach Nord und Süd euch umschaut, ihr ein weites Ländergebiet unter euch ausgebreitet seht. Dort liegt ein Wald, Tagereisen weit von uns entfernt, auf blassem Bergesrücken, hier unten ein See, wie ein Spiegel hingegossen, dort schlängelt sich der silberne Faden eines Flusses zwischen lachenden Gefilden hindurch, und vor uns erheben sich die träge rauchenden Kamine einer betriebsamen Fabrikstadt, oder es drängen sich die Maste der Schiffe im dammumgürteten Hafen zusammen. Das alles gefällt und erfreut euch, und ihr ruft aus: "Wer hätte geglaubt, dass sich auf dieser Höhe eine so herrliche Aussicht biete?" Nun wohl, des Christen Leben entfaltet sich in der nämlichen Ordnung.

Wenn wir anfangen, an Christum zu glauben, so sehen wir nur wenig von Ihm. Je höher hinan wir steigen, umso mehr Schönheiten entdecken wir an Ihm. Aber wer hat je den Gipfel erreicht? Wer hat alle Höhen und Tiefen der Liebe Christi erkannt, die alle Erkenntnis übersteigt? Als Paulus alt geworden war und mit weißen Silberlocken in einem kalten, feuchten Kerker zu Rom saß, da konnte er mit größerem Recht als wir ausrufen: "Ich weiß, an welchen ich glaube;" denn jede Erfahrung war für ihn das Ersteigen eines Hügels, jede Prüfung das Erklimmen eines neuen Gipfels, und sein Tod erschien ihm wie das Erreichen der höchsten Höhe des Gebirges, von welchem aus er die ganze Treue und Liebe Dessen überblicken konnte, dem er seine Seele übergeben hatte. Steige, o lieber Freund, auf einen hohen Berg.

"Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, dass Er uns lehre seine Wege."

"Steige auf einen hohen Berg."

Jes. 40, 9.

Jeder Gläubige sollte nach Gott dürsten, nach dem lebendigen Gott, und Verlangen tragen, auf den Berg des Herrn zu gehen, und Ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Wir sollten uns nicht mit den Dünsten der Tiefe begnügen, wenn der Gipfel des Berges Tabor uns winkt. Meine Seele sehnt sich nach tiefen Zügen aus dem Gnadenbecher, welcher denen bereitet ist, die des Berges Höhe erreichen, und ihr Haupt im Himmel baden. Wie rein und erquickend ist der Tau der Höhen, wie erquickend die Gebirgsluft, wie reich der Ausblick seiner Bewohner, die hinüberschauen nach den Palästen des Neuen Jerusalems! Viele Heilige ergeben sich darein, in den Kohlengruben zu leben, wie Menschen, die nie das Licht der Sonne erblicken, sie leben vom Staub wie die Schlange, während sie die ambrosische Himmelsspeise der Engel genießen könnten; sie tragen willig des Bergmannes Kittel, während sie sich schmücken könnten mit eines Königs Mantel; Tränen entstellen ihr Antlitz, während sie sich salben könnten mit himmlischem Freudenöl. Mancher Gläubige schmachtet im engen und dumpfen Kerker, während er auf des Palastes Zinne wandeln und das gottselige Land und seinen herrlichen Libanon betrachten könnte.

Mache dich auf, gläubige Seele, erhebe dich aus deiner Dunkelheit! Wirf deine Trägheit, deine Unbeweglichkeit, deine Kälte und alles, was deine reine und zarte Liebe zu Christo, deinem Bräutigam, hindern mag, hinter dich. Mache Ihn zur Quelle, zum Mittelpunkt und zum Umfang der Wonne und Freude deiner Seele. Was verzaubert dich zu solcher Torheit, dass du in der Grube sitzen magst, statt auf dem Throne zu ruhen? Lebe nicht in den Niederungen der Sklaverei jetzt, da dir das Hochland der Freiheit zu Eigen gegeben ist. Lass dich nicht länger von deinen kleinlichen Rücksichten gefangen nehmen, sondern dringe voran zu höheren himmlischen Dingen. Strebe nach einem höheren, edleren, volleren Leben. Empor zum Himmel!

"Auf, hinauf zu deiner Freude,

Meine Seele, Herz und Sinn!

Weg mit allem ird'schen Leide,

Auf, zu deinem Jesu hin!

Er ist deines Lebens Sonne,

deine Freude, deine Wonne."

"Er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen."

Jes. 40, 11.

Wer ist es, der mit solchen gnadenreichen Worten gepriesen wird? Er ist der gute Hirte. Warum trägt Er die Lämmer in seinem Busen? Weil Er ein zärtliches Herz hat, und jede Schwachheit Ihm sogleich das Herz zerschmelzt. Die Seufzer, die Unwissenheit, die Schwachheit der Kleinen in seiner Herde bewegten Ihn zum Mitleid. Es ist sein Amt, als ein treuer Hoherpriester acht zu haben auf die Schwachen. Zudem hat Er sie mit seinem Blut erkauft, sie sind sein Eigentum; Er will und muss sich derer annehmen, die Ihn einen so teuren Preis gekostet haben. Dann ist Er auch verantwortlich für ein jedes Lamm; Er ist kraft seines Testamentes und Bundes verpflichtet, ihrer keines zu verlieren. Endlich sind sie sein Ruhm und sein Lohn.

Wie aber haben wir den Ausdruck zu verstehen: "Er wird sie tragen?" Oft trägt Er sie, weil Er nicht zulässt, dass sie viel Trübsal leiden. Die Vorsehung geht zart mit ihnen um. Oft werden sie "getragen", weil Er sie mit einem ungewöhnlichen Maß seiner Liebe erfüllt, so dass sie sich aufrichten und feststehen. Ob auch ihre Erkenntnis nicht tief ist, so haben sie doch große Freude an dem, was sie erkannt haben. Häufig "trägt Er sie", indem Er ihnen einen recht einfältigen Glauben schenkt, der die Verheißung gerade so nimmt, wie sie geschrieben steht, und mit jeder Prüfung sogleich zu ihrem Jesus eilt. Die Einfalt ihres Glaubens verleiht ihnen ein ungewöhnlich zuversichtliches Vertrauen, das sie über die Welt erhebt.

"Er trägt die Lämmer in seinem Busen." Hier ist eine unbegrenzte Liebe. Würde Er sie in seinen Busen nehmen, wenn Er sie nicht sehr lieb hätte? Hier ist zarte Innigkeit: sie sind Ihm so nahe, dass sie Ihm gar nicht näher sein könnten. Hier ist geheiligte Vertraulichkeit: ein köstlicher Liebesverkehr findet zwischen Christo und seinen Lämmern statt. Hier ist völlige Sicherheit: wer kann sie in seinem Busen beschädigen? Hier ist vollkommenste Ruhe und süßester Friede. Wahrlich, wir sind nicht zart fühlend genug für die unendliche Zärtlichkeit Jesu! Wie wohl sollte uns sein, dass Er uns in seine Arme nimmt und in seinem Busen trägt!

"Er wird die Lämmer in seine Arme sammeln."

Jes. 40, 11.

Unser guter Hirte hat unter seiner Herde Schafe von gar verschiedener Gemütsart; etliche sind stark im Herrn, andre sind schwach im Glauben; aber Er macht keinen Unterschied in der Sorgfalt, mit der Er über alle seine Schäflein wacht, und das schwächste Lamm ist Ihm so teuer als das kräftigste der Herde. Lämmer gehen gern hintendrein, verirren sich leicht von den übrigen und sind bald müde; aber vor allen Gefahren dieser Schwäche bewahrt sie der Hirte mit seinem mächtigen Arm. Er findet wiedergeborne Seelen, welche als junge Lämmer in großer Gefahr stehen umzukommen, die ernährt Er bis sie erstarken. Er findet schwache Gemüter, welche beinahe die Besinnung verlieren und fast sterben; die tröstet Er und erneuert ihre Kräfte. Er sammelt alle die Kleinen, denn es ist nicht unsers himmlischen Vaters Wille, dass derselben eines verloren gehe. Was für ein wachsames Auge muss Er haben, um sie alle zu beobachten! was für ein zärtliches Herz, um für alle zu sorgen! was für einen weitreichenden und mächtigen Arm, um sie alle zu sammeln! In seinen irdischen Tagen war Er ein großer Sammler der Schwachen, und jetzt, da Er im Himmel wohnt, wallt Ihm sein liebendes Herz gegen die Demütigen und Zerknirschten, die Furchtsamen und Schwachen, die Geängstigten und Ohnmächtigen hienieden.

Wie liebevoll hat Er mich zu sich gesammelt, zu seiner Wahrheit, zu seinem Blut, zu seiner Liebe, zu seiner Gemeinde! Mit welcher überwältigenden Gnade hat Er mich gezwungen, zu Ihm zu kommen! Wie oft hat Er mich seit meiner ersten Bekehrung wieder von meinen Verirrungen herumgeholt und mich immer wieder in seine ewigen Arme eingeschlossen! Und das Beste ist, dass Er dies alles selber tut und seine Liebespflicht auf keinen andern überträgt, sondern sich herablässt, seinen unwürdigen Knecht zu erretten und zu bewahren. Wie kann ich Ihn genug dafür lieben oder Ihm würdiglich dienen? Ich möchte so gern seinen Namen verherrlichen bis ans Ende der Welt; aber was vermag meine Schwachheit für Ihn? Großer Hirte, füge deinen Gnadenbeweisen auch noch den bei, dass du mir mögest ein Herz schenken, das dich treuer liebt. Lass mich nicht, und tue nicht von mir die Hand ab, Gott, mein Heil!

"Lass die Völker sich stärken."

Jes. 41, 1.

Alles Irdische bedarf der Stärkung und Erneuerung der Kräfte. Kein Geschöpf hat den Grund seines Fortbestehens in sich selber. "Du erneuerst die Gestalt der Erde" , ruft der Psalmist aus. Auch die Bäume, die weder mit Sorgen noch mit Arbeit ihr Leben verzehren, müssen vom Tau des Himmels trinken und aus den verborgenen Schätzen der Tiefen ihre Nahrung aufsaugen. Die Zedern auf Libanon, die Gott gepflanzt hat, leben nur fort, weil sie Tag für Tag mit neuen Säften aus dem Schoß der Erde genährt werden. So kann auch das menschliche Leben nur durch göttliche Stärkung erhalten werden. Gleichwie man die verbrauchten Kräfte des Leibes durch öfters Essen und Trinken immer und immer wieder ersetzen muss, so müssen wir die Kräfte unsres Geistes und unsrer Seele allezeit kräftig erhalten durch Nahrung aus dem Wort Gottes oder durch die trostreiche Predigt des Evangeliums oder durch die erquickende Speise des heiligen Abendmahls. Wie leidet unser Seelenzustand sobald Not, wenn die Gnadenmittel vernachlässigt werden! Wie siechen manche Kinder Gottes so armselig dahin, weil sie lässig sind im Gebrauche des Wortes Gottes und des stillen Gebets im Kämmerlein! Wenn unser Glaube ohne Gott leben kann, dann stammt er nicht aus Gott; dann ist er nur ein Traum; denn wenn er aus Gott geboren ist, so harret er des Herrn, wie die Blumen des Taues. Ohne beständige Erneuerung sind wir nicht vorbereitet auf die beständigen Anfechtungen der Hölle, oder auf die schweren Heimsuchungen des Himmels, oder selbst auf die inneren Kämpfe.

Wenn sich die Windsbraut erhebt, dann wehe dem Baum, der sich nicht am neuen Saft gekräftigt und den Fels mit all seinen Wurzeln umschlungen hat. Wenn der Sturm tobt, dann wehe den Schiffsleuten, die ihren Mast nicht befestigt, ihren Anker nicht ausgeworfen, den sichern Hafen nicht gesucht haben. Wenn wir das Gute darben lassen, dann wuchert sicher das Böse in uns und sucht uns im verzweifelten Kampfe zu überwinden; und wer weiß, welche furchtbare Verzweiflung und schreckliche Ungnade uns dann überfällt. So wollen wir uns denn in demütiger Bitte dem Fußschemel der göttlichen Gnade nahen, auf dass sich die Verheißung an uns erfülle: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft."

"Mein Knecht, den ich erwählt habe."

Jes. 41, 8.

Wenn wir die Gnade Gottes empfangen haben in unsre Herzen, so wirkt sie in uns dahin, dass wir Gottes Knechte werden. Wir sind vielleicht ungetreue Knechte, jedenfalls sind wir unnütze Knechte; aber dennoch, sein Name sei dafür gepriesen, sind wir seine Knechte; wir tragen sein Dienstkleid, wir essen an seinem Tische und gehorchen seinen Geboten. Einst waren wir Knechte der Sünde, aber der uns frei gemacht hat, hat uns nun in sein Haus aufgenommen und hat uns Gehorsam gegen seine Gebote gelehrt. Wir dienen unserm Meister nicht vollkommen, aber wir möchten es, wenn wir könnten. Wenn wir Gottes Stimme uns zurufen hören: "Du sollst mein Knecht sein," so können wir mit David antworten: "Ich bin dein Knecht, du hast meine Bande zerrissen." Aber der Herr nennt uns nicht bloß seine Knechte, sondern seine Erwählten: "Den ich erwählet habe." Nicht wir haben Ihn zuerst erwählt, sondern Er hat uns erwählt. Wir sind jetzt Gottes Knechte, so sind wir es nicht von jeher gewesen; die selige Umwandlung müssen wir der unumschränkten Gnade zuschreiben.

Das Auge der Unumschränktheit hat uns ausersehen, und die Stimme der unwandelbaren Gnade hat bezeugt: "Ich habe dich je und je geliebet." Lange bevor Zeit oder Raum ins Dasein gerufen war, hatte Gott die Namen seines auserwählten Volkes auf sein Herz eingegraben und sie zuvor verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, und hat sie eingesetzt zu Erben der ganzen Fülle seiner Liebe, seiner Gnade und seiner Herrlichkeit. Welch ein Trost liegt hierin! Hätte der Herr uns so lange geliebt, um uns wieder zu verwerfen? Er wusste, wie halsstarrig wir sein würden; Er erkannte, dass unsre Herzen böse waren, und dennoch traf Er seine Wahl. O, unser Heiland ist kein wetterwendischer Freund. Er fühlt sich nicht eine kleine Weile entzückt von etlichen Strahlen der Schönheit von den Augen seiner Brautgemeinde und verwirft sie nachher um ihrer Untreue willen. Nein, Er hat sie sich vertrauet in Ewigkeit. Die ewige Erwählung ist eine Handschrift auf unsre Dankbarkeit und auf seine Treue, die sich nicht verleugnen kann. "Wer nach der Gnadenwahl auf diesem Felsen stehet, Der stehet fest, wenn alles untergehet."

"Ich stärke dich."

Jes. 41, 10.

Gott hat einen starken Rückhalt für die Erfüllung dieser Verpflichtung, die Er auf sich genommen hat; denn Er vermag alles, Er ist allmächtig! Gläubige Seele, bevor du nicht kannst den Ozean der Allmacht ausschöpfen, ehe du nicht imstande bist, die diamantnen Gebirgs-Riesen der allmächtigen Kraft zu zertrümmern, darfst du dich nicht fürchten. Glaube nicht, dass je eines Menschen Vermögen die Macht des Allmächtigen überwinde. So lange die gewaltigen Pfeiler der Erde feststehen, hast du Grund genug, in deinem Glauben fest zu beharren. Derselbe Gott, der die Erde in ihrer Bahn steuert, der die brennende Glut der Sonne ernährt, und die himmlischen Lichter unterhält, hat auch verheißen, Er wolle dich täglich stärken. So lange Er vermag, das Weltall in seinem Bestand zu erhalten, so lange lass dir nicht im Traum einfallen, es möchte Ihm unmöglich werden, seine Verheißungen zu erfüllen. Denke daran, was Er vorzeiten getan hat, in den Tagen früherer Geschlechter. Gedenke des, dass Er sprach, so geschah's; dass Er gebot, so stand es da.

Sollte Er, der die Welt erschaffen hat, je müde werden? Er hänget die Erde an nichts; sollte Er, der solches tun konnte, nicht fähig sein, auch seine Kinder zu tragen? Sollte Er darum können seinem Worte untreu werden, dass es Ihm an Kraft gebräche? Wer herrschet im Wetter und gebietet den Stürmen? Fähret Er nicht daher auf den Fittichen des Sturmwindes, und machet die Wolken zu seinem Wagen, und hält das Meer in seiner Hand? Wie könnte es Ihm mit dir denn misslingen? Wenn Er eine solche treue Verheißung geschenkt hat, wie diese, kannst du da auch nur einen Augenblick noch dem Gedanken Raum geben, Er hätte mehr verheißen, als Er halten könne, Er sei weiter darin gegangen, als es Ihm seine Kraft gestatte! O, nie, nie! Du kannt nicht länger zweifeln.

"Er stärket mich nach seinem Wort!

Ich trau' auf diesen starken Hort:

Gott ist getreu."

O du, der du mein Gott und meine Stärke bist, ja, ich darf glauben, dass diese Verheißung mir wird in Erfüllung gehen, denn das endlose Meer deiner Gnadenfülle kann nie erschöpft werden, und der überfließende Strom deiner Stärke kann nie und nimmer ausgetrunken werden von deinen Freunden, noch in seinem Lauf aufgehalten werden von deinen Feinden.

"Ich stärke dich."

Jes. 41, 10.

Wenn wir berufen werden, zu dienen oder zu leiden, so überschlagen wir unsere Stärke und finden sie geringer, als wir glaubten, und geringer, als uns Not tut. Das soll uns jedoch nicht entmutigen, solange wir ein Wort wie dieses haben, um uns daran zu halten, denn es verbürgt uns alles, dessen wir nur bedürfen können. Gott hat unerschöpfliche Kraft; diese Kraft kann er uns mitteilen; und er hat verheißen, es zu tun. Er will die Speise unserer Seele sein und die Gesundheit unseres Herzens, und so will er uns Kraft geben. Niemand vermag zu sagen, wie viel Kraft Gott in einen Menschen hineinlegen kann. Wenn die göttliche Stärke kommt, so ist die menschliche Schwäche kein Hindernis mehr.

Erinnern wir uns doch an Zeiten der Arbeit und der Trübsal, in denen wir so besondere Kraft empfingen, dass wir über uns selber staunten. Inmitten der Gefahr waren wir gelassen, beim Verlust unserer Lieben waren wir ergeben, bei Verleumdungen waren wir gefasst, und in Krankheit waren wir geduldig. Die Wahrheit ist, dass Gott uns unerwartete Kraft gibt, wenn ungewöhnliche Prüfungen über uns kommen. Wir erheben uns über unser schwaches Ich hinaus. Feiglinge werden Männer, den Törichten wird Weisheit gegeben, und die Schweigsamen empfangen zu derselben Stunde, was sie reden sollen. Meine Schwachheit lässt mich zurückbeben, aber Gottes Verheißung macht mich tapfer. Herr, stärke mich "nach deinem Wort".

"Ich helfe dir."

Jes. 41, 10.

Die erste Verheißung sicherte uns Kraft zu für das, was wir zu tun haben, aber die zweite verbürgt uns Beistand in Fällen, wo wir nicht allein zu handeln vermögen. Der Herr sagt: "Ich helfe dir." Die innere Kraft wird ergänzt durch äußere Hilfe. Gott kann uns Bundesgenossen in unserem Krieg erwecken, wenn es ihm also wohlgefällig ist; wenn er uns aber keinen menschlichen Beistand sendet, so will er selber an unserer Seite sein, und das ist noch besser. Unser erhabener Bundesgenosse ist besser als Legionen sterblicher Helfer.

Seine Hilfe kommt zur rechten Zeit: "eine ganz nahe Hilfe in der Zeit der Not"
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#2
Rolf

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C.H.Spurgeon



Betrachtungen zum Buch Jesaja


Teil 2





"Ich will meinen Geist auf deinen Samen gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen."

Jes. 44, 3.

Unsere Kinder haben den Geist Gottes nicht von Natur, wie wir deutlich wahrnehmen. Wir sehen vieles in ihnen, was uns für ihre Zukunft fürchten lässt, und dies treibt uns zu angstvollem Gebet. Gerät ein Sohn auf verkehrte Wege, so flehen wir mit großem Ernst, dass Gott ihn zurückbringen möge. Wir sähen lieber, dass unsere Töchter Beterinnen als dass sie Kaiserinnen wären. Dieser Spruch sollte uns sehr ermutigen. Er folgt auf die Worte: "Fürchte dich nicht, mein Knecht!", und er mag wohl unsere Furcht bannen.

Der Herr will seinen Geist geben, will ihn reichlich geben, will ihn ausgießen, will ihn kräftig geben, so dass es ein wirklicher und ewiger Segen sein soll. Unter diesem göttlichen Ausgießen sollen unsere Kinder vortreten und es wahr machen: "Dieser wird sagen: Ich bin des Herrn, und jener wird genannt werden mit dem Namen des Herrn."

Dies ist eine von den Verheißungen, betreffs welcher "der Herr sich fragen lassen will". Sollten wir nicht zu festgesetzten Zeiten und in bestimmter Weise für unsere Kinder beten? Wir können ihnen keine neuen Herzen geben, aber der Heilige Geist kann es; und ihn können wir leicht darum anflehen. Der himmlische Vater hat Wohlgefallen an den Gebeten von Vätern und Müttern. Haben wir irgendwelche Lieben außerhalb des Herrn? Lasst uns nicht ruhen, bis sie durch des Herrn Hand mit uns darin eingeschlossen sind!

"Ich will deiner nicht vergessen."

Jes. 44, 21.

Unser Herr kann seiner Knechte nicht so vergessen, dass er aufhören sollte, sie zu lieben. Er wählte sie nicht "auf Zeit", sondern auf ewig. Er wusste, was sie sein würden, als er sie berief. Er vertilgt ihre Sünden wie eine Wolke, und wir mögen gewiss sein, dass er sie nicht hinausstoßen wird um der Missetaten willen, die er ausgetilgt hat. Es würde Lästerung sein, sich so etwas vorzustellen.

Er will sie nicht so vergessen, dass er aufhört, an sie zu denken. Ein Augenblick des Vergessens von Seiten Gottes würde unser Verderben sein. Deshalb spricht er: "Ich will deiner nicht vergessen." Menschen vergessen uns; die, denen wir wohl getan haben, wenden sich gegen uns. Wir haben keine bleibende Stätte in den wankelmütigen Herzen der Menschen, aber Gott wird nie einen seiner wahren Knechte vergessen. Er bindet sich an uns durch das, was er für uns getan hat. Wir sind zu lange geliebt und für einen zu großen Preis erkauft worden, als dass wir je vergessen werden könnten. Jesus sieht in uns das, wofür seine Seele gearbeitet hat, und dies kann er nie vergessen. Der Vater sieht in uns die Braut seines Sohnes, und der Geist sieht in uns sein eigenes Werk. Der Herr gedenkt an uns. Heute sollen wir Hilfe und Stärkung finden. O, dass wir des Herrn nie vergessen möchten!

"Ich vertilge deine Missetaten wie eine Wolke und deine Sünden wie den Nebel. Kehre dich zu mir, denn ich erlöse dich!"

Jes. 44, 22.

Das ist in der Tat ein herrliches Wort. Welch eine vollkommene Vergebung ist hier den sündigen Menschen verheißen! Die Sünde soll völlig hinweggenommen werden, dass sie nicht gefunden werden kann, so wie der Nebel von der Sonne verjagt wird, dass keine Spur von ihm zurückbleibt.

Satan sucht Sünden aus, deren er uns anklagen kann, unsere Feinde suchen sie, um uns dafür zu tadeln, und sogar unser eigenes Gewissen sucht sie mit krankhaftem Eifer. Aber wenn der Herr es mit dem teuren Blut Jesu deckt, dann fürchten wir keine Form des Nachsuchens, denn es wird keine da sein, es wird keine gefunden werden. Der Herr hat veranlasst, dass die Sünden seines Volkes verschwunden sind. Er hat dem Übertreten ein Ende gemacht und die Sünde getilgt. Das Opfer Jesu hat unsere Sünde in die Tiefe des Meeres geworfen. Das erfüllt unsere Herzen mit Jubel.

Der Grund für diese Austilgung der Sünde liegt darin, dass Gott seinen Erwählten vergibt. Sein Gnadenwort ist nicht nur königlich, sondern göttlich. Er spricht die Absolution aus, und wir sind absolviert. Er nimmt die Sühne an, und von der Stunde an sind die Seinen über alle Furcht der Verdammung hinaus. Gelobt sei der Name des sündetilgenden Gottes!

"Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke, und deine Sünde wie den Nebel. Kehre dich zu mir, denn ich erlöse dich."

Jes. 44, 22.

Habt sorgfältig acht auf den lehrreichen Ausdruck der Vergleichung: Unsre Sünden sind wie der Nebel. Gleichwie der Nebel mancherlei Gestalt und Schattierung hat, so sind auch unsre Übertretungen. Gleichwie die Wolken das Licht der Sonne verhüllen und die Gegend mit Dunkel bedecken, so verhüllen unsre Sünden uns das Licht vom Angesicht des Herrn Jehovah und machen, dass wir im Schatten des Todes sitzen. Sie sind irdischen Ursprungs und steigen empor aus den Sümpfen unsrer Natur; und wenn sie sich mehren, bis ihr Maß voll ist, so bedräuen sie uns mit Sturm und Ungewitter. Ach, leider spenden uns unsre Sünden, so gar anders als die Wolken, keine befruchtenden Regenströme; vielmehr drohen sie, uns mit einer furchtbaren Zerstörungsflut zu begraben.

Aber lassen wir unsern freudigen Blick dankbar auf der großen Tat der göttlichen Gnade ruhen: "Ich vertilge." Gott selber erscheint in seinem unendlichen Wohlwollen auf dem Schauplatz, um - nicht seinen Zorn zu zeigen, sondern - seine Gnade zu offenbaren. Mit einem Mal und auf immer beseitigt Er das Unglück, nicht dadurch, dass Er die Wolke bloß vertreibt, sondern dass Er sie ein für alle Mal aus dem Dasein vertilgt. Gegen den gerechtfertigten Menschen bleibt keine Sünde übrig, das große Ereignis am Kreuzesholz hat alle seine Missetaten auf ewig hinweggetan. Auf dem Gipfel Golgatha ward die große Tat, durch welche die Sünde aller Auserwählten auf immer ausgetilgt ward, völlig und wirklich vollbracht.

Und achten wir nun zu unserm Heil auf das gnadenreiche Gebot: "Kehre dich zu mir." Warum sollten gerechtfertigte Sünder noch ferne von ihrem Gott leben? Sind uns alle unsre Sünden vergeben, so soll uns keine Gesetzesfurcht mehr abhalten, frei und froh zu unserm Herrn zu kommen. Rückfälle werden wir wohl zu beweinen haben, aber wir wollen uns nicht von ihnen lassen gefangen halten. Wir wollen aus aller Macht suchen, in der Kraft des Heiligen Geistes zu größtmöglicher Innigkeit des Umganges mit dem Herrn zurückzukehren. O Herr, tröste und erquicke uns in dieser Nacht!

"Ich bin der Herr, der die Zeichen der Wahrsager zunichte macht."

Jes. 44, 25.

Wie sollte dies alle albernen und abergläubischen Befürchtungen mit der Wurzel ausrotten! Selbst wenn irgendetwas Wahres an Zauberei und an Omen wäre, so könnte es doch nicht das Volk Gottes berühren. Die, welche Gott segnet, können alle Teufel nicht verfluchen.

Ungöttliche Menschen wie Bileam mögen listig Pläne ersinnen, das Volk des Herrn zu vernichten; aber mit all ihrer Heimlichkeit und Schlauheit sind sie doch dazu verurteilt, dass ihnen alles fehlschlägt. Ihr Pulver ist nass, die Spitze ihres Schwertes ist stumpf. Sie kommen zusammen; aber da der Herr nicht mit ihnen ist, so kommen sie vergeblich zusammen. Wir mögen stillsitzen und sie ihre Netze legen lassen, denn wir werden nicht darin gefangen werden. Ob sie Beelzebub zu . Hilfe rufen und alle seine Schlangenlist aufwenden, so wird es ihnen nichts nützen; der Zauber wird nicht wirken, die Wahrsagerei wird sie betrügen. Was für ein Segen ist dies! Wie beruhigt es das Herz! Wahre Beter ringen mit Gott, aber niemand soll mit i h n e n ringen und obsiegen. Gottes Kinder haben Macht bei Gott und siegen ob; aber niemand soll Macht haben, sie zu besiegen. Wir brauchen weder den bösen Feind selber zu fürchten noch irgendeinen jener geheimen Gegner, deren Worte voll Betrug und deren Pläne tief und unergründlich sind. Sie können denjenigen nicht schaden, die auf den lebendigen Gott vertrauen. Wir trotzen dem Teufel und all seinen Legionen.

"Ich will vor dir hergehen und die Höcker eben machen; ich will die ehernen Türen zerschlagen und die eisernen Riegel zerbrechen."

Jes. 45, 2.

Dies Wort galt Cyrus; aber es ist immerdar das Erbteil aller Diener des Herrn. Lasst uns nur im Glauben voranschreiten, und der Weg wird für uns gebahnt werden. Krümmungen und Wendungen menschlicher Schlauheit und satanischer List sollen für uns gerade gemacht werden; wir sollen es nicht nötig haben, ihren Irrgängen und Windungen zu folgen. Die ehernen Türen sollen zerschlagen und die eisernen Riegel, womit sie befestigt waren, zerbrochen werden. Wir sollen keines Mauerbrechers noch einer Wurfmaschine bedürfen; der Herr will das Unmögliche für uns tun und das Unerwartete geschehen lassen.

Lasst uns nicht in feiger Furcht niedersitzen! Lasst uns auf dem Pfad der Pflicht vorwärts eilen, denn der Herr hat gesprochen: "Ich will vor dir hergehen!" Es ist nicht unsere Sache, zu fragen: Warum? Unsere Sache ist, zu wagen und vorwärts zu dringen. Es ist des Herrn Werk, und er wird uns in den Stand setzen, es zu tun; alle Hindernisse müssen vor ihm weichen. Hat er nicht gesagt: "Ich will die ehernen Türen zerschlagen!"? Was kann seine Absichten verhindern oder seine Ratschlüsse vereiteln? Wer Gott dient, hat unendliche Hilfsquellen. Der Weg ist dem Glauben klar, wenn ihn auch menschliche Macht versperrt. Wenn der Herr spricht: "Ich will!", wie er es in dieser Verheißung zweimal tut, so dürfen wir nicht zweifeln.

"Ich hab nicht zum Samen Jakobs gesagt: Vergeblich sucht ihr mich."

Jes. 45, 19.

Großer Trost kann uns aus der Betrachtung dessen erwachsen, was Gott nicht gesagt hat. Was Er gesagt hat, ist unsäglich voll Trost und Wonne; was Er nicht gesagt hat, gewährt uns kaum weniger reiche Erquickung. Es war eines dieser "Nicht gesagt," welches in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas, das Königreich Israel bewahrte und schützte, denn "der Herr hatte nicht geredet, dass Er wollte den Namen Israel austilgen unter dem Himmel," 2 Kön. 14, 27. In unsrer Schriftstelle tritt uns die Versicherung entgegen, dass Gott Gebet erhören will, weil Er nicht gesagt hat zum Samen Jakobs: "Vergeblich suchet ihr mich." Ihr, die ihr euch selber alles Bittere vorwerft, solltet des eingedenk sein, trotz aller Einreden eurer Zweifel und Befürchtungen, dass kein Grund und Raum zur Verzweiflung vorhanden ist, weil Gott selber euch nicht von seiner Gnade ausgeschlossen hat; denn die Stimme eures Gewissens ist von wenig Gewicht, wenn die Stimme Gottes sie nicht bestätigt. Über das zittere, was Gott gesagt hat!

Aber gib nicht zu, dass deine grundlosen Einbildungen dich mit Trostlosigkeit und sündlicher Verzweiflung überwältigen. Viele zaghafte Seelen sind von dem Verdacht geängstigt worden, dass in Gottes Vorsatz etwas stehen möchte, das sie von aller Hoffnung ausschließe; hier aber haben wir eine vollständige Widerlegung dieser unseligen Befürchtung, denn keiner, der um sein Heil bekümmert ist, ist zum ewigen Zorn bestimmt. "Ich habe nicht in das Verborgene geredet, im finsteren Ort der Erde; ich habe nicht zum Samen Jakobs gesagt, auch nicht einmal im Verborgenen meines unausforschlichen Ratschlusses: Vergeblich suchet ihr mich." Gott hat deutlich geoffenbaret, dass Er das Gebet derer hören will, die Ihn anrufen, und diese Zusicherung kann Er nicht verleugnen. Er hat so bestimmt, so wahrhaftig, so aufrichtig gesprochen, dass für den Zweifel nirgends Raum bleibt. Er offenbart seinen Wunsch und Willen nicht in unverständlichen Worten, sondern Er redet offen und bestimmt: "Bittet, so wird euch gegeben." Glaube, zitternde, zaghafte Seele, glaube diese gewisse Wahrheit, dass das Gebet, wenn's nur ernstlich gemeint ist, erhört wird, und dass der Herr nie spricht: "Vergeblich suchet ihr mich."

"Blickt auf mich, so werdet ihr errettet, all ihr Enden der Erde; denn ich bin Gott und keiner mehr."

Jes. 45, 22.

Dies ist die Verheißung der Verheißungen. Sie bildet die Grundlage unseres geistlichen Lebens. Die Errettung kommt durch einen Blick auf ihn, der ein gerechter Gott und Heiland ist. Wie einfach ist die Anweisung: "Blickt auf mich!" Wie vernünftig ist diese Forderung! Ganz recht, das Geschöpf sollte auf den Schöpfer blicken. Wir haben lange genug woanders hingeblickt, es ist Zeit, dass wir allein auf ihn blicken, der uns hoffen lässt und verheißt, uns sein Heil zu spenden.

Nur ein Blick! Wollen wir nicht jetzt blicken? Wir sollen nichts bringen, sondern nach oben blicken, nach unserem Herrn auf seinem Thron, zu dem er vom Kreuz erhöht wurde. Ein Blick erfordert keine Vorbereitung, keine gewaltsame Anstrengung; es ist weder Witz noch Weisheit, weder Reichtum noch Kraft dazu nötig. Alles, dessen wir bedürfen, ist in dem Herrn, unserem Gott, und wenn wir alles von ihm erwarten, soll dies alles unser sein, und wir sollen errettet sein.

Kommt, ihr Fernstehenden, blickt hierher! Ihr Enden der Erde, wendet eure Augen nach dieser Seite! Wie von den entferntesten Gegenden die Menschen die Sonne sehen und sich ihrer erfreuen können, so könnt ihr, die ihr am Rande des Todes, gerade vor den Pforten der Hölle liegt, durch einen Blick das Licht Gottes empfangen, das Leben des Himmels, die Errettung des Herrn Jesus Christus, welcher Gott ist und deshalb erretten kann.

"Ja, ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich will es tun. Ich will heben und tragen und erretten."

Jes. 46, 4.

Das Jahr ist sehr alt geworden, und hier ist eine Verheißung für unsere greisen Freunde wie für uns alle, die das Alter beschleicht. Wenn wir lange genug leben, werden wir alle graue Haare bekommen; deshalb mag auch uns diese Verheißung ein Gefühl der Versorgtheit geben.

Wenn wir alt werden, wird unser Gott stets noch der "I c h b i n" sein, der immerdar derselbe bleibt. Graue Haare erzählen von unserem Abnehmen, aber Gott nimmt nicht ab. Wenn wir keine Bürde tragen können und kaum uns selber zu tragen vermögen, so will der Herr uns tragen. Gerade wie er uns in unseren jungen Tagen wie Lämmer in seinem Busen trug, so wird er es in den Jahren unserer Gebrechlichkeit tun.

Er schenkte uns das Leben, er wird auch für uns sorgen. Wenn wir unseren Freunden und manchmal auch uns selber eine Last werden, so will doch der Herr uns nicht abschütteln, sondern uns vielmehr heben und tragen und erretten, sorgfältiger denn je. Sehr oft gibt der Herr seinen Knechten einen langen und stillen Feierabend. Sie haben den ganzen Tag schwer gearbeitet und sind in ihres Meisters Dienst alt und schwach geworden, und deshalb spricht er zu ihnen: "Nun ruht im Vorgefühl des ewigen Ruhetages, den ich euch bereitet habe!" Lasst uns das Alter nicht fürchten, sondern mit Grazie alt werden, da der Herr selber in der Fülle seiner gratia (Gnade) bei uns ist!

"Denn du hörtest es nicht, und wusstest es auch nicht, und dein Ohr war dazumal nicht geöffnet."

Jes. 48, 8.

Es ist schmerzlich, wenn man bedenkt, dass diese Anklage im gewissen Sinne den Gläubigen muss zur Last gelegt werden, die allerdings nur zu oft geistlich unempfindlich sind. Wir mögen wohl über uns trauern, dass wir die Stimme Gottes nicht vernehmen, wie wir sollten, "denn du hörtest es nicht." Es kommen in unserm Gemüt zarte Regungen des Heiligen Geistes zum Vorschein, die von uns nicht beachtet werden; die himmlische Liebe und der göttliche Wille flüstern uns Worte zu, die unser abgestumpftes Gemüt ebensowenig wahrnimmt. Ach, wir sind unwissend aus selbstverschuldeter Gleichgültigkeit: "du wusstest es auch nicht." Es gibt Verhältnisse, in die wir uns hätten einen Einblick verschaffen sollen, Übelstände, die unbemerkt um sich gegriffen haben. Liebliche Anlagen kommen um, wie Blüten im Frost, weil wir sie nicht pflegen; göttliche Gnadenblicke entgehen uns, weil wir die Fenster unsrer Seele vermauern. Aber "wir haben es nicht gewusst." Wenn wir daran denken, werden wir in die tiefste Selbstbeschämung eingetaucht. Wie müssen wir die Gnade Gottes bewundernd anstaunen, wenn wir aus dem göttlichen Wort all diese Torheit und Unwissenheit von unsrer Seite kennen lernen, die Gott zum Voraus erkannt hat, während Er trotz dieser Voraussicht so gnädig an uns handelte!

O, betet die wunderbare, unumschränkte Gnade an, die uns trotz alledem erwählt und vorgezogen hat. Staunt über den Preis, der für uns dargelegt ward, als Christus wusste, was aus uns werden würde! Er, der am Kreuze schmachtete, sah unsern Unglauben, unsre Verirrungen, unsre Herzenskälte, unsre Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit, unsre Trägheit zum Gebet zum Voraus; und dennoch sprach Er: "Ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland. Weil du so wert bist vor meinen Augen geachtet, musst du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb; darum gebe ich Menschen an deine statt und Völker für deine Seele!" O göttliche Sühne, wie wunderbar hell strahlst du, wenn wir daran denken, wie wir so schwarz und hässlich sind! O, Heiliger Geist, gib uns von nun an Ohren zu hören und ein verständiges Herz! Und gib uns Müden Kraft, und Stärke genug uns Unvermögenden, deinen Willen zu tun!

"Siehe, ich will dich auserwählt machen im Ofen des Elends."

Jes. 48, 10.

Tröste dich, du schwergeprüfte gläubige Seele, mit dem Gedanken: Gott spricht: "Ich will dich auserwählt machen im Ofen des Elends." Träufelt nicht dies Wort hernieder wie ein sanfter Regen, der die Wut der Flammen dämpft? Ja, ist es nicht ein Schutzkleid von Steinflachs, an welchem des Feuers Wut keine Macht hat? Mag Trübsal kommen, dennoch hat mich Gott auserwählt. Armut, magst du mit schwerem Schritt meine Schwelle betreten, so ist Gott schon vorher in meinem Hause und Er hat mich auserwählt. Krankheit, magst du hereinschleichen, siehe, so ist schon mein Balsam bereit: Gott hat mich auserwählt. Was immer auch über mich kommen mag in diesem Tränental, wo weiß ich, dass Er mich "auserwählt" macht. Liebes Glaubenskind, wenn du noch besseren und größeren Trost bedarfst, o, so bedenke, dass des Menschen Sohn mit dir im Feuerofen ist.

In dieser deiner stillen Kammer sitzt einer bei dir, den du nicht gesehen hast, den du aber liebst, und gar oft, wo du nichts davon ahnst, bettet Er dich weich in deiner Trübsal und legt dir dein Kissen zurecht zum erquickenden Ruhelager. Du bist in großer Armut, aber in deiner einsamen, verlassenen Hütte geht der Fürst des Lebens und der Herrlichkeit fleißig aus und ein. Er kommt gern in diese verachtete Wohnung, um dich heimzusuchen. Dein Freund ist dir ganz nahe. Du kannst Ihn nicht sehen, aber du fühlst seinen warmen Händedruck. Hörest du seine Stimme nicht? Siehe, gerade im finstern Tal der Todesschatten spricht Er zu dir: "Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott." Gedenke an den schönen Ausspruch Cäsars: "Fürchte dich nicht, du trägst Cäsar und sein Glück." Ja, fürchte dich nicht, lieber Christ, dein Jesus ist bei dir. In all deinen heißen Prüfungen ist seine Gegenwart beides, dein Trost und dein Schutz. Nie verlässt Er den, den Er zu seinem Eigentum auserwählt hat. "Fürchte dich nicht, ich bin da," ist sein festes Verheißungswort zu seinen Auserwählten, die im "Ofen des Elends" schmachten. Willst du dich also nicht recht fest an Christo anklammern und sagen:

"Durch Fluten und durch Gluten,

Wenn Du, o Jesu, mir

Vorangehst, folg' ich dir."

"Ich habe dich erwählt im Ofen des Elends." Jes. 48, 10.

Dies Wort hängt seit langem als Wahlspruch an der Wand unseres Schlafzimmers, und in vielerlei Weise ist er auch in unsere Herzen geschrieben. Es ist nichts Geringes, von Gott erwählt zu sein. Solche Wahl macht die Erwählten zu Auserlesenen. Besser, die Erwählten Gottes, als die Erwählten eines ganzen Volkes zu sein. So erhaben ist dieses Vorrecht, dass wir freudig jeden Nachteil annehmen, der damit verbunden sein mag, eben wie die Alten bittere Kräuter aßen um des Osterlammes willen. Wir wählen den Schmelzofen, weil Gott uns darin erwählt.

Wir werden erwählt als Elende, nicht als Glückliche, erwählt nicht im Palast, sondern im Schmelzofen. In diesem Ofen wird die Schönheit entstellt, die Gestalt verunziert, die Stärke geschmolzen, die Herrlichkeit verzehrt, und doch offenbart hier die ewige Liebe ihre Geheimnisse und tut ihre Wahl kund. So ist es mit uns gewesen. In Zeiten der schwersten Leiden hat Gott uns unseren Beruf und unsere Erwählung klargemacht, und wir haben sie festgemacht; dann haben wir den Herrn als unseren Gott erwählt, und er hat uns gezeigt, dass wir ganz gewiss seine Erwählten sind. Darum, wenn der Ofen heute noch siebenmal heißer gemacht wird, wollen wir ihn nicht fürchten, denn der herrliche Sohn Gottes wird mit uns unter den glühenden Kohlen wandeln.

"Ich habe dich zum Bund unter das Volk gestellt."

Jes. 49, 8.

Der Herr Jesus Christus selber ist Summe und Inhalt des Bundes, und als Bundesgabe ist Er Erbe und Eigentum jedes Gläubigen. Du gläubige Seele, vermagst du's zu schätzen, was du in Christo alles empfangen hast? "In Ihm wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig." Betrachte das Wort "Gott" und seine Unermesslichkeit, und dann betrachte, was es heißt: "Vollkommener Mensch", und welche Schönheit dieser Ausdruck birgt; denn alles, was Christus als Gott und als Mensch je hatte oder noch hat und haben kann, ist dein Eigen - dein Eigen aus reiner, freier Gnade, ist dir zugesprochen zum völligen, ewigen Eigentum. Unser hochgelobter Herr Jesus ist als Gott allwissend, allgegenwärtig, allmächtig. Ist's nicht ein großer Trost für dich, dass du nun weißt, alle diese großen und herrlichen Eigenschaften gehören dir? Besitzt Er Macht? Siehe, diese Macht ist dein und trägt und stärkt dich, dass du deine Feinde überwinden und dass du beharren kannst bis ans Ende. Ist Er die Liebe? O, dann ist kein einziger Tropfen Liebe in seinem Herzen, der nicht dir gehört; ja, versenke dich nur ganz ins endlose Meer seiner Liebe; dennoch darfst du sagen: "Sie ist ganz mein." Ist Er gerecht?

Welch ein Ernst drängt sich in dies Wort zusammen, und doch ist auch seine Gerechtigkeit dein Eigentum, denn nach seiner Gerechtigkeit hält Er darauf, dass alle Verheißungen des Gnadenbundes dir unfehlbar in Erfüllung gehen. Und ebenso ist alles, was Er als vollkommener Mensch hat, dein Eigen. Weil Er ein vollkommener Mensch war, ruhte des Vaters Wohlgefallen auf Ihm. Der Höchste hat Ihn mit Freuden auf- und angenommen. Liebe gläubige Seele, Gott hat in Christo dich selber angenommen; denn weißt du nicht, dass die Liebe, mit welcher der Vater den vollkommenen Menschen Jesus umfasst, schon jetzt auch dich überströmt? Denn alles, was der Heiland getan, ist dein. Jene vollkommene Gerechtigkeit, die der Herr Jesus gewirkt hat durch seinen reinen, fleckenlosen Wandel, und womit Er das Gesetz erfüllt und herrlich gemacht hat, siehe, sie ist dein Eigen und wird dir zugerechnet. Christus ist Inhalt und Summe des Bundes.

"Gott mit uns! Jesu! Ursprung aller Dinge!

Lamm, du bist würdig, dass man dich besinge!

Jauchzt Ihm, ihr Himmel, und du Erde, höre

Des Mittlers Ehre!"

"Jauchzt, ihr Himmel, freue dich, Erde; lobt, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden."

Jes. 49, 13.

So süß sind die Tröstungen des Herrn, dass nicht nur die Heiligen selber davon singen, sondern sogar der Himmel und die Erde in den Gesang einstimmen sollen. Es gehört etwas dazu, einen Berg singen zu machen; und doch ruft der Prophet einen ganzen Chor von ihnen auf. Libanon und Sirion und die hohen Berge von Basan und Moab möchte der Prophet singen lassen von der Gnade des Herrn gegen sein Volk. Könnten wir nicht auch Berge der Schwierigkeiten, des Leides, der Dunkelheit und der Arbeit zu Gelegenheiten machen, unseren Gott zu loben? "Lobt, ihr Berge, mit Jauchzen!"

Mit diesem Wort der Verheißung, dass unser Gott sich seiner Elenden erbarmen will, ist ein ganzes Glockenspiel verbunden. Hört die Klänge: "Jauchzt!" "Freue dich!" "Lobt mit Jauchzen!" Der Herr will, dass sein Volk sich freuen soll über seine nie ermüdende Liebe. Er will uns nicht traurig und verzagt sehen; er verlangt von uns die Verehrung gläubiger Herzen. Er kann uns nicht im Stich lassen; warum sollten wir seufzen und stöhnen, als wenn er es tun würde? O, dass wir eine wohlgestimmte Harfe hätten! O, dass wir Stimmen hätten wie die der Cherubim vor dem Thron!

"Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet."

Jes. 49, 16.

Ohne Zweifel ist ein Teil der Verwunderung, die sich in dem Worte "Siehe" kundgibt, durch die ungläubige Klage des vorausgehenden Ausspruchs veranlasst. Zion sprach: "Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen." Wie scheint das göttliche Gemüt ob solchem bösem Unglauben sich so sehr zu entsetzen! Was kann's auch Befremdenderes geben als die grundlosen Zweifel und Befürchtungen der Lieblinge Gottes? Das liebevolle Strafwort des Herrn sollte uns tief beschämen; Er ruft aus: "Wie kann ich dich doch vergessen haben, dieweil ich dich habe in meine Hände gezeichnet? Wie darfst du noch zweifeln, dass ich unaufhörlich deiner eingedenk sei, wenn der Denkbrief in mein Fleisch eingegraben ist?" O Unglaube, was bist du doch für ein unbegreifliches, erstaunliches Ding! Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr verwundern soll, ob über die Treue Gottes oder über den Unglauben seines Volkes. Er hält seine Verheißung zum tausendsten mal, und doch zweifeln wir bei der nächsten Anfechtung wieder an Ihm.

Er versagt seine Hilfe nie; Er ist nie ein versiegter Born; Er ist nie eine untergehende Sonne; Er ist nie eine verglimmende Lichterscheinung, nie ein verschwindender Nebel; und doch lassen wir uns beständig von jeder Sorge in Angst versetzen, lassen uns zu zweifelndem Verdacht hinreißen, lassen uns von Befürchtungen verwirren, als ob unser Gott ein bloßes Luftbild der Wüste wäre. "Siehe", das ist ein Wort, das unsre Bewunderung erwecken soll. Ja, wahrlich, hier ist Ursache, zum höchsten Erstaunen. Himmel und Erde dürfen wohl voller Verwunderung sein, dass Empörern eine so große Gnade zuteil wird und sie so nahe zum Herzen der unendlichen Liebe gezogen und in ihre Hände gezeichnet werden. "Ich habe dich gezeichnet." Es heißt nicht: "Deinen Namen." Der Name steht wohl da, aber das ist nicht alles: "Ich habe dich gezeichnet." Siehe und betrachte diese Fülle! Ich habe deine Person, dein Bild, dein Anliegen, deine Verhältnisse, deine Sünden, deine Versuchungen, deine Schwachheiten, deine Bedürfnisse, deine Werke eingegraben; ich habe dich gezeichnet, alles, was dich angeht, alles, was dich berührt; ich habe dich ganz hierher gesetzt. Willst du nun je wieder sagen, dass dich dein Gott verlassen habe, wenn Er dich in seine eignen Hände gezeichnet hat?

"Der Herr wird mir helfen."

Jes. 50, 7.

Diese Worte reden in prophetischer Vorausschau vom Leiden unseres Heilands am Tage seines Gehorsams bis zum Tode, da er seinen Rücken denen darhielt, die ihn schlugen, und seine Wange denen, die ihn rauften. An diesem Tage hat er den göttlichen Beistand erfahren.

O meine Seele, deine Leiden sind wie das Stäublein an der Waage im Vergleich mit denen deines Heilands! Kannst du nicht glauben, dass der Herr dir helfen wird? Dein Heiland war in einer eigentümlichen Lage; denn da er an Stelle der sündigen Menschen stand - ihr Stellvertreter und Opfer -, war es nötig, dass der Vater sich ihm entzog und dass seine Seele unter dem Gefühl der Gottverlassenheit litt. Dir wird keine solche Notwendigkeit auferlegt; du bist nicht gezwungen, zu rufen: "Warum hast du mich verlassen?" Aber selbst da noch vertraute dein Heiland auf Gott, und du kannst es nicht? Er starb für dich und machte es dadurch unmöglich, dass du allein gelassen würdest; deshalb sei getrost!

Sage auch du bei den Arbeiten und Leiden dieses Tages: "Der Herr wird mir helfen!" Gehe kühn voran! Mache dein Angesicht wie einen Kieselstein und nimm dir vor, dass keine Schwäche noch Furcht dir nahe kommen soll! Wenn Gott hilft, wer kann es vereiteln! Wenn du allmächtigen Beistands gewiss bist, was kann zu schwer für dich sein! Beginne den Tag freudig und lass keinen Schatten von Zweifel zwischen dich und den ewigen Sonnenschein kommen!

"Er macht ihre Wüsten wie Lustgärten."

Jes. 51, 3.

Mir ist, als sähe ich im Gesicht eine weite, wilde Wüste, ein großes und schreckliches Sandmeer wie die Sahara. Ich erblicke nichts in derselben, woran das Auge sich erquicken könnte, ringsum ermattet das Auge vom Anblick heißen, glühenden Sandes, der übersäet ist mit Tausenden gebleichter Gerippe von unglücklichen Menschen, die hier unter unsäglichen Qualen ihren Geist aushauchen mussten, weil sie in der unbarmherzigen Öde ihren Weg verloren hatten. Welch ein entsetzliches Anschauen! Welch ein schreckliches Gesicht, eine unabsehbare Sandwüste, ohne Oase, ein trostloses Leichenfeld für ein verlornes Geschlecht! Aber siehe und staune! Auf einmal sehe ich eine hochberühmte Pflanze aufsprossen aus dem versengenden Sande; und wie sie wächst, treibt sie Knospen; die Knospe entfaltet sich: es ist eine Rose; und ihr zur Seite beugt eine reine Lilie ihr bescheidenes Haupt; und, Wunder über Wunder! wie der Duft dieser Blumen sich verbreitet, verwandelt sich die Wüste in ein fruchtbares Gefilde, und ringsum sprosst es üppig auf, "die Herrlichkeit des Libanons ist ihr gegeben, der Schmuck Karmels und Sarons."

Nenne sie nicht mehr Sahara, nenne sie Paradies. Sprich nicht mehr von ihr, als von dem Tal der Todesschatten; denn wo die Gebeine lagen, von der Sonne gebleicht, siehe, da wird eine Auferstehung verkündigt, und es stehen die Toten auf, ein gewaltiges Heer, voll unsterblichen Lebens. Jesus ist die hochberühmte Pflanze, und seine Gegenwart macht alles neu. Aber das Wunder ist nicht geringer in der Errettung jedes Einzelnen. Dort sehe ich dich, lieber Freund, als ein Kind, nackt, ungewaschen, mit deinem eignen Blut besudelt, unbarmherzig ausgesetzt, eine Beute wilder Raubtiere. Aber siehe, von göttlicher Hand wird dir ein Kleinod in den Schoß geworfen, und um seinetwillen hat die göttliche Vorsehung Mitleid mit dir, pflegt dich, du wirst abgewaschen und gereinigt von deiner Befleckung, du wirst aufgenommen in die himmlische Familie, das reine Siegel der Liebe erglänzt auf deiner Stirn, und der Ring der Treue wird dir an den Finger gesteckt: du bist nun ein königliches Kind Gottes, obgleich erst eine Waise, ein elendes Geschöpf. O, erhebe mit Schall die unvergleichliche Macht und Gnade, welche die Wüsten macht wie Lustgärten und das verstockte Herz mit Freudenliedern erfüllt.

"Die Inseln harren auf mich, und warten auf meinen Arm."

Jes. 51, 5.

In Zeiten schwerer Heimsuchung besitzt der Christ nichts auf Erden, worauf er sich verlassen und sein Vertrauen setzen kann, und muss sich ganz nur seinem Gott in die Arme werfen. Wenn sein Schiff bis zum Bord untergesunken ist, und keine menschliche Macht mehr helfen kann, dann muss er sich ganz und gar der Vorsehung und Treue seines Gottes überlassen. O seliger Sturm, der einen Menschen auf solch einen unerschütterlichen Fels des Heils verschlägt! O gesegnete Windsbraut, die die Seele zu Gott und zu Ihm allein, hinreißt! Manchmal können wir vor lauter Freunden, die sich um uns drängen, gar nicht zu Gott kommen; wenn aber ein Mensch so arm, so freundlos, so hilflos ist, dass er gar nicht mehr weiß, wohin sich wenden, dann flieht er in seines Vaters Arme und lässt sich liebevoll von denselben umfangen. Wenn ihn so schwere und eigentümliche Trübsale niederdrücken, dass er sie keiner Seele anvertrauen mag und kann als seinem Gott, dann soll er dafür loben und danken; denn dann erfährt er seines Herrn Güte und Treue reichlicher als sonst je. O du sturmgepeitschter Glaubensmensch, was ist doch das für eine selige Trübsal, die dich zu deinem Vater hintreibt! Siehe, das ist "Heimsuchung"!

Jetzt, wo du niemand hast, auf den du bauen und trauen kannst, suche Ihn, damit du auf Ihn all dein Vertrauen setzest. Verunehre deinen Herrn und Meister nicht mit deinen Zweifeln, sondern sei stark im Glauben, und gib Gott die Ehre. Zeige der Welt, dass dir dein Gott zehntausend Welten wert ist. Zeige den Reichen, wie reich du bist in deiner Armut, wenn Gott der Herr dein Helfer ist. Zeige den Starken, wie stark du bist in deiner Schwachheit, wenn die ewigen Arme dich stützen. Jetzt ist die Zeit zu Heldentaten des Glaubens und mutigem Kampf. Sei stark und ein rechter Held, so wird sich der Herr dein Gott ganz gewiss verherrlichen in deiner Schwachheit und seine Macht verkünden mitten in deiner Trübsal, so gewiss Er Himmel und Erde gemacht hat. Die Majestät des Himmelsgewölbes wäre dahin, wenn das Firmament von einer einzigen Säule gestützt würde, und dein Glaube würde seine Herrlichkeit einbüßen, wenn er auf irgendetwas ruhte, was ein fleischliches Auge zu entdecken imstande wäre. Möge Gott der Heilige Geist es dir schenken, dass du an diesem letzten Monatstag ruhest in Jesu Armen.

"Ich, ich bin euer Tröster. Wer bist du denn, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen? Und vergisst den Herrn, der dich gemacht hat, der den Himmel ausbreitet und die Erde gründet? Du aber fürchtest dich täglich den ganzen Tag vor dem Grimm des Wüterichs, wenn er vornimmt, zu verderben. Wo blieb der Grimm des Wüterichs?"

Jes. 51, 12. 13.

Lasst den Text selber als den Abschnitt für den heutigen Tag gelten! Es ist nicht nötig, ihn weitläufig auszulegen. Du Zitternder, lies ihn, glaube ihn, nähre dich davon und mache ihn vor dem Herrn geltend! Der, den du fürchtest, ist doch nur ein Mensch, während der, der verheißt, dein Tröster zu sein, der Gott ist, der dich gemacht hat. Hier ist unendlicher Trost, und die Gefahr ist doch nur sehr beschränkt.

"Wo blieb der Grimm des Wüterichs?" Er ist in des Herrn Händen. Es ist nur der Grimm eines sterblichen Geschöpfes - ein Grimm, der enden wird, sobald der Odem aus der Nase gewichen ist. Warum sollen wir denn Furcht haben vor einem, der so gebrechlich ist wie wir selber? Lasst uns doch nicht Gott Unehre antun, indem wir aus dem winzigen Menschen einen Gott machen! Wir können einen Menschen zum Götzen machen, indem wir übermäßige Furcht vor ihm haben, ebenso wohl wie dadurch, dass wir unmäßige Liebe für ihn hegen. Lasst uns Menschen als Menschen behandeln und Gott als Gott; und dann werden wir ruhig weitergehen auf dem Pfad der Pflicht. Wir werden den Herrn fürchten und sonst niemand und nichts.

"Durch seine Wunden sind wir geheilt."

Jes. 53, 5.

Pilatus überantwortete unsern Herrn und Heiland den Kriegsknechten, dass sie Ihn kreuzigten. Die römische Geißel war ein furchtbares Marterwerkzeug. Es war aus Ochsensehnen verfertigt und hier und da waren scharfe Knochensplitter in den Sehnen befestigt, so dass diese Knochenstücke jedes Mal, wenn der Geißelhieb niederfuhr, schreckliche Wunden verursachten und das Fleisch von den Knochen rissen. Unser Heiland ward ohne Zweifel an eine Säule gebunden und so gegeißelt. Schon vorher war Er geschlagen und misshandelt worden; aber diese Geißelung durch die römischen Kriegsknechte verursachte Ihm gewiss eine weit entsetzlichere Qual. O meine Seele, stehe hier stille und traure über seinen armen, zerschlagenen Leib.

"Seht, welch ein Mensch ist das!

Ach, sehet seine Wunden!"

Du, der du an Jesus glaubst, kannst du Ihn anschauen, ohne Tränen zu vergießen, wenn Er so vor dir steht als ein Bild der leidenden, in Todesnot getauchten Liebe? In seiner Unschuld ist Er schön wie die Lilie, und in der Rosinfarbe seines Blutes ist Er rot wie die Rose. Wenn wir die unfehlbare und selige Heilkraft verspüren, die seine Wunden an uns beweisen, muss da nicht sogleich unser Herz zerschmelzen vor Liebe und Wehmut? Wenn wir je unsern Herrn Jesus lieb gehabt haben, so muss jetzt diese Liebesglut in unserm Busen stärker auflodern:

"O große Lieb', o Lieb', ohn' alle Maße,

Die dich gebracht auf diese Marterstraße!

Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden

Und du musst leiden!

Ich kann's mit meinen Sinnen nicht erreichen,

Womit doch dein Erbarmen zu vergleichen:

Wie kann ich Dir denn Deine Liebestaten

Im Werk erstatten?"

Wir möchten gern in unser Kämmerlein gehen und in der Stille weinen, aber unsre Berufsarbeit erwartet uns, und darum wollen wir nun unsern geliebten Freund bitten, Er wolle das Bild seiner blutigen Wunden den ganzen Tag über eingegraben sein lassen auf den Tafeln unsrer Herzen, und am Abend wollen wir heimkehren, um seinen Umgang zu suchen und zu trauern, dass unsre Sünden Ihn so viel gekostet haben.

"Wir gingen alle in der Irre wie Schafe; ein jeglicher sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn."

Jes. 53, 6.

Hier liegt uns ein Sündenbekenntnis vor, das alle auserwählten Kinder Gottes angeht. Sie sind alle gefallen, und darum sprechen sie alle mit einhelligem Munde, vom Ersten an, der in den Himmel aufgenommen ward, bis zum Letzten, der hineinkommt: "Wir gingen alle in der Irre wie Schafe." Wie hier das Bekenntnis eine allen gemeinsame Schuld ausdrückt, so bezieht es sich in den folgenden Worten auf die Einzelnen besonders: "Ein jeglicher sah auf seinen Weg." Es fällt jedem Einzelnen unter uns eine besondere Sündhaftigkeit zur Last: Alle sind mit Sünden beladen, aber jeder Einzelne mit irgendeiner eigentümlichen Ungerechtigkeit, die in seinen Mitbrüdern nicht gefunden wird. Es ist ein Zeichen echter Reue, wenn sie sich zwar mit andren demütig derselben Schuld und Strafe wert erkennt, zugleich aber die besondere Verschuldung eigner Wege sich zur Last legt. "Ein jeglicher sah auf seinen Weg," ist ein Bekenntnis, dass ein jeglicher gegen die ihm geschenkte Erleuchtung gesündigt habe, oder gesündigt habe unter erschwerenden Umständen, die er bei andren nicht wahrnimmt. Ein solches Bekenntnis ist aufrichtig; es entschlägt sich allen Anspruchs auf eigne Gerechtigkeit. Es ist das Zeugnis eines Menschen, der sich seiner Schuld völlig bewusst ist, einer besonders schweren Schuld, einer Schuld ohne alle Milderungsgründe; die Waffen seiner Empörung liegen zerbrochen vor seinen Füßen, und er ruft aus:

"Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg." Dennoch vernehmen wir kein trostloses Trauern bei diesem Sündenbekenntnis; denn es bricht in den folgenden Worten beinahe in einen Jubelgesang aus: "Aber der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn." Es ist das gewichtigste der drei Worte, aber voll überströmenden Trostgefühls. Wie herrlich ist es, dass, wo die Sünde so überaus mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch mächtiger geworden; dass da, wo die Sünde den höchsten Gipfel erreicht, die müde Seele Ruhe findet. Der zerschlagene Heiland heilt die zerschlagenen Herzen. Siehe, wie die demütigste Reue Raum gibt der gewissesten Zuversicht durch den Aufblick zu Christo, dem Gekreuzigten!

"Er wird Samen haben, und in die Länge leben, und des Herrn Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen."

Jes. 53, 10.

Flehet um die baldige Erfüllung dieser Verheißung, alle, die ihr den Herrn liebt. Das Beten wird uns leicht, wenn wir uns mit unsren Wünschen auf Gottes eigne Verheißungen gründen und stützen. Wie kann Er uns die Erfüllung seines Wortes weigern, wenn Er selbst uns dies Wort gegeben und in den Mund gelegt hat? Die unwandelbare Wahrhaftigkeit kann sich unmöglich selber durch eine Lüge schmähen, die ewige Treue kann sich nicht durch Trägheit entwürdigen. Gott muss seinen Sohn segnen, sein Bund und Testament verpflichtet Ihn dazu. Das, was wir nach der Aufforderung des Heiligen Geistes für unsern Herrn Jesum erbitten sollen, ist nichts andres, als was Gott Ihm nach seinem Ratschluss zu geben verheißen hat. So oft ihr für das Reich Christi betet, sollen eure Augen die Dämmerung des herrlichen, anbrechenden Tages ins Auge fassen, an welchem der Gekreuzigte an derselben Stätte, wo die Menschen Ihn verworfen haben, seine Krone empfangen soll. Mut, liebe Seele, die du unter herzlichem Gebet für Christum wirkst und arbeitest und wenig Frucht siehst, es wird nicht immer so bleiben; bessere Zeiten stehen dir bevor.

Deine Augen sehen die selige, reich gesegnete Zukunft noch nicht; borge das Fernglas des Glaubens; wische den trüben Staub deiner Zweifel ab von den Gläsern deines Instruments; schaue hindurch, und betrachte die zukünftige Herrlichkeit. Lieber Christ, ich frage dich: ist es das, warum du allezeit bittest? Bedenke, dass derselbe Messias, der uns lehrt beten: "Gib uns heute unser tägliches Brot," uns zuvor die Bitte vorspricht: "Geheiliget werde dein Name; dein Reich komme; dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel." Lass in deinen Gebeten deinen Blick nicht nur in der Tiefe haften, auf deinen Sünden, auf deinen Bedürfnissen, auf deinen Mängeln, auf deinen Heimsuchungen, sondern lass ihn sich erheben auf der Himmelsleiter zu Christo selber, und wenn du alsdann dem blutbesprengten Gnadenthrone nahst, so lass ununterbrochen die Bitte ertönen: "Herr, breite das Reich deines teuren Sohnes aus." Solch eine Bitte mit Inbrunst gebetet, erhebt und erhöht den Geist deiner Andacht.

"Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Samen haben." Jes. 53, 10.

Unser Herr Jesus ist nicht vergeblich gestorben. Sein Tod war ein Opfertod. Er starb als unser Stellvertreter, weil der Tod die Strafe unserer Sünden war; und weil seine Stellvertretung von Gott angenommen wurde, so hat er diejenigen errettet, für die er sein Leben zum Schuldopfer gab. Durch den Tod wurde er dem Weizenkorn gleich, das viel Frucht bringt. Für ihn muss eine stete Reihenfolge von Kindern da sein; er ist der "Ewig-Vater". Er soll sagen: "Siehe, hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast."

Ein Mann wird geehrt in seinen Söhnen, und Jesus hat seinen Köcher voll von diesen "Pfeilen des Starken". Ein Mann wird dargestellt in seinen Kindern, und das wird Christus in den Christen. In seinem Samen scheint eines Mannes Leben verlängert und ausgedehnt zu sein; ebenso wird das Leben Jesu in den Gläubigen fortgesetzt.

Jesus lebt, denn er sieht seinen Samen. Er heftet sein Auge auf uns. Er hat Freude an uns. Er erkennt in uns die Frucht der Arbeit seiner Seele. Lasst uns froh sein, dass unser Herr sich stets an dem Ergebnis seines schweren Opfers erfreut und dass er niemals aufhören wird, seine Augen an der Ernte seines Todes zu weiden. Diese Augen, die einst um uns weinten, betrachten uns jetzt mit Wohlgefallen. Ja, er blickt auf die, welche auf ihn blicken. Unsere Augen begegnen sich. Welche Freude!

"Er ist den Übeltätern gleich gerechnet."

Jes. 53, 12.

Warum hat der Herr Jesus sich unter die Übeltäter rechnen lassen? Diese wunderbare Herablassung ward durch viele gewichtige Gründe veranlasst. In dieser Gestalt konnte Er umso eher der Fürsprecher seiner Brüder werden. Bei manchen Gerichtsverhandlungen tritt der Verteidiger ganz an die Stelle des von ihm verteidigten Schützlings, und in den Augen des Gesetzes dürfen sie auch nicht als verschiedene Persönlichkeiten aufgefasst werden. Wenn der Sünder vor dem himmlischen Richterstuhl erscheint, so stellt sich der Herr Jesus selber für ihn ein. Er steht da, um auf die Anklage zu antworten. Er weist hin auf seine Seite, auf seine Hände, auf seine Füße, und fordert die Gerechtigkeit auf, gegen die Sünder, die Er vertritt, vorzubringen, was es nur immer sein möge; Er beruft sich auf sein Blut, und indem Er sich unter die Sünder rechnen lässt und sich auf ihre Seite stellt, führt Er seine Verteidigung so siegreich, dass der Richter das Urteil eröffnet: "Lasst diese gehen; sie sind losgesprochen von der Verdammnis des ewigen Feuers, denn Er hat eine Erlösung erfunden." Unser Herr Jesus ward den Übeltätern gleich gerechnet, damit sie sich von ganzem Herzen möchten zu Ihm hingezogen fühlen. Wie sollten wir uns vor einem fürchten, der mit uns in das gleiche Verzeichnis eingetragen ist? Wir dürfen ungescheut zu Ihm kommen und Ihm unsre Schuld bekennen. Dieweil Er uns gleich gerechnet ist, kann Er uns nicht verdammen.

Wurde Er nicht darum unter die Übeltäter gerechnet, damit wir in das rote Buch seiner Heiligen könnten eingetragen werden? Er war heilig und unter die Heiligen gerechnet; wir waren schuldbeladen und zu den Schuldigen gezählt; Er überträgt seinen Namen von jenem Verzeichnis in das schwarze Schuldbuch, und unsre Namen werden aus dem Schuldbuch gestrichen und ins Buch des Lebens eingetragen, denn es findet ein völliger Umtausch statt zwischen Jesu und den Seinen. Unsern elenden, sündhaften Zustand hat Jesus ganz auf sich genommen, und alles, was Jesus hat, kommt uns zu gute. Seine Gerechtigkeit, sein Blut, und alles, was sein ist, gibt Er uns zu Eigen. Freue dich, gläubige Seele, deiner Vereinigung mit Ihm, der den Übeltätern gleich gerechnet ist, und zeige, dass du wahrhaft erlöst bist, darin, dass du eingerechnet bist in die Zahl derer, die in Ihm geoffenbart sind als eine neue Kreatur.

"Rühme, du Unfruchtbare."

Jes. 54, 1.

Obgleich wir unserm Herrn etliche Frucht getragen haben, und uns der freudigen Hoffnung hingeben, dass wir "Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise" mögen genannt werden, so gibt es doch Zeiten, so wir uns recht unfruchtbar fühlen. Das Gebet ist ohne Leben, die Liebe kalt, der Glaube schwach; jedes Gnadengewächs im Garten unsres Herzens lechzt und trauert. Wir sind wie Blumen im heißen Sonnenschein, die des erfrischenden Regens harren. Was sollen wir in einem solchen Zustande tun? Wenn es so mit uns steht, dann ist unsre Schriftstelle ganz für uns geeignet. "Singe, du Unfruchtbare; freue dich mit Ruhm, und jauchze." Aber wovon kann ich singen? Von der Gegenwart kann ich nichts rühmen, und auch die Vergangenheit sieht mich so unfruchtbar an. Aber doch! ich kann singen von Jesu Christo. Ich kann davon rühmen, wie der Heiland vordem auch bei mir Einkehr gehalten hat, oder wenn das nicht ist, so kann ich die große Liebe erheben, womit Er die Seinen geliebt hat, da Er zur Erlösung seines Volkes von den himmlischen Höhen hernieder kam. Ich will aufs Neue zum Kreuz gehen.

Komm, liebe Seele, einst warst du mühselig und beladen, und dort ist dir deine Bürde abgenommen worden. Gehe wieder nach Golgatha. Vielleicht gibt dasselbe Kreuz, das dir das Leben schenkte, auch die Fruchtbarkeit. Was ist meine Dürre? Sie ist die Unterlage für deine fruchtschaffende Allmacht. Was ist meine Öde? Sie ist die dunkle Einfassung für den strahlenden Saphir seiner ewigen Liebe. Ich will zu Ihm gehen in meiner Armut, in meiner Hilfsbedürftigkeit, ich will zu Ihm treten in meiner ganzen Schmach und Übertretung und will zu Ihm sagen, dass ich noch immer sein Kind bin, und im Vertrauen auf sein treues Herz will ich, der Unfruchtbare, singen und jauchzen. Singe, gläubiger Christ, denn das erfreut dein Herz samt den Herzen andrer Verzagter. Jauchze, denn weil du dich nun deiner Unfruchtbarkeit schämst, wirst du bald fruchtbar werden; jetzt, wo dich Gott traurig werden lässt, dass du keine Frucht bringst, wird Er dich bald mit köstlichen Trauben bedecken. Die Erkenntnis unsrer Unfruchtbarkeit schmerzt uns, aber des Herrn Einkehr ist köstlich. Das Gefühl unsrer Armut treibt uns zu Christo, und in Ihm bringen wir Frucht.

"Fürchte dich nicht, denn du sollst nicht zuschanden werden." Jes. 54, 4.

Wir sollen nicht zuschanden werden mit unserem G l a u b e n. Alles besserwissende Kritiker mögen die Schrift angreifen, auf die wir unseren Glauben gründen, aber jedes Jahr wird der Herr es klarer machen, dass in seinem Buch kein Irrtum, kein Übermaß und keine Übergehung ist. Es ist keine Unehre, ein schlichter Gläubiger zu sein; der Glaube, der allein auf Jesus sieht, ist eine Krone der Ehren auf dem Haupte jedes Mannes und besser als ein Stern auf seiner Brust.

Wir sollen nicht zuschanden werden mit unserer H o f f - n u n g. Es soll so sein, wie der Herr gesagt hat. Wir sollen geweidet, geführt, gesegnet und zur Ruhe gebracht werden. Unser Herr will kommen, und dann werden die Tage unseres Trauerns ein Ende haben. Wie werden wir uns des Herrn rühmen, der uns zuerst die lebendige Hoffnung gab und hernach das Erhoffte selbst!

Wir sollen nicht zuschanden werden mit unserer L i e b e. Jesus ist für uns "ganz lieblich", und niemals werden wir zu erröten haben, weil wir ihm unsere Herzen schenkten. Der Anblick des inniggeliebten Freundes unserer Seelen wird die begeistertste Anhänglichkeit an ihn rechtfertigen. Niemand wird die Märtyrer tadeln, weil sie für ihn starben. Wenn die Feinde Christi mit ewiger Verachtung bedeckt sind, werden die Liebhaber Jesu sich von allen Verklärten geehrt sehen, weil sie die Schmach Christi lieber erwählten als die Schätze Ägyptens.

"Dein Erlöser."

Jes. 54, 5.

Jesus, der Erlöser, ist ganz und gar unser; Er ist unser auf ewig. Alle Eigenschaften und Ämter Christi müssen uns zu Dienste sein. Er ist Priester um unsertwillen, König um unsertwillen, und Prophet um unsertwillen. Wo wir nur immer einem neuen Namen unsers Erlösers begegnen, wollen wir ihn uns zueignen als uns zugehörig, unter dem neuen Namen ebenso wie unter jedem andern. Des Hirten Stecken und Stab, des Vaters Zuchtrute, des Herzogs Schwert, des Hohenpriesters Brustschildlein, des Königs Zepter, des Propheten Mantel, alles ist unser. Jesus besitzt keine Würde, die Er nicht zu unsrer Verherrlichung gebrauchen will, und kein Vorrecht, womit Er uns nicht verteidigt und schützt. Die Fülle seiner Gottheit ist unsre unerschöpfliche, unversiegliche Schatzkammer.

Seine Menschheit, die Er um unsertwillen auf sich nahm, ist nicht minder unser Erbteil in all ihrer Vollkommenheit. Unser gnädiger Herr trägt den reinen Glanz eines unbefleckten Wandels auf uns über; Er schenkt uns das kräftige Verdienst eines gottgeweihten Lebens, Er gewährt uns den Lohn seines kindlichen Gehorsams und seiner treuen Arbeit. Er macht das makellose Kleid seines Lebens uns zu einer Decke der Herrlichkeit; Er schmückt uns mit den strahlenden Tugenden seines Wesens als mit Geschmeiden und Kleinodien; und die über alles Menschliche erhabene Sanftmut in seinem Tode schafft uns Ehre und Herrlichkeit. Er vermacht uns seine Krippe, damit wir daraus lernen, wie Gott sich zum Menschen herabließ, und sein Kreuz, um uns darauf hinzuweisen, auf welchem Wege der Mensch zu Gott kommt. Alle seine Gedanken, Gefühle, Taten, Worte, Wunder und Fürbitten zielten auf uns ab. Er ging den Weg des Leidens um unsertwillen, und hat uns als himmlisches Vermächtnis die ganze Frucht aller Mühe seines Lebens verschrieben. Er gehört uns in diesem Augenblick ebenso zu Eigen, wie zuvor; und Er schämt sich nicht, sich selbst als unsern Herrn Jesus Christus zu bekennen, wiewohl Er der einzige und herrliche Machthaber, der König aller Könige, und der Herr aller Herren ist. Christus ist allerorts und allerwärts unser Christus, dessen wir uns immer und ewiglich hoch erfreuen. O, meine Seele, nenne Ihn heute, jetzt, in der Kraft des Heiligen Geistes, "deinen Erlöser." Herr Zebaoth heißt sein Name; Er ist dein Erlöser, der Heilige in Israel, der aller Welt Gott genannt wird.

"Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer."

Jes. 54, 10.

Eine der schönsten Eigenschaften der göttlichen Liebe ist ihre Unverbrüchlichkeit. Die Säulen der Erde mögen von ihrem Ort gerückt werden, aber die Gnade und der Bund unseres erbarmungsvollen Herrn weichen nie von seinem Volk. Wie glücklich fühlt sich meine Seele in dem festen Glauben an diese göttliche Erklärung! Das Jahr ist fast vorüber, und der Jahre meines Lebens werden weniger, aber die Zeit ändert meinen Herrn nicht. Neue Lichter nehmen den Platz der alten ein, in allen Dingen ist ein immer währender Wechsel; aber unser Herr bleibt derselbe. Vulkanische Kräfte stürzen die Hügel um, aber keine erdenkliche Macht kann den ewigen Gott bewegen. Nichts in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft kann den Herrn veranlassen, unfreundlich gegen mich zu sein.

Meine Seele, ruhe in der e w i g e n G n a d e des Herrn, der dich als einen ihm nahe Verwandten behandelt! Gedenke auch an den e w i g e n B u n d ! Gott gedenkt stets daran - dass auch du daran gedenkst! In Christus Jesus hat der ewige Gott sich verbürgt, dass er dein Gott sein und dich als einen der Seinigen betrachten will. Gnade und Bund - hange an diesen Worten als an sicheren und bleibenden Gütern, welche selbst die Ewigkeit dir nicht nehmen wird!

"Und ich will deinen Grund mit Saphiren legen."

Jes. 54, 11.

Nicht nur, was an der Gemeinde Christi sichtbar ist, sondern auch, was unsichtbar ist, ist schön und herrlich. Die Grundlagen eines Bauwerks sind dem Anblick verhüllt, und wenn sie nur feststehen, so erwartet man nicht, dass man kostbares Material darauf verwende. Aber an dem Bau Jehovahs ist alles gediegen, nichts gering, nichts mangelhaft. Die tiefen Grundmauern des Werks der Gnade sind köstlich wie Saphire, kein menschliches Gemüt ist imstande, ihre Herrlichkeit zu ermessen. Wir bauen auf den Bund der Gnade, welcher stärker ist als Diamant, und unverwüstlich wie die Edelsteine, an welchen die Zeiten spurlos vorübergehen. Saphirne Grundmauern dauern ewig, und der Bund des Testaments bleibt, so lange der Allmächtige lebt. Ein andrer Grund ist die Person des Herrn Jesu. Er ist rein und makellos, ewig und herrlich wie Saphir; Er strahlt im tiefen Blau des wogenden Ozeans der Erde und im Azur ihres allumgürtenden Himmels.

Einst durfte unser Herr einem köstlichen Rubin verglichen werden, als Er bedeckt war vom Purpur seines Blutes; nun aber erscheint Er uns umstrahlt von dem lieblichen Blau der Liebe, einer überschwänglichen, tiefen, ewigen Liebe. Unsre ewigen Hoffnungen sind erbaut auf den Grund der Gerechtigkeit und Treue Gottes, die klar und durchsichtig sind wie Saphir. Wir werden nicht errettet und selig durch einen richterlichen Vergleich, durch Gnade auf Kosten der Gerechtigkeit, oder durch Aufhebung der Kraft der Gesetze; nein, auch das schärfste Adlerauge vermag nicht den geringsten Mangel in dem Grundbau unsrer Hoffnung, unsers Vertrauens zu entdecken; unsre Grundfeste ist wie Saphir und trotzt auch der Gewalt des Feuers. Der Herr selbst hat den Grund zur Hoffnung seines Volkes gelegt. Das ist eine wichtige Frage, ob unsre Hoffnungen auf einem solchen Grund ruhen oder nicht. Gute Werke und fromme Übungen sind kein saphirner Unterbau, sondern Holz, Stroh und Stoppeln; auch hat sie Gott nicht selber gelegt, sondern unsre eigne Einbildung. Jeder Grund muss sich über kurz oder lang bewähren; wehe dem, des hochragender Turm mit großem Krachen zusammenstürzt, weil er auf Sand gebaut ist. Wer aber auf Saphirgrunde ruht, erwartet Sturm und Feuer in aller Ruhe, denn er besteht die Prüfung.

"Ich will deine Fenster aus Kristallen machen."

Jes. 54, 12.

Die Gemeinde Christi wird sehr sinnreich als ein Bauwerk dargestellt, das die himmlische Weisheit entworfen und die göttliche Allmacht erbaut hat. Solch ein geistliches Haus darf nicht dunkel sein, denn es war Licht in den Wohnungen der Israeliten; es müssen Fenster vorhanden sein, durch die das Licht einströmen, und durch welche die Bewohner den Blick nach außen richten können. Diese Fenster sind köstlich wie Kristalle; die Art, wie die Gemeinde ihren Herrn und den Himmel betrachtet, ist höchster Beachtung wert. Kristalle sind nicht immer vollkommen durchsichtig, oft sind sie gefärbt wie Amethyst, oder trübe wie Rauchtopas.

"Unser Wissen ist nur Stückwerk,

Unser Glaubensauge trüb'."

Der Glaube ist ein solcher Rauchtopas, aber ach! er ist oft so dunkel und trübe, dass wir kaum einen Schein dadurch wahrnehmen, und manches, was wir sehen, falsch beurteilen und missdeuten. Aber wenn wir auch nicht durch diamantene Fenster blicken und alles so erkennen können, wie wir erkannt sind, so ist es doch etwas Herrliches, wenn wir Den, der ganz Lieblichkeit ist, auch nur durch einen trüben Kristall betrachten können. Die innere Erfahrung ist ein zweites köstliches Fenster, durch das uns ein gedämpftes Licht des Heils zuströmt, und das uns den Mann der Schmerzen in unserm eignen Leiden zeigt. Unsre schwachen Augen könnten vollkommene klare Fenster nicht ertragen, durch welche unsers Herrn Herrlichkeit in ungeschwächter Kraft hindurchleuchtete; wenn sie aber von unsern Tränen getrübt sind, werden die Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit gemäßigt, und strahlen durch die kristallenen Fenster mit mildem, für geprüfte Seelen unaussprechlich wohl tuendem Lichte. Heiligung, die uns unserm Herrn ähnlich macht, ist gleichfalls ein solch kristallnes Fenster. Nur wenn wir himmlisch werden, können wir das Himmlische erkennen; die da reines Herzens sind, werden Gott schauen. Wer Jesu ähnlich ist, sieht Ihn, wie Er ist. Weil wir Ihm noch so wenig ähnlich sind, ist das Fenster trübe; weil wir Ihm etwas ähnlich sind, ist es Kristall. Wir danken Gott für das, was wir haben, und sehnen uns nach mehr. Wann werden wir Gott und Jesum, den Himmel und die Wahrheit sehen von Angesicht zu Angesicht?

"Denn aller Waffe, die wider dich zubereitet wird, soll es nicht gelingen; und alle Zunge, so sich wider dich setzt, sollst du im Gericht verdammen."

Jes. 54, 17.

Es ist ein großes Gerassel in den Schmieden und Werkstätten der Feinde. Sie schmieden Waffen, um die Kinder Gottes damit zu schlagen. Sie könnten nicht einmal das tun, wenn der Vater im Himmel es ihnen nicht erlaubte; denn er hat den Schmied erschaffen, der die Kohlen im Feuer aufbläst. Aber seht, wie geschäftig sie arbeiten! Wie viele Schwerter und Speere sie verfertigen! Lasst sie nur, denn auf der Klinge jeder Waffe sollt ihr die Inschrift lesen: "E s s o l l n i c h t g e l i n g e n."

Aber jetzt horcht auf ein anderes Geräusch: es ist der Streit der Zungen. Zungen sind schrecklichere Werkzeuge als die, welche mit Hammer und Amboss gemacht werden können, und das Übel, das sie verursachen, ist gefährlicher und verbreitet sich schneller. Was wird jetzt aus uns werden? Verleumdung, Falschheit, Verdächtigung, Spott sind ihre vergifteten Pfeile; wie können wir uns vor ihnen schützen? Der Herr, unser Gott, verheißt uns, dass, wenn wir sie nicht zum Schweigen bringen können, wir wenigstens nicht von ihnen zugrunde gerichtet werden sollen. Sie verdammen uns für den Augenblick, aber wir werden sie zuletzt und für immer verdammen. Der Mund derer, die Lügen sprechen, soll verstopft werden, und ihre Falschheiten sollen für die Guten, die darunter gelitten, in Ehre verwandelt werden.

"Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Ruhm und alle Bäume auf dem Feld mit den Händen klatschen."

Jes. 55, 12.

Wenn die Sünde vergeben ist, so ist unser größter Schmerz beendet, und unser wahrstes Vergnügen beginnt. So groß ist die Freude, die der Herr dem Erlösten schenkt, dass sie überfließt; die ganze Natur ist für ihn mit Wonne erfüllt. In der uns umgebenden Welt ist viel verborgene Musik, und ein erneuertes Herz weiß dieselbe hörbar zu machen und in Gesang zu wandeln. Die Schöpfung ist eine Orgel, und ein begnadigter Mensch entdeckt bald ihre Akkorde; er lässt seine Finger über die Tasten gleiten und erfüllt das ganze Weltall mit Harmonie zum Lobe Gottes. Berge und Hügel bilden sozusagen den Bass des Chores, während die Bäume des Waldes und alle Blumen in den Gärten und auf den Fluren den hellen, melodischen Sopran ertönen lassen.

Wenn das Wort Gottes guten Fortgang unter uns hat und Seelen gerettet werden, dann scheint alles zu singen und zu klingen. Wenn wir die Bekenntnisse junger Gläubiger hören und die Zeugnisse fortgeschrittener Heiliger, sind wir so glücklich, dass wir den Herrn loben müssen, und dann scheint es, als wenn Felsen und Hügel, Wälder und Felder unseren Lobgesang aufnehmen und die Welt in ein riesiges Orchester wandeln. Herr, führe mich wie an einem fröhlichen Maientag hinaus in deine klangvolle Welt, so reich an Lob wie eine Lerche in ihrem Jubilieren!

"Ich will nicht immerdar hadern und nicht ewiglich zürnen, denn der Geist würde vor mir dahinsinken und die Seelen, die ich gemacht habe."

Jes. 57, 16.

Unser himmlischer Vater wünscht uns zu unterweisen. Er will nicht unseren Untergang. Sein Hadern mit uns hat eine freundliche Absicht. Er will nicht immer in Waffen gegen uns sein. Wir meinen, die Züchtigung des Herrn dauere lange; aber das kommt daher, dass unsere Geduld eine so kurze ist. Seine Barmherzigkeit währt ewiglich, nicht aber sein Hader. Die Nacht mag sich ermüdend lange hinziehen, aber endlich muss sie einem heiteren Tag weichen. Wie das Hadern nur eine Zeit lang währt, so dauert der Zorn, der es verursacht hat, nur einen kleinen Augenblick. Der Herr liebt seine Erwählten zu sehr, als dass er immerdar zornig auf sie sein könnte.

Wenn er immer mit uns handelte, wie er es zuweilen tut, so würden wir ganz ermatten und hoffnungslos ins Grab sinken. Mut, liebes Herz, der Herr will bald sein Schelten enden! Trage es, denn der Herr will dich tragen! Er will dich hindurchtragen. Er, der dich gemacht hat, weiß, wie schwach du bist und wie wenig du tragen kannst. Er wird die sanft behandeln, die er so zart geschaffen hat. Sei deshalb nicht bange um der schmerzvollen Gegenwart willen, denn sie eilt zu einer glücklichen Zukunft! Er, der dich schlug, wird dich heilen; seinem kleinen Zorn sollen große Gnaden folgen.

"Der Herr wird dich immerdar führen."

Jes. 58, 11.

Was fehlt dir? Hast du dich verirrt? Bist du in einen dunklen Wald geraten und kannst deinen Pfad nicht finden? "Steht still und seht zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird!" Er kennt den Weg, und er wird dich darauf leiten, wenn du zu ihm schreist.

Jeder Tag bringt seine eigene Plage. Wie gut, zu fühlen, dass die Führung des Herrn immer während ist! Wenn wir unseren eigenen Weg wählen oder mit Fleisch und Blut beraten, so stoßen wir des Herrn Führung von uns weg; wenn wir aber den Eigenwillen aufgeben, dann wird er jeden Schritt unseres Weges leiten, jede Stunde des Tages und jeden Tag des Jahres und jedes Jahr unseres Lebens. Wenn wir nur geführt sein wollen, so werden wir geführt werden. Wenn wir unseren Weg dem Herrn befehlen, so wird er unseren Gang leiten, so dass wir uns nicht verirren.

Aber beachtet, wem diese Verheißung gegeben ist! Lest den vorhergehenden Vers: "Wirst du den Hungrigen finden lassen dein Herz." Wir müssen Mitgefühl für andere haben und ihnen nicht ein paar trockene Rinden geben, sondern solche Dinge, wie wir sie selber zu empfangen wünschten. Wenn wir für unsere Mitgeschöpfe in der Stunde ihrer Not freundliche Sorgfalt zeigen, dann wird der Herr für das sorgen, was uns nottut, und sich zu unserem beständigen Ratgeber machen. Jesus ist nicht der Leiter der Geizhälse noch derer, die den Armen unterdrücken, sondern der Freundlichen und Weichherzigen. Solche sind Pilgrime, die niemals ihren Weg verfehlen werden.
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#3
Rolf

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C.H.Spurgeon




Betrachtungen zum Buch Jesaja




Teil 3





"Und der Herr wird dich immerdar führen."



Jes. 58, 11.

"Der Herr wird dich führen." Kein Engel, sondern Jehovah selber wird dich führen. Er sprach, Er wolle nicht mit seinem Volk heraufziehen durch die Wüste, Er wolle einen Engel vor ihnen hersenden; aber Moses sprach: "Wenn nicht dein Angesicht gehet, so führe uns nicht von dannen hinauf." Lieber Christ, Gott hat dich in deinem irdischen Pilgerlauf nicht der Führung eines Engels anvertraut: Er selbst leitet dich und ist dein Vorkämpfer. Vielleicht wirst du seine feurige Wolkensäule nicht gewahr, aber Jehovah wird dich nimmermehr verlassen. Achte auf das Wort: "wird"; "der Herr wird dich führen." Wie liegt doch hierin eine gewisse, unverbrüchliche Zusage! Wie unzweifelhaft steht es fest, dass Gott uns nicht verlässt! Sein teures "wird" und "will" ist besser als alle Menscheneide. "Ich will dich nicht verlassen noch versäumen." Sodann merke dir das Nebenwort immerdar. Wir sollen nicht nur zeitweise geführt werden, sondern wir sollen unter beständiger Obhut stehen; wir sollen nicht gelegentlich unserm eignen Urteil überlassen bleiben und so dem Irrtum verfallen, sondern wir sollen allezeit die leitende Stimme des großen Hirten vernehmen; und wenn wir unmittelbar seinen Fußstapfen nachfolgen, werden wir uns nicht verirren, sondern auf richtigem Pfade zu einer Ruhestätte gelangen.

Wenn dir in deinen Lebensverhältnissen eine Veränderung bevorsteht, wenn du nach fernen Gestaden auswandern sollst; wenn dir bevorstehen sollte, in Mangel und Armut zu versinken, oder wenn du zu einer verantwortungsvolleren Stellung solltest erhoben werden, als du jetzt einnimmst; wenn du unter Fremdlinge, ja, selbst unter Feinde verschlagen wirst, so fürchte dich nicht, denn "der Herr wird dich immerdar führen." Es gibt keine Verlegenheiten, aus welchen du nicht wirst befreit werden, wenn du in Gottes Nähe bist, und dein Herz warm erhalten wird von seiner heiligen Liebe. Der geht nicht verloren, der mit Gott wandelt. Wandle wie Henoch mit Gott, so kannst du keinen falschen Weg einschlagen. Dann hast du die unfehlbare Weisheit bei dir, die dich leitet, die unwandelbare Liebe, die dich tröstet und die ewige Macht, die dich schützt. "Jehovah," achte auf das Wort: "Jehovah wird dich immerdar führen und deine Seele sättigen in der Dürre und deine Gebeine stärken."

"Sie wirken Spinnweb."

Jes. 59, 5.

Siehe das Netz der Spinne und erkenne darin ein höchst lehrreiches Bild von der Frömmigkeit des Heuchlers. Es stellt die Absicht, Beute zu erhaschen, ans Licht: Die Spinne sättigt sich mit geraubten Fliegen und der Pharisäer schaut mit gierigen Blicken nach seinem Lohn. Törichte Leute lassen sich leicht von den wohltönenden frommen Redensarten der Scheinheiligen berücken, und selbst der vorsichtigere Beurteiler wird manchmal überlistet. Geachteter Name, gutes Lob, Ruf der Rechtschaffenheit: das sind die winzigen Fliegen, welchen die Heuchler in ihrem Netze auflauern. Das Netz einer Spinne ist ein Wunder von Kunstfertigkeit. Gehe hin, und betrachte der schlauen Jägerin Kunstwerk. Ist nicht eines Betrügers Gottesfurcht ganz ebenso bewundernswert? Wie weiß er doch einer offenbaren Lüge ein solches Gepräge der Wahrheit zu geben! Wie weiß er es so geschickt einzurichten, dass sein wertloser Flitter die Rolle des kostbaren Goldes spielt! Ein Spinnweb geht ganz aus des Geschöpfes eignem Innern hervor.

Die Biene sammelt ihr Wachs im Kelch der Blumen, aber die Spinne trinkt keinen Blumensaft, und doch spinnt sie ihren Faden endlos in die Länge. Ebenso finden Heuchler ihre Zuversicht und Hoffnung in ihnen selber; ihren Anker haben sie auf dem eignen Amboss geschmiedet, und ihr Ankertau mit eignen Händen zusammengedreht. Sie legen selber ihren Grundstein und meißeln selber die Säulen zu ihrem Hause, und verschmähen, Schuldner der unumschränkten Gnade Gottes zu werden. Aber einer Spinne Netz zerreißt sehr leicht; es ist wunderbar kunstvoll gemacht, aber nicht dauerhaft gearbeitet. Es hält dem Besen der Magd nicht stand, noch dem Stab des Wandrers. Es braucht kein schweres Geschütz, um des Heuchlers Hoffnung über den Haufen zu werfen, sie stürzt schon beim leichtesten Stoß, und ein Windhauch weht sie zu Boden. Heuchlerische Spinnweben müssen bald verschwinden, wenn der Besen des Verderbens darüber wegfegt und das Werk der Reinigung beginnt. Und solche Spinnweben dürfen im Hause des Herrn keine bleibende Statt finden; der Herr siehet darauf, dass die Spinnweben, und die sie verfertigen, auf ewig dem Verderben anheim fallen. O, meine Seele, vertraue auf etwas Besseres, als auf einer Spinne Netz. Der Herr Jesus müsse dein ewiger Bergungsort sein.

"Aus dem Kleinsten sollen tausend werden und aus dem Geringsten ein mächtiges Volk. Ich, der Herr, will solches zu seiner Zeit eilend ausrichten."

Jes. 60, 22.

Werke Gottes beginnen häufig sehr geringfügig und sind darum doch nicht geringfügig. Die Schwachheit stützt sich auf den Glauben, treibt in Gottes Nähe und gewinnt Ehre für seinen Namen. Schätzt die Verheißungen des Wachstums hoch! Das Senfkorn ist das kleinste unter den Samen, und doch wird es eine baumähnliche Pflanze mit Zweigen, unter denen die Vögel des Himmels wohnen. Wir mögen mit einem einzigen beginnen, und dieser mag nur ein kleiner sein, und doch sollen aus ihm tausend werden. Der Herr ist groß im Vermehren. Vertraut auf den Herrn, ihr, die ihr im kleinsten Kreis, nur zu zweien oder dreien zusammenkommt. Er will mitten unter euch sein, wenn ihr in seinem Namen versammelt seid.

"Ein Kleiner." Was kann verächtlicher sein in den Augen derjenigen, die Köpfe zählen und Kräfte wägen! Doch ist dieser der Kern eines großen Volkes. Nur e i n Stern leuchtet zuerst am Abend, aber bald ist der Himmel mit unzähligen Sternen besät.

Auch brauchen wir die Aussicht auf Zunahme nicht für sehr fern zu halten, denn die Verheißung lautet: "Ich, der Herr, will solches zu seiner Zeit eilend ausrichten."

Es wird keine hastige Eile sein wie die, welche wir in aufgeregten Versammlungen sehen; es wird alles zur rechten Zeit geschehen; aber dennoch wird keine Verzögerung stattfinden.

"Ihr aber sollt Priester des Herrn heißen."

Jes. 61, 6.

Dies ist eine Verheißung, die allen Gläubigen gehört. Wenn wir so wandeln, wie es unseren Vorrechten entspricht, dann wird helles Gotteslicht auf unseren Wegen liegen. Die Menschen werden sehen, dass wir zu heiligem Dienst berufen sind, wir dürfen uns Priester des Herrn nennen. Wir mögen arbeiten oder Handel treiben wie andere und dennoch einzig und völlig Diener Gottes sein. Unser Hauptgeschäft sei, das beständige Opfer des Gebets, des Lobes, des Zeugnisses und der Selbsthingabe dem lebendigen Gott durch Jesus Christus darzubringen.

Da dies unser Hauptziel ist, so mögen wir zerstreuende Dinge denen überlassen, die keinen höheren Beruf haben. "Lass die Toten ihre Toten begraben!" Es steht geschrieben: "Fremde werden stehen und eure Herde weiden; und Ausländer werden eure Ackersleute und Weingärtner sein." Sie mögen Finanzprobleme lösen, Wissenschaftliches erörtern und die neuesten Erfindungen der Kritik widerlegen; wir aber wollen uns einem Dienst widmen, wie er denen geziemt, die gleich dem Herrn Jesus zu einem beständigen Priestertum verordnet sind.

Lasst uns diese ehrenvolle Verheißung annehmen als eine, die zugleich eine heilige Pflicht einschließt, und lasst uns die Kleider der Heiligen anlegen und den ganzen Tag vor dem Herrn dienen!

"Man soll dich nicht mehr die Verlassene nennen."

Jes. 62, 4.

"Verlassen" ist ein trauriges Wort. Es klingt wie eine Totenglocke. Es erzählt von den tiefsten Schmerzen und weissagt die schwersten Übel. Ein Abgrund von Elend gähnt uns in diesem Wort "verlassen" entgegen. Verlassen von einem, der sich mit seiner Ehre verbürgte! Verlassen von einem Freund, den wir so oft geprüft und dem wir solange vertraut haben! Verlassen von einem lieben Verwandten! Verlassen von Vater und Mutter! Verlassen von allen! Das ist in der Tat tiefes Weh, und doch kann es ertragen werden, wenn der Herr uns aufnimmt.

Aber was muss das sein, sich von Gott verlassen zu fühlen! Denkt an jenen bittersten aller Rufe: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!?" Haben wir je in irgendeinem Grad die Galle des Verlassenseins in diesem Sinn geschmeckt? Wenn ja, so lasst uns den Herrn bitten, uns vor der Wiederholung eines so unaussprechlichen Schmerzes zu bewahren. O, dass solche Finsternis niemals wiederkäme! Die Menschen sprachen einmal in Bosheit: "Gott hat ihn verlassen; jagt nach und ergreift ihn." Aber das war stets falsch, und des Herrn liebevolle Huld wird unsere grausamen Feinde zwingen, ihre Worte zurückzunehmen oder wenigstens ihren Mund zu halten.

Das Gegenteil von all diesem ist jenes erhabene Wort: "Der Herr hat Lust an dir." Dies wandelt das Weinen in Frohlocken. Mögen alle, welche wähnen, verlassen zu sein, den Herrn sagen hören: "Ich will dich nicht verlassen noch versäumen!"

"Dich wird man heißen die Ausgesuchte."

Jes. 62, 12.

Die überschwängliche Gnade Gottes zeigt sich recht deutlich darin, dass wir nicht nur gesucht, sondern ausgesucht werden. Die Menschen suchen, was auf dem Fußboden des Hauses verloren ging; aber dann findet nur ein Suchen, jedoch kein Aussuchen statt. Der Verlust ist viel schmerzlicher und das Suchen viel eifriger, wenn das Verlorne ausgesucht wird. Wir waren mit Staub und Unreinigkeit vermengt; es ging uns, wie wenn ein kostbares Goldjuwel in den Unrat fällt, den die Menschen alsdann sorgfältig ausräumen, um eine solche Masse widerlichen Schmutzes aufs sorgfältigste zu durchsuchen. Sie hören nicht auf zu wühlen und zu tasten und den Haufen zu durchspähen, bis der Schatz endlich gefunden wird. Oder, um ein andres Bild zu gebrauchen: wir waren in einem Labyrinth verirrt; wir wandten uns da- und dorthin, und als die Gnade uns mit dem Evangelium nachging, fand sie uns nicht auf dem ersten Gange, sie musste nach uns forschen und uns aussuchen; denn wir, als die verlornen Schafe, waren so ganz und gar verloren und waren in eine so unbekannte Gegend verirrt, dass es undenkbar schien, wie selbst der gute Hirte unsre verlorne Fährte wieder aufzufinden vermöchte. Preis sei aber der unüberwindlichen Gnade, - sie hat uns ausgesucht! Keine Dämmerung konnte uns ihr verhüllen, kein Schmutz uns ihr verbergen; sie hat uns aufgefunden und heimgebracht. Preis sei der unendlichen Liebe, Gott der Heilige Geist hat uns herwiedergebracht!

Seltsam und wunderbar sind die Wege, die Gott an die Seinen gewandt hat, um sie zu finden. Gelobt sei sein Name, Er lässt nicht nach mit Suchen, bis dass die Erwählten seiner Gnade wirklich ausgesucht sind. Sie sind keine Leute, die heute gesucht und morgen wieder verworfen werden. Die Allmacht und Weisheit vereint irren sich niemals; die Erwählten wird man heißen "die Ausgesuchten." Dass einer ausgesucht wird, ist unvergleichliche Gnade; aber dass wir ausgesucht wurden, ist Gnade über alles Maß. Wir finden keinen andern Grund dafür, als Gottes unumschränkte Liebe, und können unsre Herzen nur in Bewunderung ausschütten und den Herrn dafür preisen, dass wir heute Abend den Namen tragen: "die Ausgesuchten."

"Ein Meister zu helfen."

Jes. 63, 1.

Unter den Worten "zu helfen", haben wir das ganze große Erlösungswerk zu verstehen, von der ersten heiligen Sehnsucht an bis hinaus zur vollkommenen Heiligung. Da ist vieles kurz gesagt; wahrlich, hier ist aller Reichtum der Gnade in einem Wort beisammen. Christus ist nicht nur "ein Meister zu helfen" denen, die da Buße tun, sondern Er kann auch die Menschen zur Buße leiten. Er schenkt den Himmel denen, die da glauben; aber was noch mehr ist, Er kann den Menschen ein neues Herz geben und in ihnen den Glauben wirken. Er vermag den, der die Heiligung hasst, so herumzubringen, dass er sie liebt; und nötigt den, der seinen Namen verhöhnt, dass er die Kniee vor Ihm beugt. Ja, auch damit ist die Bedeutung noch nicht erschöpft, denn die göttliche Macht zeigt sich ebenso herrlich in der Nachwirkung. Das Leben eines Gläubigen ist eine Kette von Wundern, die "der Allmächtige" wirkt. Der Dornbusch brennt, aber er wird nicht verzehrt. Er vermag die Seinen auch heilig zu bewahren, nachdem Er sie geheiliget hat, und erhält sie in seiner Zucht und Liebe, bis dass Er ihr geistliches Dasein im Himmel vollendet. Die Macht Christi besteht nicht darin, dass Er einen Menschen zum Glauben bringt und ihn dann sich selber überlässt; sondern der das gute Werk angefangen hat, führet es auch hinaus; der den ersten Lebenskeim in die Seele pflanzt, erhält auch den göttlichen Funken und nährt ihn, bis er alle Sündenfesseln sprengt, und die Seele sich von der Erde erhebt in vollkommener Herrlichkeit. Gläubige Seele, hier fasse Mut. Betest du für eines deiner Lieben?

O, gib dein Beten nicht auf; denn Christus ist "ein Meister zu helfen". Du kannst den Abtrünnigen nicht zurückrufen, aber dein Herr ist allmächtig. Fasse diesen gewaltigen Arm und reiz ihn zur starken Hilfe. Bist du ob dir selbst beunruhigt? Fürchte dich nicht, denn seine Kraft ist groß genug für dich. Sei's, andre zu retten, sei's, das Werk in dir zu vollenden, siehe, so ist Christus "ein Meister zu helfen"; denn hat er nicht dich errettet? O, wie viel tausendfache Gnade, dass du Ihn nicht erfunden hast als einen Meister zu verderben!

"Ihn, Ihn lass tun und walten!

Er ist ein weiser Fürst,

Und wird sich so verhalten,

Dass du dich wundern wirst!"

"Ich will der Güte des Herrn gedenken, und des Lobes des Herrn in allem, das uns der Herr getan hat."

Jes. 63, 7.

Und kannst du das nicht? Hast du keine Beweise seiner Gnade empfangen? Wie verdunkelt auch dein Weg in diesem Augenblick sei, o, so kannst du doch gewiss die selige Stunde nie vergessen, da der Herr Jesus dir entgegen kam und sprach: "Komm zu mir." Kannst du dich nicht der entzückenden Wonne erinnern, die dich überwältigte, da der Herr deine Fesseln sprengte und deine Ketten zerriss und dich tröstete: "Ich komme und löse deine Bande, und mache dich frei?" Oder wenn du die erste bräutliche Liebe vergessen hast, so findet sich doch gewiss längs deiner Lebensstraße noch irgendein köstlicher Meilenstein, den das Moos noch nicht ganz überwuchert hat, und kannst darauf ein seliges Denkmal seiner Liebestreue und Gnade gegen dich lesen? Wie, hast du noch nie auf dem Schmerzenslager geweint, wie jetzt, und hat Er dir nicht wieder aufgeholfen? Hast du noch nie Mangel gelitten, und hat Er sich dann nicht all deiner Not angenommen?

Bist du noch nie in Widerwärtigkeiten geraten, und hat Er dich nicht daraus befreit? Raffe dich auf und gehe hinab zum Nilstrom deiner Erfahrungen und sammle ein wenig Rohr und füge es zu einem Kästlein zusammen, und lege das Kindlein deines Glaubens darein, dass es ungefährdet auf dem Strom schwimme. Vergiss nicht, was dein Gott für dich getan hat; wende die Gedenkblätter seiner Wohltaten um und schaue zurück in die vergangenen Tage. Gedenkst du nicht an den kleinen Berg im Lande am Jordan? Ist dir der Herr nie begegnet zu Hermonim? Hebst du deine Augen nicht auf zu den Bergen, von dannen dir Hilfe kommt? Ist dir noch nie Hilfe gekommen zur Zeit der Not? O doch, gewiss. Darum kehre eine kleine Strecke zurück zu den auserwählten Gnaden von gestern, und ist auch jetzt alles dunkel, o, so zünde doch die Lampen der Vergangenheit an, die werden die Nacht erleuchten, und du wirst auf den Herrn vertrauen, bis dass der Tag anbricht und die Schatten fliehen. "Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von der Welt her gewesen ist."

"O du Zuflucht der Elenden!

Wer hat nicht von Deinen Händen

Segen, Hilf' und Heil genommen,

Der gebeugt zu dir gekommen?"

"Wir sind allesamt wie die Unreinen."

Jes. 64, 6.

Der Gläubige ist eine neue Kreatur, er gehört einem auserwählten Geschlecht an und einem heiligen Volk; der Geist Gottes wohnet in ihm, und in jeder Hinsicht ist er weit verschieden von dem natürlichen Menschen. Aber trotz dem allem ist der Christ doch noch immer ein sündiger Mensch. Er ist es durch die Unvollkommenheit seiner Natur und wird es bleiben bis zum Ende seines Lebens. Die schmutzigen Finger der Sünde lassen auf unsren schönsten Gewändern Flecken zurück. Die Sünde besudelt unsre Reue, ehe der große Töpfer sie auf seiner Scheibe vollendet hat. Selbstsucht entweiht unsre Tränen, und der Unglaube umstrickt unsern Glauben. Das Beste, was wir je ohne das Verdienst Christi vollbracht haben, musste nur die Menge unsrer Sünden vermehren; denn wenn wir in unsern Augen am allerreinsten gewesen sind, so sind wir so wenig als der Himmel selbst rein vor Gottes Angesicht; und wenn Er an seinen eignen Engeln Tadel findet, so muss dies in noch viel höherem Grade bei uns der Fall sein. Der Lobgesang, der gen Himmel steigt und mit dem Lobgetöne der Seraphim wetteifert, wird von menschlichen Missklängen getrübt.

Das Gebet, das den Arm Gottes bewegt, ist ein beflecktes und verderbtes Gebet und bewegt jenen Arm nur, weil der Sündlose, der große Mittler, ins Mittel getreten ist und unsre Bitte von allem Sündlichen gereinigt hat. Der lauterste Gedanke oder die höchste Heiligung, zu welcher je ein Christ auf Erden gelangte, hat doch so viel Unlauteres in sich, dass sie, an sich betrachtet, verbannt zu werden verdienten. Jeden Abend, wo wir uns im Spiegel betrachten, sehen wir einen Sünder und müssen bekennen: "Wir sind allesamt wie die Unreinen, und alle unsre Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges Kleid." O wie köstlich ist doch das Blut Jesu für unsre Herzen! Welch eine unschätzbare Gabe ist seine vollkommene Gerechtigkeit! Und wie herrlich ist die Hoffnung vollkommener Heiligung danach! Ob auch die Sünde uns noch anklebt, so ist dennoch schon jetzt ihre Macht gebrochen. Sie hat keine Macht mehr, sie ist eine Schlange mit zertretenem Kopf; wir stehen wohl noch in hartem Kampfe mit ihr, aber wir haben es mit einem besiegten Feinde zu tun. Noch eine kleine Weile, so werden wir mit Ehren zur ewigen, heiligen Stadt einziehen.

"Und soll nicht mehr gehört werden die Stimme des Weinens."

Jes. 65, 19.

Die Verklärten weinen nicht mehr, denn aller äußere Anlass zur Traurigkeit ist weggenommen. Dort gibt's keine gebrochenen Freundschaften; im Himmel gibt's keine getäuschten Hoffnungen mehr. Armut, Hunger, Gefahr, Verfolgung und Verleumdung sind dort unbekannt. Kein Leiden betrübt; kein Gedanke an den Tod, kein Verlust mehr macht traurig. Dort weint man nicht mehr, denn dort ist vollkommene Heiligung. Kein "arges, ungläubiges Herz" verstößt sie mehr von dem Angesicht des lebendigen Gottes; sie stehen ohne Fehler vor seinem Thron und sind vollkommen gleich geworden dem Ebenbild seines Sohnes. Dort dürfen sie wohl aufhören zu trauern, die aufgehört haben, Sünde zu tun. Sie weinen nicht mehr, weil alle Furcht vor Veränderung und Wechsel verschwunden ist. Sie wissen, dass sie ewiglich geborgen sind. Die Sünde ist ausgeschlossen, und sie sind eingeschlossen. Sie wohnen in einer Stadt, die nie kann erstürmt werden; sie sonnen sich in den Strahlen einer Sonne, die nie untergeht; sie erquicken sich aus einem Strom, der nie vertrocknet; sie brechen Früchte von einem Baum, der seine Blätter nie verliert. Unzählige Weltenjahre mögen vorüberziehen, aber die Ewigkeit erschöpft sich nie, und so lange die Ewigkeit dauert, so lange währt auch ihre Unsterblichkeit und Seligkeit. Sie sind allezeit bei dem Herrn.

Sie weinen nicht mehr, weil alle Sehnsucht gestillt, alles Wünschen erfüllt ist. Sie können nichts wünschen, was sie nicht schon besäßen. Auge und Ohr, Herz und Hand, Erkenntnis, Vorstellungskraft, Hoffnung, Sehnsucht, Wille und alle Seelenvermögen sind vollkommen befriedigt; und so unvollkommen auch unser jetziges Wissen von dem ist, was Gott zubereitet hat denen, die Ihn lieben, so wissen wir durch die Offenbarung des Heiligen Geistes doch genug davon, dass die Seligen im obern Heiligtum unaussprechlich selig sind. Die Freude Christi, die eine unendliche Fülle der Wonne ist, wohnt in ihnen. Sie baden sich in dem unergründlichen, uferlosen Meer unendlicher Glückseligkeit. Dieselbe freudenvolle Ruhe bleibt uns aufbehalten. Vielleicht ist sie schon nahe. Über kurz oder lang wird die Trauerweide, daran wir unsre Harfen aufhängen, vertauscht mit dem Palmenzweig des Sieges, und die Tautropfen der Sorgen verwandeln sich dann in die Perlen ewiger Wonne.

"Es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören."

Jes. 65, 24.

Welch schnelle Errettung! Der Herr hört uns, ehe wir rufen, und antwortet uns oft in derselben schnellen Weise. Da er unsere Nöte und unsere Gebete vorhersieht, ordnet er die Dinge so, dass er schon für Hilfe sorgt, noch ehe die Not wirklich da ist, und ehe die Prüfung über uns kommt, uns dagegen gewappnet hat. Das ist die Pünktlichkeit der Allwissenheit, wie wir sie oft erlebt haben. Ehe wir noch das Leiden ahnten, das im Anzug war, kam schon der starke Trost, der uns unter demselben aufrechthalten sollte. Was haben wir doch für einen Gebet erhörenden Gott!

Der zweite Satz lässt uns an den Fernsprecher denken. Obwohl Gott im Himmel ist und wir auf der Erde sind, so lässt er doch unser Wort gleich seinem eigenen Wort sehr schnell laufen. Wenn wir auf rechte Weise beten, so sprechen wir in das Ohr Gottes. Unser gnädiger Mittler bringt unsere Bitten sogleich vor, und unser großer Vater hört sie und hat Wohlgefallen daran. Wie leicht betet es sich dann! Wer wollte nicht anhalten am Gebet, wenn er weiß, dass er das Ohr des Königs der Könige hat! So will ich heute im Glauben beten, und nicht nur glauben will ich, dass ich gehört werden soll, sondern dass ich gehört worden bin; nicht nur, dass ich Antwort erhalten werde, sondern dass ich die Antwort schon habe.

"Hört des Herrn Wort, die ihr zittert vor seinem Wort: Eure Brüder, die euch hassen und stoßen euch aus um meines Namens willen, sprachen: Lasst den Herrn verherrlicht werden; aber er wird erscheinen zu eurer Freude, und sie sollen zuschanden werden."

Jes. 66, 5.

Möglicherweise lässt sich dieser Spruch nur auf einen unter tausend Lesern dieses kleinen Buches über die Verheißungen anwenden; aber der Herr ermutigt diesen einen dadurch. Lasst uns für alle beten, die mit Unrecht aus der Gemeinschaft, die sie lieben, ausgestoßen sind! Möge der Herr zu ihrer Freude erscheinen!

Unser Wort wurde zu wahrhaft Frommen geredet, die vor dem Worte des Herrn zitterten. Diese wurden von ihren Brüdern gehasst und um ihrer Treue und Hingabe willen ausgestoßen. Wie bitter muss ihnen das gewesen sein, umso mehr, weil sie um ihres Glaubens willen ausgestoßen wurden und mit der vorgeblichen Absicht, Gott zu verherrlichen. Wie viel wird im Namen Gottes für den Teufel getan! Es ist ein Beispiel von der List der alten Schlange, dass sie den Namen des Herrn gebraucht, um ihren Biss giftiger zu machen.

Dass der Herr für sie erscheinen wird, ist die Hoffnung solcher verfolgten Kinder Gottes. Er erscheint als der Anwalt und Verteidiger seiner Auserwählten; und das bedeutet eine gänzliche Befreiung der Gottesfürchtigen und Schande für ihre Unterdrücker. O Herr, erfülle dies Wort an denen, welche von Menschen verhöhnt werden!

"Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet."

Jes. 66, 13.

Einer M u t t e r Tröstung! Ach, sie ist die Zärtlichkeit selber! Wie geht sie in ihres Kindes Kummer ein! Wie presst sie es an ihre Brust und versucht, all seinen Schmerz in ihr eigenes Herz zu nehmen! Ihr kann er alles sagen, und sie wird mit ihm fühlen, wie niemand anders es kann. Von allen Tröstern liebt das Kind am meisten seine Mutter, und selbst erwachsene Männer haben dasselbe Gefühl.

Lässt sich der Herr herab, gleich einer Mutter zu handeln, so ist das unvergleichliche Güte. Wir können leicht wahrnehmen, wie er ein Vater ist; aber will er auch gleich einer Mutter sein? Fordert dies uns nicht zu heiliger Vertraulichkeit, zu rückhaltlosem Vertrauen, zu getroster Ruhe auf? Wenn Gott selbst der Tröster wird, so kann kein Schmerz lange währen. Lasst uns ihm unsere Not darlegen, ob wir auch nicht viel mehr als Schluchzen und Seufzen hervorbringen. Er wird uns nicht um unserer Tränen willen verachten, so wenig, wie unsere Mutter es tat, und er wird unsere Fehler beseitigen, nur in einer viel vollkommeneren Weise, als unsere Mutter es konnte. Wir wollen nicht versuchen, unseren Kummer allein zu tragen, das würde unfreundlich gegen einen so freundlichen und sanften Herrn sein. Lasst uns den Tag mit unserem liebevollen Gott beginnen! und warum sollten wir ihn nicht in derselben Gemeinschaft auch beschließen, da Mütter ihrer Kinder nicht müde werden?


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