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Die sanfte Weltmacht


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Die sanfte Weltmacht





Von Bernd Ulrich

Welche Kraft und Herrlichkeit - und welche Verlogenheit. Wie sich die katholische Kirche in diesem Jahrhundert verändern muss.

Es ist schon ein merkwürdiger Verein, diese katholische Kirche, zugleich großartig und kleinlich, erhaben und rachsüchtig. Dabei so ehrwürdig alt wie keine zweite Vereinigung in der Geschichte. Trotz oder wegen ihres hohen Alters wandelt sich die Kirche, sie tut das immer, aber selten so sehr wie zurzeit. Vor allem, und das überrascht schon, kommt der katholischen Kirche in der globalisierten, beschleunigten und seltsam eng gewordenen Welt eine neue Rolle zu, eine größere als im 20. Jahrhundert. Größer wohl auch, als es der neue Papst vermutet und gewünscht hätte.

Die neue Bedeutung verdankt sie nicht der beeindruckenden Zahl an Gläubigen. Obwohl die Kirche, wenn sie in der Stimmung wäre zu protzen, darauf verweisen könnte, dass in etwa so viele Katholiken auf der Erde leben wie Chinesen. Doch würde gegen solchen Zahlenstolz sofort die klassische Frage aufgeworfen, wie viele Fabriken, Rohstoffe und Regimenter der Papst denn habe. Keine, lautete die Antwort. Und gerade weil er all das nicht hat, nimmt der Einfluss seiner Kirche im Moment so zu. Um es im Jargon der Globalisierung zu sagen: Die katholische Kirche ist der Global Player als soft power, die sanfte Weltmacht.

In einer schnell zusammenwachsenden Welt stellt sich eine Frage immer klarer: Wer sind eigentlich die Agenturen der Globalisierung, welche Institutionen haben weltweite Erfahrung und sind in der Lage, die Weltöffentlichkeit mitzugestalten? Wer kann als globaler Dialogpartner so viel Kontinuität und Verbindlichkeit garantieren, dass man ihn an seinen Worten und Taten von gestern messen kann, wer kann so Glaubwürdigkeit gewinnen – oder verlieren?

Der wirkungsvollsten Triebfeder der Globalisierung, der Ökonomie, fehlt es weithin an repräsentativen Sprechern ebenso wie an einem über das Eigeninteresse hinausreichenden ethischen Motiv. Die UN, denen hoffentlich einmal die Aufgabe eines Weltparlaments zukommen wird, sind bis auf weiteres doppelt begrenzt. Zum einen moralisch, weil in ihnen allzu viele Rücksichten auf Diktatoren genommen werden. Zum anderen müssen die UN sich in Sachen Menschenrechte, Hunger, Aids oder Klima immer so viel vornehmen, wie die Menschheit nötig hätte, um dann in deprimierender Regelmäßigkeit zu scheitern. Die UN umgeben darum stets ein Geruch von Vergeblichkeit und ein Klang von Doppelzüngigkeit.

Und die USA, der mächtige Weltpolizist? Seine moralische Reputation wurde in den letzten Jahren von der Bush-Administration zuschanden geritten. Ein Dialog mit dem Islam scheint da ebenso wenig glaubwürdig wie die Rolle des Freiheitsexporteurs. Oder, um auf China zurückzukommen, das sich so atemberaubend schnell globalisiert: Diesem Ausgreifen aufs Ganze fehlt etwas Entscheidendes – die ansteckende Idee. Chinas Mission ist China, eine legitime, aber kaum anschlussfähige Botschaft.

Schließlich die anderen Kirchen und Religionen. Ihnen fehlt entweder die globale Ausdehnung oder ein Organisationsgrad, die sie zu einem wirkungsvollen globalen Sprecher machen würden. Und der Islam leidet an einer verheerenden Selbstvergiftung, die alle seine Missionserfolge zunichte macht. Aus den Schwächen all dieser potenziellen Globalisierungsagenturen speist sich die Bedeutung der einen Stimme aus Rom.
Wer sich ein Bild machen will von der Art, wie die Kirche global ist, der sollte weniger nach Lateinamerika oder Südeuropa schauen, in Regionen also, wo die Katholiken zahlreich sind und wo ihre Macht offensichtlich ist. Viel charakteristischer sind die kleinen, wenige tausend Gläubige umfassenden Gemeinden, etwa in Nordkorea oder in Mauretanien, einer verrückten kommunistischen Diktatur und einem armen, islamischen Land an der Westküste Afrikas. Regelmäßig erfährt der Papst von dort, was die Menschen in diesen Ländern wirklich bewegt, es sind Informationen über die je herrschenden Politiker, aber eben auch Nachrichten von ganz, ganz unten. Wenn Benedikt XVI. den (deutschen) Bischof von Mauretanien, Martin Happe, empfängt, dann erhält er ein realistisches Bild – aus der Perspektive kirchlicher Machtlosigkeit. Denn die Katholiken dort dürfen nicht missionieren, sie haben wenig Geld, sie sind praktisch nur zum Helfen da. Auf solche Art erfährt die Kirche nicht nur von den Schwachen, sie erfährt sich selbst auch immer wieder als schwach. Etwas bewirken zu wollen ohne echte Macht, ohne Fabriken, Rohstoffe und Bataillone, diese politisch-geistliche Demutsübung erfährt der Papst jeden Tag – und möglicherweise macht ihn das, um noch mal im globalen Jargon zu reden, fit für die Globalisierung. Mehr als jene zumindest, die sich zu viel auf ihre ökonomischen und militärischen Machtmittel verlassen und den Faktor Legitimation und Glaubwürdigkeit dabei chronisch unterschätzen.

Macht und Ohnmacht, Armut und Reichtum, Vormoderne und Postmoderne – das sind die widersprüchlichen Erfahrungen, die jeden Tag nach Rom, ins schlanke, aus nur 2600 Mitarbeitern bestehende Zentrum des katholischen Organismus, getragen werden. Vielleicht rührt das kleine Wunder des letzten Jahres, die Verwandlung des oft überstrengen Kardinals Ratzinger in den sanften Papst Benedikt, aus solchen Eindrücken. Ausgerechnet er, dessen gefühlte Unfehlbarkeit aus seiner Zeit als Chef der Glaubenskongregation so bedrückend war, hat das Unfehlbarkeitsdogma abgeschafft, nicht theologisch, aber praktisch. In seiner Regensburger Rede hat er den Islam – mehr oder weniger – beleidigt und hat sich danach für seinen Fehler – mehr oder weniger – entschuldigt. Das wiederum hat eine erste relevante Antwort von muslimischer Seite nach sich gezogen. Der Papst, der sich menschlich bescheiden und theologisch anspruchsvoll gibt, macht Dialog möglich, wo vorher desparat polemisiert wurde. Auch bei seinem respektvoll-freundlichen Besuch in der Türkei machte Benedikt XVI. deutlich, was einen global denkenden Deutschen von krawalligen deutschen Provinzpolitikern unterscheidet.

Anwalt der Schwachen, Großmacht für die Kleinen, bescheiden im Auftreten, zuweilen prächtig und mediengerecht, dabei innerlich gefestigt – das müsste den Katholiken eigentlich gefallen. Aber irgendwie springt der Funke nicht richtig über, in Deutschland nicht und andernorts im Westen auch nicht. Warum?

Dafür ließen sich zwei Gruppen von Gründen angeben. Die eine entstammt den unvermeidlichen Zwängen einer global agierenden, zentral kontrollierten Glaubensinstitution, sie sind also kaum zu vermeiden. Die andere berührt die dunklen Kapitel des Katholizismus, die hässliche Rückseite einer von ihren Möglichkeiten her großartigen Kirche.

Der Preis für die eigene Globalisierung ist hoch. Wann immer es um Dogmen geht, muss der Heilige Stuhl bedenken, dass seine Gläubigen in Manhattan wohnen und in Lesotho, in Burma und Berlin, es sind Biomediziner und Analphabeten, tiefe Bewunderer der Mutter Gottes und halbagnostische Dreifaltigkeitsdialektiker. Insbesondere wenn etwas geändert werden soll an den Dogmen, entfaltet diese Verschiedenheit Wirkung. Darum reformiert der Papst durch Nichtbetonen mancher Verbote und durch Nichtahnden vieler Abweichungen – solange sie nicht plakatiert werden.

So ist eben die Struktur kirchlicher Moralität, mit der sich die Kirche ihren schlechten Ruf zuzieht: Die strengen Normen sind das, was öffentlich kommuniziert wird, teilweise formuliert mit einer gewissen Straflust, etwa von Kardinälen in reichen deutschen Diözesen. Milde und Vergebung hingegen vollziehen sich zumeist individuell und daher im Verborgenen. Auf diese Weise entsteht öffentlich der Eindruck von Rigorosität, obwohl die Gemeinden selbst meist recht liberal sind, zuweilen zu sehr. Dieser Umgang mit den Normen lässt sich nicht wirklich ändern. Schließlich unterscheidet sich der Katholizismus vom Relativismus gerade im Sündenfall. Wenn die Übertretungen sich häufen, dann beginnt der Relativismus die Gebote anzuklagen, während die Kirche an den Normen festhält – im Idealfall, ohne den armen Sünder auf ewig zu verdammen. Darum ist das öffentliche Bild der Kirche immer etwas erzkatholischer als die Wirklichkeit.

Und noch etwas anderes macht sie anstößig: der Kampf gegen das, was Johannes Paul II. die »Kultur des Todes« genannt hat. Dieser Kampf umfasst das weite Spektrum von der Euthanasie über die Abtreibung, die Todesstrafe und den Krieg bis hin zur Forschung an embryonalen Stammzellen. Die Kirche ist auf diesem Gebiet nicht Moderator, sondern Anwalt, keine Mitte, sondern Pol. Der Papst ist der Meinung, dass niemand mehr konsequent für den Schutz des Lebens eintritt – außer seiner Kirche. Hat er da Unrecht? Viele verteidigen die Unverletzlichkeit menschlichen Lebens hier oder da, aber niemand überall. Und selbst wenn man der Meinung ist, dass die Kirche hier zu weit geht, so fragt sich: Kann sie anders? Soll sie? Wer, wenn nicht sie, bildet dann den moralischen Urmeter, an dem die Gesellschaft messen kann, wie weit sie bei der Relativierung des Lebens schon fortgeschritten ist?

Trotzdem: Bei allem Verständnis für die Rolle der Kirche, so beginnt für sie hier doch auch jener Bereich, wo ihr Humanismus in Zynismus umschlagen kann. Betreten wir die dunkle Zone des Katholizismus, betreten wir das Schlafzimmer. Eine gewisse Besessenheit von dem Thema Sexualität ist bei der Kirche kaum zu verkennen. Verständlich ist das insofern, als ja auch die westlichen Gesellschaften davon besessen sind. Doch täte die Kirche gut daran, sich nicht zu sehr auf etwas zu kaprizieren, bei dem sie so unsicher ist. Nicht etwa, weil zölibatäre Männer davon keine Ahnung hätten, sondern weil sich Sexualität den Kategorien von gut und böse so leicht entwindet. Sie ist im Kern weder das eine noch das andere, sondern etwas Drittes.

Jedenfalls nimmt es die Menschen zu Recht gegen die Kirche ein, wenn das Dogma, Geschlechtsverkehr müsse auf Nachwuchs ausgerichtet sein, ins Inhumane umschlägt. Und wenn der Kampf gegen die in der Empfängnisverhütung angeblich angelegte »Kultur des Todes« selbst Leben gefährdende Konsequenzen nach sich zieht. Die Rede ist vom Kondomverbot selbst bei Aids-Gefahr. Neuerdings ist zu hören, der Vatikan denke hier über Lockerungen nach. Aber wie viele Menschen müssen noch sterben, bis man in Rom so weit ist? Bei diesem Verbot geht es nicht um Strenge oder Liberalität im Umgang mit im Kern richtigen Normen. Es geht um eine inhumane Norm.

Ähnlich gelagert ist das Thema Homosexualität. Es wurde und wird in seiner Bedeutung vom Klerus überschätzt. Kardinal Ratzinger polemisierte noch vor kurzem gegen den Gedanken der Homoehe. »Mit dieser Tendenz tritt man aus der gesamten moralischen Geschichte der Menschheit heraus«, schrieb er im Jahr 2000 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und fuhr fort: »Hier stehen wir vor einer Auflösung des Menschenbildes, deren Folgen nur äußerst gravierend sein können.« Der Kardinal erlag hier einer erstaunlichen Verwechslung. Den Bedeutungsverlust der Familie kann man sicher als bedrohlich empfinden. Jedoch hat er mit der Legalisierung homosexueller Lebensgemeinschaften wenig bis gar nichts zu tun. Der Fehler entspringt wiederum nicht aus der überstrengen Anwendung einer richtigen Norm, sondern aus dem im Kern falschen Verbot gelebter Homosexualität. Wie man Menschen für etwas verurteilen kann, zu dem sie sich nicht entschlossen haben, sondern das sie bei sich entdecken, das niemandem schadet und das nur durch lebenslange Keuschheit zu umgehen ist – das bleibt ein Geheimnis der katholischen Kirche. Aber ein dunkles. Homosexualität ist für die Gesellschaft nicht so bedeutsam, wie Joseph Ratzinger meinte. Aber für die Glaubwürdigkeit der Kirche ist sie immerhin wichtig genug, um ihr bei vielen Menschen tiefes Misstrauen einzutragen.

Es geht bei diesen dunklen Seiten um mehr als nur Nebenaspekte. Die katholische Kirche befindet sich im globalen Missionswettbewerb mit allen möglichen Fundamentalismen, sie ist verführt, archaische Vorurteile zu bedienen, wie sie es in Lateinamerika oder im zurzeit politisch-kulturell verrückt spielenden Polen auch tut. Sie ist generell in der Gefahr, in ihrem Feldzug gegen den »totalitären Relativismus« selbst einen totalitären Antirelativismus herauszubilden. Wenn die Kräfte der katholischen Kirche nachlassen, dann könnte sie den Anspruch heimlich aufgeben, das Ganze zu repräsentieren, sie würde sich darauf verengen, nur mehr Gegengewicht zu einer verfallenden Gesellschaft zu werden, sich auf einen Pol zurückziehen und nicht mehr, wie Ratzinger es beansprucht, eine »neue, aufgeklärte Art des Christentums« verkörpern. Damit würde sie auch die Chancen ihrer eigenen Globalisierung verspielen.

Um es zum Schluss weihnachtlich pathetisch zu sagen: Die katholische Kirche lässt hoffen. Als Anwalt der Schwachen und als Agentur der Globalisierung kann sie einer unter Stress geratenen Menschheit helfen. Gerade deshalb muss sie eine größere Sensibilität entwickeln für die Zonen, in denen ihre Normen ins Inhumane umschlagen. Benedikt XVI. hat dazu schon klug geschwiegen. Irgendwann sollte er dazu auch klug sprechen.
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