Gericht entzieht Hausschuleltern Sorgerecht teilweise
01.07.2021
Ein Kind auf dem Weg zur Schule. Symbolbild: pixabay.com
Celle (IDEA) – Wenn Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken und statt dessen aus religiösen Gründen zu Hause unterrichten, kann das Sorgerecht „für den Bereich schulischer Angelegenheiten“ entzogen werden. Einen entsprechenden Beschluss hat der für Familiensachen zuständige 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle gefasst. Die Entscheidung (Az.: 21 UF 205/20) wurde Ende Juni veröffentlicht. Das Gericht verwies zur Begründung auf die Gefahr, dass die Kinder durch den Hausunterricht „weder das erforderliche Wissen noch erforderliche Sozialkompetenzen erlernen zu können“.
Eltern gegen Evolutionstheorie und Sexualkunde
Die Eltern aus Rotenburg/Wümme gehören nach Angaben des Gerichts einer freikirchlichen Gemeinde an. Sie haben sieben Kinder, von denen die beiden ältesten im Alter von sieben und acht Jahren schulpflichtig sind. Die Eltern sähen es als ihre Erziehungsaufgabe an, ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen. Dazu zählten sie etwa Evolutionstheorie, Sexualkunde sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Mutter beschult die Kinder nach dem Konzept einer Freien christlichen Schule zu Hause.
Die Landesschulbehörde hatte 2019 einen Antrag abgelehnt, die Kinder von der Schulpflicht zu befreien. Der Vater wurde bereits in 15 Verfahren wegen Verstößen gegen die Schulpflicht zu Bußgeldern verurteilt.
Kinder können zum Schulbesuch gezwungen werden
Das Amtsgericht Rotenburg hatte keinen Anlass gesehen, gegen den Hausunterricht einzuschreiten, weil bei den Kindern keine Wissenslücken zu erkennen seien. Dagegen legte das Jugendamt Beschwerde ein und bekam vor dem Oberlandesgericht Celle nun Recht. Es hat den Eltern das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten entzogen und das Jugendamt als „Ergänzungspfleger“ bestellt. Es kann damit die Kinder auch gegen den Willen der Eltern zum Schulbesuch zwingen.
Weder Computer noch Fernseher in der Familie
Nach Einschätzung des Familiensenats gelingt es den Eltern nicht, den Kindern das nötige Wissen zu vermitteln und auf spätere schulische Prüfungen sowie auf eine Berufsausbildung vorzubereiten. Auch das von ihnen angewandte Schulkonzept hätten sie nicht nachvollziehbar beschreiben können. Die Mutter unterrichte die Kinder nur wenige Stunden am Tag – meist neben der Betreuung der anderen fünf Kinder. Zudem würden die beiden ältesten Kinder ohne Kontakt zu Gleichaltrigen außerhalb ihrer Gemeinde aufwachsen und somit keine Sozialkompetenzen erlernen. In der Familie gebe es keine Computer und keinen Fernseher.
Das Gericht räumte ein, dass die Eltern aufgrund der Glaubensfreiheit im Grundgesetzes das Recht hätten, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln. Doch dies könne außerhalb des Schulunterrichts geschehen.