Theologieprofessor: Kirche muss sich fragen, warum es sie überhaupt gibt
Korntal (idea) – Die evangelische Kirche sollte sich weniger damit beschäftigen, was sie tun kann, um dem Trend des Mitgliederschwunds zu begegnen, oder wie sie attraktiver werden könnte. Stattdessen muss sie sich die Frage stellen, warum es sie überhaupt gibt.
Diese Ansicht vertrat der Professor für Systematische Theologie und Rektor an der CVJM-Hochschule Kassel, Rüdiger Gebhardt, beim 5. „Forum Pietismus“ der theologisch konservativen Vereinigung „ChristusBewegung Lebendige Gemeinde“ vor rund 350 Besuchern am 1. Februar in Korntal.
Gebhardt zufolge müssen die evangelischen Landeskirchen stärker an ihrer Kernaufgabe arbeiten – der „Kommunikation des Evangeliums in Wort und Tat“. Leider sei die Kirche in dieser Frage gespalten: Die einen konzentrierten sich zu stark auf das Wort, also die Mission, während die anderen nur an der Tat, der Diakonie, interessiert seien. Doch beides gehöre untrennbar zusammen: „Es reicht nicht, den Menschen von Jesus zu erzählen, aber ihnen nicht auch in anderer Hinsicht zu helfen.“
Auf der anderen Seite sei es ebenso falsch, den Menschen in Not beizustehen, ihnen jedoch das Evangelium vorzuenthalten. Er empfehle den Kirchen deshalb, darauf zu hören, was Gott in seinem Wort sage, und auf der anderen Seite den Menschen zuzuhören, wenn sie davon sprächen, was sie bewege. Das Motiv für Mission müsse immer die Liebe zu den Menschen sein, die das Evangelium noch nicht gehört hätten oder der Kirche aus anderen Gründen fernstünden.
Beim „Forum Pietismus“ wurden der bisherige Vorsitzende der „ChristusBewegung Lebendigen Gemeinde“, Ralf Albrecht (Nagold/Schwarzwald), und die Kommissarische Leiterin der Geschäftsstelle, die Landessynodale Ute Mayer (Weil der Stadt), verabschiedet. Als Nachfolger wurden Pfarrer Friedemann Kuttler (Großbottwar) als neuer Vorsitzender und Dieter Abrell (Stuttgart) als neuer Geschäftsführer eingeführt.
Kuttler: Klare Lehre darf niemals die Liebe verdrängen
Kuttler nannte es als Ziel der „Lebendigen Gemeinde“, dass Menschen Jesus Christus begegneten, damit sie gerettet würden. Dazu sei es wichtig, dass man in der Christusbewegung zusammenstehe und sich nicht „auseinanderdividieren“ lasse, indem man ständig prüfe, ob der andere „noch fromm genug oder schon zu fromm“ sei.
Damit Menschen auf Jesus Christus aufmerksam würden, seien Christen aufgefordert, „den Menschen täglich in Liebe zu begegnen“, weil sie selbst aus der „Liebe Jesu Christi“ lebten, die sich „am Kreuz“ zeige. Klarheit in der Lehre dürfe niemals die Liebe verdrängen oder in den Hintergrund treten lassen. Aus diesem Grund müsse gerade unter Christen ein liebevoller Umgang miteinander selbstverständlich sein.
Die „Lebendige Gemeinde“ werde zwar oft als „Bewahrer abgestempelt“, aber das sei völlig falsch, wenn es um Strukturen und Formen gehe. Es sei fatal, an diesen um jeden Preis festzuhalten. Der Pietismus habe sich immer die Erneuerung der Kirche zur Aufgabe gemacht, und das bleibe für die „Lebendige Gemeinde“ auch heute noch aktuell.
Allerdings verstehe sich die Christusbewegung sehr wohl als „Bewahrer“, wenn es um die Botschaft des Evangeliums und die „Bibel als Gottes Wort“ gehe, an dem sich Christen ausrichten müssten.
Albrecht: Mittelweg zwischen Konsequenz und Liebe gehen
In diesem Sinne wollte auch Kuttlers Vorgänger seinen Dienst als Vorsitzender verstanden wissen. Er sei stets bestrebt gewesen, zwischen den beiden Polen „Klarheit“ und „Liebe“ den richtigen Mittelweg zu finden, so Albrecht. Ihm sei deshalb mitunter vorgeworfen worden, er sei wahlweise „zu konsequent“ gewesen oder im Gegenteil in Auseinandersetzungen nicht „scharf“ genug aufgetreten. Er habe seinen Weg jedoch als den richtigen empfunden.
„Die „ChristusBewegung Lebendige Gemeinde“ ist seit über 60 Jahren ein geistliches Netzwerk innerhalb der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Der Verein veranstaltet gemeinsam mit anderen Trägern die Jugendkonferenz für Weltmission (JuMiKo). In der Landessynode unterstützt er den gleichnamigen Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“. Bei der vergangenen Kirchenwahl am 1. Dezember 2019 hat sie 31 von 91 Sitzen erlangt.