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In Gemeinden muss etwas sterben, damit Leben entsteht


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Rolf

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In Gemeinden muss etwas sterben, damit Leben entsteht

 

 

 

 

 

Was erzählt ein verwilderter Garten über den Ist-Zustand vieler Kirchengemeinden? Wachstum braucht Freiraum. Manchmal muss man etwas sterben lassen, um neu beginnen zu können.

 

 

Von Sebastian Baer-Henney

 

 

Das eine stirbt, damit das andere leben kann. Für Jesus war es klar, denn er würde nicht mehr da sein, würde dafür aber seinen Jüngerinnen und Jüngern deutlich mehr Leben geben können. Reiche Frucht. Ewig leben. Nonstop-Seligkeit. Das eine stirbt, das andere lebt. Da zweifel ich nicht dran, allein: Für die Kirche stimmt es nicht. Weil sie nicht stirbt. Seit Jahrzehnten geht vieles in der Kirche den Bach runter, die Zahlen werden weniger, und wenn ich Außenstehende frage, dann wirkt es fast so, als könnten sie das Sterben der Kirche riechen und würden von diesem Odeur abgeschreckt. „Nein, Kirche ist nichts für mich. Dafür bin ich zu jung.“ Schade.

 

Denn sie sehen nicht, was es hier an tollen Aufbrüchen gibt, wie viel Innovation in vielen Gemeinden steckt, wie viele Menschen sich aufmachen und Neues probieren und wie vieles davon auch wirklich gut ist. Nein, der Hauch des Sterbens macht es den Menschen unmöglich, mit ihrer Lebenswelt an diese Kirche anzuknüpfen, die doch eigentlich so viel zu bieten hat. Der Tod überlagert zwar das Leben, aber diese Kirche stirbt nicht. Darum passt das Bild vom Samenkorn hier einfach nicht. Was aber hilft, ist das Bild von der Erde. Denn um neuem Leben Raum zu bieten, muss es auf die Erde fallen und dort wachsen können. Und das verstehe ich, weil ich gedanklich direkt in unserem Garten bin.

 

Grün aber lebensfeindlich.

 

Der war lebensfeindlich. Es blühte nichts mehr, wilde Ranken hatten sich in trockenem Grund behauptet, diese wiederum nahmen alles, was es an Licht und Freiräumen und Nährstoffen gab, und verleibten es sich ein, um geruhsam zu verholzen und sich auf die karge Ewigkeit einzustellen. Die Bienen hatten das bereits gemerkt und sich in andere Gefilde aufgemacht, sodass die Vögel bald gefolgt waren, und so richtig wollte sich niemand mehr im Garten aufhalten. Noch nicht mal die Gemeindeleute. Sie blieben drinnen und nahmen den Garten nicht mehr als Ort des Lebens wahr. Er lag brach. Wüst und leer lag er da, Tohuwabohu ohne Geist. Darauf hatten wir keine Lust mehr. Denn die Menschen im Stadtteil wollten Grün, sie wollten was für die Bienen machen, wollten wieder mehr Vögel haben – und wollten selber Raum für sich, wo sie gärtnern und Grün wachsen lassen konnten.

 

So sammelten wir, was wir erhalten wollten. Die wenigen verbliebenen Blumen gruben wir aus und lagerten sie aus in kleine Töpfchen. Samen von einigen anderen Blumen zupften wir und bewahrten sie auf. Und dann wurde gerodet, gewütet, geschnitten und gegraben. Das lebenssaugende Grün wurde kompostiert und so wieder lebensförderlich, die Erde wurde fruchtbar gemacht durch Kaffeesatz (!) und Grünschnitt. Dann haben wir gesät. Unsere alten Samen, die schönen Blütenpflanzen. Dazu viel Neues, Blumenwiese, wie es gerade Mode und deshalb notwendig war. Und dann, dann haben wir gewartet. Nein, wir sahen nicht, dass es gut war.

„Nein, wir sahen nicht, dass es gut war.“

 

Kahl aber hoffnungsvoll

 

Denn offen gesagt, es sah, naja, so „geht so“ aus. Es war halt ein Stück braune Erde. Wir hofften aber, glaubten dran. Man muss schon dies Vertrauen haben, dass das klappt. Wir hatten das. Weil Menschen dabei waren, die sich gut mit Gärtnern auskannten, die immer wieder sagten, dass es eben dauert, bis es grünt. Uns blieb, zu gießen. Und träumen – denn wir hatten ja ein Bild vor Augen davon, wie es sein sollte. Wie es versprochen war, zu werden. Vom Leben, von der Verheißung. Ja, wir wussten, wie unser Garten aussehen würde. Und irgendwann kamen sie dann. Die ersten zaghaften Pflänzchen. Die Sonnenblumen waren ganz früh da, die Kräuter auch. Und unsere Prunkbohne – sie heißt tatsächlich Lady Di. Die Dame reckte sich in die Höhe und wurde auf ganz neue Weise unsere Prinzessin der Herzen, und im Frühsommer war es nicht mehr zu verleugnen, dass da etwas Großartiges entstanden war. Ja, wir sahen, dass es gut war. Endlich.

 

Die Verheißung, die durch das Urkorn Jesus in unsere Welt gekommen ist, dass er da ist, alle Tage, die Erneuerung des Bundes, der doch schon immer besagte, dass Säen und Ernten nie aufhören müssen – im Garten haben wir dem irgendwie trauen können. In der Kirche fällt mir das aber so oft so schwer. Dabei ist die Analogie doch gar nicht so schwer zu ziehen: Wer Angst vor leeren Beeten hat, der sollte keinen Garten bauen. Und wer Angst vor leeren Kirchen hat, der sollte keine Gemeinde bauen.

„Wer Angst vor leeren Kirchen hat, der sollte keine Gemeinde bauen.“

Wer Gemeinde pflanzen und blühen sehen will, der muss den Mut haben, ordentlich fruchtbaren Boden zu schaffen. Denn man muss kein Gärtner sein, um zu verstehen, dass zwischen all dem alten Bewuchs nichts wirklich aufblühen kann. Das steht schon in der Bibel: Wenn die Saat zwischen die Dornen fällt, wird nix draus.

 

Wachstum braucht Freiraum

 

Seit ich Pfarrer bin, habe ich in sechs Gemeinden gearbeitet. Und in allen gab es so viel zu tun mit Formaten, deren Zeit eigentlich gekommen war. Es gab ehemals innovative Gottesdienstformate, die niemand verabschieden konnte, weil sie – obwohl nicht mehr wirklich attraktiv – liebgewonnen waren. Ich habe Sonntagsgottesdienste mit einer Handvoll treuer Gemeindeglieder gesehen und ich habe so viele Seniorenkreise gesehen, die immer kleiner wurden und dabei aufgetaute Sahnetorte gegessen haben und sich wunderten, dass keine jungen Alten nachrückten. Und „Jugendkreise“, die gemeinsam mit ihren Besuchern gealtert waren. Hier riecht es nach dem Niedergang, nach dem Sterben. Nicht schlimm, könnte man sagen, aber die anderen riechen das auch – und außerdem kostet es so unglaublich viel Energie und Kraft, diese Angebote weiter am Leben zu erhalten.

 

Wie die verholzten Gewächse, die ehemals wohl auch mal schön waren, besteht die Daseinsberechtigung oft nur noch aus einer Mischung aus liebgewonnener Tradition und – Angst. Dass man nämlich die letzten nicht auch noch verschrecken möchte, das habe ich sehr oft als Argument gehört. Dass man den treuen Kirchgängern das doch nicht antun könnte. Aber wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt, dann kann es keine Frucht bringen. Wenn die Erde dicht ist mit alten Wurzeln und trocken und verwachsen, dann wird es keine Frucht, kein Leben geben.

 

Stattdessen könnte man es machen wie wir mit unserem Garten. Behutsam schauen, was es da Schönes gibt. An Althergebrachtem. Und an Innovativem. Dazu schauen, was gerade dran ist. Bienenwiese quasi, das, was die Menschen da draußen einfordern. Und dann den Rest einfach sterben lassen und mit den schönen alten Pflanzen was gutes Neues einsäen. Und dabei in Kauf nehmen, dass man auch viel Sterben sieht. Dass es erstmal vielleicht nicht so schön aussieht, weil es ein Zurückschneiden, ein Stutzen, ein Kleinwerden ist.

„Die Kirche darf auf ihre Vision und ihre Verheißung trauen.“

 

Es gibt Menschen, die an einem frisch gesäten Beet stehen und sich ärgern über die karge braune Erde. Aber es gibt so viele mehr, die sich auf den Garten freuen. Und in dem Fall dürfen wir mit dem verheißenen Leben, mit unserer Vision wuchern. Eben weil Gott gesagt hat, dass er uns nicht im Stich lassen wird. Weil Er versprochen hat, bei uns zu sein. Nein, die Kirche darf auf ihre Vision und ihre Verheißung trauen und darauf, dass sie getrost Dinge über Bord schmeißen, unterpflügen, bleiben lassen darf, ja muss. Denn sonst ist keine Erde da.

 

Von Konsumenten zu Fruchtbringern

 

„Aber es hat gedauert, bis die Menschen der Vision getraut haben.“

In unserem Garten hat es übrigens auch in dieser Hinsicht gut funktioniert. Ich gehe nicht mehr zum Seniorenkreis. Aber ich habe die Senioren in den Garten eingeladen. Dort durften sie den Jungen das Gärtnern beibringen. Das können sie – und auf einmal sind sie nicht mehr bloße Konsumenten, sondern Fruchtbringer. Und es war großartig, wenn wir im Sommer keine Bibelstunden mehr gefeiert haben, sondern Feierabendandachten mit Aperitif im Garten – mit allen Generationen. Es war ein gutes Jahr voller Wachstum im Grün. Aber es hat gedauert, bis die Menschen der Vision getraut haben, und noch immer ist sie für viele nicht tragfähig, es braucht Zeit, bis sie sich daran gewöhnen. Nun ist es Winter und der Garten liegt brach. Aber das Vertrauen hat sich schon einmal ausgezahlt, und das merken die Menschen. Sie sind mutiger. Lebensfreudiger. Hoffnungsvoller. Und das verändert die Kirche. Sie wird weniger als Sterbende gesehen, weil sie fruchtbar ist und Leben atmet und so nicht mehr nach Tod riecht. Sie riecht nach Blumen.

 

Sebastian Baer-Henney arbeitet als Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland in Köln. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Suche nach neuen Formen der Gemeindearbeit, getragen von der Frage, wie Glaube und Kirche wieder für mehr Menschen Relevanz gewinnen können (

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