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Anbetung im Stehen und mit erhobenen Händen?


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Rolf

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Anbetung im Stehen und mit erhobenen Händen?





Dr. Jochen Eber


Historische Fakten

1. Das stehende oder kniende Gebet kommt nicht nur im Christentum,
sondern auch im Judentum und im Heidentum außerhalb der Bibel vor. Auch
das Ausbreiten bzw. Erheben der Hände zum Gebet ist kein besonderes
"biblisches" Verhalten, es ist im ganzen Orient und im antiken Mittelmeerraum
bezeugt. Griechen und Römer beten mit erhobenen Händen. Diese
Gebärde ist zuerst die Haltung des Bettlers, dann in der Antike auch allgemein
gleichbedeutend mit Beten (Reallexikon für Antike und Christentum,
Bd. 8, ØGebet IÆ, 1972, Sp. 1141; 1158; 1167; 1231).

2. Christen beten in den ersten Jahrhunderten nicht nur stehend, sondern
auch kniend. Bis heute gibt es in ostkirchlichen Gottesdiensten Sitzgelegenheiten
nur für ältere, schwächere Teilnehmer. Ansonsten nimmt man seit
alter Zeit stehend am ganzen Gottesdienst teil. Als Gebetshaltungen werden
in der christlichen Kunst nicht nur ausgebreitete Hände, sondern auch die
vor der Brust gekreuzten Arme oder zusammengelegte Hände bezeugt. Kniendes
Gebet (Fachbegriffe: Prostratio, Proskynese) gibt es auch im nichtchristlichen
alten Orient. Es drückt dort wie ebenso in den ältesten christlichen
Bildern aus, daß ein weltlicher oder priesterlicher Herrscher kultisch,
gottesdienstlich, verehrt wird. (So z.B. in der Darstellung der Anbetung der Drei
Könige.)

3. Der betende Christ (Orans, Orante, Orantin) wird mit seitlich ausgestreckten,
angewinkelten oder erhobenen Armen dargestellt, die Handflächen
sind dabei nach oben gerichtet. (Z.B. bei Bildern von Noah, Jona, Daniel
und den Jünglingen im Feuerofen.) Die Handflächen werden auch im alten
Orient beim Gebet in Richtung des angebeteten Gottes bzw. Götterbildes
ausgerichtet. Man erhebt die Hände nicht nur zur Anbetung, sondern zu allen
Arten des Gebets, also auch zur Bitte und Fürbitte.

4. Ich habe bisher keine christlichen Bilder gefunden, die zeigen, daß die
Hände senkrecht nach oben und die Handflächen dabei nach vorne Richtung
Bühne bzw. Altarraum ausgerichtet wurden, wie man das z.B. auf dem Titel
von Walter Hollenwegers Buch Enthusiastisches Christentum findet. Das
seitliche Ausbreiten der Hände zum Gebet wird schon in ältester Zeit bei den
Kirchenvätern auf die Art und Weise, wie Christus am Kreuz hing, gedeutet.
So wird ihm die Gemeinde ähnlicher: in Leiden und Gebet.

5. Einen ersten Beleg für gefaltete Hände gibt es aus dem 8. Jahrhundert;
erstmals im Gottesdienst belegt ist diese Haltung im 11. Jahrhundert. Diese
Gebetshaltung bürgert sich seit dem Frühmittelalter im Abendland ein. Ihre
Bedeutung war: Der Gläubige unterwirft sich Gott, wie sich der Untertan mit
dieser Geste einem Lehensherren unterordnet. Die mittelalterliche Kirche hat
also nichts anderes gemacht als die vorangehende Alte Kirche: sie hat für
ihr Gebet einen Brauch aus der Umwelt übernommen, der nicht unlösbar mit
heidnischen Praktiken verbunden war und eine Demuts- (Dienst-) Haltung
gegenüber Gott bedeutet hat.

6. Diese Demutshaltung des Händefaltens nehmen die Gläubigen beim Gebet
auch heute noch ein, obwohl sie meist nicht mehr wissen, woher sie historisch
kommt. Es kommt aber vor alle auf die Demut des Herzens und nicht
auf die äußere Haltung an!

Dagegen findet man in der röm.-katholischen Messe m.W. nur noch
an einer Stelle bis heute auch das antike Ausbreiten der Hände! Wenn der
Priester die Worte zur Abendmahlsfeier spricht, legt er sein Meßbuch vor
sich auf den Altar und breitet die Hände aus.

Theologische Überlegungen


7. Theologisch gesehen gehört die Gebetshaltung zu den Mitteldingen (Adiaphora),
die von der Bibel weder als gut noch als böse qualifiziert werden.
Es verhilft mir nicht zum Heil, wenn ich eine bestimmte Haltung einnehme,
und es wird mir nicht zur Sünde, wenn ich dies unterlasse. Als Adiaphora
würde man zum Beispiel auch die Existenz eines Altars, Kerzen, den Talar
des Predigers und ähnliches theologisch einordnen. Der Gebrauch dieser
Dinge im Gottesdienst ist weder zum Heil nötig noch ist es sündig, wenn
man sie gebraucht oder nicht gebraucht.

8. Die Tatsache, daß im Gottesdienst bestimmte Gegenstände benutzt und
bestimmte Haltungen eingenommen werden, verweist auf die dahinterliegenden
Konventionen oder Traditionen einer Gemeinde. Bei älteren Kirchen sind
diese Fragen entweder durch Gewohnheitsrecht oder durch Entscheidungen
der jeweils zuständigen Synode o.ä. geklärt worden. Bei jüngeren Gemeinden
ergeben sich Konventionen gewöhnlich aufgrund eines Konsenses, der
durch eine Gemeindeentscheidung getroffen wurde oder (ohne liturgische
und kirchenrechtliche Festschreibung) durch Gewohnheit und Brauch geregelt
ist. So ist es bei evangelikalen Anglikanern (z.B. John Stott) üblich,
beim Gebet hinzuknien. In vielen Kirchen empfangen die Gläubigen das
Abendmahl kniend.

9. Wenn ein Gläubiger an einem Gottesdienst einer ihm fremden Gemeinde
bzw. Kirche teilnimmt, kennt in der Regel die gottesdienstlichen Gebräuche
nicht. Er benimmt sich vielleicht sogar "falsch", ohne daß dies eine Sünde
wäre, wenn er nicht weiß, wann man aufsteht, sich setzt etc. Er zeigt damit,
daß er fremd ist. Normalerweise wird der Gläubige versuchen, sich nach den
örtlichen Gegebenheiten zu richten. Denn sonst könnte es vielleicht zu
Problemen kommen, wenn er z.B. das Abendmahl in einer anderen Weise
empfangen will, als das in der Gemeinde üblich ist.

10. Die Lehre von den Adiaphora wurde in der Reformationszeit ausführlich
erörtert. Als Besonderheit der Mitteldinge wurde herausgestellt, daß sie im
"Fall des Bekennens" bzw. Bekenntnisses (status confessionis) nicht mehr
neutral sind, sondern zur Sünde werden können, bzw. Widerstand gegen die
Einführung bestimmter Adiaphora nötig ist. Die katholische Kirche der
Gegenreformation hatte nämlich versucht, den Evangelischen die Wiedereinführung
von Priestergewändern u.a. zu "empfehlen". Dahinter stand aber die
Absicht, die Evangelischen wieder in die römische Kirche zurückzuführen.
In dieser Situation deklarierten die Evangelischen den status confessionis:
es wäre eine Sünde, diese Tradition wieder zu übernehmen, denn dadurch ist
unser evangelisches Bekenntnis gefährdet. Letztlich geht es den Katholiken -
so behaupten die Evangelischen - nicht um die Priestergewänder, sondern
darum, uns vom rechten Glauben abzubringen und uns ihrem Glauben
zuzuführen.

11. Das Erheben der Hände zum Gebet wird in unserem kirchlichen Kontext
von den Pfingstkirchen geübt und durch die charismatische Bewegung in
andere Kirchen übertragen. Es wird als Wiederaufnahme der urchristlichen
Gebetshaltung interpretiert, da sich die Pfingstkirchen mit ihren theologischen
Schwerpunkten ja generell für eine Erneuerung neutestamentlichen
Christentums halten. Außerhalb dieser Kreise ist diese Gebetshaltung meines
Wissen nirgends spontan oder in Anknüpfung an biblische Vorbilder aufgetreten
oder gefordert worden.

12. Wenn das Erheben der Hände zum Gebet nicht aufgrund der Zugehörigkeit
zur charismatischen Bewegung gefordert, sondern aus dem Wunsch
"zurück zu den biblischen Vorbildern" - die in Wirklichkeit altorientalische
sind - abgeleitet wird, dann müßte man sich auch für das kniende Gebet und
weitere neutestamentliche Bräuche starkmachen (z.B. Abendmahl mit Wein
und nicht mit Traubensaft).

13. In der Regel besteht eine Verbindung zwischen äußerlichen Traditionen
wie der Gebetshaltung und theologischen Ansichten der betreffenden Person.
Es scheint, daß die Pfingstkirchen nicht nur ihre Gebetshaltung anderen
Gemeinden und Kirchen weitergeben wollen, sondern auch ihre Ansichten
über Geistestaufe und das dadurch erreichte höhere christliche Leben, das
sich im andauernden Lobpreis ohne Notwendigkeit der Klage und der Buße
ausdrückt. Dieses schwärmerische Verständnis der in diesem Erdenleben
erreichbaren Heiligkeit, die den Christen aus seinem täglichen Kampf gegen
die Sünde und der täglichen Buße und Erneuerung im Gebet hinausführen
will, um nur noch den Lobpreis zu pflegen, entspricht dem neutestamentlichen
Leben aus Glauben nicht. Genauso ist der fahrlässige Umgang der
Pfingstler mit angeblichen Prophetien und Visionen, deren Beachtung und
Anwendung zur zweiten Norm neben der Heiligen Schrift wird, nicht vom
biblischen Zeugnis über die Propheten gedeckt. Wenn man diese Themen als
theologische Grundfehler im Blick auf die Lehre vom Menschen und seine
Erhaltung im Glauben deutet, wäre ein status confessionis (s.o. 10) gegeben.
Praktische Folgerungen für Chrischona-Gemeinden

14. Ohne die Propaganda charismatischer Christen wäre wohl kein Chrischona-
Mitglied von selbst darauf gekommen, zum Gebet seine Hände zu erheben
oder dies gar als die "bessere" Gebetshaltung zu deuten. Deshalb kommt
es zu Unruhen und Mißmut, vor allem bei älteren Gemeindegliedern, die
sich in ihrer Gewohnheit beeinträchtigt fühlen. Die Absicht, eine biblische
Praxis einzuführen, kann kaum vorhanden sein, denn sonst würde man auch
auf kniendes Gebet drängen. Man wird dagegen annehmen dürfen, daß das
Händeerheben darauf hindeutet: schau her, hier ist auch ein Charismatiker,
der sich in der Chrischonagemeinde outen möchte.

15. Als Regel könnte gelten, daß man sich den jeweiligen Bräuchen der
jeweiligen Gemeinde anpaßt und nicht unnötig Streit erregt (s.o. 9). Kommt
jemand in einen Pfingstler-Gottesdienst, soll er mit den Pfingstlern die
Arme heben; nimmt er am Gottesdienst der Anglikaner teil, soll er sich mit hinknien;
ist er in einer Chrischona-Gemeinde, soll er wie die anderen Gottesdienst-
Teilnehmer die Hände falten.

16. Man könnte die gegenwärtige Diskussion in einigen Chrischona-Gemeinden
auch als Anfangszeichen eines Wechsels in gottesdienstlichen Bräuchen
interpretieren. In dieser Situation kann es nicht angehen, verschiedene
Gebetshaltungen auf zwei verschiedene Gottesdienste aufzuteilen. Damit geht
man den eigentlichen Sachfragen in postmoderner Beliebigkeit aus dem Weg.
Vielmehr wäre eine gesamtgemeindliche Regelung sinnvoll, weil die ganze
Gemeinde diskutieren und wissen sollte, was sie tut. Dazu gehört, daß man
die Sache erklärt, in der Gemeindeversammlung darüber diskutiert, und nicht
nur am zuständigen Entscheidungsorgan vorbei einfach einführt und dann
fragt: wie löse ich den entstehenden Streit am besten, damit wieder Frieden
einkehrt? Wenn sich die Gemeindeversammlung für das Händeerheben
entscheidet, soll sie diese Praxis auch bei der Fürbitte und beim Vaterunser
beibehalten.

17. Mit Sicherheit ist es verkehrt, für diejenigen, die zur Anbetung
aufstehen und die Hände erheben wollen, größere Glaubensfreude reklamieren zu
wollen als für die anderen, die sich durch Sitzenbleiben vermeintlich
zurückhaltender äußern. Diese Unterstellung entbehrt jeder Beweisgrundlage. Im
Gegenteil ist zu befürchten, daß die vermeintlichen Anbeter äußerliche
Bewegtheiten mit größerer innerer Freude am Glauben und Wirkung des
Heiligen Geistes verwechseln.

18. Wenn das Eindringen charismatischer Theologie und Frömmigkeit in die
Gemeinden als ein Problem gesehen wird (s.o. 10), wäre auch heute ein
status confessionis gegeben. Dann dürfte die charismatische Gebetshaltung
nicht übernommen werden.

Lit: Vgl. Lexkion der christlichen Ikonographie, Artikel: Gebetshaltung,
Handgebärden, Orans, Proskynese. Johannes Leipoldt u.a.: Umwelt
des Urchristentums, Bd. 3.

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