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Mit den Methoden der Moralisierung schafft man den korrekten Menschen: Über Meerjungmänner und Gebärende


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Rolf

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Mit den Methoden der Moralisierung schafft man den korrekten Menschen: Über Meerjungmänner und Gebärende
 
 
 
Der Sprachrevisionismus engagierter Gruppen mit Partikularinteressen ist salonfähig geworden. Verwaltung, Parlament und Universitäten, aber auch private Unternehmen huldigen ihm unreflektiert, weil niemand als Bösewicht dastehen will. Wohin führt die neue Pädagogik?
 
 
Claudia Wirz     31.5.2019

 

Das Gender-Mainstreaming ist auf einem beispiellosen Erfolgskurs. Schritt für Schritt erobert der aus Amerika importierte politisch korrekte Sprach- und Denkrevisionismus eine Bastion nach der anderen.

 

Im Staat hat er leichtes Spiel. Hier trifft er auf keinerlei Widerstand, sondern ganz im Gegenteil auf lauter vorauseilenden Gehorsam und nicht zuletzt auf einen grosszügigen Mäzen. Eine links-grün-feministisch-queere Menschenrechts-Vorhut, die mit den Gender-Wissenschaften und den Gleichstellungsfachstellen über eine solide Hausmacht verfügt, gibt dabei die Marschrichtung vor. Und die Hochschule ist ihr beliebtestes, aber beileibe nicht ihr einziges Exerzierfeld. Seit kurzem ist diese vermeintliche Gleichstellungssaga um eine Episode reicher. Im Gleichschritt wollen Universität und ETH Zürich geschlechtsneutrale Ausweise einführen.

 

Dem Entscheid ist laut den Sprechern von Universität und ETH eine einschlägige Protestaktion des Vereins «Queer*z» vorausgegangen. Die beiden Hochschulen haben sodann das Anliegen des Vereins zu ihrem eigenen gemacht. Schliesslich ist man modern, progressiv, weltoffen und gegenüber der neuen Geschlechtervielfalt aufgeschlossen und nicht etwa ewiggestrig und binär-reaktionär oder gar rechts. Und das will man, ja muss man nach aussen hin manifestieren.

 
Falsche Neutralität
 
Unter diesen Vorzeichen würde es – um im Dunstkreis der Universität zu bleiben – nicht überraschen, wenn der für lange Zeit völlig unverdächtige Begriff «Frauenklinik» bald als reaktionär enttarnt würde und ins Visier der Diversity-Sittenwächter und ihrer Versteher beim Staat geriete. Denn schliesslich leben wir heute in einer Zeit, in der dank moderner Medizin und zeitgeistiger Rechtsauslegung auch Männer Kinder gebären können, zumindest formell. So geschehen etwa in Berlin im Jahr 2013. Welchem Mann wäre es schon zuzumuten, in einer expliziten Frauenklinik niederzukommen?
 

Eine geschlechtsneutrale sprachliche Darstellung von Gebärenden sei deshalb in der Diversity-Subkultur schon lange ein wichtiges Anliegen, schreibt der Berliner Linguist Anatol Stefanowitsch, ein überzeugter Verfechter des politisch korrekten Schreibens und Denkens. Und stammt der Begriff «Frau» nicht sowieso aus dem Repertoire des rückständigen Konzepts zweier Geschlechter, das es zu überwinden gilt, weil es alle anderen Geschlechter austilgt? Haben wir nicht eben erst das generische Maskulinum vom Platz gewiesen? Das soll doch nicht alles umsonst gewesen sein!

 

Nun könnte man argumentieren, das sei alles viel zu weit hergeholt. Es sei doch nichts Böses oder Verwerfliches und überdies nur eine Kleinigkeit, auf dem Ausweis ein drittes, wie auch immer zu definierendes oder eben ein nicht zu definierendes Geschlecht vorzusehen. Seit das Geschlecht als soziale und nicht mehr als biologische Kategorie gesehen werde, unterliege dessen Definition schliesslich allein der Freiheit der Selbstwahrnehmung.

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Neben WCs für Männer und Frauen bietet Google am Standort Europaallee auch eine gender-neutrale Toilette an. (Bild: Goran Basic / NZZ)
 

Neues Machtspiel

 

Auf den ersten Blick leuchtet das ein. Doch so harmlos ist es nicht. Alles, was als Gleichstellungs- oder Gerechtigkeitsprojekt im Sinne der Gender- und Diversity-Lehre daherkommt, ist Teil eines neuen Machtspiels, in dem kleine, sich selbst ermächtigende Minderheiten der langweiligen, braven Mehrheit ihre bunte Weltsicht aufprägen wollen. Das nennt man Mainstreaming.

 

Die neue Dogmatik trägt religiöse Züge. Alles Ketzerische, alles Kritische, ja sogar alles abtastend Fragende wird missbilligt und als menschenfeindlich taxiert oder sonst auf eine untere sittliche Stufe gestellt. Eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit der Kritik ist nicht vorgesehen. Es gibt nur das gute und das böse Lager, so wie früher beim Indianer-und-Cowboy-Spiel, das neuerdings auch seine Unschuld verloren hat. Kinder sollen heute «kultursensibel und diskriminierungsfrei» spielen, und da sind die Indianer eben unerwünscht. Die Zukunft gehöre den Meerjungmännern und den Piratinnen, schreibt die staatlich geförderte Berliner «Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung» und findet in der Praxis der institutionellen familienexternen Kinderbetreuung ihre wackeren Umsetzungsgehilfen.

 

Ob in der Kinderkrippe, an der Universität, im Unternehmen oder im Parlament – die Methoden der Korrektheit sind universell anwendbar. Als der damalige Schwyzer SVP-Nationalrat Peter Föhn im Jahr 2009 mit einer Motion verlangte, die Kosten für Geschlechtsumwandlungen von der Grundversicherung auszunehmen, erhielt er postwendend das Etikett «transphob». Damit war der Vorstoss moralisch abqualifiziert.

Man rückte Föhn in die Nähe einer versuchten Menschenrechtsverletzung, nur weil er eine Forderung postulierte, die einer bestimmten Gruppe nicht passte. Wenn über solche Themen in Parlament und Öffentlichkeit aber nicht mehr offen und in gegenseitigem Respekt gestritten werden darf, weil sie als indiskutable Materie gelten, stehen Meinungsfreiheit und Demokratie grundsätzlich zur Disposition.

 

Bei der Debatte um die gerechte Sprache geht es also um viel mehr als um Wortklaubereien. Es geht um eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft mit dem Mittel der Moral als Meinungskontrolle. Eine immer exzessivere Auslegung von personalisierten Menschenrechten führt dabei nicht nur zu einer Zunahme von Sprech- und Denkverboten für die Mehrheit, sondern auch zu immer mehr einklagbaren Rechten gegenüber Staat und Gesellschaft.

 

Wo bleibt der Konsens?

 

Der boomende Jahrmarkt der persönlichen Befindlichkeiten bietet anderseits viel Platz für die Profilierung Dritter. Für Politiker im Wahlkampf oder Unternehmen im Wettbewerb um Arbeitskräfte kann es sich lohnen, sich im Lichte der angeblich Fortschrittlichen zu sonnen.

 

Dass ein stark mit dem angelsächsischen Raum verwobenes Unternehmen wie Swiss Re seinen Mitarbeitern nahelegt, auf angeblich ausgrenzende Begriffe wie Ehemann, Ehefrau, Bruder, Schwester oder Heirat zu verzichten, geschieht wohl weniger aus echter Sorge um das Seelenheil einzelner Personen als aus Rekrutierungs- und Imagegründen. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Dass solche vermeintlich fortschrittlichen Akteure eigentlich ein übergriffiges Gedankendiktat praktizieren, mag vielen erst später dämmern; etwa dann, wenn sie zu obligatorischen Diversity-Schulungen aufgeboten werden.

 

Den Urhebern der Gender- und Diversity-Bewegungen kann man nichts vorwerfen. Sie haben im Rahmen des demokratischen Staates jedes Recht, ihre Anliegen vorzutragen und zu verfolgen. Problematisch wird es erst, wenn ihre Forderungen die Freiheit der anderen beschneiden. Es ist deshalb vielmehr die ängstliche Reaktion von Staat und Institutionen auf diese Forderungen, die zu denken geben muss. Der vermeintlich starke Staat ist so schwach wie selten. Er ist ein Getriebener und sieht sich durch alle Instanzen hindurch genötigt, politisch korrekten Partikularinteressen auf Kosten der unauffälligen Mehrheit die Absolution zu erteilen.

 

Mit der exzessiven Bewirtschaftung von Partikularinteressen ist auf lange Sicht aber kein Staat zu machen. Eine funktionierende demokratische Gemeinschaft braucht als Fundament einen gemeinsamen, mehrheitsfähigen Wertekanon, auf den sich alle Beteiligten einigen, den sie teilen und zu dem alle das ihrige beitragen. Dafür muss man auch einmal Nein sagen können. Und man muss es auch wieder aushalten können, für einmal nicht geliebt zu werden.


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