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Grüsse von der Gender-Front


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Grüsse von der Gender-Front
 
 
 
 
Wie macht man sich zum Feind der queeren Szene? Indem man sich gegen deren Betroffenheitskult stellt.
 
Caroline A. Sosat  

10.11.2017, 05:30 Uhr

 

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Queere Zeichensetzung: LGBT-Farben sollen in Madrid den korrekten Weg weisen. (Bild Susana Vera / Reuters)

 

Einst stand der Begriff «queer» für den Versuch, die angestammte, als aufgezwungen erlebte gesellschaftliche Position zu verlassen. Es ging um die Möglichkeit, sich zumindest für den Moment von den Rollenbildern zu befreien, die Geschlecht oder sexuelle Orientierung mit sich bringen. Heute steht der Begriff vor allem für eine Politikform, in der die eigene gesellschaftliche Position Dreh- und Angelpunkt anklagender Moral ist.

 

Der Fokus der «queeren» Praxis, die ihre Stichworte aus der postmodernen «queer theory» bezieht, liegt auf der Affirmation von Gruppenzugehörigkeit und subjektiver Weltsicht. Nur wer persönlich von Diskriminierung betroffen sei, dürfe sich dazu äussern, heisst es von der Mehrheit der queeren Vertreter.

 

Im Zentrum des Handelns steht also die eigene Betroffenheit. Die Folge: Was genau die Konsequenzen gesellschaftlicher Benachteiligung sind, gilt als ausschliesslich von «Betroffenen» definierbar. Ächtung und Ungerechtigkeit sind in dieser Denkform allein eine Frage von Machtverhältnissen, die sich primär in Sprache ausdrückten.

 

Einige Resultate dieser Haltung sind populär geworden: An Universitäten gibt es Initiativen, welche Kant und Hegel aus dem Curriculum streichen wollen, da in deren Schriften der Begriff «Neger» vorkommt. Der Begriff ist heute zweifellos als rassistisch erkannt, die Tilgung wird jedoch damit begründet, dass Schwarze als Betroffene von Rassismus während der Lektüre persönlich verletzt sein könnten.

 

Weisse, die Dreadlocks oder Kimonos tragen, werden als «rassistisch» gebrandmarkt.

Islamische Gemeinden dagegen werden trotz fehlender Geschlechtergerechtigkeit und mitunter offener Hetze gegen Israel hofiert.

 

Kritik aus der Szene selbst

 

Rechts- und liberalkonservative Strömungen kritisieren diese Methoden schon lange, jedoch unterscheiden sich ihre Motive. Die Wortführer der ersteren beziehen sich ebenfalls positiv auf Identität, die Rücksicht auf Minderheitenperspektiven lehnen sie jedoch ab. Liberalkonservative indes legitimieren die Ungleichheit bestimmter sozialer Gruppen als gesellschaftliche Notwendigkeit oder leugnen sie schlicht.

 

Nun problematisieren feministische und LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten gemeinsam queere Politik, die subjektive Erfahrungen von Diskriminierung ins Zentrum stellt und die momentan als Stichwortgeberin für alle zeitgenössischen pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Diskurse dient. Sie kritisieren die in dieser Denkform angelegte Idealisierung von Benachteiligung als kulturelle und schützenswerte Eigenart.

 

Erstmals weitgehend von der Öffentlichkeit beachtet, äusserten sich in diesem Sinne 26 feministische und LGBT-Aktivisten und -Aktivistinnen im Buch «Beissreflexe», das in diesem Jahr in Berlin erschienen ist. Fallgeschichten, Tatsachenberichte, Polemiken und Analysen dokumentieren darin den aktuellen Zustand der Gender-Studies und queer-feministischer Politik und Pädagogik. Doch statt der zu erwartenden Kritik des politischen Gegners, also von konservativen Strömungen, kam die härteste Kritik ausgerechnet aus der queeren Szene selbst.

 

An den negativen Reaktionen lässt sich beispielhaft nachvollziehen, wie das universitäre und das politische Queer-Milieu mit Kritik umgeht.

 

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Eine «verletzende Sprache» diagnostizierte etwa Heinz-Jürgen Voss, Professor für Sexualwissenschaften, auf seinem Blog, eine Sprache also, die von rücksichtslosen Subjekten zeuge, welche mit dem Buch eine pathologisierende Rufmordkampagne gegen Gender-Aktivisten, psychisch kranke Menschen und Muslime führten.

 

Im Sommer schaltete sich die international bekannte Literaturwissenschafterin Judith Butler persönlich ein und schrieb zusammen mit der Berliner Gender-Forscherin Sabine Hark einen Kommentar in der Wochenzeitung «Die Zeit». Dort warfen sie den Autoren vor, sich undifferenziert auf die akademische Disziplin der Queer-Studies zu stürzen – was den Sammelband anschlussfähig für rechte Diskurse mache. Eine «Vergleichgültigung» mittels der «Beseitigung von Binnendifferenzen» sei die Strategie, wenn sezierend Szenekämpfe offengelegt und gefährliche interne Dynamiken benannt würden.

 

Auf welche Weise diese Homogenisierung stattfinden soll, liessen Hark und Butler elegant offen. Im queeren Geflecht, das frei von formalen Hierarchien, dafür umso mehr von subtilen Strukturen der Redemacht durchsetzt ist, übernahmen andere die Ausführung dieser Anklage. Queer-Aktivistinnen und universitäre Geschlechterreferate fabulierten auf Twitter und Blogs in fieberhafter Aufruhr von einem Angriff angeblicher homosexueller Nationalisten im Stile eines Milo Yiannopoulos.

 

Polemik statt Argumente

 

Doch die akademischen Gender-Studies und die aktivistische Queer-Szene, beide eng verwoben mit aktueller linker Politik an den Universitäten, haben keine Antworten auf die im Sammelband vorgebrachten Argumente. Die Reaktion beläuft sich auf ostentatives Beleidigtsein oder eine beredte Nichtreaktion.

 

Die Positionen der beteiligten Autoren werden delegitimiert und Nachwuchswissenschafter schlicht als dumme Jungen dargestellt – was insbesondere im Falle der wiederholten Hervorhebung Vojin Saša Vukadinovićs durch Wissenschafterinnen, die Rassismus-Sensibilität für sich reklamieren, merkwürdig anmutet. Die Autoren des Buches erhalten Hassmails, kurzfristige Absagen ihrer Vorträge sowie geplanter Zeitschriftenbeiträge und sind Angriffen auf ihre wissenschaftliche Laufbahn ausgesetzt. Zuletzt wurde dem Querverlag sogar die Präsentation auf einer queer-feministischen Buchmesse untersagt.

 

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Das von der Kritik gezeichnete Bild des schwulen weissen Mannes aus Berlin-Mitte, der einen skandalösen Bestseller intendiert, um seinen ausufernden Lebensstil finanzieren zu können, bedient nicht nur billigste homophobe Ressentiments. Vorwürfe, die Autoren könnten im Hintergrund Einfluss auf die Verteilung von Geldmitteln nehmen, um der anständigen, subalternen Queerszene zu schaden, erinnern nicht zufällig an antisemitische Motive. Es spricht zudem für sich, dass die queer-feministischen Kritiker in ihren Verrissen bisher genau jene Beiträge im Band auffällig ignorierten, die von Frauen verfasst wurden. Das Feindbild passt einfach zu gut.

 

Warum dieses Bild der «Beissreflexe»-Autorenschaft beschworen wird, wird plausibel, wenn man einen Blick darauf wirft, wen die Herausgeberin Patsy l'Amour laLove in ihrer Anthologie versammelt hat: Es sind Individuen, die sich zusammengetan haben, um ein Problem anzusprechen, das sie selbst am meisten betrifft. Sie sind nicht nur in der Geschlechter- oder LGBT-Politik aktiv, sondern selbst von Diskriminierung betroffen. Die Beiträge im Sammelband stammen von homo-, bi- und heterosexuellen Menschen, die mit Behinderungen oder psychischen Pathologien leben, transsexuell oder transgender sind, Missbrauch und Gewalttaten erlebt haben, in religiös-fundamentalistischen Familien aufwuchsen, einen Migrationshintergrund haben oder gar in der tiefsten ostdeutschen Provinz lebten. Sie kennen die Zwänge, die jene treffen, die nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft sein können oder wollen, ihre politische Arbeit wollen sie nicht mit ihrer gesellschaftlich aufgezwungenen Identität verknüpfen. Auch im Buch outen sie sich nicht.

 

Anspruch auf Objektivität

 

Stattdessen formulieren sie streitbar und transparent ihre Positionen und verfolgen dabei den Anspruch, ihre Erfahrungen objektiv vermittelbar zu machen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie nicht hinter ihren Erfahrungen verschwinden und nicht als repräsentatives Kollektiv von Diskriminierten auftreten wollen.

 

Sie stellen vielmehr die Idee und den Wunsch, Benachteiligung zur Identität zu erheben, grundlegend infrage. Die Anthologie ist keine erschöpfende Darstellung des queeren Milieus und bei weitem nicht die erste linke Kritik an diesem. Ihre Brisanz erfährt sie jedoch dadurch, dass sie von Individuen verfasst worden ist, die die von identitätspolitischen Kleinkriegen geprägte Queer-Szene gut kennen – «Beissreflexe» ist somit eine Sammlung von Briefen von der Front.

 

Begründet wird die vehemente Abwehr und Ignoranz mit einem Verteidigungskampf gegen die erstarkenden postfaktischen und sexistischen Kräfte des Mainstreams. Die Realität ist jedoch weitaus trivialer: Teile der queeren Wissenschaften und Szenen wähnen sich im Krieg. Es geht um Selbstschutz, getarnt als Notwehr.

 

Was das kleine Büchlein «Beissreflexe» angreift, sind nicht bedauerliche Einzelfälle in der queeren Szene oder emotionale Eruptionen einiger weniger. Wenn sich Betroffene nicht mehr einig sind und sich auch mit bestem Willen und höchstem Druck keine Einigkeit unter ihnen herstellen lässt, scheitern der postmoderne Glaube an standpunktgebundene Theoriebildung und die sich daraus ergebende Subjektivierung eines jeden Wahrheitsanspruchs.

 

Von Relevanz ist deshalb, wie kritische und für Gleichberechtigung einstehende Wissenschafter, als die sich Hark, Butler und Voss verstehen, mit diesem eklatanten Widerspruch umgehen. Bis jetzt ist kein Interesse an der Aufklärung der im Sammelband vorgebrachten Vorwürfe und Analysen auszumachen. Sind die Berichte von Rufmordkampagnen und der Umgang mit den Autoren für sie nur bedauerliche Einzelfälle – oder gar Nebeneffekte eines grundsätzlich guten queeren Paradigmas?

 

Die queer geprägten Gender-Studies sind als Wissenschaft und als politische Szene im Verfall begriffen. An dieser Erkenntnis hängen die hart umkämpften Arbeitsplätze in der Akademie, Stipendien und Fördermittel.

 

Im freien Fall

 

Wären in den Gender-Studies in ihrer jetzigen Form nicht nur vereinzelte Forscher wissenschaftlich ernst zu nehmen, sprächen die Leistungen der Disziplin unmissverständlich für sich. Böten die zugehörigen Szenen mehr als unmittelbare Selbsttherapie und wütende Baseballschläger-Ästhetik, wäre ihre Politik kein blosser Egozentrismus. Keine Geschlechterforscherin hätte es dann nötig, gekränkte Rechtfertigungen auf queeren Blogs und im bürgerlichen Feuilleton zu veröffentlichen.

 

Der Gender-Kaiser ist nackt – das ist allen bewusst oder unbewusst klar.

 

 

 

Caroline Alisa Sosat ist Psychologin. Sie forschte zur Verdrängung in Prozessen politischer Teilhabe und forscht gegenwärtig zu Sexualität und geschlechtlicher Subjektwerdung. Sie hat zum Buch Beissreflexe beigetragen.

Patsy l'Amour laLove (Hg.): Beissreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten. Querverlag, Berlin 2017. 269 S., Fr.24.90.


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