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Pionierausbildung: „Zum Wesen Gottes gehört es, sich dem Kontext anzupassen“


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Rolf

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Pionierausbildung: „Zum Wesen Gottes gehört es, sich dem Kontext anzupassen“

 

 

 

 

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Bild: Rolf Krüger

 

Fresh X gilt seit einigen Jahren als Zauberwort in der Gemeindegründungsszene.  Jetzt bietet die CVJM-Hochschule in Kassel eine Pionierausbildung an. Projektreferentin Katharina Haubold sprach mit Rolf Krüger über Unangepasstheit, Kontextualisierung und das Wesen Gottes.

Ein Pionier ist eine von Gott berufene Person, welche die charakterlichen Voraussetzungen und die Begabung hat, als erstes auf eine Initiative des Heiligen Geistes zu reagieren und zu antworten. Diese Antwort erfolgt in einem spezifischen Kontext und für Menschen außerhalb der Kirche. Eine solche Antwort geschieht weiterhin in Kooperation mit jenen Kirchenfernen, um auf die Hinweise des Heiligen Geistes hin etwas zu erschaffen, was neue Horizonte für das Kirche-Sein eröffnen kann.

Wenn man eure Definition eines Pioniers liest, könnte man denken: „Ganz schön abgehoben, gibt es solche Leute überhaupt?“

 

Ja, das wirkt tatsächlich auf viele so. Andere sagen: „Ich hab das gelesen und ich dachte, die meinen mich“. Es geht uns nicht um etwas Elitäres. Es geht uns um Menschen, die eine Art „Gabe der Unangepasstheit“ in sich tragen. Zum Pionier ist nicht jeder geschaffen. Das macht diese Gabe aber nicht besser als andere.

 

Brauchen die überhaupt eine Fortbildung?

 

Know-how und Austausch mit anderen kann man immer gebrauchen. Aber uns geht es vor allem um Menschen, die dieses Gefühl in sich tragen, das aber noch in einer gewissen Form freigesetzt werden muss. Der Kurs bietet einen Raum dafür. Neben dem Inhaltlichen steht gerade die Weggemeinschaft im Mittelpunkt. Hier kommen Leute zusammen, die gemeinsam nicht nur die Unzufriedenheit mit dem status quo, sondern auch das Träumen in sich tragen, das Sehen von Möglichkeiten, wo andere keine Möglichkeiten sehen. Sie sind zwar nicht vor Ort gemeinsam unterwegs, aber sie haben im Rücken immer diese Weggemeinschaft.

 

Das macht dann aus Menschen mit Träumen tatsächlich Träumer, die es anpacken. Das macht dann den Pionier aus. Das hat nicht jeder. Aber das kann man lernen.

 

Wie kann ich mir so eine Pionierausbildung vorstellen?

 

Es gibt sechs Präsenzphasen über fast zwei Jahre, dazwischen fünf Online-Module und ein begleitendes Coaching. Inhaltlich geht es einerseits um ganz praktisches Know-How, um Theologie und Methodik. Aber wir lernen zum Beispiel auch, wie wir uns Freiräume für das Aufspüren dessen schaffen, wo Gott schon längst am Werk ist. Das ist wahrscheinlich der erste und einer der wichtigsten Aspekte. Und dann geht es darum, wirklich konsequent vor Ort anzufangen: Wie geht Kontextualisierung, was bedeutet es genau in dem Kontext, in dem ich konkret stehe? Wie gewinne ich ein Team vor Ort? Unser Traum ist es, dass die Teilnehmer am Ende mit einer Initiative vor Ort gestartet sind oder in eine eingestiegen sind. Vielleicht war die Idee auch schon lange da und die Weiterbildung ist die Chance, das tatsächlich anzustoßen. Das wird auch Scheitern beinhalten. Nicht überall wird es den großen Aufbruch geben. Aber es soll sich verändern, wie Pionierprojekte angepackt werden: Die Konkretion. Die Professionalität. Die Nachhaltigkeit.

 

Und wer soll so eine Weiterbildung machen? Bei Hauptamtlichen kann man es sich vorstellen: Die werden von ihrer Gemeinde oder ihrer Kirche zu euch geschickt…

 

…das wäre ideal…

 

…mit dem Auftrag: Lass dich mal fit machen, damit du was Neues hier vor Ort aufbaust. Aber bei Ehrenamtlichen? Ist das nicht viel schwieriger?

 

Wir wünschen uns, dass jeder Teilnehmer in irgendeiner Form in Kirche oder Gemeinde angebunden ist und dass die initiativen, die vor Ort entstehen, auch dort eine Rückendeckung haben. Und vielleicht ist es am Ende für Ehrenamtliche sogar oft einfacher., das dann auch zu umzusetzen. Für Hauptamtliche ist es zwar der Job, aber die können selten einfach andere Sachen liegen lassen, um sich um was Neues zu kümmern. Nur weil ein Kirchenvorstand sagt: „Mach mal eine Pionierfortbildung“ heißt das ja noch lange nicht, dass man dann zeitlich und faktisch wirklich den Rücken frei hat.

Da müssen wir alle noch viel lernen. Wenn wir wollen, das was Neues entsteht, dann muss es dafür auch Räume geben. So eine Fortbildung ist für Hauptamtliche dann sicher eine gute Argumentations-Strategie.

 

Als Ehrenamtlicher kann ich aber frei über die Zeit verfügen, die ich für die Gemeinde einsetze. Wenn ich den Chor nicht mehr weiterleite, um meine Energie woanders einzusetzen, dann kann mir niemand sagen: „Das geht aber nicht!“ Ein Hauptamtlicher hat es da oft viel schwerer.

 

Wenn man nach England guckt, sind dort ganz viele Initiativen tatsächlich auf ehrenamtlicher Basis entstanden. Von Leuten, die sich sogar selber die Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen haben, weil es ihnen so wichtig war. Das bringt ganz andere Freiheiten mit sich. Es gibt also Vorteile und Nachteile, egal ob ich als Haupt- oder Ehrenamtlicher komme.

 

Muss ich außer Unangepasstheit und Träumen etwas mitbringen?

 

Was wir uns wünschen ist eine gewisse theologische Vorbildung, damit man nicht ganz bei Null anfangen muss. Das schließt Ehrenamtliche überhaupt nicht aus, aber es soll deutlich machen, dass es kein Theologie-Grundlagen-Kurs ist. Und gleichzeitig gilt: Wenn Menschen sagen „Wir wollen aufbrechen!“, dann ist das auf jeden Fall wichtiger als die theologische Vorbildung.

 

Fresh X gilt bei den einen als hippe Frischzellenkur für die Kirche, für die anderen ist es nur ein neues Konzept wie viele andere zuvor…

 

Der Begriff „Fresh X“ stammt ja aus dem Mission-Shaped-Church-Papier der anglikanischen und methodistischen Kirche in England und wollte damals einfach etwas beschreiben, was es schon längst gab. Nämlich diese neuen Ausdrucksformen von Kirche. Dann wurde daraus auf einmal der Name einer Bewegung mit eigenen Strukturen und eigenem Charakter. Und das birgt in der Tat Gefahren. Ich treffe immer wieder Leute, die sagen „Im Grunde genommen machen wir Fresh X, aber wir verwenden den Begriff nicht, weil so eine Terminologie ein fertiges Konzept und eine Zugehörigkeit zu etwas suggeriert“.

 

Das ist eine Zwickmühle, denn irgendwie muss das Kind ja heißen, damit wir wissen, worüber wir reden. Aber nicht jeder Aufbruch im Gemeindekontext muss sich Fresh X nennen. Spannenderweise hat das ja auch wieder etwas von Kontextualisierung. Denn sobald ich einen Begriff verwende, der in einer bestimmten Art und Weise aufbereitet ist, schließe ich automatisch auch andere aus.

 

Man kann offensichtlich nicht lange über Fresh X reden, ohne dass der Begriff Kontextualisierung fällt…

 

Immerhin reden wir von einem Gott, der sich selber kontextualisiert hat. Jesus lief in Israel vor 2000 Jahren auch nicht im Skateroutfit rum. Das hinterfragen wir ja überhaupt nicht und gleichzeitig haben die Kinder in den Krippenspielen von heute das an, was man vor 2000 Jahren in Israel angehabt hat. Warum? Zu Gottes Wesen gehört es, sich dem Kontext anzupassen. Und da geht es nicht nur um das Äußere. Ich glaube tatsächlich, dass wir nicht mutig genug sind, auch die Theologie zu kontextualisieren und mutiger nachzufragen, was denn das Gute an der „Guten Nachricht“ für die Menschen in einem speziellen Kontext ist. Und wenn ich das ernst nehme, dann kann ich davon ausgehen, dass Jesus heute nicht nur andere Beispiele erzählen, sondern an bestimmten Stellen auch andere Inhalte kommunizieren würde. Die Theologie wird deshalb nicht eine andere, aber sie denkt radikal vom Menschen her, weil Gott radikal vom Menschen her denkt.

 

Dürfen wir so mit den Inhalten umgehen?

 

Gerade die erste Kirche hat nicht nur um ihre Formen gerungen, sondern um die Inhalte, um die Theologie, um das, was noch für sie gilt und was nicht. Und auch heute kommen wir bei bestimmten Fragen nicht drum herum, uns genau das zu fragen.

 

Gleichzeitig werden wir ja auch eine ökumenische Gruppe sein. Das heißt, theologisch wird es so und so nicht darum gehen, in einer bestimmten Tradition zu stehen, sondern wir wollen in der Weiterbildung einladen, erstmal ein Bewusstsein zu schaffen: In welcher Tradition stehe ich selbst? Was hat mich geprägt? Was davon hat für mich persönlich Relevanz und was für den Kontext, in dem ich bin? Wovon kann ich mich auch verabschieden oder was gilt es neu zu erobern an theologischen Inhalten? Und wir wünschen uns sehr, dass wir das als Gruppe auch voneinander lernen und miteinander unterwegs sind in Form und Inhalt.

 

Fresh X ist von Anfang an ökumenisch angelegt…

 

…ja, zwischen Anglikanern und Methodisten, auch Baptisten machen in England mit.

 

Und in Deutschland?

 

Auch hier ist die Landschaft total breit: katholisch, freikirchlich, landeskirchlich. Ich finde es sehr verheißungsvoll, dass es etwas gibt, was unterschiedliche Denomination und Konfession an einen Tisch bringt, weil man sagt: „Wir wollen sehen, wo Gott in dieser Welt am Werk ist und wir wollen als Kirchen nicht bei uns selbst anfangen, sondern bei der Mission.“ Gerade in diesem Jahr, in dem so viel über das Spezifische der eigenen Konfession gesprochen wird. Menschen sind sehr unterschiedlich und brauchen unterschiedliche Traditionen, in denen sie sich beheimaten können. Das dürfen wir nicht aufgeben.

 

Aber behindern alte Strukturen nicht die Erneuerung?

 

Einige Sätze, die ich in England gehört habe, waren für mich sehr prägend. Einer davon ist: „Für uns hat ein wirkliches Umdenken stattgefunden, als wir strukturelle Fragen als geistliche Fragen begriffen haben.“

Insofern soll Fresh X vor allem dazu einladen, Fragen zu stellen: Warum macht ihr das, was ihr macht? Warum macht ihr es so, wie ihr es macht? Was steht bei euch im Zentrum? Denkt ihr vom Menschen her, vom Kontext her, von dem Gott her, der sich den Menschen zuwendet – und der sich vor allem denen zuwendet, die noch nicht da sind?

Das andere ist der Begriff der „Mixed Economy“ oder im deutschen das Bild von der „Fluß- und Seenlandschaft“. Beides steht für ein sich gegenseitig befruchtendes Mit- und Nebeneinander von Altem und Neuem. Fresh X steht für eine große Wertschätzung dessen, was schon da ist. Es geht nie darum, etwas abzulösen oder etwas Bestehendes in den Schatten zu stellen. Stattdessen benötigen wir beides. Wir brauchen die Seen, das Beständige, das etablierte mit viel Tiefe und Verlässlichkeit. Gleichzeitig nimmt Fresh X wahr, dass viele Menschen dadurch nicht erreicht werden. Die Flüsse schlängeln sich durch die Landschaft, gehen von Seen ab und speisen ihrerseits Seen. Sie erreichen Menschen, wo kein See hinkommt. Man bereichert sich, profitiert voneinander. Das ist ein sehr viel dynamischeres Bild von Kirche, als wenn jeder nur auf seinen Teich sieht. Das bringt Aspekte wie das Ausprobieren und Scheitern in den Blick, denn der Fluss weiß noch nicht, wo er hinfließt und muss immer wieder Umwege nehmen.

 

Dann ist es schwer, Erfolg zu messen…

 

Ja, vor allem nicht an Zahlen oder schnell sichtbarer Veränderung. Es gehört dazu, dass Dinge auch nicht funktionieren werden, weil wir immer ausprobieren. Da erlebe ich uns oft als zu vorsichtig und zu sehr auf das bedacht, was man erhalten kann, weil schon was da ist.

Fresh X wird missverstanden, wenn es als das neue Konzept von Gemeinde in Kletterhallen oder im Krankenhaus gefeiert wird, das jetzt alle umsetzen müssen. Stattdessen ist Fresh X ein mühsamer, sehr langer Weg. Deshalb ist die Weiterbildung auch über zwei Jahre angelegt ist. Anders würde es weder den Menschen noch dem Inhalt gerecht. Man könnte sagen, Jesus hat sich 30 Jahre lang gewissermaßen kontextualisiert – auch wenn das theologisch ein bisschen grobschlächtig ist…

 

…klingt aber witzig…

 

Ja, und dann hat er drei Jahre gewirkt. Wir wollen alle gerne diese Woche losgehen und nächste Woche die großartigen Ergebnisse vorzeigen können. Das geht aber nicht. Gerade deshalb ist es gut, zu schulen und gemeinsam unterwegs zu sein. Wenn ich mir was wünschen könnte, dann wäre es, dass in zwei Jahren 25 Initiativen aufgebrochen sind und man miteinander Erfolge und Scheitern feiert und gemeinsam unterwegs ist. Und das andere dann sagen: „Ach Mensch, die haben das so gemacht, was würde das denn für unseren Kontext bedeuten?“.

 

Vielen Dank für das Gespräch.


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