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Pragmatismus – der Schlüssel zum Gemeindewachstum?


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#1
Rolf

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Pragmatismus – der Schlüssel zum Gemeindewachstum?


Einleitung:

Es war einmal eine christliche Gemeinde. Jahrzehntelang ging sie treu ihren Weg. Ihre Glieder bezeugten Jesus Christus in ihrem persönlichen Umfeld. Immer wieder bekehrten sich Menschen, ließen sich taufen und wurden der Gemeinde hinzugetan. Die Zusammenkünfte der Gemeinde waren von der Verherrlichung Gottes geprägt. Das Wort der Schrift wurde reichlich verkündigt. Gesunde Lehre hatte ihren festen Platz im Gemeindeleben. Die Gläubigen dienten einander mit ihren Gaben. Die Gemeinde wurde erbaut. Sie wuchs unspektakulär, aber sie wuchs.
Eines Tages kam ein neuer Wind in die Versammlung. Einige Christen hatten bestimmte Bücher gelesen. Andere hatten Kongresse besucht. Die Veränderer gewannen langsam die Oberhand. Eine neue Philosophie wurde eingeführt: wir wollen jetzt »Gemeinde für Entkirchlichte« sein. Völlig unbemerkt vollzog sich ein Denkmusterwechsel. Die sonntäglichen Zusammenkünfte der Gemeinde wurden schrittweise zu »Gästegottesdiensten« umgebaut. Die Musik wurde lauter. Die Predigt kürzer. Der Mensch eroberte den Mittelpunkt des Geschehens. Die Lehre wurde angepasst. Einige zumeist ältere Christen verließen schweren Herzens die Gemeinde. Sie konnten nicht fassen, was sich binnen weniger Jahre ereignet hatte.
Was ich mit wenigen Sätzen beschrieb, ereignete sich in den letzten zehn Jahren in vielen Gemeinden des deutschsprachigen Europa. Das könnte ich mit einer Anzahl trauriger Briefe dokumentieren.
Wie kam es zu dieser Entwicklung? Brach sie aus heiterem Himmel über die Gemeinden herein? Oder gab es eine Vorgeschichte? Gibt es Zusammenhänge, die das Auftreten der »besucherfreundlichen Bewegung« erklären könnten? Ich meine, ja. Ein vorbereitendes und zugleich verbindendes Element ist die Philosophie des »Pragmatismus«.

1. Teil: Was ist Pragmatismus?

Pragmatismus kommt von dem griechischen Begriff »pragma« und bedeutet Tat, Handlung.
Im technisch-betriebswirtschaftlichen Bereich kann »pragmatisch« durchaus die Bedeutung von »geschäftskundig, sachkundig, tüchtig« annehmen. Das Wort beschreibt in diesem Zusammenhang sogar manchmal das Gegenteil von »theoretisch«.
Im weitesten Sinn ist Pragmatismus zunächst einmal eine philosophische Richtung. Sie meint ein Absehen von einer vorgegebenen Wahrheit zugunsten von Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit. »Wahr« ist, was nützt und was sich gerade bewährt.
Das »Große Neue Fremdwörterbuch« erklärt:
»Pragmatismus« ist die Überzeugung, dass nur »wahr« ist, was für das Handeln zweckmäßig ist.1
Charles Peirce und WilliamJames
Die engere Fassung des Begriffes Pragmatismus entstammt der jüngeren amerikanischen Philosophie. Charles S. Peirce (1839-1914) führte den Begriff »pragmatisch« ein.
Der Peirce-Schüler William James (1842-1910) gilt seit seinen Pragmatismus-Vorlesungen von 1906 vielfach als Begründer dieser Richtung. 1907 schrieb er sein

Hauptwerk »Pragmatism: A New Name for Some Old Ways of Thinking«.2 Die Kernaussage lautete folgendermaßen:
Die Wahrheit einer Behauptung oder einer Theorie steckt völlig in ihrer praktischen Wirkung. Wenn eine bestimmte Behauptung wirkt, so liegt darin nicht nur ihre Bedeutung, sondern auch ihre Wahrheit. Indem sie wirkt, wird sie zur Wahrheit. Wenn sie nicht wirkt, so ist sie unwahr.3
Für James lag also die Wahrheit einer Vorstellung allein in ihren praktischen Wirkungen. Wahrheit wurde für ihn zum Mittel der Befriedigung von Lebensbedürfnissen.
Kommentar: Selbst wenn der Pragmatismus insgesamt mit Recht gezeigt hat, dass theoretisches Denken und praktisches Handeln nicht auseinander gerissen werden dürfen, so lehrt er leider auf der anderen Seite ein völlig falsches Wahrheitsverständnis. In der Heiligen Schrift ist Wahrheit immer an Gottes Offenbarungshandeln in der Geschichte gebunden – und nicht zuletzt an die Person Jesus Christus (Joh 14,6; 17,17).
Der Pragmatismus jedoch ist kurzsichtig. Er sieht nur den augenblicklichen Vorteil. Nachteile und Spätfolgen werden bewusst oder unbewusst ausgeblendet. Biblische oder ethische Grundsätze und Überzeugungen werden für das Linsengericht eines momentanen Vorteils verkauft. So sieht es auch A.W. Tozer. Er schreibt in seinem brillanten Aufsatz »Pragmatismus und Christentum«:
Die Schwäche dieser Theorie ist ihre tragische Kurzsichtigkeit. Sie betrachtet geistliche Aktivitäten nie auf lange Sicht (sie wagt es nicht einmal), sondern fährt fröhlich fort zu glauben, dass alles gut und richtig sei, weil es wirksam ist. Sie wird geheiligt vom augenblicklichen Erfolg und verwirft jeden Vorwurf, dass am Tage Christi vielleicht alles in Rauch und Flammen aufgeht.4

Pragmatismus als Lebenshaltung

Natürlich ist Zweckmäßigkeitsdenken bei den meisten Menschen weniger eine philosophisch reflektierte Anschauung, als vielmehr eine unbewusst zugrunde liegende Lebenshaltung. Das Glaubensbekenntnis des Pragmatikers lautet: Der Zweck heiligt die Mittel.

Pragmatismus – Beispiele in der Bibel

Die gesamte Schöpfung zeigt, dass Gott das Leben in dieser Welt durchaus zweckmäßig eingerichtet hat. In diesem positiven Sinn ist der Schöpfer durchaus pragmatisch. Aber nirgendwo finden wir einen Hinweis darauf, dass Gott Seine offenbarten Grundsätze um irgendeines zweckmäßigen Vorteiles willen über Bord geworfen hätte. Der HERR ist prinzipientreu.
Nochmals sei betont: Pragmatismus ist uns näher als die Luft, die wir atmen. Wir Menschen suchen stets unseren Vorteil. Alles, was nützt und weiter bringt, ist uns willkommen. Dass diese Haltung eine Schattenseite hat und letztlich Schaden anrichtet, wird zu spät oder überhaupt nicht bedacht. Vordergründig betrachtet scheint eine Handlung Erfolg zu bringen. Damit gilt sie bereits als gerechtfertigt. »Pragmatismus wird geheiligt vom augenblicklichen Erfolg«. Risiken, Nebenwirkungen und Langzeitfolgen werden nicht reflektiert. Am Ende wird jedoch das Abweichen von Gottes Prinzipien offenbar.


Sieben Facetten des Pragmatismus

1. Pragmatismus ist Zweckmäßigkeitsdenken
Gut und wahr ist, was funktioniert. Pragmatismus ist demnach »die Lehre von der Nutzbarmachung der Wahrheit«.

2. Pragmatismus ist prinzipienloses Denken
Francis Schaeffer hat diesen Aspekt präzise beschrieben:
Der Pragmatismus, also die Handlungsweise, die ohne Beachtung eines verbindlichen Massstabes für Richtig und Falsch, das scheinbar Erreichbare ausführt, beherrscht die Szene … Absolute Prinzipien haben an dem Punkt, wo der Niedergang des westlichen Denkens angelangt ist, wenig oder gar keine Bedeutung.5
3. Pragmatismus ist erfahrungsbetontes Denken

4. Pragmatismus ist kulturrechtfertigendes Denken

5. Pragmatismus ist erfolgsorientiertes Denken
Erfolg ist der Götze des Pragmatikers. Wenn eine Handlungsweise positiv messbare Ergebnisse zeitigt, ist sie gut, nützlich und richtig (wahr). Darum darf Erfolg – vor allem zahlenmäßiger Erfolg – nicht hinterfragt oder gar kritisiert werden.

6. Pragmatismus ist methodenabhängiges Denken

7. Pragmatismus ist Gott unterschätzendes Denken
Zweckmäßigkeitsdenken und –handeln ist vordergründig betrachtet attraktiv, verlockend und ansprechend. Es liegt förmlich auf der Hand. Die gefährliche Seite der Münze ist jedoch verdeckt. Im zweiten Teil meines Vortrages werde ich versuchen zu zeigen, wie wir diese sieben Facetten des Pragmatismus in der heutigen evangelikalen Welt in vielfacher Form wieder finden und wie sie dort leider eine zerstörerische Wirkung entfalten.

Pragmatismus – der Schlüssel zum Gemeindewachstum?

An einem Sonntagabend ging ein kleiner Junge zu Bett und betete sein Gutenachtgebet: »Lieber Gott, danke für den schönen Gottesdienst heute morgen. Schade, dass du nicht da warst …«
Drückte der Knirps nicht, ohne es zu wissen, eine tiefe Problematik der christlichen Gemeinde aus? Geht es nicht im Gemeindebau im tiefsten Grund darum, dass Gott gegenwärtig ist? Diesen Gedanken sollten wir bei den nächsten Abschnitten stets mit bedenken.

Die besucherzentrierten Gemeinden

Seit einem guten Jahrzehnt werden viele evangelikalen Gemeinden in der Mitte Europas durch eine Variante der amerikanischen »Gemeindewachstumsbewegung« geprägt: die »besucherfreundlichen Gottesdienste«. Dabei ist den allermeisten Baptisten, Methodisten, FeG-Angehörigen und Gemeinschaftsleuten überhaupt nicht bekannt, dass die Gemeindearbeiten von Willow Creek (Bill Hybels) und Saddleback (Rick Warren) zur »Gemeindewachstumsbewegung« gehören.

Erlebnis von Bill Hybels "Der Ägypter"

Folie: Warum kommen wir als Gemeinde zusammen?
Folie: Evangelistische Gemeindearbeit
Warum um alles in der Welt den Gottesdienst umfunktionieren?
John MacArthur weist darauf hin, dass nach dem Tod von Ananias und Saphira große Furcht über alle kam, die es hörten (Apg 5,11). Er fährt fort:
Nach Vers 13 wagten die Ungläubigen nicht, sich ihnen anzuschließen. Das steht in diametralem Gegensatz zu der heute so beliebten Philosophie der Benutzerfreundlichkeit. Anstatt die Leute zu ködern, indem man ihnen das Gefühl gibt, willkommen und sicher zu sein, benutzte Gott die Angst, um sie draußen zu halten.6
Erwin Lutzer, Hirten-Lehrer in der Moody Bible Church in Chicago, beschreibt ebenfalls die Spannung zwischen Liebe und Heiligkeit der Gemeinde:
Die Liebe innerhalb der Gemeinde zieht die Welt an; die Heiligkeit innerhalb der Gemeinde verurteilt die Welt. Zur Zeit der frühen Gemeinde befiel die Außenstehenden große Angst, wenn sie erlebten, wie sich die Gemeinde der Disziplin und dem heiligen Leben verschrieb.7

Sieben falsche Sichtweisen im Blick auf den Gottesdienst


1. Form und Inhalt eines Gottesdienstes seien von der jeweiligen Tradition her zu bestimmen.
2. Der Gottesdienst sollte auf den Menschen im Allgemeinen abgestimmt werden.
3. Der Gottesdienst sollte für kirchenferne Nichtchristen im Besonderen konzipiert werden.
4. Zeitgenössische Musik und Theaterszenen müssten im Gottesdienst eine wesentliche Rolle spielen.
5. Die Verkündigung dürfe nicht in Form einer Auslegungspredigt geschehen.
6. Die Predigten sollten kurz, interessant und lebensnah (relevant) sein.
7. Der gesamte Gottesdienst sollte den Leuten Spaß machen und sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen lassen.
Nun argumentieren die Vertreter dieses Modells, der Sucher-Gottesdienst sei eben nur eine evangelistische Veranstaltung unter einem anderen Namen. Der Gemeindegottesdienst fände ja in der Wochenmitte statt. Tatsächlich versammeln sich die Gläubigen in Saddleback am Mittwochabend. Dieser Sicht kann ich trotzdem nicht zustimmen. Einerseits wäre es immer noch eine Aushöhlung des biblischen »Gottesdienstbegriffs«. Das Neue Testament beschreibt das Zusammenkommen der
Christen als eine Versammlung für Gläubige. In einer solchen Zusammenkunft wird Gott angebetet, die Christen werden auferbaut und zugerüstet.8

Andererseits fürchte ich, dass die meisten Gemeinden in unserem Land, die »besucherfreundliche Gottesdienste« anbieten, lediglich sonntags evangelisieren, ohne mit gleicher Intensität für den vollen, erforderlichen Ersatz an Lehre, Auferbauung und Zurüstung der Gläubigen zu sorgen. Wiederum trägt der Pragmatismus zu einer Verflachung biblischen Gemeindelebens bei. Eine Gemeinde braucht »gesunde Lehre« zur Festigung des Glaubens und zur Verwurzelung im Herrn (Apg 2,42; 11,26; etc.).

Die verborgene Herrlichkeit der Gemeinde

Die Gemeinde Jesu Christi fällt nicht unbedingt durch eine äußere Attraktivität auf. Sie besitzt vielmehr eine verborgene, innere Herrlichkeit. Die ganze Bibel zeigt uns, dass Gott nicht mit Macht und Getöse kommt, sondern in Niedrigkeit und Unscheinbarkeit. Seine Herrlichkeit war quasi vor den Augen der Welt verborgen. Die Stiftshütte und der Tempel Salomos waren von außen her betrachtet eher unscheinbar. Aber innen glänzte alles von purem Gold.
So war es auch bei Jesus Christus. Der Prophet Jesaja beschreibt sein irdisches Auftreten mit den Worten:
Er hatte keine Gestalt und keine Pracht. Und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten (Jes 53,2).
Und doch wohnte die ganze Fülle der Gottheit in ihm. Sollte die Gemeinde Christi eine äußere Anziehungskraft ausüben? Das wünschten sich natürlich viele Gläubige, gerade heute in unserer weltseligen Christenheit. Das Neue Testament zeigt aber für die Versammlung Gottes einen anderen Weg. Der Schlüssel für das Wohlgefallen Gottes, das über der Gemeinde von Philadelphia war, wird in dem unscheinbaren Satz erkennbar: »... denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt ...« (Offb 3,8).

Gesellschaftliche Popularität?

Die Gemeinde Philadelphia hatte eine kleine Kraft. Sie stellte nach außen hin nichts Weltbewegendes dar. Sie war unscheinbar, von der Welt ignoriert oder sogar verachtet. Sie besaß keine gesellschaftliche Größe. Aber sie hatte eine verborgene, innere Herrlichkeit! Das ist der Weg der Gemeinde Jesu durch diese Weltzeit. Biblische Gemeinde ist eine Kontrastgesellschaft, Gottes neues Volk auf dieser alten Erde. Es ist Gemeinde Jesu in Knechtsgestalt, oft benachteiligte und verfolgte Gemeinde – noch nicht triumphierende Gemeinde. Gemeinde Jesu Christi ist jetzt in diesem Zeitalter »Gemeinde unter dem Kreuz«. Eine Gemeinde, die neutestamentliche Grundsätze bejaht, strebt nichts anderes an. Sie lehrt ihre Glieder, dass ein kompromissloses Christentum Verfolgung mit sich bringen kann.
Gott heiligte seine Gemeinde. Er sonderte sie ab. Er rief sie aus der Welt zu sich. Absonderung von der Welt ist daher ein unverzichtbares Merkmal der Erwählten. Wenn die Gemeinde ihre Absonderung aufgibt, verliert sie ihre Berufung. John MacArthur drückte diese Wahrheit 1999 – während der Herbsttagung der »Konferenz für Gemeindegründung« – großartig aus:
Die Gemeinde soll der Ort sein, wo der Himmel herabkommt – und nicht der Ort, in den die Welt hinein kommt.
Elias Schrenk (1831-1913), der Bahnbrecher der Evangelisation in Deutschland, lehrte:
Sollen wir das Licht der Welt sein, so muss die Welt uns sehen. Damit ist aber nicht gemeint, dass sie uns an allen Straßenecken, in jedem Ballsaal oder in jedem Vergnügungslokal sehen soll, wie die modernen Rezepte lauten. Nein, im Gegenteil – wenn die Welt von ihrer Freude müde und leer geworden ist, dann müssen wir zu finden sein, um ihr den Weg zur Freude im Herrn zu zeigen. Unsere Aufgabe liegt nicht darin, dass wir Welt werden, denn dann hat die Welt nichts mehr von uns. Ist das Salz kraftlos geworden, womit soll man salzen? Unsere Aufgabe ist es, die Welt so zu lieben, dass sie aus ihrem vergehenden Wesen herausgerettet wird. Diese Aufgabe können wir aber nur erfüllen, wenn wir uns bewahren lassen vor allem, was uns unfähig macht, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein.9

Gute einhundert Jahre später gibt Lutzer folgende schonungslose Diagnose der Gemeinde von heute:
Die Gemeinde muss in der Welt so sein wie ein Schiff auf dem Meer; aber wenn das Meer in das Schiff eindringt, besteht für das Schiff große Gefahr. Ich befürchte, dass in das evangelikale Schiff Wasser hineinläuft. Die Welt flutet so rasch in die Gemeinde hinein, dass wir uns wohl zu Recht fragen dürfen, wie lange das Schiff sich noch über Wasser halten kann. Die Gemeinde, deren Aufgabe es ist, auf die Welt Einfluss zu nehmen, befindet sich nunmehr in der umgekehrten Position und wird von der Welt beeinflusst.10

Der Informationsdienst TOPIC berichtete Anfang 2004 über die Auswirkungen der besucherfreundlichen Gottesdienste:
In etlichen Gemeinden, die seit einigen Jahren nach dem Willow Creek-Konzept arbeiten, kehrt Ernüchterung ein. Das Gottesdienst- und Gemeindeprogramm ist zwar perfekt bis ins Detail durchorganisiert und wird oft technisch brillant präsentiert, doch die geistliche Substanz scheint auf der Strecke zu bleiben. »Wir haben zwar jetzt doppelt so viele Gottesdienstbesucher wie vorher, sind aber keine Gemeinde mehr«, so oder ähnlich lauten Äußerungen von zumeist älteren Gemeindemitgliedern, deren Gemeinden nach dem Willow Creek-Konzept arbeiten.11

In unserem Land kann man weithin folgende paradoxe Situation beobachten: In den großen Volkskirchen sitzen überwiegend Ungläubige, die allerdings weithin als Christen angesprochen werden und denen quasi Heiligung gepredigt wird, und in vielen evangelikalen Gemeinden sitzen zu einem ganz großen Teil Gläubige, die ständig evangelisiert werden. Reife Christen bekommen unter Umständen Sonntag für Sonntag »Milch«. Dieses Bild entspricht nicht dem biblischen Standard. Wenn Paulus in 1Kor 14,23-25 von Unkundigen schreibt, die hereinkommen könnten, so verwendet er sprachlich die Möglichkeitsform. Es steht nicht da, dass Nichtchristen in die Versammlung der Gemeinde eingeladen oder gar ganze Versammlungen auf solche Besucher ausgerichtet werden sollen.

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei betont: Selbstverständlich soll eine Gemeinde »besucherfreundlich«, das heißt »freundlich zu Besuchern« sein. Selbstverständlich sollen Gäste jederzeit willkommen sein. Ich rede hier keiner extremen Absonderungslehre oder Weltflucht das Wort. Aber es ist doch ein himmelweiterUnterschied, ob Gäste an den »normalen Veranstaltungen« einer Gemeinde teilnehmen, oder ob die regelmäßigen gottesdienstlichen Versammlungen der Gläubigen speziell auf nichtchristliche Besucher zugeschnitten werden.

Ich frage mich ernstlich, ob nicht auf diese Weise aus Gottes Heiligtum »ein Vorhof« gemacht wird?
Bibellehrer Arnold Fruchtenbaum stellt die beiden diskutierten Modelle einander gegenüber:
Besucherzentrierter Gottesdienst Nicht-besucherzentrierter Gottesdienst
- will Verlorene gewinnen - will Gläubige erbauen
- predigt »nur« Evangelium - predigt ganzen Ratschluss Gottes
- will Nichtgläubige hereinholen - will das Evangelium hinaustragen
- Ziel: Rettung von Sündern - Ziel: Christusähnlichkeit
- Unterweisung: Wie wird man Christ? - Unterweisung: Wie lebt ein Christ?
- Der Pastor und Mitarbeiter - alle Heiligen tun den
tun den Dienst Dienst (Eph 4,11-13)
Wo den Gemeinden nicht nur die Lehre über »die Gemeinde«, sondern ebenso ein gründliches Studium über »das Zusammenkommen der Gläubigen« fehlt, kann sich eine »Philosophie der Beliebigkeit« im Blick auf die Gottesdienstgestaltung ausbreiten. Letztere möchte ich in der nachfolgenden Aufzählung zusammenfassen:
Will man den Weg hin zu einer pragmatischen Gemeinde holzschnittartig zusammenfassen, dann lassen sich in ironischer Umkehrung folgende sieben Schritte benennen:

Sieben Schritte auf dem Weg zu einer pragmatischen Gemeinde (die wir nicht gehen sollten)

1. Vergrößere den Parkplatz.
2. Installiere eine große Multi-Media-Leinwand und ein leistungsstarkes Sound-System.
3. Stelle das musikalische Menü auf zeitgenössische Pop- und Rockmusik um.
4. Betone immer das Positive – minimiere das Negative.
5. Mache die empfundenen Bedürfnisse deiner Zielgruppe zum Mittelpunkt all deiner Überlegungen.
6. Predige relevant, aber kurz.
7. Vermeide das »S-Wort« (Sünde) und vor allem »H-Wort« (Hölle).

Wie nachhaltig eine pragmatische Grundausrichtung das Gemeinde- und Gottesdienstverständnis verändert, zeigt sich auch am Umgang mit der so genannten »Frauenfrage«.
Eigentlich müsste an dieser Stelle noch ein Wort über »christliche Jugendarbeit« gesagt werden.

Die Überwindung des Pragmatismus

Wir Menschen des 21. Jahrhunderts haben Zweckmäßigkeitsdenken und Nützlichkeitsdenken auf Kosten von übergeordneten Prinzipien weitgehend zu unserer Grundhaltung gemacht. Wir denken pragmatisch. Wir handeln pragmatisch. Und wir
leben pragmatisch. Der Pragmatismus ist uns quasi in Fleisch und Blut übergegangen. Es fällt uns gar nicht mehr auf. Doch das ist kein guter Zustand. So darf es nicht bleiben. Gott ist nicht pragmatisch. Darum sollten wir es auch nicht sein. Wir müssen umkehren und die gefährliche Bedrohung überwinden.

Pragmatismus ist das Krebsgeschwür der Christenheit.

Es braucht allerdings die völlige Entschlossenheit, in allen Fragen des Gemeindebaus zu den klaren Grundsätzen der Heiligen Schrift zurückzukehren. Billiger geht es nicht. Gott muss wieder im Zentrum stehen. Die Bibel muss wieder der alleinige Maßstab sein. Alle Aktivitäten in der Gemeinde wie Anbetung, Evangelisation, Seelsorge, Jugendarbeit, etc. müssen mit geistlichen Mitteln durchgeführt werden. Sie dürfen weder dem Buchstaben noch dem Geist der Schrift widersprechen. Anstatt sich ständig nach neuen Methoden des Dienstes auszustrecken, sollten alle Mitarbeiter am Gemeindebau die biblischen Prinzipien studieren und anwenden. Gott gab seiner Gemeinde bereits die benötigten Instruktionen. Wenn wir unsere eigenen, pragmatischen Konzepte einführen, werden wir allenfalls kurzfristigen Erfolg haben. Auf lange Sicht zerstören wir mit unserem Zweckmäßigkeitsdenken den Kern der Gemeinde Jesu Christi.

Schlussgedanken: Ein neues »Evangelium«?

So hat sich »auf leisen Sohlen« ein neues Evangelium eingeschlichen: die »Gute Nachricht« von Selbstachtung und Lebenserfüllung. Es predigt Freiheit von Leere und Einsamkeit. Es wird als Mittel der Lebenserfüllung und als Weg zur Befriedigung der inneren Bedürfnisse angepriesen.
Gegenüberstellungen wirken immer vereinfachend. Trotzdem möchte ich das alte und das neue Evangelium einander direkt gegenüber stellen.

Das biblische Evangelium Das »neue« Evangelium
- es setzt bei Gott an (theozentrisch) - es geht um den Menschen (anthropozentrisch)
- es wird prophetisch und konfrontativ - es wird nach Marketingmethoden an die
präsentiert Konsumenten gebracht
- es geht um Sünde - es geht um Bedürfnisse
- es geht um Rechtfertigung - es geht um Lebenserfüllung
- es ist eine Torheit für die Verlorenen - es ist attraktiv für Kirchenferne
- es hat das Wohlgefallen Gottes - es hat das Wohlgefallen der Welt
Sollte man eine »veränderte« Gemeinde verlassen?


Das ist eine schwierige Frage. Grundsätzlich gilt, dass Christen niemals leichtfertig eine Gemeinde verlassen sollten. Zunächst sollte man in gründlichen Gesprächen versuchen, die Verantwortlichen von einer Rückkehr zu biblischen Prinzipien zu überzeugen. Wenn jedoch schwerwiegende Lehr– und Gewissensfragen vorliegen und sich die Gegensätze nicht substantiell ausräumen lassen, dann bleibt dem treuen Gläubigen kein anderer (Aus)Weg als eine »transformierte« Gemeinde zu verlassen.

Dabei kommt es allerdings sehr auf die Haltung des Austretenden an. Es sind sicherlich schon manche lauthals aus Babel hinausgegangen und am Ende kleinlaut in Ninive angekommen. Die innere Haltung ist entscheidend. Wer austritt, darf es nicht stolz und überheblich tun. An den geistlichen Nöten leidend soll er die Gemeinde verlassen und für das empfangene Gute dankbar sein. Auf keinen Fall darf er einen anderen Jünger Jesu verachten oder ablehnen, weil jener seinen Platz (noch) in jener Gruppe sieht. Die Liebe zum Bruder muss über aller unterschiedlichen Erkenntnis stehen (1Kor 8,1).
Den Zeitpunkt muss jeder in Absprache mit seinem Herrn selbst erkennen. Es wäre sicherlich ratsam, zuerst nach einer echten Alternative Ausschau zu halten. Grundsätzlich gilt: »Zu früh austreten ist gegen die Liebe und die Demut; zu spät austreten ist gegen den Glauben und die Treue.«

Pragmatismus – der Schlüssel zum Gemeindewachstum?

Ich habe – wie andere vor mir – versucht, die schleichende Gefahr des Pragmatismus zu entlarven. An Zweckmäßigkeit orientiertes Denken und Handeln, losgelöst von biblischen Prinzipien mag zunächst Erfolge zeitigen. Besucher mögen strömen. Menschen mögen (scheinbar oder wirklich) zum Glauben kommen. Gemeinden mögen schnell wachsen. Dennoch sollten wir uns von solchen äußeren Faktoren nicht blenden und uns davon in der Beurteilung nicht bestimmen lassen. Allein das, was Gottes Wort lehrt, zählt.

Ich zitiere dazu John White in seinem Buch "Scheinheilig?"1:
„Pfarrer und Prediger, legt die Schrift wieder aus! Scheut nicht Zeit noch Mühe, die biblischen Grundsätze systematische zu lehren! Hört auf mit euren Anekdoten, mit euren aktuellen Themen, mit eurem erbaulichen Geplätscher! Predigt Gottes Wort! Jeder Prediger, der die biblische Wahrheit systematisch lehrt, wird erleben, wie die Leute kommen und ihm an den Lippen hängen. Die Christen sind geistlich am Verhungern und werden von kräftiger biblischer Kost angezogen wie die Bienen vom Honig. Wo Gottes Wort betend, systematisch und in geistlicher Vollmacht ausgelegt wird, lassen sich Menschen zur Busse, zum Gebet und zur neuen Hingabe an ihren HERRN zurückrufen. Allerdings - das erfordert euren Glauben! Ihr selbst müsst davon überzeugt sein, dass man die Kirche nicht zum Zirkus machen muss, um die Leute bei der Stange zu halten, und dass es nicht nötig ist, berühmte Redner von auswärts kommen zu lassen. Das Wort Gottes ist mächtig genug, es zieht die Menschen schon selbst zu Gott. Versucht nicht immer, ihm nachzuhelfen. Predigt es.“

Ein Aufruf an die Leiter der Gemeinden

Liebe Brüder, wir tragen eine große Verantwortung vor Gott. Wir werden vor dem Herrn Rechenschaft ablegen für die Seelen, die uns anvertraut waren (Hebr 13,17). Wir besitzen das Wort Gottes. Darin finden wir die unwandelbaren Grundsätze des Gemeindebaus.

Der Apostel ermahnte die Korinther:
Nach der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als ein weiser Baumeister den Grund gelegt; ein anderer aber baut darauf; jeder aber sehe zu, wie er darauf baut (Hervorhebung vom Verf.) … Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr (1Kor 3,10.17).
1 White, John: „Scheinheilig“; S. 113-114; Brunnen Basel 1984

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