Wetzlar (idea) – Kritik am Moralismus in der evangelischen Kirche hat der Pfarrer der Wittenberger Stadtkirchengemeinde, Alexander Garth, geübt. „Jesus wird vor allem verkündigt als Bringer einer neuen Ethik der Mitmenschlichkeit, des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, schreibt der Theologe in einem Beitrag für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar). Das aber forderten auch Parteien, die sich für eine verantwortungsvolle Politik einsetzten. Laut Garth hoffen viele Kirchenleute, sie könnten den christlichen Glauben in eine zunehmend säkulare Welt vermitteln, indem sie ihn auf das Tun des Guten reduzierten. Das aber führe dazu, dass noch mehr Menschen von der Botschaft der Erlösung entfremdet würden. Garth zufolge haben die Menschen moralische Appelle der Kirchen satt: „Sie suchen Halt, Orientierung, Erlösung, Sinn, Spiritualität, Hilfe gegen Ängste und Trost im Leid.“ Nicht wenige hätten sich von der Kirche abgewandt, weil sie statt pulsierenden geistlichen Lebens eine Institution antrafen, die vor allem mit sich selbst und ihrem guten Ruf beschäftigt sei. Garth: „Wenn die Kirche die Gottesfrage aus dem Zentrum verliert und durch Moral ersetzt, dann wird sie in eine betuliche Betriebsamkeit verfallen und kaum den Hunger der Menschen nach dem stillen, was ewig trägt und zeitlos gültig ist.“
Die Kirche sollte sich nicht in 1.000 Themen verzetteln
Garth zufolge herrscht im 500. Jubiläumsjahr der Reformation in deren Kernland weithin Unwissen über den christlichen Glauben: „Schaut man auf das, was von der christlichen Kernbotschaft derzeit im Volk noch präsent ist, dann hat die evangelische Kirche mit Martin Luther so viel zu tun wie der chinesische Kommunismus mit Karl Marx.“ Die Kirche sei vor allem eine Moralinstanz mit christlicher Deutung und das System in China ein „ausbeuterischer Staatskapitalismus mit kommunistischem Anstrich“. Deshalb sei es 500 Jahre nach der Reformation notwendig, das Grundanliegen Luthers neu zum Leuchten zu bringen, nämlich die Gottesfrage wieder in den Mittelpunkt zu stellen und die kirchliche Praxis darauf auszurichten, „dass Menschen heute Gottes Freunde werden können“. Statt sich in 1.000 Themen zu verzetteln, die die kulturpolitische Hauptrichtung diktiere, müsste die Kirche laut Garth eine Frage umtreiben: „Was hindert die Menschen heute, das Evangelium zu verstehen und Jesus nachzufolgen?“ Der Theologe schließt seinen Beitrag mit einer Aussage Luthers: „Dass Christus dein Erlöser ist, der dir die Vergebung deiner Sünden bringt, das musst du fühlen und bekennen in deinem Herzen. Fühlst du das nicht, so denk nur nicht, dass du den Glauben habest.“