Zum Heiraten zu schlecht – zum Sterben gut genug
Selbstmordattentäterinnen werden offiziell als Heldinnen gefeiert – und insgeheim verachtet. Denn die «heiligen Kriegerinnen» sprengen sich aus anderen Gründen in die Luft als Männer.
Die 21-jährige Palästinenserin Wafa Samir Ibrahim al-Biss überquerte regelmässig den Grenzübergang Erez nach Israel. Nach einem Gasunfall in ihrer Küche in Gaza liess sie ihre schweren Verbrennungen in der Soroka-Klinik in Bersheva behandeln. Doch als sie 2005 am Erez-Grenzübergang verhaftet wurde, war ihr Ziel ein Spital bei Tel Aviv. Hier würde sie mit ihrem Bombengürtel mehr Juden mit in den Tod reissen als in Bersheva. Als die Grenzsoldaten misstrauisch wurden, versuchte Wafa die zehn Kilo Sprengstoff zu zünden, ein technischer Defekt rettete ihr Leben und das der Soldaten.
Warum tut ein Mensch so etwas? Dieser Frage geht Dr. Anat Berko, Psychologin am International Institute for Counter-Terrorism (ICT) in Herzliya und Gastprofessorin an der George-Washington-Universität, nach. In ihrem neuesten Buch «The Smarter Bomb – Women and Children as Suicide Bombers» ergründet sie die Motivation von Frauen und Kindern, die als verhinderte Terroristen in israelischen Gefängnissen landeten. Die Protokolle von Gesprächen mit den Inhaftierten, ihren Anwälten und Islamgelehrten geben Einblick in eine bigotte Gesellschaft, deren Ideen von Familie, Ehre und Religion Europäern so exotisch wie inkonsistent erscheinen müssen – und deren schwächste Opfer nur als Täter Bekanntheit erlangen.
Unglücklich verliebt
Wafa war im israelischen Fernsehen zu sehen. Dort gab sich die junge Frau als fanatische Glaubenskriegerin. Doch was die Palästinenserin dann vor Gericht aussagte, klingt ganz anders: «Ich bin von der Universität geflogen und mein Vater hat mich immer schlecht behandelt. Er schlug mich dauernd und sagte mir, ich würde niemals heiraten. Er sagte, ich wäre für den Rest meines Lebens verkrüppelt. Ich habe Verbrennungen dritten Grades vom Nacken bis zu den Knien und ich bin psychisch genauso verwundet. Mein Gesundheitszustand ist schlecht. Ich kann weder meine linke Hand noch den kleinen Finger der rechten Hand bewegen. Ich bereue, was ich getan habe.
Der Mann, der mich losgeschickt hat, hat mich ausgenutzt. Ich war unglücklich verliebt. Ich hatte einen Freund in Gaza. Wenn ich andere Frauen sehe, sehe, wie gesund sie sind, beeinflusst das meine Stimmungen. Ich wollte mein Leben beenden. Ich wollte mich am Erez-Grenzübergang in die Luft jagen, um mein Leben zu beenden. Ich bitte das Gericht, keine lange Strafe zu verhängen, da ich weiterhin in Behandlung bleiben möchte. Ich möchte eine Zukunft, ich möchte mein Leben. Nun zieht sich Israel aus Gaza zurück, jetzt wird alles besser, jetzt wird es Frieden geben. Ich bedaure, was ich tat. Ich habe schon um Medikamente für meinen Geisteszustand gebeten. Was ich im Fernsehen sagte, sagte ich nur für die Zuschauer.»
Ihre Prognose für Gaza erwies sich bekanntlich als falsch. Ob sie inzwischen ein Leben führt, wie erwünscht, ist ebenso unbekannt wie die Antwort auf die Frage, ob sie wieder mit ihren Eltern spricht. Aus deren Sicht war Wafa schon vor ihrem Unfall «beschädigte Ware»: Nicht zu verheiraten, da sie zweimal vergewaltigt wurde, einmal mit elf, einmal mit sechzehn Jahren. Die eigenen Eltern hatten sie aktiv ermutigt, eine Märtyrerin zu werden, eine «Shaheeda». Auf diese Weise würden sie sich einer finanziellen Bürde entledigen und die Familienehre wäre halbwegs wiederhergestellt. Gesichert ist, dass Wafa und alle anderen weiblichen Gefangenen aus dem Buch 2011 im Tausch gegen den Soldaten Gilad Shalit freigelassen wurden.
Politik spielt kaum eine Rolle
Einiges an diesem Fall ist exemplarisch für weibliche Selbstmordattentäterinnen, wobei hier wenige Ausnahmen die Regeln bestätigen. Politik spielt praktisch niemals eine wirkliche Rolle. Zwar wirkt die konsequente Gehirnwäsche, der palästinensische Kinder von klein auf ausgesetzt sind, insofern, dass Empathie mit den jüdischen Opfern keine Rolle spielt. Aber die konkreten Gründe, aus denen Frauen den Entschluss fassen, auf diese Weise zu sterben, sind praktisch immer gesellschaftlicher Natur und meist sexuell konnotiert.
Offiziell gelten Terroristinnen als Heldinnen, doch jeder Araber nimmt automatisch an, dass eine Frau diesen Schritt nur geht, wenn sie etwas «gutzumachen» hat. Entsprechend düster sind die Aussichten auf ein normales arabisches Leben – also Heirat und Kinder – für die Zeit nach dem Gefängnis. «Sie ist eine Heldin, aber ich würde niemals meinen Sohn oder Bruder so eine Frau heiraten lassen», ist eine ebenso häufige Aussage wie Zoten über die Märtyrerin (Shaheeda), die in Wahrheit eine Nutte (Sharmuta) wäre oder «beim Masturbieren explodiert ist». Aktive Teilnahme am bewaffneten Kampf wird als unweiblich wahrgenommen. Krieg ist Männerarbeit, in der Vorbereitung muss die Täterin Zeit mit fremden Männern verbracht haben.
Stigmatisierte Haftinsassinnen
Tatsächlich sind meist weibliche Helferinnen involviert, sowohl aus Gründen der psychischen «Unterstützung» als auch aus praktischen Erwägungen: Sprengstoffgürtel oder -westen werden unter der Kleidung angebracht. Auch der Gefängnisaufenthalt selbst lädt zu Spekulationen ein: «In einer der vielen Folgen einer antisemitischen türkischen Fernsehserie, welche die israelische Armee dämonisieren, wurden Soldaten gezeigt, die Terroristinnen im Gefängnis vergewaltigten. Die realen Haftinsassinnen wurden wütend und baten die Gefängnisverwaltung, den Medien mitzuteilen, dass kein israelischer Soldat jemals ihre Ehre beschmutzt hätte.» Dennoch ist man auf ein weibliches Familienmitglied im Gefängnis nicht stolz (im Gegensatz zu Söhnen oder Brüdern): «So eine Frau denkt doch anschliessend, sie hat die Hosen an.»
Frauen haben als Selbstmordattentäterinnen erhebliche taktische Vorteile: Sie erregen weniger Misstrauen bei Kontrollen und männliche Soldaten und Polizisten sind ihnen gegenüber gehemmt. Trotzdem sind Frauen unterdurchschnittlich «erfolgreich», insofern sie ihre Einsätze einerseits seltener zu Ende führen als Männer – und andererseits selbst dann im Durchschnitt weniger Todesopfer verursachen.
Eine Rolle dürfte die Motivation spielen: Während Männer und Jungs als Selbstmordattentäter den Eintritt ins Paradies mit seinen (durch die Bank sehr leiblichen) Genüssen nicht erwarten können, wollen Frauen eher ihrer derzeitigen Existenz ein Ende setzen. Dafür reicht es auch, mit einem Messer fuchtelnd auf eine Strassensperre zuzurennen oder den Sprengstoffgürtel vor der Detonation entdecken zu lassen. Auch ohne zu sterben, kann frau so ihrer privaten Hölle entkommen, und die Familie ist sozial verpflichtet, ihr in Hochachtung zu begegnen – wenngleich nur bei Besuchen in der Strafanstalt. Einige Frauen wollten tatsächlich auch nach Verbüssung ihrer Haft lieber im Gefängnis bleiben, als zu den ungeliebten Familien zurückzukehren, wo der Ehemann sich oft inzwischen eine jüngere Zweitfrau zugelegt hat.
Opfer von sexueller Gewalt
Auch junge Männer und minderjährige Jungs haben in den Gesprächen mit Anat Berko gänzlich rationale Begründungen geliefert für ihre teilweise extrem stümperhaften Attacken auf israelische Soldaten: Wer Steine oder Molotowcocktails wirft, kommt für ein paar Jahre ins israelische Gefängnis – gilt aber als Held und kann in aller Ruhe seinen Schulabschluss nachholen. Keine schlechte Option für kleinkriminelle Jungs, die als Schulversager gelten und wegen älterer Brüder keine Chance auf ein Erbe und damit eine angesehene gesellschaftliche Stellung hätten.
Ein anderes Phänomen ist hauptsächlich bei weiblichen Gefangenen zu beobachten: Oft kommen sie aus zerrütteten Familien, denen ein starkes männliches Familienoberhaupt fehlt. Ohne einen solchen Beschützer sind sie einerseits sexuelles Freiwild und andererseits geraten sie ohne einen solchen Unterdrücker tatsächlich manchmal an falschen Umgang. Nicht selten wurden Attentäterinnen erst vergewaltigt und dann erpresst: «Wenn ich das erzähle, bist du sowieso tot, also kannst du genauso gut direkt ins Paradies gehen.»