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Wie die Wachtturm-Gesellschaft mit ihrer eigenen Geschichte


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Wie die Wachtturm-Gesellschaft mit ihrer eigenen Geschichte umgeht





Geschrieben von James Penton


Donnerstag, 16 September 2004


Aufgrund des Glaubens, alles, was die Wachtturm-Führer in der Vergangenheit getan haben, müsse recht sein, da sie Jehova als sein „Kanal“ vertreten, haben sie sich mit einer gefälschten Geschichte umgeben, durch die sie versucht haben, ihre prophetischen Fehlschläge und einige höchst unmoralische Handlungen zu ummänteln. Insbesondere haben sie zu verbergen versucht, wie gehässig sie sich gegenüber einigen früheren Brüdern benommen haben und wie sehr sie sich trotz lauter Dementis heuchlerisch in verschiedene politische Handlungen eingemischt haben. Sie geben, wenn sie dazu gezwungen sind, zwar zu, daß sie in ihren Lehren viele „Fehler“ gemacht haben, die „Verbesserungen“ nötig machten, doch sie behaupten, ihre Beweggründe seien immer in höchstem Maße ethisch gewesen.

Beispielsweise spricht der Wachtturm vom 1. Juni 1979 (Seite 24) von der Zeugen-Organisation als dem „treuen und verständigen Sklaven“, und sagt dann, „man solle nie vergessen, daß die Motive des Sklaven immer rein und selbstlos seien und immer das Gute im Sinn hätten.“ Nichts könnte einer so offenen Lüge näher sein, wie die nachstehenden Fakten beweisen.

Als J.F. Rutherford 1917 entschlossen war, sich praktisch zum Diktator über die Wachtturm-Gesellschaft zu erheben, mußte er den Letzten Willen seines Vorgängers verletzen und die Mehrheit im Direktorium mit eigenen Claqueuren besetzen. Er griff zu dem juristischen Trick, die vier fraglichen Direktoren seien nicht so gewählt worden, wie es das Pennsylvanische Gesetz erfordere, und konnte sie daher durch sein Machtwort als Präsident ersetzen. Rutherford wußte allerdings, daß ein solches legalistisches Argument allein die Bibelforschergemeinde vielleicht nicht befriedigte. So gab er am selben Tag, an dem er im Speiseraum des Brooklyner Bethels (Wachtturm-Weltzentrale) die Entlassung der vier Direktoren bekanntgab, auch ein neues Buch mit dem Titel Das vollendete Geheimnis frei, das als posthumes Werk Pastor Russells und als „siebter Band“ seiner Schriftstudien angekündigt wurde. Als es daraufhin zu einer erbitterten fünfstündigen Redeschlacht über den organisatorischen Coup Rutherfods kam, konnten er und Clayton Woodworth, einer der Mitautoren des Buches Das vollendete Geheimnis, behaupten, die von ihren Arbeitsplätzen vertriebenen Direktoren begründeten ihre Opposition gegen den Wachtturm-Präsidenten in Wirklichkeit auf ihre Ablehnung des siebten Bandes statt auf Rutherfords machiavellistisches Benehmen. So ließ man bei vielen Bibelforschern den Eindruck aufkommen, sie seien nicht nur mit Rutherford nicht mehr im „Einklang“, sondern auch nicht mit dem Willen des verstorbenen und verehrten Charles Taze Russell.

In einer Verteidigungsschrift seiner zur „Sichtung“ [Harvest Sifting] hochstilisierten Handlungsweise, die kurz nach dem Hinauswurf der ehemaligen Direktoren aus dem Bethel am 27. Juli 1917 erschien, sagte Rutherford:

Wir werden hier an ein zufälliges Zusammentreffen erinnert. Es war tatsächlich eine große Prüfung für die Familie [das Bethelpersonal] und andere liebe Freunde im ganzen Land, die davon gehört hatten. Bruder Russell sagte einmal, der siebte Band würde der Kirche in einer Stunde höchster Not gegeben werden, um sie aufzumuntern und zu trösten, und die Bibel weist darauf hin, es gäbe dann Murrende, sich Beklagende usw. Wie ihr wißt, ist der siebte Band nun herausgegeben. Die ersten Exemplare gab es im Bethel-Speisesaal mittags am Dienstag, dem 17. Juni [sic] und zum Ende meiner kurzen Erklärung an die Familie, was zu diesen Verhältnissen geführt habe, Ich sagte, der siebte Band würde an alle verteilt, die ihn haben möchten, und sofort danach begannen die [zwei Ex-Direktoren] Brüder Hirsh und Hoskins, mich anzugreifen.
Noch vor der Veröffentlichung von Harvest Siftings hatte Clayton Woodworth am 4.August 1917 auf einem Bibelforscherkongreß in Boston, Massachusetts, ähnliche Beschuldigungen erhoben. In einer Predigt mit dem Titel „Das Gleichnis vom Groschen“, die auch in einer Broschüre veröffentlicht wurde, versuchte Woodworth, den Anspruch zu erheben, Richter Rutherford sei der in Matthäus 20:1-10 beschriebene „Verwalter“ des Groschens und das Buch Das vollendete Geheimnis sei der Groschen. Woodworth sagte:

Aber als der erste kam ... Als die Bethelmitarbeiter herbeigerufen wurden, um den siebten Band der Schriftstudien in Empfang zu nehmen, mittags, am 17.Juli 1917 ... Fünf oder sechs der bekanntesten Brüder im Bethel, die in mancher Hinsicht am meisten geschätzten, am meisten geliebten, am meisten in Ehren gehaltenen aller lieben Brüder in der Wahrheit. Alle diese lieben Brüder sind Pilgrime [reisende Evangelisten], völlig vertraut mit den Geschichten über Korah, Dathan und Abiram, und alle kennen das gesamte Zeugnis der Bibel, daß Demut und Unterordnung unter den göttlichen Willen der einzige Weg sind, von Gott angenommen zu werden. Angenommen, sie hätten mehr erhalten sollen - um 13:00 Uhr, am 17.Juli 1917, wußten alle diese Brüder, daß sie den Groschen erhalten sollten, aber in jenem Augenblick machte einer nach dem anderen in leidenschaftlichen Worten klar, daß sie neben dem Groschen noch mehr haben wollten; mehr Ehre, mehr Anerkennung, ihre Stimme sollte in der Führung mehr Gewicht erhalten. Und jeder von ihnen erhielt gleichermaßen den Groschen - Von jenem Augeblick an gehörte er ihnen, und es gab für sie damals und gibt auch heute keinen Grund, sich über Bruder Rutherfords wirkungsvolle Führung, in die er gewählt worden war, zu beklagen. Und als sie ihn [den Groschen / das Buch] erhielten, murrten sie gegen den Hüter des Hauses - gegen den Herrn der Ernte. So sieht der Herr es an.

Von damals bis heute haben Wachtturm-Sprecher und -„historiker“ Rutherfords und Woodworths Bericht über die Angelegenheit verbreitet, als sei er ein Evangelium. Im Oktober 1943 trat Fred Franz als Zeuge im Moyle-Prozeß auf und sagte: „Ich glaube, daß sie [im Juli 1917] eine Zeitlang eine Diskussion am Tisch hatten, bei der es um den veröffentlichten siebten Band ging, und die Gegner davon waren diejenigen, die Widerstand leisteten.“ Alexander H. Macmillan, einer der engsten Vertrauten Rutherfords und ein Mann, der während des erbitterten Streites am 17. Juli 1917 anwesend war, schrieb im Jahre 1957:

Im Juli 1917 kam es zum Höhepunkt; nur sechs Monate, nachdem Rutherford zum Präsidenten gewählt worden war. Er hatte Vorkehrungen getroffen, den siebten Band der Schriftstudien herzustellen. Russell hatte die ersten sechs geschrieben. Der siebte, Das vollendete Geheimnis, war in Wirklichkeit eine Zusammenstellung aus Notizen und Schriften Russells und wurde als posthumes Werk Russells herausgebracht. Da gemäß den Statuten der Präsident der Gesellschaft auch der Verwalter ihrer Angelegenheiten war, hatte Rutherford das Direktorium nicht gefragt, und die vier, die dachten, Mitglieder zu sein, erhoben starke Einwände. Daraufhin wurde ihre Gegnerschaft gegenüber dem Vorgehen und der Arbeit der Gesellschaft so erbittert, daß es unmöglich war, Einheit zu wahren, solange sie da waren. Man bat sie, das Bethelhaus zu verlassen oder sich dem Werk unterzuordnen. Sie zogen vor, zu gehen.

Unter der Überschrift „Die Freigabe des Buches 'Das vollendete Geheimnis' wirkt wie eine Bombe“ sagt das offizielle Geschichtsbuch der Gesellschaft, Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben (Seite 70):

Am 17. Juli 1917 wurde mittags bei Tisch im Speisesaal des Bethels dieses Buch freigegeben. Wie einst Bruder Russell gehandelt hatte, so auch Bruder Rutherford, der jedem einzelnen Glied der Bethelfamilie ein Exemplar davon als Geschenk überreichte. Das wirkte wie eine Bombe. Von der Freigabe dieses Buches völlig überrascht, nahmen die gegnerischen Direktionsmitglieder die Gelegenheit sogleich wahr und begannen eine Auseinandersetzung bezüglich der Leitung der Dinge der Gesellschaft, die fünf Stunden dauern sollte.

Das Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1975 gibt in einem Abriß der Geschichte der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten im wesentlichen denselben Bericht wieder. Es wird zwar nicht direkt gesagt, daß die Freigabe des Buches Das vollendete Geheimnis die Ursache für die fragliche Auseinandersetzung war, doch es wird versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Unter anderem heißt es, diese Freigabe des Buches und die darauffolgende Debatte hätten offenbart, daß einige Glieder der Bethelfamilie mit den Gegnern sympathisierten. Die vier ehemaligen Direktoren, A.I. Ritchie, J.D. Wright, I.F. Hoskins, und R.H. Hirsh haben immer behauptet, der offizielle Bericht der Wachtturm-Gesellschaft sei eine Lüge. In einer Publikation mit dem Titel Light after Darkness [Das Licht nach der Finsternis], die sie und der Wachtturm-Vizepräsident A.N. Pierson als Antwort auf Harvest Siftings herausbrachten, machten sie geltend:

In erster Linie wußte keiner der Direktoren, die fälschlich als 'Murrende' beschuldigt wurden, im voraus etwas über die Herausgabe des siebten Bandes. Überdies ging es in jener Debatte überhaupt nicht um den siebten Band. Keiner der Brüder, die als 'Murrende' beschuldigt wurden, sagte etwas über den siebten Band, und sie hatten auch nichts gegen diesen Band.

Wo liegt denn nun die Wahrheit? Kann man darüber nach all den Jahren noch etwas Sicheres sagen? Ja, denn als Richter Rutherford im Frühjahr 1918 unter Eid aussagte, gab er zu, daß seine Feststellung in Harvest Siftings falsch war. Damals wurde ihm und sechs Mitverbundenen nach dem US-Spionagegesetz für den Ersten Weltkrieg der Prozeß gemacht, weil sie sich in die Rekrutierungsbemühungen eingemischt hatten. Als er darüber befragt wurde, was nach der Freigabe des Buches Das vollendete Geheimnis im Juli des Jahres zuvor im Brooklyner Bethel vorgefallen sei, gab er von sich aus zu, daß die Freigabe nichts mit der darauffolgenden Debatte zu tun hatte. Gemäß dem Gerichtsprotokoll sagte Rutherford:

Frage: Ich meine, er [der Sekretär-Kassierer der Wachtturm-Gesellschaft] sagte etwas über den Zweck, die Tatsache zu verhüllen, daß der siebte Band „Das vollendete Geheimnis“ herausgegeben werden sollte. Was stimmt nun in bezug darauf?
Antwort: Um nichts in der Welt sollte verhüllt werden, daß er veröffentlicht werden sollte. Der Grund dafür war folgender: Wir hatten damals erhebliche Probleme innerhalb der Gesellschaft.

Frage: Waren das Probleme wegen des Buchs „Das vollendete Geheimnis“?
Antwort: Nein, Es betraf nicht im Entferntesten „Das vollendete Geheimnis“.
Frage: „Das vollendete Geheimnis“ war damals nicht zum Gegenstand von Diskussionen unter den Mitgliedern geworden?
Antwort: Nein, wir hatten darüber mit keinem einzigen gesprochen, als die Probleme begannen.
Frage: Sind das dieselben Probleme wie die, die in der Resolution angesprochen werden, die Sie dem Direktorium am 17. Juli 1917 vorlegten?
Antwort: Ja.
Frage: Es war also eine interne Uneinigkeit in der Organisation, die nichts mit dem Buch „Das vollendete Geheimnis“ zu tun hatte?
Antwort: Ja.
Trotz seines offenen Bekenntnisses vor einem Gericht hat Rutherford nie den Versuch gemacht, die Sache bei seinen Anhängern klarzustellen, und die Wachtturm-Gesellschaft hat weiterhin die Falschdarstellung aufrechterhalten, die in Harvest Siftings und Das Gleichnis vom Groschen veröffentlicht worden war. Statt also freimütig zuzugeben, daß der Grund hinter der erbitterten Debatte vom 17.Juli 1917 ein Machtkampf innerhalb der Organisation war, bei dem Rutherford eher andere zu Opfern gemacht hatte, als selbst Opfer zu sein, hat die Gesellschaft die Zeugen Jehovas im Glauben an die falsche Geschichte gelassen. Anderthalb Jahrzehnte, bevor in Deutschland die Nazis an die Macht kamen, gebrauchten Rutherford und seine Verbündeten bereits die Technik, die Joseph Goebbels als „Große Lüge“ bekanntmachte. Ihre Nachfolger haben seither immer dasselbe getan.

Ein anderes Beispiel falscher Geschichtsdarstellung ist schwerwiegender. Es geht um die Haltung der Wachtturm-Führung gegenüber dem Nationalsozialismus und den Juden. Jahrelang hat man die Zeugen Jehovas gelehrt, daß die deutschen Kirchen mit Hitler und der NSDAP Kompromisse geschlossen haben, ihre deutschen Brüder aber, damals als „Ernste Bibelforscher“ bekannt, wie ein Mann gegen die Grundsätze des Dritten Reichs aufgestanden seien. Wegen der tapferen Haltung der deutschen Zeugen angesichts furchtbarer Verfolgung, die viele ihr Leben in Hitlers KZs kostete, sind sie von weltlichen Historikern zu recht gepriesen worden. Im Wachtturm vom 1.Oktober 1984 (Seite 8) wurden beispielsweise Untersuchungsergebnisse von Christine E. King und Michael Kater angeführt, daß die Zahl der in der Nazi-Verfolgung verhafteten oder getöteten Zeugen erheblich unterschätzt wurde. Dr. King wurde zitiert:

Die Zeugen hielten an theologischen Grundsätzen fest; sie blieben neutral; sie waren ehrlich und völlig vertrauenswürdig, und aufgrund dessen wurden sie ironischerweise oft als Bedienstete der SS angestellt.
Was jedoch die meisten Zeugen Jehovas oder unabhängige Wissenschaftler im allgemeinen nicht wissen, ist, daß die gewöhnlichen deutschen Zeugen generell ihre Integrität bewahrten und an ihren Grundsätzen festhielten, daß ihre Führung - Rutherford, Knorr und hohe deutsche Wachtturm-Vertreter - dies aber nicht tat. Darüber hinaus versuchten Rutherford und seine Paladine, den deutschen Arm ihrer Bewegung dadurch zu retten, daß sie die Juden zu Sündenböcken machten.

Während der ersten Hälfte der Bibelforscher/Zeugen-Geschichte waren sie für ihren Philosemitismus bekannt. Wie gewisse protestantische Vormillenialisten des ausgehenden neunzehnten und des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts in Amerika war C.T. Russell ein ausgemachter Unterstützer der Sache der Zionisten. Er weigerte sich, die Juden zu bekehren zu versuchen, er glaubte an die jüdische Wiederbesiedlung Palästinas, und 1910 führte er eine New Yorker Jüdische Zuhörerschaft beim Singen der zionistischen Hymne, der Hatikva, an. Lange Zeit folgte Richter Rutherford seinen Fußstapfen. 1926 schrieb er ein kleines Buch mit dem Titel Trost für die Juden, in dem suggeriert wurde, die jüdische Einwanderung in das alte Heilige Land sei eine Erfüllung biblischer Prophetie. Vier Jahre später schrieb er ein ähnliches, aber größeres Buch namens Leben.

Doch plötzlich widerrief Rutherford seine Überzeugung über die Juden. Das Buch Leben wurde aus dem Verkehr gezogen, und 1932 verkündete Rutherford, das „fleischliche Israel“ erfülle keine besondere Rolle in der Heilsgeschichte. Vielleicht war der Richter nur darauf bedacht, daß Jehovas Zeugen das „wahre Israel Gottes“ seien, aber vielleicht hatte er auch andere Gründe für einen derart drastischen Wandel der Lehre. Während der späten 1920er und der frühen 1930er Jahre wucherte in den USA und Kanada mit dem Anwachsen einer Vielzahl religiöser und politischer Bewegungen der Antisemitismus. Dann schien es in der wirtschaftlichen Depression von 1929 auch möglich zu werden, daß die gewalttätigen, antijüdischen Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kämen - was am 30.Januar 1933 geschah. So mag es gut möglich gewesen sein, daß Rutherford die Zeugen von der jüdischen Gemeinschaft soweit wie möglich abkoppeln wollte. Doch das kann in keiner Weise entschuldigen, was der Wachttum-Präsident und seine Hilfskräfte kurz darauf im ersten Jahr des Dritten Reichs tun sollten.

Anfang April 1933 wandten sich die Nazis gegen Jehovas Zeugen. Ihr Zweigbüro in Magdeburg wurde besetzt und ihre religiöse Tätigkeit zeitweilig gestoppt. Doch am 28. April gaben die deutschen Behörden den Besitz an die Wachtturm-Gesellschaft zurück, und die Zeugen begannen, wieder zusammenzukommen und mit dem Jüngermachen von Tür-zu-Tür fortzufahren. Doch die Zeugenführung und die Zeugen Jehovas im allgemeinen wußten, daß sie bei den Nazis nicht beliebt waren. So beschlossen Richter Rutherford und die deutsche Zeugengemeinde zu jener Zeit, wie es in dem Standardbericht der Zeugen heißt, offen gegen die Hitlerdiktatur aufzutreten. Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben sagt dazu (Seite 130):

Richter Rutherford hatte die Lage in Deutschland fortwährend genau beobachtet und war mit ihrer Entwicklung, soweit sie das Zeugniswerk betraf, gut vertraut. Bei dieser ernsten Wendung der Dinge verlor er keine Zeit und begab sich in Begleitung von N.H. Knorr nach Deutschland, um zu sehen, was getan werden könnte. Am 25. Juni ... wurde ein Kongreß in Berlin einberufen. Dort wurde den 7.000 Anwesenden eine vorbereitete Erklärung der Tatsachen als Protest gegen die Hitler-Regierung wegen ihrer anmaßenden Einmischung in das Zeugniswerk der Gesellschaft vorgelegt, die einstimmig angenommen wurde. Die Erklärung wurde dann jedem höheren Regierungsbeamten, vom Präsidenten abwärts bis zu den Reichstagsmitgliedern, zugesandt, und 2.500.000 Exemplare wurden öffentlich verbreitet. Die Vergeltungsmaßnahme folgte schnell. Drei Tage später, am 28. Juni, wurde das Eigentum der Gesellschaft zum zweiten Male beschlagnahmt und besetzt, und durch behördlichen Erlaß wurde ihre Druckerei geschlossen.

Doch wurde der Wachtturm-Besitz beschlagnahmt, wurden die Zeugen Jehovas wirklich von den Behörden gleichzeitig verboten, weil die Erklärung ein mutiger Protest gegen Nazi-Aktionen war? Nein, im Gegenteil: es war vor allem eine feige, selbstsüchtige Erklärung, in der Rutherford und seine Handlanger versuchten, den Nazis die Zeugengemeinde schmackhaft zu machen, indem sie Großbritannien, die Vereinigten Staaten, den Völkerbund und vor allem die Juden angriffen. In dem Unterabschnitt „Juden“ heißt es:

Es ist von unseren Feinden fälschlich behauptet worden, daß wir in unserer Tätigkeit von den Juden finanziell unterstützt werden. Dies ist absolut unwahr, denn bis zur gegenwärtigen Stunde ist auch nicht das geringste an Beiträgen oder finanzieller Unterstützung für unser Werk von Juden geleistet worden. Wir sind treue Nachfolger Jesu Christi und glauben an ihn als den Heiland der Welt. Die Juden dagegen verwerfen Jesus Christus völlig und leugnen absolut, daß er der Welt Heiland ist, der von Gott zum Nutzen des Menschen gesandt wurde. Schon allein diese Tatsache sollte Beweis dafür sein, daß wir von den Juden nicht unterstützt werden und daß die Anschuldigungen gegen uns in böser Absicht vorgebracht wurden und falsch sind, und nur von Satan, unserem großen Feinde, herrühren können.

Das Anglo-Amerikanische Weltreich ist die größte und bedrückendste Herrschaft auf Erden. Hiermit ist das Britische Reich, wovon die Vereinigten Staaten Amerikas einen Teil bilden, gemeint, Es sind die Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreiches, die das Großgeschäft aufgebaut und benutzt haben als ein Mittel der Ausbeutung und der Bedrückung vieler Völker. Diese Tatsache bezieht sich insonderheit auf die Städte London und New York als Hauptstützpunkte des Großgeschäfts. Dies ist in Amerika so offenbar, daß es in bezug auf die Stadt New York ein Sprichwort gibt, das heißt: „Den Juden gehört die Stadt, die irischen Katholiken beherrschen sie, und die Amerikaner müssen zahlen.“ Wir haben mit den erwähnten Gruppen keinen Streit, sondern als Zeugen für Jehova und in Befolgung seiner in der Schrift niedergelegten Gebote müssen wir auf die Wahrheit hierüber aufmerksam machen, damit das Volk über Gott und sein Vorhaben aufgeklärt werden möchte.

Das war noch nicht alles. Neben der Verurteilung des Völkerbundes hieß es in der Erklärung:

Die nationale Regierung hat sich nun deutlich ausgesprochen gegen die Bedrückung durch das Großgeschäft und gegen verkehrte religiöse Einflüsse in den politischen Angelegenheiten des Staates. Genau dies ist auch unsere Stellungnahme.
Dann wurde verkündet:

Anstatt gegen die von der deutschen Regierung vertretenen Grundsätze eingestellt zu sein, treten wir vollkommen ein für diese Leitsätze, und weisen darauf hin, daß Jehova Gott durch Christus Jesus die gänzliche Verwirklichung dieser Grundsätze bringen wird.

Natürlich waren die Nazis, wie die Zeugen bald entdecken sollten, unbeeindruckt und ließen fast sofort eine Verfolgungswelle gegen sie los. Aber erst dann, und nur dann, beschlossen Rutherford, die Wachtturm-Gesellschaft und deutsche Zeugen-Führer, sich in kompromißloser Haltung gegen die Nazi-Politik zu stellen. Die Wachtturm-Gesellschaft rühmt sich immer noch der Treue der deutschen Zeugen Jehovas zu christlichen Grundsätzen im Dritten Reich. Aber sie möchte auch weiterhin den Versuch ihrer Führung verbergen, 1933 mit den Nazis einen Kompromiß zu schließen. Der Wachtturm vom 1.Oktober 1984 zitierte zwar aus Christine Kings Buch The Nazi State and the New Religions, aber nicht das, was Dr. King über die „Erklärung“ der Gesellschaft geschrieben hatte. In einer kurzen Bewertung des Dokuments macht sie eine aus Zeugensicht ziemlich verurteilende Bemerkung. Sie sagt:

Das Dokument ist in seiner Art ein Meisterwerk und der vier anderen Sekten wert [Christliche Wissenschaft, Mormonen, Siebten-Tag-Adventisten und Neuapostolen], die alle auf die eine oder andere Art den Nazi-Staat unterstützten.
In einem weiteren Abschnitt sagt sie:

Die Zeugen schienen wenig weitere Belästigungen erwartet zu haben, nachdem sie versuchten, die Behörden durch ihre Erklärung zu versichern, sie seien gute Staatsbürger, und ihre Lehren in einer Weise auslegten und darlegten, die bei allen Vorurteilen des Regimes bestimmt war, Furcht zu dämpfen und so etwas wie einen Kompromiß anzubieten. Hatte die Erklärung nicht zusammen mit den Nazis den Völkerbund verurteilt, hatte sie den Nationalsozialismus nicht gegen das Unrecht aufstehend beschrieben, das Deutschland seit 1919 erlitt, hatte sie nicht mit einem persönlichen Appell an den Führer geendet?

So ist es kaum möglich, daß die heutige Führung der Gesellschaft die Erklärung und ihren kompromißsuchenden antisemitischen Charakter nicht kennen kann. Doch mit den Tatsachen konfrontiert, streiten die Wachtturm-Gesellschaft und ihre Sprecher dies ab, und Erwachet! vom 8.Juni 1985 (Seite 10-11) verurteilte die Geistlichkeit wegen ihrer Nazi-Unterstützung und verkündete:

In Deutschland gab es jedoch eine Gruppe, die mutig christliche Grundsätze hochhielt. Bei dieser Gruppe handelte es sich um Jehovas Zeugen. Anders als die Geistlichkeit und deren Anhänger weigerten sie sich, mit Hitler und den Nationalsozialisten Kompromisse einzugehen. Sie lehnten es ab, Gottes Gesetze zu übertreten. Sie waren nicht bereit, ihre christliche Neutralität in politischen Angelegenheiten zu verletzen. (Siehe Jesaja 2:2-4; Johannes 17:16; Jakobus 4:4.) Sie schrieben Hitler kein Heil zu wie die überwiegende Mehrheit der Geistlichen und ihrer Schutzbefohlenen.
Wie die Führer einer Religionsgemeinschaft, die den Anspruch erhebt, Gottes alleiniger Kanal auf Erden zu sein, solcher Lügen und direkter Heuchelei schuldig sein kann, ist kaum vorstellbar, aber sie sind es wohl. Die Fakten sprechen für sich. Aber an der Sache ist noch mehr als bisher erörtert. Wegen ihrer Überheblichkeit haben sich diese Männer, die Jehovas Zeugen beherrscht haben und noch beherrschen, weit schrecklicherer Sünden schuldig gemacht.
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