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Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruchs


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Rolf

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Henryk M. Broder 29.01.2015






Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruchs






Irgendetwas stimmt nicht in diesem Land. Irgendetwas läuft aus dem
Ruder. Kurt Tucholsky würde sagen: „Nie geraten die Deutschen so außer
sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.” Nicht, dass Deutschland immer
das Land der kühlen Vernunft und der rationalen Entscheidungen gewesen
wäre, da gab es ein paar Ausraster, die bis heute nachwirken, aber noch
nie haben die Deutschen in Friedenszeiten und unter dem Schirm eines
Sozialstaates dermaßen hyperventiliert wie in den letzten Wochen und
Monaten.

Hannah Arendt hat im Zusammenhang mit dem Organisator der „Endlösung”,
Adolf Eichmann, von der „Banalität des Bösen” geschrieben. Sie würde
heute über die „Grausamkeit der Guten” staunen.

Letzten Montag, heute-journal im ZDF. Nachdem die Pegida-Leute ihre Demo
auf den Sonntag vorverlegt haben, gehört Dresden jetzt den „Guten”,
Herbert Grönemyer, der aus London eingeflogen ist, und über 200
Künstlern aus der ganzen Bundesrepublik, die „ein Zeichen” für ein
buntes, tolerantes und weltoffenes Dresden setzen wollen. Oder ein
buntes, tolerantes weltoffenes Berlin, Bremen und Frankfurt, denn auch
dort finden Demos gegen Fremdenfeindlichkeit statt. Tausende junge
Menschen wollen ein Zeichen setzen, sie schwenken Leuchtstäbe und
Taschenlampen hin und her, wie einst ihre Eltern in einer Vorstellung
der „Rocky Horror Picture Show”. Auch dagegen wäre an sich nichts zu
sagen, denn „ein Zeichen” zu setzen ist die einfachste Art, Engagement
zu zeigen, ohne dabei mehr zu riskieren als kalte Füße in der
Abenddämmerung. Und kosten tut es auch nichts, denn die Künstler treten
ohne Gage auf.

Mitten in der Menge eine junge Frau mit Wollmütze, die ein pinkfarbenes
Plakat an einer Holzlatte in die Höhe hält. Darauf steht:
„Menschenrechte statt rechte Menschen”. Ich würde gerne auf die Frau
zugehen und sie fragen: „Was soll denn mit den rechten Menschen
passieren? Wollen wir sie umbringen, einsperren, ausbürgern? Und wo
fängt für Sie rechts an?” Aber es geht nicht, denn die junge Frau ist in
Dresden, Bremen oder Freiburg unterwegs und ich stecke in einem Hotel in
Frankfurt fest. Schade, ich hätte gerne gewusst, wie sie auf diesen
Spruch gekommen ist, ob sie vielleicht schon als Kind mit ihren Eltern
gegen den Bau eines AKW’s demonstriert hat, eine Papptafel mit dem Satz
„Ich habe Angst!” an einer Schnur um den Hals.

Ich fürchte, ich bin einer der wenigen, die sich über eine solche
Zurschaustellung der Folgen frühkindlicher Gehirnwäsche aufregen. Denn
ich bin ein „Rechtspopulist”, ein „Hetzer”, einer der spaltet, statt zu
versöhnen. Alle anderen wollen Zeichen für Toleranz setzen, Brücken
bauen, auf fremde Menschen zugehen, sogar mit den Taliban beten -
vorausgesetzt, es sind Gleichgesinnte und Gleichgepolte. „Rechte
Menschen” dürfen ausgegrenzt und diffamiert werden, im Namen und
zugunsten der „Menschenrechte”.

Als ich noch viel jünger, schlanker und dunkelhaariger war, habe ich mal
einem Professor, dessen Vorlesungen ich hörte, anvertraut, dass ich die
SPD wählte. Fortan sprach er mich nur noch mit „Mein bolschewistischer
Freund!” an. So war es in den 60er Jahren, ein kluges Wort, und schon
war man Kommunist. Heute ist es genau umgekehrt. Ein Hinweis darauf,
dass das Demonstrationsrecht unabhängig von den politischen Zielen der
Demonstranten gilt, so lange sich diese an die Gesetze halten, und schon
ist man ein „Rechter”. Die „Guten”, also die Linken, die
Friedensbewegten, die Brückenbauer und diejenigen, die sich die Erde nur
von ihren Kindern geliehen haben, bleiben gerne unter sich und
bestätigen sich gegenseitig, wie gut sie sind.

Wer diesem Club der Selbstgerechten angehören möchte, der muss an die
Klimakatastrophe glauben, die Energiewende unterstützen, einen Toyota
Prius fahren, auf seine CO2-Bilanz achten, kulturzeit auf 3sat schauen
und immer eine Erklärung dafür parat haben, warum „der Westen” an allem
schuld ist, während es „den Islam” als solchen gar nicht gibt. Er muss
auch über ein sehr selektives Wahrnehmungsvermögen verfügen. Wenn eine
Autonomengang eine Polizeiwache überfällt oder Veranstaltungen der AfD
und der taz sprengt, weil dort „falsche Ansichten” geäußert werden, dann
sind das Petitessen, die achselzuckend ad acta gelegt werden. Wenn aber
ein älterer leicht besoffener Herr einer jungen Journalistin etwas zu
lange in den Ausschnitt guckt, dann ist das „menschenverachtend” und ein
Vorratslager für wochenlange Entrüstung.

Dieser Gesellschaft ist der innere Kompass abhanden gekommen. Sie hat
sich nicht liberalisiert. Sie ist autoritärer, dogmatischer und rigider
geworden, wobei es die Antiautoritären von gestern sind, die heute den
Ton angeben. Sie kaufen ihr Küchenzubehör bei manufaktum ein und rümpfen
die Nasen über „Spießer” und „Kleinbürger”, die sowohl beim Konsumieren
wie beim Politisieren ästhetisch versagen. „Spießer” und „Kleinbürger”
sind heute die beliebtesten Invektive, mit denen sich die Angehörigen
der Kultureliten vom gemeinen Volk absetzen.

Diese Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten so gründlich
pazifiziert worden, dass sogar die Pazifizierer nicht mehr wissen, wie
sie ihre Aggressionen loswerden sollen. Deswegen tun sie so, als hätten
sie keine. Aber es reicht, an der Oberfläche der Friedfertigkeit nur ein
wenig zu kratzen, damit das unterdrückte Elend zum Vorschein kommt. An
keinem Stammtisch in Wanne-Eickel geht es so passiv-aggressiv zu wie an
der Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts, wo Toleranz
gepredigt und Sektierertum praktiziert wird.

Nun, da sich die Pegida von allein erledigt hat, werden die Guten und
die Selbstgerechten einen neuen Sündenbock brauchen, an dem sie sich
abarbeiten und dem sie das anlasten können, woran sie gescheitert sind -
die Transformation der Gesellschaft.

Die Parteien und Bewegungen kommen und gehen. Aber die Fragen und
Probleme bleiben. Lotta continua!
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