Zum Inhalt wechseln

Welcome to Irrglaube und Wahrheit
Register now to gain access to all of our features. Once registered and logged in, you will be able to create topics, post replies to existing threads, give reputation to your fellow members, get your own private messenger, post status updates, manage your profile and so much more. If you already have an account, login here - otherwise create an account for free today!
Foto

Kündigungsgrund: Muslimischer Ehemann


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Keine Antworten in diesem Thema

#1
Rolf

Rolf

    Administrator

  • Administrator

  • PIPPIPPIP
  • 34141 Beiträge
  • Land: Country Flag

Please Login HERE or Register HERE to see this link!






Diskriminierung durch evangelische Kirche






Kündigungsgrund: Muslimischer Ehemann






Von Katja Tichomirowa



Stuttgart –

Pfarrerin wollte Carmen Häcker werden. Eigentlich. Doch weil die Vikarin einen Muslim heiratete, hat die evangelische Kirche in Württemberg sie entlassen.

Carmen Häcker lebt nicht mehr in Crailsheim. Sie hat dort noch eine Dienstwohnung. Aber was soll man in einer Dienstwohnung, wenn man keinen Dienst mehr hat? Die Württembergische Landeskirche hat sie entlassen. Fristlos. „Seitdem vagabundiere ich ein bisschen“, sagt die Vikarin außer Dienst. Und lacht. Das Vagabundieren, es passt zu ihr. Nicht, weil sie wie jemand wirkt, der immer auf dem Sprung ist. Sie ist an jedem Ort ganz bei sich; freundlich, selbstbewusst und neugierig.

Untergeschlüpft ist Carmen Häcker fürs Erste bei ihren Eltern, im Stuttgarter Stadtteil Weilimdorf. „In einem schwäbischen Pfarrhaus“, sagt sie, „wie es sich die Württembergische Landeskirche wünschen würde.“ Vater und Mutter, beide Theologen, beide evangelisch, die Tochter ebenfalls Theologin und eigentlich auf dem Weg, es den Eltern nachzutun. Pfarrerin wollte sie werden, ein Pfarrhaus führen. Nur hat sie sich dafür den falschen Partner ausgesucht, sagt ihr früherer Dienstherr. Sie hat im August dieses Jahres einen Mann aus Bangladesch geheiratet. Einen Muslim.

„In Württemberg kann sie nicht mehr Pfarrerin werden“

Seither gilt Carmen Häcker als Rebellin. Das will sie nicht sein. Aber so entschieden, wie sie ist, kann sie weniger entschiedene Menschen wohl provozieren. Blaue, sehr helle Augen, dichtes rotbraunes Haar, eine schmale, dunkle Hornbrille; uneitel zwar, aber keinesfalls gleichgültig, was ihr Äußeres betrifft. So sitzt sie im Bahnhofscafé in Heidelberg vor einem Cappuccino und spricht ohne Ahs und Irgendwies zur Sache. Das kann sie mit großer Überzeugungskraft. Eine Menschenfischerin. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie vor einer Gemeinde steht und predigt. Schwer ist es, sich vorzustellen, dass die Kirche auf so jemanden verzichten will.

„In Württemberg kann Frau Häcker nicht mehr Pfarrerin werden“, sagt Oliver Hösch, der Sprecher der Landeskirche. Dagegen stehe das Kirchenrecht. Paragraf 19 Absatz 2 des Württembergischen Pfarrerdienstgesetzes besagt: „Der Ehegatte eines Pfarrers muss der evangelischen Kirche angehören. Es wird von ihm erwartet, dass er den Dienst des Pfarrers bejaht. In Ausnahmefällen kann der Oberkirchenrat auf Antrag von dem Erfordernis nach Satz 1 befreien.“ „Das wusste Frau Häcker“, sagt Hösch. Es stehe in ihrem Ausbildungsvertrag.

„Ja, sicher habe ich das gewusst“, sagt Carmen Häcker. Sie habe auch nicht erwartet, dass der Weg ins Pfarramt an der Seite ihres muslimischen Ehemannes ein Spaziergang werde. Auch damit, dass ihre Landeskirche sie nicht als Pfarrerin haben wolle, habe sie gerechnet. Damit, dass man sie mit sofortiger Wirkung vor die Tür setzt, nicht.

„Ein dramatischer Imageverlust“

Doch da sitzt sie jetzt, die Theologin und Pfarrerstochter. Und dass die württembergische Kirchentür verschlossen ist, hat für Carmen Häcker Konsequenzen. Denn dadurch kann sie ihre Ausbildung nicht beenden, obwohl sie danach in einer anderen evangelischen Landeskirche durchaus die Möglichkeit hätte, auch mit einem muslimischen Ehemann Pfarrerin zu werden.

In der Württemberger Landeskirche wird derweil heftig über die Causa Häcker gestritten. Die Vikarsvereinigung in Württemberg kritisiert den Umgang mit dem Fall, mehr aber noch „den hier praktizierten Umgang mit Personen, die vor wichtigen Lebensentscheidungen stehen“. Die Kirchenleitung sei zu einem Gespräch mit dem muslimischen Ehemann nicht einmal bereit gewesen. Der theologisch liberale Gesprächskreis „Offene Kirche“ spricht von einem „dramatischen Imageverlust“. Wohingegen der konservativere Kreis der „Lebendigen Gemeinde“ eine Ehe zwischen einer Pfarrerin und einem Muslim für ausgeschlossen hält. Der gemäßigte Dekan Ernst-Wilhelm Gohl warnt derweil vor polemischen Verkürzungen. Man sei nicht fundamentalistisch oder ewig-gestrig, weil man seinen Glauben für richtig halte. „Wie“, fragt Gohl, „sollen wir mit anderen Religionen diskutieren, wenn wir unsere eigene Religion nicht für richtig halten?“

Wenn Carmen Häcker hört, dass sie ihre Religion nicht für richtig hält, weil sie einen Muslim geheiratet hat, dann lächelt sie spöttisch. Kurz nur und ohne Kommentar. Sie erzählt lieber, wie sie Monir Kahn, den Mann, dessen Glauben ihrem Wunsch, Pfarrerin zu werden, nun im Wege steht, kennenlernte. „Er war Wirtschaftsprüfer und Übersetzer bei der Grameen-Bank.“ Jener Bank, die der aus Bangladesch stammende Wirtschaftswissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus gründete, um mit der Vergabe von Kleinkrediten die Situation der Armen zu verbessern. „Dort, in Bangladesch, haben wir uns kennengelernt.“ Monatelang sind sie durchs Land gereist, sind ein Paar geworden, haben seine Eltern besucht, die weit weg von der Hauptstadt Dhaka auf dem Land leben. „Sie waren begeistert, dass da jemand von so weit her zu ihnen kommt“, sagt Carmen Häcker. Dass die weiße Frau, die Christin, ihre Schwiegertochter werden sollte, war kein Problem für sie. „Der Sohn des Staatspräsidenten von Bangladesch hat eine Christin geheiratet. Seither sind solche Ehen dort gesellschaftsfähig.“

Die Linie der Kirchenleitung stand bereits fest

Die Schwierigkeiten begannen erst in Deutschland, genau genommen auf deutschem Territorium, in der Botschaft in Dhaka. Dort wollte man Monir Khan kein Visum geben. Auch nicht mit der Einladung, die Carmen Häckers Eltern ihm geschrieben hatten. Erst nach langem Kampf und vielen weiteren Hindernissen durfte Monir Khan nach Crailsheim. In der Gemeinde war er willkommen. „Wir haben viel eingeladen“, sagt Carmen Häcker. „Monir ist ein toller Koch, und im Konfirmanden-Kreis war er eine Attraktion. Er wollte meine Arbeit kennenlernen, und er kam gut an bei den Jugendlichen.“ Als die fragten, was das für ein Land sei, dieses Bangladesch, sagte Monir Khan: Wir nähen Eure Klamotten. Die Kinder drehten ihre T-Shirts um. Made in Bangladesch, stand auf den Etiketten. Ein guter Start. Bei den Jungen.

Die älteren Gemeindemitglieder waren irritiert, dass die angehende Pfarrerin ohne Trauschein mit ihrem Freund zusammenlebt. „Wir haben Händchen gehalten, einmal auch bei einem Konzert, das die Landfrauen organisiert hatten.“ Man legte Carmen Häcker nahe, das Verhältnis doch möglichst bald zu legalisieren.

„Also, habe ich Monir gesagt, Du musst mir jetzt einen Ring kaufen. Wir müssen uns verloben.“ Die erste Reaktion ihres Ausbildungspfarrers auf die Pläne sei absolut positiv gewesen. „Ja, da schreiben Sie Kirchengeschichte“, habe er erklärt. Auch einen gemeinsamen Ausflug unternahm man noch, der Ausbildungspfarrer, seine Frau, Carmen Häcker und ihr zukünftiger Ehemann. Es ging nach Rothenburg ob der Tauber – dort gibt es einen ganzjährigen Weihnachtsmarkt.

Im Mai teilten Monir Khan und Carmen Häcker ihre Heiratsabsicht der Kirchenleitung mit. Sie bemühten sich um ein Treffen mit dem Oberkirchenrat. Doch der ließ auf sich warten. Es fand sich kein Termin für ein gemeinsames Gespräch.

Im Juli erklärte Kathrin Nothacker, die Kirchenrätin der evangelischen Landeskirche Württemberg, Carmen Häcker dann, dass ein Treffen mit ihrem Ehemann gar nicht nötig sei. Die Linie der Kirchenleitung stehe bereits fest: Heirate sie ihren Verlobten, werde sie aus dem Kirchendienst entlassen.

Andere Landeskirchen sind entspannter

„Es kam noch hinzu, dass wir unter enormen Zeitdruck standen“, erzählt Carmen Häcker. „Das Visum meines Mannes galt nur bis Oktober. Die Heirat mit einem Ausländer ist in Deutschland eine langwierige Angelegenheit. Es kann Monate dauern, bis man Unterlagen zusammen hat.“ Doch nur als Ehemann einer Deutschen hatte Monir Khan die Chance auf ein neues Visum.

Also heirateten die beiden im August in Dänemark.

„Damit hat Frau Häcker Fakten geschaffen“, sagt der Sprecher der Landeskirche. „Wir konnten gar nicht mehr anders reagieren.“ Die Kirchenrätin Kathrin Nothacker spricht von einem absoluten Ausnahmefall. Sie habe in den vergangenen Jahren keinen einzigen Fall gehabt, bei dem ein Ehepartner nicht getauft oder nicht Christ war. Ausnahmeregelungen aber könnten nur in Aussicht gestellt werden, „wenn der Ehepartner einer christlichen Kirche angehöre, die mit uns in einer ökumenischen Verbundenheit steht“.

In anderen Landeskirchen sieht man das entspannter. In Hessen-Nassau etwa gibt es Ausnahmeregelungen auch für andere Religionen. Eine Pfarrerin ist mit einem Juden, zwei andere sind mit Muslimen verheiratet. Auch die evangelische Landeskirche Berlin Brandenburg toleriert nach eigener Aussage in Ausnahmefällen Ehen ihrer Geistlichen mit nicht-christlichen Partnern. Für das Ehepaar Häcker-Khan gäbe es also durchaus Platz in einem evangelischen Pfarrhaus. Nur eben nicht in Württemberg.

Carmen Häckers Ausbildungspfarrer jedenfalls wollte am Ende doch lieber nicht Kirchengeschichte schreiben. Das württembergische Pfarrhaus sollte frei von religiösen Spannungen bleiben. „Er argumentierte mit der Barmener Erklärung“, sagt Carmen Häcker. 1934 hatten die bekennenden Christen in Barmen ihren Glauben in einen bewussten Widerspruch zum Nationalsozialismus gestellt. „Natürlich“, sagt Carmen Häcker, „war es im Angesicht des Nazi-Regimes enorm wichtig, zu bekennen, dass Jesus Christus unser Herr ist und nicht etwa Hitler. Aber das ist nicht die Alternative, vor der ich stehe.“ Kurzes Schweigen. Dann setzt sie nach: „Das ist doch ein hermeneutischer Kurzschluss.“ Sie sagt das wie eine Feststellung, die Hände ruhig neben der Kaffeetasse. Sie muss sich an nichts festhalten. Sie ist sich ihrer Sache sicher.

Zufrieden geben wird sich Carmen Häcker mit der Entlassung aus dem Kirchendienst nicht. Sie klagt vor dem Kirchlichen Verwaltungsgericht in Württemberg. „Ich will meine Ausbildung abschließen“, sagt sie. Unterstützung gibt es inzwischen reichlich, auch in der württembergischen Landeskirche. Ihre Konfirmanden üben Solidarität über Facebook, die liberalen Gesprächskreise wollen eine offene Diskussion über den Fall , und die Kirchenrätin in Stuttgart-Weilimdort, der Gemeinde ihrer Eltern, sammelt Unterschriften dafür, dass Carmen Häcker ihre Ausbildung beenden darf.

Sogar aus Berlin bekommt sie Schützenhilfe. Evangelische Theologie-Studenten der Humboldt-Universität haben eine „Häcker-Offensive“ begründet. In einem offenen Brief an den Landesbischof der Württembergischen Kirche fordern sie nicht nur eine Umkehr, sie fordern eine Entschuldigung.

„Wer, wenn nicht die Kirche, soll in der Lage sein, sich mitten in die interkulturelle und interreligiöse Realität unserer Zeit zu stellen?“, fragen sie. „Dorthin, wo die Menschen, die sie erreichen will, längst stehen.“
  • 0