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Esoterische Heiler - Esoterische Therapien


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Rolf

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Esoterische Heiler - Esoterische Therapien




Dr. Hansjörg Hemminger


Zeitgeschichte der Esoterik

Das Angebot alternativer Lebenshilfe, das man als "Esoterik" bezeichnet, hat seine Wurzeln teils im Psychoboom der siebziger Jahre, teils in der New-Age-Bewegung der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Das Wort Esoterik stammt vom griechischen "esoterikós" und meint "zum inneren Kreis gehörig". Eigentlich beruhen esoterische Systeme also auf Geheim- und Sonderwissen. Das trifft auf die klassische Esoterik zu (Mysterienkulte der Antike, Hermetik, Kabbala, Alchimie, Rosenkreuzertum usw.), aber nicht mehr auf die gegenwärtige. Diese mo-derne Bewegung schöpft unterschiedlos aus zahlreichen Quellen: Der abendländische Okkul-tismus (Medien, Channeling, Tarotkarten) wird ebenso benutzt wie (oft mißverstandene) hin-duistische oder buddhistische Methoden (Yoga, Zen) und angebliche Praktiken von Naturreli-gionen. Bei der Psychotherapie werden Anleihen gemacht usw. Diese marktförmige Bewe-gung erreicht einen großen Teil des Bildungsbürgertums mit ihren Therapie- und Lebenshil-fekonzepten. Eine Neuheit stellt dabei das lawinenartige Anwachsen esoterischer Erfolgspro-gramme in der Wirtschaft dar. Erfolgstrainer aller Art übertragen in das Milieu der Manager, was vorher in alternativen Zirkeln und New-Age-Zentren zur Therapie und Bewußtseinserweiterung diente.


Ideen und Methoden

Da esoterische Therapien Lebenshilfe, Sinngebung und Seelenführung in einem sein wollen, gehört religiöse Belehrung (anders als in der fachlichen Gesundheitspflege) mit dazu. Wie sieht die religiöse Ideenwelt aus, in die Klienten hineingenommen werden?

Das Gottesbild ist unpersönlich und ungeschichtlich. Man spricht von einem kosmischen Bewußtsein, vom Urgrund des Geistes, von Lichtenergie usw. Die persönlichen Gottesbilder der Bibel (Vater, Mutter, Schöpfer usw.) werden als naiv betrachtet. Die Vorstellung, daß Gott dem Menschen als Richter gegenübertritt, ist der Esoterik fremd. Das christliche Gebet hat keine esoterische Entsprechung.
Ziel der menschlichen Existenz ist die Entwicklung des Bewußtseins hin zum Göttlichen und Absoluten. Dieser Heilsweg steht im Gegensatz zur christlichen Hoffnung. Außerdem handelt es sich um einen ausgeprägten Heils-Individualismus: Nicht der Gemeinschaft der Glaubenden gilt die Hoffnung, sondern dem Einzelnen.

Der Geist - das Bewußtsein - des Menschen ist unsterblich und bekleidet sich immer wieder mit einem materiellen Leib. Er erlebt deshalb viele Reinkarnationen, die man zur Höherentwicklung des Bewußtseins nutzen muß.
Das Bewußtsein des Menschen ist der Materie übergeordnet oder sogar die einzige Realität. Das eigene Bewußtsein ist deshalb Ursache des persönlichen Ergehens, auch von Krankheiten, Lebenskrisen und Geldproblemen. "Der Mensch ist Schöpfer seines Lebens" (Jürgen Höller). Aus christlicher Sicht lädt sich der Mensch damit eine Last auf, die niemand tragen kann.

Das Bewußtsein kann Macht über die Dinge gewinnen. Es entsteht eine Neigung zum magischen Denken. Auch Heilverfahren arbeiten mit magischen Mitteln.
Die unübersichtliche Fülle von Angeboten zeigt, daß kritische Prüfung nicht Sache esoterischen Denkens ist. Die Methoden können deshalb nur stichwortartig angegeben werden. Aber immerhin lassen sich sechs Quellen unterscheiden, aus denen die esoterischen Therapien schöpfen:

einige Methoden der Psychotherapie, vor allem aus der Humanistischen Psychologie, den Körpertherapien, der Hypnose- und Kurztherapie, der Gruppendynamik usw.
eine Vielzahl von Methoden der westlichen Alternativmedizin (Positives Denken, Neurolinguistisches Programmieren, Kinesiologie, Bachblüten, Edelstein-Therapie, Fußreflexzonen-Massage, Pendeln, Wünschelruten, Erdstrahlen-Abschirmung usw.)

Methoden einer östlichen Traditionsmedizin (Ayurveda aus Indien, tibetische Medizin, chinesische Medizin mit Akupunktur und Tai Chi usw.)
Methoden des westlichen Okkultismus, vor allem aus dem Spiritismus (Trance-Techniken, Channeling usw.) und dem sogenannten Geistheilen, aus der Astrologie (Stellen von Horoskopen), aus Hellsehen und anderen Deutetechniken (Tarot, Kristallkugel-Sehen, Kartenlegen usw.)

eine Auswahl von Meditations- und Ekstasetechniken und Heilungsritualen aus fernöstlichen Religionen, aus dem Hinduismus (Yoga, Transzendentale Meditation), dem tibetischem Buddhismus usw., zum Teil auch Techniken aus fernöstlichen Neureligionen (Reiki)

angeblich oder wirklich aus Naturreligionen übernommene und für moderne Bedürfnisse veränderte Rituale bzw. Ekstasetechniken (Schamanismus aus Sibirien, das Medizinrad aus der Indianer-Spiritualität, Schwitzhütten der Pueblo-Indianer usw.)

Eine nähere Beschreibung würde ein Lexikon erfordern, deshalb muß auf die weiterführende Literatur verwiesen werden.


Warum esoterisches Heilen?

Beispiele zeigen, daß der Einstieg in eine esoterische Therapie meist auf einer Verschränkung mehrerer Motive beruht: religiöse Sehnsucht, Leidensdruck der Krankheit - und nicht zuletzt die Enttäuschung über fachliche Hilfen. Die Zufriedenheit der Klienten esoterischer Therapien ist hoch, bei einer repräsentativen Befragung wurden kaum Negativeffekte genannt. Dieser Sachverhalt ist einmal die Folge "allgemeiner Wirkfaktoren", die esoterischen Therapien zugute kommen wie anderen auch. Das Fallaufkommen von Beratungsstellen zeigt jedoch, daß auch gravierende Kunstfehler vorkommen, zum Teil durch mangelnde Ausbildung, zum Teil durch Mißbrauch von Klienten. Außerdem zeigt alle Erfahrung, daß Heilungs- und Hilfsversprechen in der Esoterik sehr oft nicht eingelöst werden. Die hohe Klientenzufriedenheit dürfte deshalb auch auf die (aus anderer Sicht gerade problematische) Einheit von religiöser Belehrung und Therapie in der Esoterik zurückgehen. Wer will sich darüber beklagen, daß der Rheumatismus noch da ist, wenn man neue Harmonie mit dem Kosmos erlebt? Die Menschen suchen Lebenshilfe und Sinngebung aus einer Hand, wer diesem Bedarf entgegenkommt, findet Zustimmung.

Stichworte zur Bewertung

Die Anziehungskraft esoterischer Therapien beruht darauf, daß sie übernatürliche Hilfe für persönliches Leid versprechen. Wer kosmische und göttliche Kräfte heranziehen kann, muß besser helfen können als die bloße Wissenschaft - oder doch nicht? Hinzu kommen eindrückliche Sondererfahrungen, die einen Weg aus dem Alltag heraus eröffnen, seien es Seelenreisen oder Meditationen. Geschichtlich betrachtet handelt es sich um einen Protest der Menschen gegen die moderne Ausdifferenzierung der Lebenshilfe entlang fachlicher Kompetenzen: Glaubensfragen bitte beim Pfarrer, Finanzprobleme auf der Bank, Eheprobleme beim psychologischen Berater und die Magengeschwüre beim Arzt behandeln lassen. Das Gefühl der Patienten, daß das doch alles auch miteinander zu tun habe, ist keineswegs falsch.

Auch die christliche Seelsorge, die fachliche Psychotherapie und jede andere seriöse Lebenshilfe wird auf dieses "Genzheitsbedürfnis" achten müssen. Auch die kirchliche Arbeit muß dem Bedürfnis entgegen kommen, Leid und Krankheit in einen spirituellen Rahmen zu stellen. Allerdings sollten Seelsorge und fachliche Heilkunde nicht jede esoterische Erfahrung anbieten wollen. Christliche Spiritualität unterscheidet sich von esoterischer Spiritualität, und gerade in der Bewahrung des eigenen, im heilsamen Evangelium, liegt ihre therapeutische Kraft. Folgendes Zitat kann helfen, diesen Unterschied in den Blick zu bekommen:

"Theologie und Religion wissen um die Unterscheidung von Heilung und Heil. Heil kann sein, wo keine Heilung ist. Heilung kann sein, wo kein Heil ist. Heil ist - manchmal unter dem Gegenteil - verborgen, Heilung ist stets vorzeigbar... Heilung ist aktiv machbar, Heil passiv erfahrbar... Die Erfahrung von Heil unterbricht alltägliche Erfahrung, Heilung verbessert und steigert sie. Heilung gehört - christlich verstanden - in den Bereich der Schöpfung, wo Menschen Mitarbeiter Gottes sind, Heil gehört in den Bereich der Erlösung, die noch aussteht und sich in der Schöpfungswirklichkeit nur gleichnishaft und gebrochen zur Erfahrung bringt." (Nüchtern 1997 S. 203)

Heil und Heilung, Mitarbeiterschaft des Menschen und Tun Gottes lassen sich nicht zu einer Therapiemethode verbinden. Die Hilfe Gottes ist nicht verfügbar, sondern kann nur erbeten werden. Insofern müssen Christen heute die wissenschaftliche Heilkunde dazu aufrufen, bei ihrer Sache zu bleiben, nämlich bei der Heilung mit Mitteln menschlichen Denkens und Tuns. Man kann als fachlicher Helfer im Auftrag Gottes handeln, man kann dabei mit Gottes Hilfe rechnen - wie bei allem, was Menschen anpacken und was dem Leben dient. Aber man kann Gott nicht therapeutisch benutzen. Wo es um das Heil geht, haben Machbarkeits- und Erfolgsdenken keinen Platz. Insofern stehen esoterischen Therapien wegen ihres Machbarkeitsdenkens unter dem Verdacht des Realitätsverlusts. Die Erfahrungen, die Menschen dabei machen - Heilungen, Lebenswenden, veränderte Bewußtseinszustände und geheime Erkenntnisse - brauchen deshalb nicht bestritten zu werden.

Aber sie erhalten aus christlicher Sicht eine andere Deutung. Allerdings gibt es dabei auch auf christlicher Seite Fragwürdiges: Manchmal werden übersinnliche Erfahrungen - egal wo und wie - prinzipiell als Glaubenshilfe gesehen. Dahinter steht eine auf den ersten Blick einleuchtende Idee: Als Gegner des Glaubens wird die aufgeklärte Vernunft betrachtet. Deren wissenschaftliches Weltbild wird vermeintlich durch paranormale Erfahrungen, durch geheimnisvolle Wirkungen von Kraftplätzen usw. aufgebrochen. Dadurch soll dem Menschen wieder Glauben möglich werden. Manchmal mag dieser Rückschluß tatsächlich eintreten. Viel häufiger erfolgt jedoch ein Rückschluß auf die Richtigkeit des esoterischen Weltbildes. Die esoterische Überzeugung, daß "Beten funktioniert", hilft zum Beispiel selten dazu, sich in der Krankheit der Liebe und Nähe Gottes anzuvertrauen - wieso auch, da doch das eigene Tun "funktioniert"? Ebenso problematisch wie der Versuch, Esoterik als Glaubenshilfe zu verstehen, ist allerdings der umgekehrte Ansatz, Esoterik als ein Einfallstor des Dämonischen zu interpretieren: Wer auf einen Guru meditiert, öffnet sich dem Einfluß Satans, wer sich das Horoskop stellen läßt, handelt sich eine dämonische Belastung ein.

Viele Christen betrachten es als "fact of life", daß man nach einer Reiki-Sitzung dämonisch belastet ist und nur durch Exorzismus befreit werden kann. Solche Vorstellungen sind in der Bibel allerdings weder dem Wort noch dem Sinn nach zu finden. Zu finden ist im Neuen Testament der Begriff der dämonischen Besessenheit. Er steht im Zusammenhang damit, daß zwischen dem Reich Gottes und dem Reich Satans mit dem Kommen Jesu ein (von den Dämonen bereits verlorener) Kampf ausgebrochen ist, der sich darin ausdrückt, daß die bösen Geister Jesu Wort weichen müssen. Dabei werden Krankheiten (sogar der Tod) gelegentlich angesprochen wie eine Person, der vom Gottessohn Einhalt geboten wird. Die Heilungen Jesu sind Zeichen des Heils, sie machen sichtbar, daß "das Reich Gottes nahe gekommen ist". Auch von daher sollten wir wissen, daß der Esoterik-Betrieb ein sehr menschlicher ist, mit all der Redlichkeit und Hoffnung, aber auch mit all der Angst und Gier, die menschliches Leid immer und überall begleiten. Wir sollten uns durch hochtrabende Ansprüche auf geheimes Wissen ebensowenig in Bewunderung - oder in aggressive Verteidigung - hineindrängen lassen wie durch Geschichten wunderbarer Hilfe. Zwischen Wort und Tat liegt in der Esoterik - wie überall - ein weiter Weg.


Literatur:

Böhme, Gernot: Philosophie und Esoterik - Konkurrenten um die geistige Orientierung der Zukunft. In: N.Bolz; W.v.Reijen (Hg.): Heilsversprechen. München 1998 11-24

Enquete-Kommission des 13. Deutschen Bundestages "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" (Hg.): Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen - Forschungsprojekte und Gutachten der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen"Verl. Hoheneck, Hamm 1998b

Federspiel, Krista, Lackinger-Karger, Ingeborg: Kursbuch Seele. Köln 1996

Hemminger, Hansjörg; Keden, Joachim: Seele aus zweiter Hand. Quell Stuttgart 1998

Küenzlen, Gottfried: Religion und Kultur in Europa. Materialdienst der EZW 4/99 62 97-107

Leuenberger, Hans-Dieter: Sieben Säulen der Esoterik. Freiburg 1989

Nüchtern, Michael: Therapie als Heilsweg. Materialdienst der EZW 60 7/97 193-204

Nüchtern, Michael: Medizin, Magie, Moral - Therapie und Weltanschauung. Mainz/Stuttgart 1995

Ruppert, Hans-Jürgen: Esoterik heute - Altes Wissen auf neuen Wegen. Materialdienst der EZW 61 9/1998 267-273

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