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Von Aposteln an den Rand des Selbstmords getrieben


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Rolf

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Von Aposteln an den Rand des Selbstmords getrieben




Die Neuspostolische Kirche (NAK) ist hinter den beiden Großkirchen die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland. Sie gilt gemeinhin als harmlos. Die Gläubigen sieht man auch wochentags schick herausgeputzt in den Gottesdienst gehen. Dem Augenschein nach rechtschaffene Angestellte, liebenswürdige Nachbarn, zuverlässige Freunde und fürsorgliche Eltern. In letzter Zeit häufen sich aber die Berichte über Intrigen und Machtmißbrauch in der NAK. Ehemalige Mitglieder, die sich selbst als "aufgewacht" bezeichnen, werfen Amtsträgern vor, sie würden sich finanziell bereichern, ganze Gemeinden würden massiv "mobben" und hätten sogar Selbstmorde zu verantworten. Die Neuapostolische Kirche in Deutschland - 430.000 Biedermänner oder eine gewaltige Psycho-Sekte ?

Aussteiger erheben schwere Vorwürfe gegen die Neuapostolische Kirche.

Es ist schwierig klarzumachen, was in der NAK vor sich geht. Es ist, als ob man in eine andere Welt kommt, beschreibt Siegfried Dannwolf aus Kornwestheim seine Erfahrungen. Er hatte reichlich Gelegenheit, sich in der NAK umzusehen: Schon von den Eltern neuapostolisch erzogen, wurde er Neuapostolischer Priester, bevor er 1992 ausgetreten ist.

"Es gibt Zeiten, da denke ich, mir sind Jahre meines Lebens gestohlen worden", stellt der Familienvater fest. Das lag bei ihm vor allem an der Neuapostolischen Heilslehre: Ganz oben in der Hierarchie der Kirche stehen die lebenden Apostel, die sich in der Nachfolge der Jünger Jesu verstehen. Diese haben vor allem eine Aufgabe: Sie sollen eine Anzahl Gläubige um sich sammeln, die leben wie Gott es verlangt.

Und Gott verlangt von den Neuapostolen eine ganze Menge: "Wir mußten zehn Prozent unseres Bruttoeinkommens spenden, dreimal in der Woche den Gottesdienst besuchen, dazu kam noch eine Chor- und eine Orchesterprobe. Schließlich mußten wir noch in Wohngebieten von Tür zu Tür gehen und Anhänger werben", erzählt Dannwolf. Wer bei einem dieser Termine fehlte, wurde zu Hause aufgesucht und mußte sich für seine Abwesenheit rechtfertigen. "Jeder Tag war schon allein für die Kirche total verplant". Zu etwas anderem sollte Siegfried Dannwolf auch gar keine Zeit haben, denn für viele Neuapostolen ist alles andere sowieso "übertriebenes Amüsement", das "die Seele gefährdet". Fernsehen war tabu, ebenso wie Theater- oder Konzertbesuche und Tanzveranstaltungen: "Vor allem als Jugendlicher hatte ich damit zu kämpfen. Ich verpaßte die 68er, durfte keinen Rock und Pop hören", erzählt Siegfried Dannwolf. "Wenn ich heute darüber nachdenke, bekomme ich eine Riesenwut."

Doch damals unterwarf er sich, wie viele NAK-Mitglieder, dem Diktat der Kirche. "Man wird unglaublich unter Druck gesetzt, die Frohbotschaft wird zur Drohbotschaft." Für die, die ausscheren, ist nämlich kein Platz unter den Auserwählten, als die sich die Neuapostolen verstehen. Und das hat nach ihrer Lehre schlimme Folgen: Jesus kehrt nämlich auf die Erde zurück, um die kleine Schar der Auserwählten mit in den Himmel zu nehmen. Während sie mit ihm dort Hochzeit feiern, herrscht auf der Erde unvorstellbares Leid: Ein Drittel der Menschheit geht zugrunde. Nach dreieinhalb Jahren kehren die Auserwählten zurück, um als Könige und Priester unter paradiesischen Umständen die rechte Lehre zu predigen. "Ständig wurde mir gedroht, wenn du nicht das und das machst, gehörst du nicht mehr dazu", sagt Siegfried Dannwolf. So ließ er sich lange Jahre von den Amtsträgern nach Belieben lenken, denn nach dem Verständnis der NAK sprach Gott durch sie. "Kindlich glauben" sollte man an ihre Worte und Anweisungen, denn wer daran zweifelte, zweifelte auch an Gott. Bei Siegfried Dannwolf ging das so weit, daß er selbst die Entscheidung über einen Arbeitsplatzwechsel in die Hände seines Priesters, und damit - für ihn - in die Hände Gottes legte.

Erst als er auf der Leiter der NAK-Hierarchie selbst eine Stufe höher stieg, begannen ihm die Augen aufzugehen. Als Priester bekam er jetzt plötzlich für die Predigt einen Leitfaden an die Hand, in dem der Stammapostel für ihn jedesmal zwei Sätze aus der Bibel interpretiert hatte. Bisher war ihm erzählt worden, der Priester brauchte weder Ausbildung noch Vorbereitung für den Altardienst, Gott lege ihm während der Feier die richtigen Worte in den Mund. Deshalb gebe es auch das Phänomen, daß in jedem Land der Welt in den Neuapostolischen Gottesdiensten am selben Tag genau das gleiche gepredigt werde. Doch da war wohl weniger Gottes Geist, als vielmehr ein funktionierendes Verteilersystem am Werke.

Jetzt begann er auch die vorgekauten Bibelstellen im Kontext zu lesen - bisher war davon abgeraten worden - und entdeckte grobe Widersprüche. "Uns wurde zum Beispiel gesagt, daß wir den Zehnten abgeben sollten, weil das so in der Bibel stünde. Es war jedoch nicht davon die Rede, daß das damals ein Religionsstaat war und es daneben keine weiteren Steuern gab", sagt Siegfried Dannwolf. Doch selbst als er Fehldeutungen schwarz auf weiß belegen konnte, wollte man ihm einfach nicht glauben. Die Amtsträger verkünden immer das zeitgemäße Wort, auch wenn sie gegen andere Religionen hetzen und die katholische Kirche als "Große Hure" bezeichnen.

Nach langem Zögern bekannte sich Siegfried Dannwolf auch offen zu den Zweifeln, hörte auf, den Personenkult, der um die Amtsträger geschürt wurde, zu predigen. "Das war ein langer und schwerer Prozeß. Vorher war alles so unglaublich bequem. Ich mußte erst wieder lernen, Entscheidungen zu treffen." Er begann jetzt auch öffentlich Kritik zu üben.

Nun brach alles um Siegfried Dannwolf zusammen. Er wurde nicht mehr zur Predigt gerufen und mehrmals zu seinen Vorgesetzten zitiert. Die hatten ihn offenbar ausspionieren lassen und versuchten ihn jetzt unglaubwürdig zu machen. "in der Gemeinde wurde unglaublich gegen mich gehetzt. Es wurden gezielt Lügen ausgestreut", berichtet Dannwolf. Seine Bekannten würdigten ihn plötzlich keines Blickes mehr. Weil es für ihn noch nie ein Leben außerhalb der NAK gegeben hatte, bedeutete das den Verlust fast des gesamten Freundeskreises. Nicht ganz. Der Gemeindevorsteher, der als einziger zu ihm hielt, wurde ebenfalls bedrängt und schließlich gefeuert - bald darauf erlitt er einen schweren Herzinfarkt und schwebte in Lebensgefahr.

Auch Siegfried Dannwolf war jetzt am Ende und unterzeichnete, gesundheitlich schwer angeschlagen, seinen Rücktritt.

Ähnliche Erfahrungen machte auch Joseph Kirchner* aus Engen. Er wurde mit der Belastung des Priesteramtes nicht fertig und wollte zurücktreten. Die inneren Widersprüche der NAK machten ihm sehr zu schaffen. "Es gibt dort keinen Irrtum, keine menschliche Schwäche. Die autoritären Figuren müssen immer unangetastet bleiben, sonst würde das ganze System zusammenbrechen", meint Kirchner. Sein Rücktrittsgesuch wurde nicht akzeptiert. "Der Bezirksapostel sagte mir, meine Probleme und inneren Nöte seien ihm egal, ich müssen eben durchhalten." Wie Dannwolf traf auch er nirgendwo auf Verständnis: "Es gab überhaupt keine Seelsorge, mir wurde immer nur gesagt, "wirf deine Probleme hinter dich."

Vor die Gemeinde zu treten und etwas zu predigen, was er nicht mehr vertreten konnte, bereitete ihm inzwischen solche Qualen, daß er sich sogar umbringen wollte: "Im Sommerurlaub wollte ich mit mir Schluß machen", erzählt Joseph Kirchner. Nur seiner Familie zuliebe tat er es nicht.

Nachdem er sich aus der NAK zurückgezogen hatte, wurde auch er mit Lügen und Unterstellungen in der Gemeinde diffamiert. Selbst seine Frau glaubte ihm nicht mehr. "Das ist typisch", meint Siegfried Dannwolf. "Das Problem geht mitten durch die Familie, Ehen brechen auseinander." Mit seinen Eltern hat er seit Jahren keinen Kontakt mehr.

"Ich weiß jetzt, daß die Neuapostolische Kirche mit christlichem Glauben nichts zu tun hat."

Für die Neuapostolische Kirche sind solche negativen Erfahrungen mit ihren Amtsträgern, sofern sie die Betroffenen nicht nur für Stänkerer hält, bedauernswerte Ausnahmen. Die kämen aber in allen Kirchen vor und wären angesichts der Mitgliederstärke noch relativ gering (siehe Interview).

Auch die katholische Kirche äußert sich zum Thema NAK zurückhaltend. Der Sektenbeauftragte der Erzdiözese Freiburg, Albert Lampe, will die NAK lieber als Sondergemeinschaft denn als Sekte bezeichnen. Gleichwohl kennt er die Schwierigkeiten bei den Neuapostolen: "Das Problem ist der kindliche Glaube. Da die Mitglieder bewußt kleingehalten werden, wächst aus ihnen keine eigenständige Persönlichkeit. Es entsteht eine Unfähigkeit, selbst Verantwortung zu übernehmen und damit Abhängigkeit", faßt der Sektenexperte das Problem aus seiner Sicht zusammen. Dennoch will er keinen Vergleich zu gefährlichen Gemeinschaften wie Scientology ziehen: "Dafür gibt es zu viele Neuapostolen, die ein normales Leben führen und sich nicht in totaler Abhängigkeit befinden. Die meisten haben noch zur Außenwelt Kontakt." Aber auch bei ihm melden sich immer wieder Opfer der NAK, die geistigen und körperlichen Schaden davongetragen haben oder überhaupt nicht aus eigener Kraft aussteigen können: "Es gibt Extrembeispiele und Ausreißer", räumt Albert Lampe ein.

Um die kümmert sich nun Siegfried Dannwolf seit über einem Jahr. "Zuerst fühlte ich mich wie das schwarze Schaf, als einziger böser Mensch auf Erden. Nun weiß ich, daß ich nicht der einzige Aussteiger bin und will den anderen helfen." Offenbar gibt es nämlich eine ganze Menge dieser "Ausreißer". Dannwolfs Selbsthilfegruppe hatte im Jahr 1994 über 300 Kontakte mit Opfern. (Lukas Martin)

Wer Kontakt mit der Selbsthilfegruppe von Siegfried Dannwolf aufnehmen will, kann sich an folgende Adresse wenden: Kontakt und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen, Marienstraße 9, 70178 Stuttgart, Telefon: (0711)6406117. * Name von der Redaktion geändert


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#2
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Interview




Herbert Bansbach ist in Karlsruhe für die Öffentlichkeitsarbeit der Neuapostolischen Kirche zuständig. Seit 1990 ist er Bischof und arbeitet eng mit dem Apostel zusammen, der für die Region Baden von Philippsburg bis Riegel zuständig ist. Vor seinem Fulltime-Job bei den Neuapostolen war er Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte in Ettlingen.

Konradsblatt: Immer wieder gibt es Klagen über Amtsträger der NAK, sie hätten ihren Einfluß auf Gläubige ausgenutzt und sie sogar terrorisiert.

Bansbach: Natürlich sind mir diese Vorwürfe bekannt. Insgesamt sind das aber nur um die 200 Anklagende. Sollten ihre Behauptungen zutreffen, ist das in jedem einzelnen Fall schlimm. Das sind aber mit Sicherheit ganz große Ausnahmen, die es in jeder Kirche gibt. Das Bild, das von uns entsteht, ist deshalb völlig falsch. Wir werden dargestellt, als ob wir die letzte Sekte mit Psychoterror wären.

Kenner sprechen aber zumindest von einer Tendenz zur Unselbständigkeit bei Ihren Gläubigen. Sie würden zum naiven Glauben angehalten, ihnen würden zu viele Entscheidungen abgenommen werden.

Wir wollen den Menschen in der Seelsorge auf keinen Fall entmündigen. Jeder ist bei uns für sein Seelenheil selbst verantwortlich, wir stehen nur bei und helfen etwas. Auch der Gottesdienst und das finanzielle Opfer sind absolut freiwillig. Niemand wird zu irgend etwas gezwungen.

Die Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche werfen Ihnen vor, sie würden Ihre Religion absolut setzen, jeden anderen Glauben ausdrücklich verdammen.

Wir haben lediglich den Anspruch, die Kirche zu sein, die Jesus mit seinen Jüngern gegründet hat. Wir bemühen uns, in den Gemeinden vor Ort mit den katholischen und evangelischen Geistlichen zusammenzuarbeiten. Wir sind und bleiben auch nur sündige Menschen, nicht besser als Moslems oder Katholiken. Entscheidend ist das Bemühen und die ehrliche Gesinnung.

Aus: - Konradsblatt-29-01-95-
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